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Als Risikoethik bezeichnet man ein Teilgebiet der Ethik Gegenstand der Risikoethik ist die moralische Bewertung von Handlungen deren Folgen hinsichtlich ihres Eintretens Nutzens und Schadens mit Unsicherheiten behaftet sind Sie befasst sich mit der allgemeinen Frage unter welchen Bedingungen eine Person sich selbst oder andere einem Risiko aussetzen darf Die Risikoethik als Bereich der angewandten Ethik behandelt diese Frage vor allem im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Risiken wie der Anwendung von Technologien oder der Zulassung von Medikamenten 1 Inhaltsverzeichnis 1 Einfuhrung 1 1 Moralische Einordnung einer Handlung 1 2 Typische Merkmale risikoethischer Praxisprobleme 1 3 Risikobegriff 2 Mogliche Entscheidungskriterien 2 1 Bayes 2 2 Maximin 2 3 Zustimmung 2 4 Schwellenwerte 2 5 Sorgfaltspflichten 3 Ein Beispiel 4 Siehe auch 5 Literatur 6 AnmerkungenEinfuhrung BearbeitenMoralische Einordnung einer Handlung Bearbeiten Ethik generell versucht Antworten zu geben auf die Frage Was soll ich tun bzw Was sollen wir tun Damit sich diese Frage uberhaupt stellt mussen zwei oder mehr Handlungsoptionen zur Verfugung stehen wobei Nichtstun hier auch als Wahlmoglichkeit verstanden werden muss Ethik versucht Regeln zu finden und zu begrunden um in einer konkreten Wahlsituation Handlungsoptionen moralisch zu bewerten als geboten zulassig oder verboten Die Bewertung kann grundsatzlich anhand verschiedener Aspekte erfolgen Je nach Aspekt wird in verschiedene Formen der Ethik unterschieden teleologische Ethik z B anhand der Handlung selbst an den erwarteten Folgen oder an den tatsachlichen Folgen deontologische Ethik z B eine Handlung findet aus Pflicht d h um des moralischen Gesetzes willen statt Uber die konsequente Ausrichtung an den Handlungsfolgen kategorisiert sich die Risikoethik als teleologische Ethik Typische Merkmale risikoethischer Praxisprobleme Bearbeiten Fur die Risikoethik ist von besonderer Bedeutung dass die Handlungsfolgen zum Zeitpunkt des Handlungsentscheides nicht sicher vorhergesehen werden konnen Typischerweise sind bei einem risikoethischen Praxisproblem Entscheider und Risikotrager nicht identisch Ausserdem sind erwarteter Nutzen und erwartete Risiken vielfach zwischen Anspruchsgruppen asymmetrisch verteilt und oder umstritten Risikobegriff Bearbeiten Innerhalb der Risikoethik selbst bestehen verschiedene Definitionen von Risiko ausfuhrlich siehe 1 Diesem Artikel liegt ein Verstandnis zugrunde welches Risiko sieht als Produkt aus Schaden und Wahrscheinlichkeit Also Risiko Schaden Wahrscheinlichkeit Wahrscheinlichkeit ist hier zu verstehen als mathematische Wahrscheinlichkeit Schaden als negativ bewertete Folge in einem utilitaristischen Verstandnis Fur eine Handlungsoption kann durch Aufsummierung aller moglichen Risiken ein Erwartungswert berechnet werden Ein ahnliches theoretische Modell bildet das von John C Harsanyi entworfene Gleichwahrscheinlichkeitsmodell zur Erklarung des Zustandekommens von Gesellschaftsvertragen Mogliche Entscheidungskriterien BearbeitenIn der Literatur zur Risikoethik wurden in den letzten Jahrzehnten Stand per 2006 verschiedene Kriterien diskutiert welche Handhabe bieten sollen zur Bestimmung von moralisch zulassigen oder geforderten Handlungsoptionen Bayes Bearbeiten Das Bayes Prinzip fordert den gesellschaftlichen Gesamtnutzen zu maximieren und entspricht dabei einer utilitaristischen Forderung Wem Schaden und Nutzen zukommt ist nicht von Belang Der Schaden der einer Person zugefugt wird kann durch den Nutzen einer anderen Person aufgewogen werden Technisch fordert das Bayes Prinzip folgendes Vorgehen Die Handlungsoptionen werden aufgelistet Die moglichen Folgen positive wie negative jeder Handlung werden aufgelistet und bewertet Zusatzlich wird fur jede Handlung bestimmt mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Folge eintritt Wahrscheinlichkeit und Bewertung der Folge werden jeweils multipliziert