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Ein Selbstberichtsverfahren in der Medizin und Psychologie ist ein objektiver Test in dem Personen eine Reihe von Fragen zu ihrem Verhalten zu ihren Uberzeugungen Einstellungen Gedanken Gefuhlen und Handlungen sowie letztlich auch zu ihrer Biographie beantworten Objektivitat besteht insofern als sich diese Daten dokumentieren lassen und somit im Hinblick auf statistische Methoden quantifizierbar sind Diese Parameter werden durch Beobachtungen und Aussagen der Person selbst erfasst Die an eine Person jeweils gestellten Fragen werden in mundlicher oder schriftlicher Form vorgetragen Das gilt auch fur die gegebenen Antworten die mundlich oder schriftlich erhalten werden konnen Selbstberichte umfassen Antworten in Interviews und auf Fragebogen 1 Im Krankenhaus und in der ambulanten psychiatrischen Praxis wird das Selbstberichtsverfahren auch als Erheben der Eigenanamnese bezeichnet Die Bedeutung dieses gangigen und weit verbreiteten Begriffes ist jedoch uneinheitlich Eine Anamnese als einzelne Auskunft wird als ein Datum subjektiver Art angesehen zumal es sich um Erinnerungsdaten handelt 2 Inhaltsverzeichnis 1 Zuverlassigkeit der Daten 2 Nutzen 3 Fragetechniken 4 EinzelnachweiseZuverlassigkeit der Daten BearbeitenUm die Zuverlassigkeit Validitat erhaltener Angaben zu erhohen werden meist erganzende Daten von Angehorigen gebraucht In der Psychiatrie sind die vom Kranken selbst erhaltenen Angaben zur Vorgeschichte oft unvollstandig weniger weil dieser etwas bewusst verschweigt sondern mehr weil Besonderheiten seiner Personlichkeit oder die Art seiner Krankheit ihn die Zusammenhange nicht uberschauen lassen Gegen den Gebrauch des Begriffs Fremdanamnese oder objektive Anamnese sind jedoch kritische Einwande zu erheben 3 Untersucher gehen meist davon aus dass ihre erzielten Ergebnisse valide sind was aber schon von Alfred Binet 1857 1911 dem bedeutenden Vertreter der franzosischen Experimentalpsychologie und Schopfer der modernen Intelligenztests widerlegt wurde Er liess verschiedene Lehrer die Intelligenz eines von ihnen gemeinsam unterrichteten Kindes schatzen Diese Einschatzungen stimmten trotz mit grosser Uberzeugung vorgetragener Beurteilungen uberhaupt nicht miteinander uberein 4 5 Die Tendenz zur Verobjektivierung von Daten ist in der Medizin auch fur den Drehtureffekt verantwortlich Diese Tendenz wirkt sich dahingehend aus dass somatische Befunde eher als glaubhaft angesehen werden als die eigenen psychologischen Auskunfte des Untersuchten oder dass psychologische Faktoren und funktionelle Syndrome von Hausarzten und somatologisch orientierten Facharzten ubersehen werden 6 a Durch mangelnde Beachtung des Dualismus in der Medizin und den demzufolge oft einseitig praktizierten Untersuchungsstil unter Betonung somatischer Befunde bleiben wesentliche Daten des Untersuchten unberucksichtigt 6 b Nutzen BearbeitenWiderspruchliche Einschatzungen ob es sich bei dem Selbstberichtsverfahren um den Erhalt von Daten subjektiver oder objektiver Art handelt fuhren erwartungsgemass auch zu unterschiedlichen Einschatzungen uber deren Nutzen und Validitat Diese Diskrepanzen haben dazu Anlass gegeben die Rollen der an diesen Gesprachen beteiligten Personen also zumeist von Untersucher und Untersuchtem naher zu beleuchten Die sog Arzt Patient Beziehung steht dabei im Vordergrund der Aufmerksamkeit Es ist in diesem Zusammenhang auch auf die Existenz von Anamnesegruppen und auf die Untersuchung im klinischen Team hinzuweisen 6 c Es musste auffallen dass je nach Art der Untersuchung die personliche Beteiligung des Untersuchers wechselt Bei Tests mit Hilfe von Fragebogen und ggf apparativer Auswertung ist die personliche Beteiligung des Untersuchers geringer als bei konventionellen Gesprachsstilen Andererseits fordern konventionelle Gesprachsformen gesellschaftlich oder kollektiv ubliche Abwehrmechanismen und stehen damit einer Problemlosung oft nur im Wege Haufig ist sich der Untersucher nicht seiner unvermutet hohen inneren Beteiligung bewusst siehe den von Binet oben berichteten Fall 4 Andererseits ist mangelnde Aufmerksamkeit gegenuber dem Patienten im Alltag der Praxisroutine zu beobachten Uberschatzung der eigenen Rolle als Untersucher einerseits und mangelnde Aufmerksamkeit andererseits tragen dazu bei dass sich ein Untersuchter missverstanden fuhlt Hinzu kommt dass jede Untersuchungssituation eine einmalige Begegnung bedeutet und somit eine Herausforderung fur den Untersucher und den Untersuchten darstellt die insbesondere in psychiatrischen Anstalten oder bei Zwangsunterbringungen in der Forensischen Psychiatrie angstauslosend sein kann Auch die Asymmetrie der Gesprachsbeteiligten ist hier als angstauslosendes Moment zu nennen 4 Es kann den Befragten auch peinlich sein uber ihre wahren