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Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig Zur deutschen Journalistin und kommissarischen Leiterin der evangelischen Nachrichtenagentur IDEA siehe Daniela Stadter Stadter ist ein expressionistisches Sonett von Alfred Wolfenstein aus dem Jahre 1914 Das Gedicht thematisiert die Vereinsamung und Anonymitat der Menschen in der Grossstadt Die raumliche Enge in der Grossstadt zwingt deren Bewohner einerseits zu beinahe hautnahen Begegnungen andererseits ist gerade dieses enge Miteinander dafur verantwortlich dass sich die Bewohner mehr und mehr entfremden Sie leben in einer scheinbar unuberwindbaren Distanz zueinander Die im Gedicht beschriebene Situation in der Grossstadt zu Beginn des 20 Jahrhunderts in Berlin hat sich bis heute kaum verandert Immer noch und heute sogar umso mehr sind Anonymitat und Isolation in der Grossstadt fast sprichwortlich Inhaltsverzeichnis 1 Bekannte Editionen des Gedichts Stadter 2 Gedichtanalyse der zweiten Fassung 2 1 Inhalt und Aufbau 2 2 Aussere Form und ihre Wirkung 2 3 Sprachlich stilistische Gestaltungsmittel und ihre Funktion 3 Unterschiede der beiden Gedichtfassungen 4 Wolfensteins Gefuhl der Grossstadt 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseBekannte Editionen des Gedichts Stadter Bearbeiten nbsp Ernst Ludwig Kirchner Nollendorfplatz 1912Es existieren zwei verschiedene Fassungen des Gedichts Stadter Die Erstveroffentlichung in Die Gottlosen Jahre von 1914 sowie die zweite Version in der Menschheitsdammerung von Kurt Pinthus 1920 1 Gedichtanalyse der zweiten Fassung BearbeitenInhalt und Aufbau Bearbeiten Die erste Strophe beschreibt die allgemeine Situation in der Stadt namlich die Enge wobei vom kleinen Detail den Fenstern die nah wie Locher eines Siebes beieinander stehen V 1 f zum grosseren Panoramablick ubergegangen wird Die Fenster liegen deshalb derart eng beieinander weil die Hauser so extrem zusammenstehen vgl V 2 f dass die Strassen quasi zusammengedruckt werden und grau geschwollen wie Gewurgte wirken V 3 f Die zweite Strophe spricht dagegen weniger von den unbelebten Elementen der Stadt sondern von den Bewohnern dieser Stadt ganz allgemein Sie werden in einer typischen und bezeichnenden Situation gezeigt namlich in der Strassenbahn wo die Personen einander wie Fassaden V 6 wortlos gegenubersitzen zwar ineinander dicht hineingehakt V 5 also dicht an dicht aber ohne wirklich Kontakt zueinander aufzunehmen Nur die Blicke wandern versuchen sich in der Enge auszubreiten vgl V 7 ein Ausdruck der Begierde V 8 die sich hinter der scheinbaren Emotionslosigkeit verbirgt Mit dieser Strassenbahnmetapher soll das gesamte beklemmende Leben in der Stadt versinnbildlicht werden nicht nur die Fahrt mit der Trambahn Nach dieser allgemeinen Darstellung der Stadt und ihrer Bewohner wechselt die dritte Strophe auf die Ebene des Personlichen was sich vor allem daran zeigt dass nun ein lyrisches Ich auftritt Dieses Ich tritt im gesamten Gedicht nur ein einziges Mal auf namlich im zweiten Vers des ersten Terzetts V 10 Es gibt einem Stadter Stadtbewohner die Stimme und bewirkt dass der Leser die Gefuhle und Gedanken des Stadtbewohners mitempfinden kann Der Wechsel der Perspektive vom unpersonlichen sie der beiden Quartette zum ich und wir des ersten Terzetts zeigt sich auch anhand des lyrischen Wir im neunten Vers das eine Art Schicksalsgemeinschaft ausdruckt Die Wande der Hauser werden mit dunner Haut verglichen V 9 die auch die Stadter selbst haben Der Stadter ist seinem Haus schon sehr ahnlich Aus der Enge resultiert Indiskretion