www.wikidata.de-de.nina.az
Eine Tatertypologie oder Tatertypenlehre erlaubt die Zuordnung vergangener gegenwartiger und zukunftiger Straftater zu Gruppen Es handelt sich also um Klassifikationen oder Systematisierungsversuche die der Zuordnung von Individuen zu Gruppen oder Klassen von Straftatern dienen wobei zur Veranschaulichung ein charakteristischer Vertreter der Gruppe als deren typischer Vertreter hervorgehoben wird Typologien von Straftatern beziehen sich auf unterschiedliche Merkmale wie zum Beispiel die begangenen Straftaten die zugrunde liegende Motivation die Art der Tatausfuhrung Modus Operandi und den Grad der von den Tatern ausgehenden Gefahrlichkeit Das erste Ziel einer Tatertypologie wie auch jeder anderen Systematik besteht in der Verschaffung eines geordneten Uberblicks Weiterhin geht es um eine erhohte Prazision und die Vermeidung von Wiederholungen im Informationsmanagement Dafur ist es gut wenn die Kategorien einer Tatertypologie sich gegenseitig ausschliessen Trennscharfe keine Zuordnung zu zwei oder mehr der Kategorien und wenn sie moglichst erschopfend sind keine Residualkategorie fur Sonstige Ausserdem gilt fur die Erstellung von Tatertypologien das Prinzip der Sparsamkeit parsimony es sollen keine uberflussigen Kategorien gebildet werden Inhaltsverzeichnis 1 Kriterien der Typenbildung 2 Geschichte 3 Nationalsozialismus 4 Aktuelle Tatertypologien und ihre Kritik 5 Einzelnachweise 6 Literatur 7 WeblinksKriterien der Typenbildung BearbeitenTypologien sind Resultate eines Gruppierungsprozesses bei dem ein Objektbereich anhand eines oder mehrerer Merkmale in Gruppen bzw Typen eingeteilt wird so dass sich die Elemente innerhalb eines Typus moglichst ahnlich sind interne Homogenitat und sich die Typen voneinander moglichst stark unterscheiden externe Heterogenitat 1 Typenbildung ist besonders problematisch und unzuverlassig wenn sie lediglich der Intuition einer Person oder den vorherrschenden Vorurteilen in einer Gesellschaft folgt Daher ware es fur eine wissenschaftliche oder wissenschaftlich fundierte Zwecksetzung der Typologie von Nutzen wenn sie bestimmten Vorgaben entsprache Erstens sollte eine Typologie klar genug sein Zweitens sollte sie nach Moglichkeit klare Zuordnungen ermoglichen das heisst ein Tater sollte nur einer und nicht zwei Kategorien zugeordnet werden Drittens ist Sparsamkeit wunschenswert das heisst eine moglichst geringe Anzahl von Typen Viertens sollten Typologen nach Moglichkeit keine grosse Residualkategorie fur die nicht zuordnungsfahigen Falle vorsehen mussen Tatertypologien konnen nach dem Grad ihrer Universalitat nicht nur regional anwendbar ihrer Kontinuitat Anwendbarkeit uber einen langeren Zeitraum ihrer Flexibilitat durch Anpassung an neuere Erkenntnisse und eventuelle Erweiterung des Klassifikationssystems analysiert werden Dabei zeigen sich dann nicht selten Unzulanglichkeiten im subjektiv weltanschaulichen Entstehungszusammenhang in der internen Konsistenz und in der die Anpassung an Veranderungen im Stand des Wissens erschwerenden Starre der Kategoriensysteme Unzweckmassige oder unzweckmassig gewordene Kategorien fuhren dann aber haufig dazu dass Tater in Klassen gezwangt werden in die sie nicht vollstandig passen Das fuhrt zu Informationsverlusten und Fehleinschatzungen In der kriminologischen Theorie sind Tatertypologien trotz ihrer Nachteile und Risiken ebenso unverzichtbar wie in der kriminalpolitischen und kriminalistischen Praxis So findet sich zum Beispiel die Ansicht dass jugendliche Straftater typischerweise andere Motive fur ihr Verhalten haben als andere Straftater oder dass man die Kriminalitat von psychisch kranken Rechtsbrechern gesondert zu erklaren und darauf auch spezifisch zu reagieren habe Alle solche ursachenbezogenen und zugleich die Sanktionen betreffenden Fragen lassen sich ohne Klassifizierungen von Tatern nach Alter psychischen Besonderheiten und so weiter nicht untersuchen Tatertypologien konnen auch fur Praventionsprogramme und fur die Sozial Therapie im Strafvollzug von Interesse sein Der Erfolg solcher Bemuhungen beruht nicht zuletzt auf dem Wissen daruber welche spezifischen Probleme welchen Taten zugrunde liegen Andererseits sind die Zuordnungen zu Typen nicht ohne Informationsverlust bezuglich der einzigartigen Merkmale jedes einzelnen