Erfahrungen oder Gefuhle zu berichten da sie sich einer krankheitsbedingt eher weniger selbstbestimmten Situation ausgesetzt sehen die nicht unbedingt dazu geeignet ist personliche Geheimnisse zu offenbaren Dies wiederum beruhrt Fragen der Schweigepflicht Wenn die Befragten wissen worum es bei dem Fragebogen oder dem Interview geht werden sie unter Umstanden nicht wahrheitsgemass aussagen so etwa bei Belangen sozialer Art und damit verbundener Vor oder Nachteile wie etwa Rentenfragen aber auch Kliniksentlassung juristisch relevanter Fragen etc Genannte spezifisch individuelle Faktoren lassen oft Zweifel an der Objektivitat entsprechender Selbstberichte aufkommen 1 Die nicht ausdrucklich fur den forensischen Gebrauch bestimmten Befragungen durfen nicht ohne Zustimmung des Befragten zu gerichtlichen Zwecken verwendet werden um damit ggf Zwangsbehandlungen oder rechtliche Urteile zu begrunden 7 Fragetechniken BearbeitenZu unterscheiden sind offene Fragen von festen Antwortalternativen Offene Fragen konnen in eigenen Worten vom Untersucher sowohl erganzt als auch vom Untersuchten beantwortet werden Es kann auch eine Reihe von festen Antwortalternativen vorgegeben werden Solche zumeist vollstandig standardisierte Fragebogen sind quantifizierbar und maschinell auswertbar wie etwa der zumeist verwendete MMPI Test Im Gegensatz zum vollstandig standardisierten Fragebogen ist ein Interview interaktiv Der Interviewer kann die Fragen verandern um sich dem Untersichten verstandlicher zu machen Exploration Damit ist er in der Lage den Rapport zum Befragten zu verbessern 1 In der Psychoanalyse hat das von Sigmund Freud 1856 1939 entwickelte Untersuchungsverfahren Bedeutung gewonnen bei dem der Untersucher am Kopf des auf einer Couch liegenden Patienten Platz nimmt Indem der Untersuchte seinen Untersucher optisch nicht wahrnehmen kann ist er mehr auf sich selbst bezogen Die bekannten Schwierigkeiten der Gesprachsfuhrung fasste Freud unter den beiden sich gegenseitig erganzenden Begriffen Widerstand und Ubertragung zusammen Es kam ihm darauf an die Widerstande naher zu erforschen und sie schliesslich auf dem Weg der Ubertragung zu bearbeiten Freund versuchte somit einen Mittelweg zu finden zwischen zu grosser unbewusster eigener Beteiligung einerseits und im Hinblick auf den Untersuchten einer allzugrossen verobjektivierenden personlichen Distanz andererseits Die eigene Beteiligung des Untersuchers thematisierte Freud mit dem Begriff der Gegenubertragung Er kennzeichnete die wunschenswerte Haltung des Untersuchers mit gleichschwebender Aufmerksamkeit GW VIII 377 f XIII 215 bzw als therapeutische Abstinenz 8 Peter R Hofstatter 1913 1994 ist der Auffassung dass durch dieses Untersuchungsverfahren der Untersucher weniger im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Untersuchten stehe und so der Untersuchte aufgerufen sei selbst eine Deutung seiner Widerstande zu geben anstatt sie uberwertig vom Untersucher zu erwarten Hierdurch komme erst der psychotherapeutische Aspekt des Gesprachs in Gang 4 Einzelnachweise Bearbeiten a b c Selbstberichtsverfahren In Philip G Zimbardo Richard J Gerrig Psychologie Pearson Hallbergmoos bei Munchen 2008 ISBN 978 3 8273 7275 8 S 40 539 743 Anamnese In Norbert Boss Hrsg Roche Lexikon Medizin 2 Auflage Hoffmann La Roche AG und Urban amp Schwarzenberg Munchen 1987 ISBN 3 541 13191 8 S 66 5 Auflage 2003 gesundheit de roche erganzende Angaben durch Angehorige In Rainer Tolle Psychiatrie Kinder und jugendpsychiatrische Bearbeitung von Reinhart Lempp 7 Auflage Springer Berlin 1985 ISBN 3 540 15853 7 S 30 a b c d Exploration In Peter R Hofstatter Hrsg Psychologie Das Fischer Lexikon Fischer Taschenbuch Frankfurt a M 1972 ISBN 3 436 01159 2 S 112 ff Wilhelm Karl Arnold et al Hrsg Lexikon der Psychologie Bechtermunz Augsburg 1996 ISBN 3 86047 508 8 Sp 276 f zu Lemma Binet Alfred a b c Thure von Uexkull Hrsg u a Psychosomatische Medizin 3 Auflage Urban amp Schwarzenberg Munchen 1986 ISBN 3 541 08843 5 a S 479 zu Stw Drehturpatient b S 3 zu Stw Dualismus in der Medizin c S 1254 1262 f 1268 f zu Stw Anamnesegruppe S 186 Anwesenheit von Drittpersonen bzw des klinischen Teams beim Interview Kompetenzuberschreitung Exploration In Frank Hassler et al Hrsg Praxishandbuch Forensische Psychiatrie Grundlagen Begutachtung Interventionen im Erwachsenen Jugendlichen und Kindesalter 2 Auflage Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2015 ISBN 978 3 95466 145 9 S 30 ciando com PDF 1 1 MB diagnostisches Gesprach In Stavros Mentzos Neurotische Konfliktverarbeitung Einfuhrung in die psychoanalytische Neurosenlehre unter Berucksichtigung neuerer Perspektiven c 1982 Kindler Fischer Taschenbuch Frankfurt 1992 ISBN 3 596 42239 6 S 270 ff Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Selbstberichtsverfahren amp oldid 239099127