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Die Swinemunder Depesche vom 10 August 1902 war ein Telegramm Kaiser Wilhelms II an den bayerischen Prinzregenten Luitpold mit dem der Kaiser in einen innerbayerischen politischen Konflikt eingriff Die Depesche veranlasste erhebliche offentliche Kritik an Wilhelm II und fuhrte mittelbar zum Rucktritt des Ministerratsvorsitzenden Friedrich Krafft von Crailsheim Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrund 2 Die Depesche Wilhelms II und die Antwort Luitpolds 3 Folgen 4 Literatur 5 Weblinks 6 AnmerkungenHintergrund BearbeitenDie Depesche Wilhelms II vom 10 August 1902 muss vor der spezifischen innenpolitischen Lage in Bayern seit 1869 verstanden werden die dadurch gekennzeichnet war dass ein weltanschaulich liberales politisch staatskonservatives reichsfreundlich und staatskirchlich orientiertes Staatsministerium fortgesetzt gegen eine konservative betont bayerisch eigenstaatlich und katholisch bestimmte Mehrheit der Kammer der Abgeordneten regierte 1 Nach der konfrontativen Phase des Bayerischen Kulturkampfs bis 1890 trat unter dem Ministerratsvorsitzenden Friedrich Krafft von Crailsheim 1890 1903 eine gewisse Entspannung ein weil sich dieser um eine Zusammenarbeit mit den gemassigten Kraften im Bayerischen Zentrum und bei den Liberalen bemuhte Unter den Ministern der Ara Crailsheim nahm der gemassigt konservative Kultusminister Robert von Landmann im Amt seit 1895 eine Sonderrolle ein insofern er dem Zentrum weiter entgegenzukommen bereit war als seine Kollegen Zum Konflikt unter den Ministern kam es als Landmann ein neues Schulbedarfsgesetz vorlegte das insbesondere Innenminister Max von Feilitzsch und Crailsheim selbst als zu zentrumsfreundlich empfanden Da sie in der Sache gegen den zustandigen Ressortminister Landmann wenig ausrichten konnten nutzten sie einen Streit unter Wurzburger Professoren in dem Landmann zu entscheiden hatte und seinerseits in Konflikt mit dem Senat der Universitat geriet Der Senat griff Landmann offentlich an dieser verlangte eine Disziplinierung des Senates durch den Prinzregenten was der Chef der Geheimkanzlei Peter von Wiedenmann nach Rucksprache mit Landmanns Kollegen ablehnte Der desavouierte Landmann reichte daraufhin sein Entlassungsgesuch ein das angenommen wurde zunachst am 11 Juli 1902 als Krankheitsurlaub deklariert 2 Daraufhin beschloss die Zentrumsfraktion in der Abgeordnetenkammer in den laufenden Verhandlungen uber den Kultusetat drei Posten zu streichen darunter 100 000 Mark fur den Ankauf neuer Kunstwerke fur die staatlichen Sammlungen Der Gesamtbeschluss des Landtages der diese politisch motivierten Budgetkurzungen enthielt erging am 8 August 1902 3 Die Depesche Wilhelms II und die Antwort Luitpolds BearbeitenWilhelm II reagierte auf den Beschluss des Bayerischen Landtages mit der am 10 August 1902 in Swinemunde ausgefertigten Depesche an Prinzregent Luitpold Von Meiner Reise eben heimgekehrt lese Ich mit tiefster Entrustung von der Ablehnung der von Dir geforderten Summe fur Kunstzwecke Ich eile Meiner Emporung Ausdruck zu verleihen uber die schnode Undankbarkeit welche sich durch diese Handlung kennzeichnet sowohl gegen das Haus Wittelsbach im allgemeinen als auch gegen Deine erhabene Person welche stets als ein Muster der Hebung und Unterstutzung der Kunst geglanzt Zugleich bitte Ich Dich die Summe welche Du benotigst Dir zur Verfugung stellen zu durfen damit Du in der Lage seiest im vollsten Masse die Aufgaben auf dem Gebiete der Kunst welche Du Dir gesteckt hast zur Durchfuhrung zu bringen 4 Schon vor dem 6 August 1902 also noch vor dem Beschluss des Landtages hatte der Reichsrat Ernst von Moy Luitpold das Angebot unterbreitet die Summe von 100 000 Mark als Spende aus privaten Mitteln zur Verfugung zu stellen Luitpold nahm dieses Angebot am 9 August an So konnte er in seiner Antwort vom 11 August 1902 mit Hinweis auf diese Spende das kaiserliche Angebot dankend ablehnen 5 Es drangt Mich Dir Meinen innigsten Dank fur Dein so warmes Interesse an Meinen und Meines Hauses Bestrebungen auf dem Gebiete der Kunst und fur Dein so hochherziges Anerbieten auszusprechen Zugleich freut es Mich Dir mitteilen zu konnen dass durch den Edelsinn eines Meiner Reichsrate welcher die abgelehnte Summe zur Verfugung stellte Meine Regierung in die Lage versetzt ist getreu den Traditionen Meines Hauses wie Meines Volkes die Pflege der Kunst als eine Meiner vornehmsten Aufgaben unentwegt fordern zu konnen 6 Dieser