Falles zu haben Die Gefahr der Vereinfachung der falschen Abstraktion Hegel oder des Schubladen Denkens ist mit Typologien aller Art verknupft ist aber im Hinblick auf die Folgen fur die Betroffenen im Bereich von Uberwachung Kontrolle und Bestrafung von besonderer Bedeutung Geschichte BearbeitenDie Vielfalt der Unterschiede zwischen den Gefangnisinsassen die man lange Zeit fur gleichbedeutend hielt mit der Vielfalt der Unterschiede zwischen Straftatern insgesamt hat seit dem Beginn kriminologischer Erklarungsversuche zu Typenbildungen gefuhrt Cesare Lombroso unterschied gegen Ende des 19 Jahrhunderts zwischen geborenen Kriminellen Kriminaloiden und Schwachsinnigen Als einer der grossen Gegenspieler Lombrosos unterschied Franz von Liszt zwischen den Besserungsfahigen den Abschreckbaren und den Unverbesserlichen wobei zu den letzteren insbesondere die unverbesserlichen Gewohnheitsverbrecher zu zahlen seien In Deutschland gehorte die Einteilung der Tater in bestimmte Gruppen Typen bis zur Entstehung der kritischen Kriminologie zu den Pflichtubungen eines jeden lehrenden oder lehrbuchschreibenden Kriminologen so zum Beispiel von Franz Exner und Edmund Mezger In anderen Landern wo es sich wahrend der ersten Halfte des 20 Jahrhunderts ebenso verhielt wurden Tatertypologien nach 1945 nicht in demselben Masse desavouiert wie in Deutschland Speziell in den USA waren etwa die Typologien der Gluecks und ihrer Nachfolger nach 1945 von grosser praktischer Bedeutung und erlebten zudem nach einer Phase der Relativierung eine Renaissance im Rahmen der Sexualtater Typologien nach Robert K Ressler sowie der Vergewaltigungs Tater Typen in den 1990er Jahren Nationalsozialismus BearbeitenBesonderes Interesse erfuhren Tatertypologien zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland Dies lag auch daran dass sich das Strafrecht des Dritten Reichs in besonderem Masse als ein Taterstrafrecht darstellte In der Tatbestandstechnik ging die Tendenz dahin die genaue Umschreibung und Abgrenzung von mit Strafe bewehrten Handlungen Taten durch mehr oder weniger plakative Tatertypen zu ersetzen Die ersten Schritte in diese Richtung die das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24 November 1933 unternahm konnten hierbei durchaus noch als Fortsetzung von Lisztschen Tatertypologisierungen interpretiert werden So konstatierte Franz Exner dass mit dem kriminologischen Typus des gefahrlichen Gewohnheitsverbrechers in 20a des Gewohnheitsverbrechergesetzes und den an diesen Typus anschliessenden Sanktionsmoglichkeiten Massregeln zentralen Forderungen der modernen Strafrechtsschule Genuge getan werde Andere wahrend des Dritten Reiches konstruierte Tatertypen waren etwa der Volksschadling bzw der Morder und der Totschlager Insbesondere letztere liessen sich nicht mehr in die Tradition kriminologischer Tatertypen einbauen sondern waren an die hiervon abweichende Lehre vom normativen Tatertyp angelehnt die in bewusster Abgrenzung zu den kriminologischen Typen entwickelt worden war Kleinster gemeinsamer Nenner der in sich durchaus heterogenen normativen Tatertypenlehre Kieler Schule Erik Wolf Paul Bockelmann Hans Welzel war die Ablehnung eines ihrer Ansicht nach naturalistischen oder rationalistischen Taterstrafrechts wie es von Franz von Liszt und der modernen Schule vertreten worden sei und das zu einer Knochenerweichung des Strafrechts gefuhrt habe Auf der anderen Seite setzte sich insbesondere Franz Exner explizit fur ein praventives an die Forschungsergebnisse der Kriminologie angelehntes Taterstrafrecht und Tatertypologisierungen im Sinne Franz von Liszts ein Er betonte im Gegensatz zu den Vertretern der normativen Tatertypenlehre die repressiven Moglichkeiten eines an kriminologische Tatertypen anknupfenden Taterstrafrechts und die besondere Eignung gerade dieses Ansatzes fur die kriminalpolitischen Ziele des Dritten Reiches Das heutige deutsche Strafgesetzbuch differenziert zwar nach wie vor bei Mord und bei Totschlag in der von den Nationalsozialisten eingefuhrten Form nach Mordern und Totschlagern Beide Verbrechen werden jedoch wie bei anderen Straftaten auch auf Verwirklichung des Tatbestands das Toten eines Menschen und nicht auf Vorliegen eines Tatertyps gepruft Gegenstand des Schuldvorwurfs ist auch bei 211 und 212 StGB die einzelne