Jeder nimmt teil V 10 wenn geweint wird aber es ist eben nur ein anonymes Zuhoren ohne wirkliche Anteilnahme Die Gerausche der Stadtbewohner ja sogar ihr leisestes Gerausch das Flustern wird laut genug um durch die dunnen Hauswande wie Gegrole zu erschallen Es konnte aber auch sein dass das Flustern aus der nachbarlichen Wohnung dem Stadter nur deshalb wie Gegrole vorkommt V 11 weil er Angst hat durch die Hellhorigkeit der Wande unangenehm aufgefallen zu sein Innerlich sitzen die Stadtbewohner stumm in schwarzen abgeschlossenen Hohlen V 12 und warten darauf dass jemand sie offnet V 13 Sie trauen sich nicht aus eigenem Antrieb aus dieser Isolation heraus Das ganze Gedicht lauft auf sein letztes Wort das Wort alleine V 14 hinaus Es verdeutlicht worauf das Gedicht hinweisen mochte Auf die Vereinsamung der Menschen in der Grossstadt Das erste und das letzte Wort des Gedichts dicht bzw nah in der zweiten Version V 1 und alleine V 14 stehen im Gegensatz zueinander Durch die Gegenuberstellung der beiden Begriffe erkennt der Leser dass die Stadtbewohner trotz ihrer raumlichen Nahe zueinander an grosser Einsamkeit leiden Das eigentliche Thema ist wie der Titel des Gedichts schon aussagt der Stadtmensch So beleuchtet Wolfenstein nicht nur die Stadt sondern kritisiert vielmehr den Menschen als Schuldigen seines Schicksals Aussere Form und ihre Wirkung Bearbeiten Der inhaltlichen Zweiteilung entspricht die formale In den beiden Quartetten des Sonetts wird das Allgemeine Generelle beschrieben wahrend in den Terzetten die Auswirkungen auf den Einzelnen und seine Gefuhle dargestellt werden Das Sonett ist regelmassig gestaltet Fast durchgehend wird ein 5 hebiger Trochaus verwendet nur Vers 13 ist mit vier Hebungen kurzer gehalten Er zentriert so insbesondere inhaltlich eine der Kernaussagen des Gedichts Die grosse Einsamkeit der Stadtbewohner In den Quartetten liegt ein umarmendes Reimschema vor abba cddc welches formaler Ausdruck fur das Beengte Aussichtslose des grossstadtischen Lebens sein konnte In den Terzetten findet sich ein strophenubergreifendes Reimschema das die Reimfolge efg gef aufweist Die erste Strophe weist eine alternierende Kadenz auf zuerst mannlich betont spater im eingeschlossenen Reimpaar weiblich unbetont dem sich die zweite Strophe mit exakt dem gleichen Muster anschliesst In der dritten und vierten Strophe finden sich unregelmassige Kadenzen vor die dritte Strophe endet mannlich weiblich weiblich die vierte Strophe endet weiblich mannlich weiblich Sprachlich stilistische Gestaltungsmittel und ihre Funktion Bearbeiten Sprachlich kommt in den Strophen eins und zwei vor allem die enge Verwobenheit und Verstrickung von Gebauden und Menschen in der Stadt zum Ausdruck Wolfenstein arbeitet hier ausschliesslich mit Vergleichen zum Beispiel Nah wie Locher eines Siebes stehn V 1 und Inversionen drangend fassen Hauser sich so dicht an V 2 3 Er benutzt diese Umkehrung der gelaufigen Wortstellung bewusst um die verkehrte Welt der Grossstadt besser zu versinnbildlichen Das Gedicht beginnt abrupt mit dem invertierten Adjektiv nah V 1 das aufgrund des trochaischen Versmasses betont und dadurch zusatzlich hervorgehoben wird Untersucht man das Gedicht hinsichtlich der verwendeten Wortfelder so uberwiegen die Elemente der Stadt Fenster Hauser Strasse Trams Fassade Wande In Verbindung mit Adjektiven wie ineinander V 5 und 8 dicht V 3 und 5 beieinander hineingehakt und geschwollen die alle ein beengtes Gefuhl beschreiben wirkt die Stadt agoraphobisch Durch die Verwendung von Personifikationen werden Gegenstande dadurch veranschaulicht dass