und die Produkte aufsummiert Die Handlungsoption welche die hochste Summe erzielt ist moralisch geboten Kritik am Bayes Prinzip kann an verschiedenen Stellen ansetzen Fur Nutzen und Schaden mussen Bewertungen gefunden werden denen alle Akteure rational zustimmen konnten bzw zustimmen mussten wenn sie rational waren Hierbei ist strittig ob dies moglich ist Nutzen und Schaden rechnen sich gemass dem Bayes Prinzip auf und es ist gleichgultig wer Nutzen und wer Schaden tragt Das heisst dass einer Anspruchsgruppe der ganze Nutzen zukommen kann wahrend die andere die gesamten Risiken tragt Unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit ist dies problematisch Prominenter Vertreter des Bayes Prinzips in der Risikoethik war John C Harsanyi 2 Maximin Bearbeiten Das Maximin Prinzip fordert diejenige Handlungsoption zu wahlen bei welcher der grosste mogliche Schaden am kleinsten ist In der Literatur wird teilweise auch vom Minimax Prinzip gesprochen Minimiere den maximalen Schaden Technisch fordert das Maximin Prinzip folgendes Vorgehen Die Handlungsoptionen werden aufgelistet Die moglichen Folgen positive wie negative jeder Handlung werden aufgelistet und bewertet Bei jeder Handlungsoption wird der jeweils grosste mogliche Schaden bestimmt Die Handlungsoption bei welcher der grosste mogliche Schaden am geringsten ist ist moralisch geboten Das Maximin Prinzip gilt als konservativ da es nur mogliche Schaden in Betracht zieht selbst wenn die Schadenswahrscheinlichkeit extrem gering ist Wahrenddessen wird moglicher Nutzen ausser Acht gelassen Das Maximin Prinzip wird deshalb von manchen Autoren als lahmend erachtet Im Kontext der politischen Philosophie entspricht dem Maximin Prinzip das Vorsorgeprinzip siehe auch G E Moore Zustimmung Bearbeiten Das Zustimmungskriterium verlangt dass Personen nur ein Risiko auferlegt werden darf wenn sie dem zugestimmt haben z B Julian Nida Rumelin 3 Daraus ergeben sich verschiedene praktische Probleme Konsequent angewandt erhalten durch die Zustimmungsforderung alle Personen die mit einer Handlung einem Risiko eines Schadens ausgesetzt werden ein Veto Recht gegen diese Handlung Gentechnisch veranderte Organismen durften also zum Beispiel nur freigesetzt werden wenn alle potenziell Betroffenen dem schlimmsten Szenario nach also alle Erdenbewohner einer Freisetzung zugestimmt hatten Angenommen dass sich zu jeder Handlung eine potenziell risikobetroffene Person finden lasst die nicht einverstanden ist waren damit alle risikobehafteten Handlungen moralisch verboten Die Aufwande alle potenziell Betroffenen vorgangig zu eruieren und um Zustimmung zu fragen sind real nicht zu leisten zu hohe Transaktionskosten Gemass einem Beispiel von K P Rippe 1 durfte bei einer konsequenten Zustimmungsforderung nur mit dem Rollkoffer zum Bahnhof gehen wer alle Personen die potenziell daruber stolpern konnten vorher um Zustimmung gefragt hatte Da dies unrealistisch ist mussten viele alltagliche Handlungen unterbleiben Lahmung des Alltags oder die meisten alltaglichen Handlungen waren amoralisch was aber keine sinnvolle moralische Regelung sein kann Schwellenwerte Bearbeiten Die Idee von Schwellenwerten liegt darin das Verursachen trivialer Risiken generell als moralisch zulassig zu beurteilen Die beim Zustimmungskriterium diskutierte Lahmung des Alltages ware zum Beispiel nicht zu befurchten wenn Zustimmung nur fur die Verursachung von Risiken ab einem bestimmten Ausmass notig ware Allerdings ist unklar wie solche Schwellen rational begrundet werden konnten Sorgfaltspflichten Bearbeiten Die Idee der Sorgfaltspflichten entspricht einem verbreiteten moralischen Alltagsverstandnis Wer Risiken verursacht muss angemessene Sorgfalt walten lassen um diese moglichst gering zu halten Die potenziell betroffenen Personen mussen aber ihrerseits angemessene Sorgfalt walten lassen Am schon genannten Rollkoffer Beispiel Man darf mit dem Rollkoffer zum Bahnhof gehen wenn man dies angemessen sorgfaltig tut Man ist dann nicht moralisch