Depeschenwechsel erhielt seine Sprengkraft weil er lanciert aus der Umgebung des Kaisers in der Presse veroffentlicht wurde 7 Folgen BearbeitenDie Bayerische Zentrumspartei nutzte die Swinemunder Depesche zur eigenen Profilierung als Bollwerk des Foderalismus und der bayerischen Eigenstandigkeit Weil die Landtagssession Mitte August 1902 beendet war und die Kammer erst wieder im September 1903 zusammentreten sollte agierte die Partei uber ihre Presse und bei Grossveranstaltungen wie der Generalversammlung der Katholiken Deutschlands in Mannheim 24 28 August 1902 und der Versammlung des Tuntenhausener Bauernvereins 21 September 1902 In dieser Kampagne trat besonders der Landtags und Reichstagsabgeordnete Franz Xaver Schadler mit scharfen Angriffen gegen den Kaiser und die bayerische Regierung hervor Schadler war es auch der die Swinemunder Depesche am 19 Januar 1903 im Reichstag ansprach 8 und damit eine Reaktion des Reichskanzlers Bernhard von Bulow provozierte 9 der das nicht gegengezeichnete Telegramm des Kaisers als Privatangelegenheit herunterspielte insgesamt aber verteidigte 10 Crailsheim verscharfte die innenpolitische Konfrontation in Bayern weiter indem er Bulow im Namen des Prinzregenten fur seine Reichstagsrede danken und diesen Dank am 28 Januar 1903 in der Presse veroffentlichen liess Am 5 Februar legte er einen Presseartikel nach in dem er das Zentrum massiv angriff Dieses Vorgehen fuhrte dazu dass sich seine Ministerkollegen unter der Fuhrung des Kultusministers Clemens von Podewils Durniz Landmanns Nachfolger und mit Unterstutzung Peter von Wiedenmanns von ihm distanzierten indem sie ihm eigenmachtiges Handeln vorwarfen Crailsheim reagierte mit einem taktisch gemeinten Rucktrittsgesuch das der Prinzregent wider Crailsheims Erwartung am 18 Februar 1903 annahm Clemens von Podewils folgte ihm nach 11 Literatur BearbeitenHans Michael Korner Parlamentarisierung und Eigenstaatlichkeit Gibt es um 1900 eine Wende in der bayerischen Politik In Winfried Becker Werner Chrobak Hrsg Staat Kultur Politik Beitrage zur Geschichte Bayerns und des Katholizismus Festschrift zum 65 Geburtstag von Dieter Albrecht Lassleben Kallmunz Opf 1992 S 281 299 Bernhard Loffler Die bayerische Kammer der Reichsrate 1848 bis 1918 Grundlagen Zusammensetzung Politik Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte Bd 108 C H Beck Munchen 1996 S 216 222 Karl Mockl Die Prinzregentenzeit Gesellschaft und Politik wahrend der Ara des Prinzregenten Luitpold in Bayern Oldenbourg Munchen Wien 1972 S 520 530 Uwe Schaper Krafft Graf von Crailsheim Das Leben und Wirken des bayerischen Ministerprasidenten Schriftenreihe des Stadtarchivs Nurnberg Band 47 Stadtarchiv Nurnberg 1991 S 264 285 Weblinks BearbeitenHaus der bayerischen Geschichte Konigreich Bayern 1806 1918 Prinzregent LuitpoldAnmerkungen Bearbeiten Dieter Albrecht Von der Reichsgrundung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges In Alois Schmid Hrsg Handbuch der bayerischen Geschichte Band IV 1 Munchen 2003 S 319 438 hier S 377 Karl Mockl Die Prinzregentenzeit Gesellschaft und Politik wahrend der Ara des Prinzregenten Luitpold in Bayern Munchen Wien 1972 S 522 525 Die Kammer der Abgeordneten hatte die Etatkurzung am 27 Juli 1902 beschlossen die Kammer der Reichsrate hatte die Posten zunachst wieder eingesetzt die Kammer der Abgeordneten blieb bei ihrem Votum was die Kammer der Reichsrate schliesslich akzeptierte dies ergab den Gesamtbeschluss des Landtages dazu Bernhard Loffler Die bayerische Kammer der Reichsrate 1848 bis 1918 Grundlagen Zusammensetzung Politik Munchen 1996 S 216 219 Schulthess Europaischer Geschichtskalender 1902 Munchen 1903 S 136 Bernhard Loffler Die bayerische Kammer der Reichsrate 1848 bis 1918 Grundlagen Zusammensetzung Politik Munchen 1996 S 220 f Schulthess Europaischer Geschichtskalender 1902 Munchen 1903 S 136 Uwe Schaper Krafft Graf von Crailsheim Das Leben und Wirken des bayerischen Ministerprasidenten Nurnberg 1991 S 277 Rede Franz Xaver Schadlers im Deutschen Reichstag am 19 Januar 1903 zur Swinemunder Depesche S 7404 ff Rede Bernhard von Bulows im Deutschen Reichstag am 19 Januar 1903 Karl Mockl Die Prinzregentenzeit Gesellschaft und Politik wahrend der Ara des Prinzregenten Luitpold in Bayern Munchen Wien 1972 S 526 Uwe Schaper Krafft Graf von Crailsheim Das Leben und Wirken des bayerischen Ministerprasidenten Nurnberg 1991 S 282 285 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Swinemunder Depesche amp oldid 239170108