sie als vorstellbare Personen dargestellt werden Dies zeigt sich unter anderem in Vers zwei bis drei drangend fassen Hauser sich so dicht an Hauser konnen sich nicht anfassen Anfassen ist eine rein menschliche Handlungsweise Der Autor nutzt hier das Stilmittel der Personifikation um den Lesern die Situation der Enge in der Stadt erfahrbar zu machen und die Bedrohlichkeit des ganzen Szenarios zu verdeutlichen Weitere Personifikationen finden sich in Vers eins bis zwei stehn Fenster beieinander sowie Vers drei bis vier Strassen grau geschwollen jeweils mit dem Ziel die Hauser der Grossstadt zu verlebendigen Daruber hinaus findet sich in der 1 Strophe eine Alliteration Grau geschwollen wie Gewurgte sehn V 4 Die betonten Stammsilben der beiden benachbarten Worter grau und geschwollen besitzen den gleichen Anfangslaut g Durch diese lautliche Auffalligkeit wird bewirkt dass sich die Worte beim Leser besser einpragen Die graue und triste Atmosphare in der Stadt wird so noch deutlicher hervorgehoben In Strophe zwei bedient sich Wolfenstein eines Oxymorons Leute wo die Blicke eng ausladen V 7 Die aufeinander folgenden Begriffe eng und ausladen widersprechen sich Dieser Widerspruch ist jedoch gewollt und dient der pointierten Darstellung des mehrdeutigen Inhalts in dem das Sowohl als auch des Sachverhalts begrifflich widergespiegelt wird Die Menschen in der Tram sitzen zwar eng und nah sind sich aber dennoch fremd Ebenso die Blicke Das Paradoxon eng ausladen meint man schaue sich an schaue aber dennoch aneinander vorbei Bei der Formulierung ineinander eingehakt V 5 handelt es sich um eine Verdinglichung da man Gegenstande verhakt bzw zusammenbaut nicht jedoch Menschen Die Menschen wirken hierdurch kalt und gefuhllos wie Gegenstande Auch die Gesichtsausdrucke werden depersonifiziert verdinglicht und mit Fassaden V 6 also den Aussenwanden von Gebauden verglichen Der Mensch versteckt seine Gefuhle hinter dieser Fassade um seine Einzigartigkeit zu bewahren Unter Zuhilfenahme mehrerer Enjambements durchbricht Wolfenstein die Monotonie des Versmasses Durch das Ubergreifen der Satze auf die nachste Verszeile vgl V 1 3 sowie V 6 wird der Sinnzusammenhang uber die Versgrenze weitergefuhrt was wiederum die Hektik und Schnelligkeit der Grossstadt widerspiegelt Mit dem Fortschreiten des Gedichts werden diese Enjambements immer seltener Die dritte und vierte Strophe wechselt auch sprachlich in die personliche Perspektive Die Sprache ist deutlich emotionaler gehalten als in den beiden Quartetten es ist viel von Gefuhlen wenn ich weine V 10 die Rede Beide Terzette beginnen mit Vergleichen In Vers 9 werden die Wande der Hauser mit empfindsam menschlicher Haut verglichen Unsere Wande sind so dunn wie Haut Der Vergleich vermittelt dem Leser dass das innerste Selbst des Stadtbewohners aufgrund der fehlenden Privatsphare blossgelegt wird Im Gegensatz hierzu verdeutlicht der Vergleich in Vers 12 wie stumm in abgeschlossner Hohle wie der Stadter in seinem Innersten fuhlt Er fuhlt sich wie gefangen in einer abgeschlossenen Hohle Eine gewichtige Antithetik wird deutlich wenn man das zweite Terzett vierte Strophe dem ersten dritte Strophe gegenuberstellt Das erste Terzett behandelt eine Art von wenn auch unerwunschter Nahe das zweite die vollkommene Isolation des Individuums in abgeschlossner Hohle V 12 Doch bereits innerhalb des ersten Terzetts lasst sich ein anthitetisches Moment erkennen denn das Teilnehmen V 10 ist nicht im Sinne von Anteilnehmen zu verstehen sondern ganz im Gegenteil Niemand nimmt Anteil wenn ein isolierter Mensch zu weinen beginnt Antithetisch