Tat Grundlage der Strafe ist die Tatschuld Aktuelle Tatertypologien und ihre Kritik BearbeitenRichard Jenkins und Lester Hewitt unterschieden aufgrund psychiatrischer Erfahrung zwischen pseudosozialen Jungen und unsozialisierten aggressiven Jugendlichen Marguerite Warren unterschied sieben Stadien der Anpassung die Jugendliche auf dem Weg zum Erwachsenen Dasein zu durchlaufen hatten und gewann aus den Schwierigkeiten und dem Misslingen von Losungen eine Typologie der Jugenddelinquenz bezogen auf den Interpersonal Maturity Level Diese I Levels Lehre stiess unter anderem bei Don Gibbons auf Kritik Clarence Schrag wiederum liess Rollentypologien von Mithaftlingen von Straftatern erstellen Kritik daran erfolgte von Peter Garabedian und Robert Leger Soziologische Tatertypologien sind oft von dem Bemuhen getragen die Eindimensionalitat und Realitatsferne der juristischen Typologien zu uberwinden die sich an den erfullten Straftatbestanden orientieren und mit der Tatsache kollidieren dass viele Straftater mehrere Straftatbestande erfullen und damit in mehrere Kategorien gehoren wurden So lassen sich zum Beispiel unterschiedliche Ansammlungen von jeweils typischen Straftat Mustern als criminal behavior systems klassifizieren Typologische Bemuhungen gelten auch den sozio okonomischen und sozio kulturellen Hintergrunden von Taten Marshall B Clinard und Richard Quinney unterschieden zum Beispiel aufgrund von Tat und Taterkriterien zwischen neun verschiedenen criminal behavior systems darunter personales Gewaltverhalten Storverhalten in Bezug auf die offentliche Ordnung gelegentliche Eigentumsdelinquenz 2 Daniel Glaser identifizierte zehn Tater Muster in Bezug auf die Art der begangenen Taten und den Grad der Involviertheit in kriminelle Karrieren Der heranwachsende Wiederholungstater hat Schwierigkeiten mit der Anpassung an die Erwachsenenrolle der berufsmassige Rauber hingegen hat sich fur eine illegale Laufbahn entschieden 3 Allerdings ist Glasers Klassifizierung nicht vollstandig Es fehlen zum Beispiel Zuordnungsmoglichkeiten fur strafbaren politischen Protest oder auch fur Kleinkriminalitat wie Schwarzfahren oder die Verletzung von Jagd und Fischereigesetzen Auch gehen die Kriterien durcheinander Manche Kategorie wird nach kausalen Prozessen etabliert wahrend sich andere wieder auf die Tatmuster oder kriminelle Karrieren beziehen Schliesslich ist die Prazision der Klassifikation angreifbar Unterschiedliche Personen wurden wohl Muhe haben sich auf die Zuordnung einzelner Tater zu den jeweiligen Kategorien zu einigen Detaillierter und umfassender sind die Typologien fur jugendliche und erwachsene Tater die Don Gibbons entwickelte Diese Typologien neun Typen des jugendlichen Delinquenten 15 Typen von erwachsenen Tatern basieren auf der aktuellen Tat der bisherigen kriminellen Karriere dem Selbst Konzept und rollenbezogenen Einstellungen Beispielsweise gibt es den naiven Scheck Falscher der ungedeckte Schecks auf sein eigenes Bankkonto ausstellt wenig kriminelle Fahigkeiten aufweist und sich selbst als normalen Burger ansieht und der Ansicht ist dass er durch blosses Ausfullen eines Formulars doch niemandem umgebracht habe James McKenna zufolge ist es allerdings nicht leicht real existierende Straftater prazise der einen oder der anderen Kategorie zuzuordnen Joan Petersilia Peter Greenwood und Marvin Lavin fanden zudem heraus dass selbst Karriere Kriminelle meist weniger spezialisiert arbeiteten als angenommen Wenn aber die weitaus meisten Strafgefangenen eher in crime switching als in criminal specialization involviert waren dann stellte das den Sinn von Tatertypologien die auf den begangenen Delikten aufbauten insgesamt in Frage Einzelnachweise Bearbeiten Kluge Susann Empirisch begrundete Typenbildung S 26 Clinard Marshall B amp Quinney Richard Criminal Behavior Systems A Typology S 14 21 Glaser Daniel Handbook of Criminology S 27 66 Literatur BearbeitenClinard Marshall B amp Quinney Richard 1986 Criminal Behavior Systems A Typology Monika Frommel Die Bedeutung der Tatertypenlehre bei der Entstehung des 211 StGB im Jahre 1941 In Juristenzeitung JZ 1980 ISSN 0022 6882 S 559 564 JSTOR 20814807 Weblinks BearbeitenCriteria For Criminal Typologies englisch Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Tatertypologie amp oldid 232454601