verantwortlich wenn ein Passant der blindlings durch die Menge rennt uber den Koffer fallt Man kann jedoch einwenden dass der Risikoverursacher durch seine Sorgfalt das Risiko verringert und so klein macht dass es unter einem Schwellenwert zu liegen kommt Demnach ware der Ansatz der Sorgfaltspflichten ein versteckter Schwellenwert Ansatz Des Weiteren bleibt unbestimmt welche Sorgfalt als angemessen bezeichnet werden konnte Ein Beispiel BearbeitenDas folgende Beispiel abgeleitet aus einem Bsp von Thomson 4 soll die Plausibilitat von Schwellenwerten anhand verschiedener Wahrscheinlichkeiten darstellen Ein analoges Beispiel konnte auch fur das Schadensausmass angefuhrt werden Ausgangslage Ein breit akzeptiertes moralisches Verbot verbietet das Toten einer anderen Person Person A darf Person B nicht toten Daraus leitet sich ab es ist fur A unter moralischen Gesichtspunkten verboten Handlungen auszufuhren die zu B s Tod fuhren Fall 1 Erschiessen von B Nehmen wir an ein Schuss mit einem Revolver auf B s Kopf wurde B toten Aus dem Totungsverbot lasst sich nun ableiten dass A nicht mit einem Revolver auf B s Kopf schiessen darf Fall 2 Russisches Roulette A ladt die sechsschussige Trommel seines Revolvers mit nur einer scharfen Patrone Er dreht an der Trommel die zufallig stoppt B schlaft tief und fest A zielt auf B s Kopf und druckt ab Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 6 wird sich nun ein Schuss losen und B toten Mit einer Wahrscheinlichkeit von 5 6 ertont nur ein leises Klicken das B nicht in seinem Schlaf stort und von ihm nicht wahrgenommen wird Ist es moralisch zulassig dass A abdruckt Warum Warum nicht Fall 3 Anrufen von B A uberlegt sich B anzurufen Es konnte aber folgendes geschehen Als das Telefon klingelt steht B gerade auf einer Leiter B erschrickt und fallt so unglucklich von der Leiter dass er stirbt Die Wahrscheinlichkeit dass dies passiert ist wohl ausserst gering aber es ist nicht ausgeschlossen Darf A unter moralischen Gesichtspunkten B anrufen Warum Warum nicht In allen drei angefuhrten Fallen kann B zu Tode kommen Im Fall 1 annahernd mit Sicherheit nur annahernd weil der Ausloser klemmen konnte B so getroffen werden konnte dass er uberlebt usw In Fall 2 ist das Risiko zu sterben fur B etwa 6 mal geringer Und im dritten Fall ist es sogar ausserst gering Die meisten Personen wurden sagen dass A nicht auf B schiessen darf auch nicht an B russisches Roulette spielen darf aber sehr wohl B anrufen darf Fur die Risikoethik als wissenschaftliche Disziplin reicht es nicht hier Stellung zu beziehen Sie muss ihre Stellungnahme begrunden und dabei zusehen dass sie sich nicht in Widerspruche verwickelt Siehe auch BearbeitenEntscheidung unter Risiko fur entscheidungstheoretische Betrachtungen die ahnliche Aspekte betrachten allerdings nicht notwendig unter moralischen Gesichtspunkten Literatur BearbeitenBenjamin Rath 2008 Ethik des Risikos Begriffe Situationen Entscheidungstheorien und Aspekte Bundesamt fur Bauten und Logistik BBL Bern Benjamin Rath 2011 Entscheidungstheorien der Risikoethik Tectum Verlag Marburg Julian Nida Rumelin Johann Schulenburg Benjamin Rath 2012 Risikoethik de Gruyter Berlin Boston Anmerkungen Bearbeiten a b c Bachmann A et al 2006 Elemente der Risikoethik Abschlussbericht des Seminars Ethische Risikobewertung Online https www yumpu com de document view 19532104 elemente der risikoethik ethik im diskurs Zugriff 3 Juni 2017 Harsanyi J C 1975 Can the Maximin Principle Serve as a Basis vor Morality A Critique of John Rawls s Theory American Political Science Review 59 594 606 Ethik des Risikos In Julian Nida Rumelin Hrsg Angewandte Ethik Die Bereichsethiken und ihre theoretische Fundierung Ein Handbuch Kroners Taschenausgabe Band 437 Kroner Stuttgart 1996 ISBN 3 520 43701 5 S 806 831 Thomson Judith Jarvis 1985 Imposing Risk In Mary Gibson Hrsg To breathe freely Totowa Rowman amp Littlefield S 124 140 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Risikoethik amp oldid 212602992