arbeitete Wolfenstein auch als er die Worter nah V 1 und alleine V 14 einander gegenuberstellte indem er das eine Wort an den Beginn des Gedichts stellte und das andere an das Ende Durch diese Gegenuberstellung bewirkte er dass die Widerspruchlichkeit der beiden Worter besonders hervorgehoben wird In der letzten Strophe des Gedichts betont der Autor auf besonders einpragsame Weise noch einmal die Einsamkeit der Stadtbewohner Dies gelingt ihm unter anderem durch die neuerliche Verwendung von Alliterationen in den Versen 13 unberuhrt und ungeschaut und 14 fern und fuhlt also durch das absichtliche Wiederholen der Anfangsbuchstaben aufeinanderfolgender Worter Beim letzten Vers des Gedichts handelt es sich um einen grammatikalisch unvollstandigen Satz eine sog Ellipse Das Wort sich das leicht erganzbar ist wurde ausgelassen um das zentrale Thema der Einsamkeit besonders hervorzuheben Dies geschieht zusatzlich durch die Verwendung eines Doppelpunktes der das letzte Wort des Gedichts alleine V 14 abtrennt und betont Unterschiede der beiden Gedichtfassungen BearbeitenDie beiden Fassungen des Gedichts weichen nur geringfugig voneinander ab Wolfenstein hat kleine Verbesserungen aber keine tiefgreifenden Veranderungen vorgenommen Ungereimtheiten wie die doppelte Verwendung der Worte dicht in der ersten Strophe verschwinden In der letzten Strophe wird das Wort still durch stumm ersetzt Stummheit als Zustand volligen Unvermogens zur Artikulation mittels Lautsprache ist deutlich besser geeignet ein abgeschlossenes Individuum darzustellen als ein moglicherweise nur temporar stilles Subjekt Formal fallt auf dass der 13 Vers in der ursprunglichen Fassung entsprechend den ubrigen Versen als 5 hebiger Trochaus gestaltet ist erst in der Neufassung findet sich in diesem Vers ein 4 hebiges Versmass Die Metapher ihre nahen Blicke baden Ineinander V 7 8 weicht in der Neufassung dem Oxymoron wo die Blicke eng ausladen V 7 ausladen betont auf dem hinteren A wegen des Reimes Auf metaphorische Weise berichtet das lyrische Ich der ersten Fassung wie sich die Menschen gegenseitig beaugen Durch die Ubertragung des Wortes baden aus dem Bereich des Schwimmens bzw der Korperpflege in den Bereich der Sinneswahrnehmung wird beim Leser unbewusst Erstaunen hervorgerufen und zum Nachdenken angeregt Trotz dieser Wirkungsweise entschied sich Wolfenstein fur die noch effektivere Verwendung eines Oxymorons Wolfensteins Gefuhl der Grossstadt BearbeitenWolfenstein war in seinem gesamten Schaffen vom Gefuhl der Grossstadt beherrscht Dies bringt er auch in seinem handschriftlichen Lebenslauf von 1921 zum Ausdruck Ich kam auf dem Lande und dann in der kleinen Stadt Dessau aufgewachsen nach Berlin achtzehnjahrig Berlin wurde der eine Stachel fur den grossen Zwiespalt zwischen Menschenzuneigung und Einsamkeit der andere ist mein Judentum Die Stadt dann die Baumeisterin des Menschen hat mich gelehrt was man lernt Ich stieg mit einigen ihrer dicken Fesselballons die mit dem Gas einer nicht zu hochfliegenden Gemeinsamkeit angefullt sind Oben schwankte es von unrichtiger Pathetik vom Wollen des Moglichen Unten liefen die Strome herum ohne Meer So die Ringstrasse gleich dem alten Okeanos ahnungslos und um die eigene erste Welt mundet jeder Meine Dichtung in ihren kindlichen Elementen mit Peitschen empfangen hat dort zu kampfen begonnen Weblinks BearbeitenGrossstadtlyrik des Expressionismus Ideen fur den Deutschunterricht im ZUM WikiEinzelnachweise Bearbeiten Gedichttexte der ersten und zweiten Fassung Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Stadter amp oldid 237782567