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Der Reflektor oder auch die Reflektorfigur ist in der Literaturwissenschaft ein literaturtheoretischer Terminus der zur Analyse des Erzahlverhaltens in epischen bzw narrativen Werken wie Romanen Erzahlungen oder Kurzgeschichten verwendet wird Der Begriff wurde von dem osterreichischen Anglisten und Erzahltheoretiker Franz K Stanzel eingefuhrt um in dem von ihm entwickelten typologischen Modell der Erzahlsituationen die Erzahlperspektive des personalen Erzahlers genauer zu charakterisieren 1 In der personalen Erzahlsituation wird nicht im klassischen Sinne erzahlt Der unpersonliche Erzahler steht dort ausserhalb der narrativen Figurenwelt und tragt fur den Leser an keiner Stelle personliche Zuge ist also als Erzahlfigur im Text nicht direkt identifizierbar bzw beobachtbar Eine Erzahlung oder ein Roman ist demgemass nach Stanzel in dieser Erzahlperspektive eigentlich erzahlerlos 2 Zur Darstellung aus dem Geschehen hinaus bedarf es dagegen eines Reflektors d h einer vom Autor ausgewahlten Figur in der fiktiven Geschehenswelt durch deren sinnliche Wahrnehmungen Emotionen Affekte Assoziationen Gedanken oder Bewusstsein der Leser die Erzahlwelt bzw das fiktionale Geschehen unmittelbar miterlebt Dabei wird fur den Leser der Anschein von Objektivitat Authentizitat und Direktheit erzeugt weil Erzahlerkommentare oder ein sonstiges Eingreifen des Erzahlers nicht vorkommen 3 Dementsprechend bezeichnet der Reflektormodus zugleich eine Einschrankung des Wahrnehmungsfeldes vor allem im Hinblick auf die ausseren Wahrnehmungen Der Reflektor registriert das Geschehen bzw Dargestellte im Augenblick des Erlebens durch diese Erzahlfigur es ist fur ihn dabei haufig oder sogar meistens unuberschaubar sein Sinn ist wie Stanzel das Darstellungsverhalten des Reflektors an einer Stelle beschreibt oft problematisch 4 Der Reflektor registriert das narrative Geschehen bzw die epische Geschehenswelt im Augenblick des Erlebnisses durch eine der Erzahlfiguren in deren Bewusstsein sich das Geschehen gleichsam spiegelt Damit wird diese Figur im Roman oder in der Erzahlung in gewisser Weise nach Stanzel zur persona d h zur Rollenmaske die der Leser anlegt Es entsteht so die Illusion der Unmittelbarkeit mit welcher das dargestellte Geschehen zur Vorstellung des Lesers wird 5 6 Im Gegensatz zur Reflektorfigur bietet eine Erzahlerfigur dem Leser eine einsehbare Motivation fur den Selektionsprozess im Erzahlvorgang der Erzahler verburgt durch die Anwesenheit seiner Person im Erzahlakt fur die Vollstandigkeit der dargestellten Informationen im Hinblick auf das Verstandnis der Geschichte Bei einer Reflektorfigur werden dagegen Erzahlvorgang und Motivation zur Auswahl des Dargebotenen nicht thematisiert damit wird dem Leser auch jede explizite Information uber die Kriterien der Selektion des Dargestellten vorenthalten Die Selektion ergibt sich hier primar aus der Perspektive der Darstellung 7 Wie Stanzel weiterhin darlegt wird durch die meist scharf fokussierte Perspektive einer Reflektorfigur ein Sektor aus der fiktionalen Wirklichkeit herausgelost und in der Darstellung so ausgeleuchtet dass sic alle fur die Reflektorfigur wichtigen Einzelheiten erkennbar werden Ausserhalb dieses Sektor herrscht jedoch Dunkelheit und Ungewissheit sowie eine grosse Unbestimmtheitsstelle die nur da und dort durch Ruckschlusse des Lesers aus dem ausgeleuchteten Sektor aufgehellt werden kann So fehlt bei dem Darstellungsmodus der Reflektorfigur eine Erzahlinstanz die dem Leser Auskunft daruber geben konnte ob es ausserhalb des durch die Wahrnehmung der Reflektorfigur erhellten Sektors der fiktionalen Wirklichkeit noch etwas gibt das fur das dargestellte Geschehen von Bedeutung sein konnte Der Leser ist somit in dieser Hinsicht vollig der Reflektorfigur und ihrem prinzipiell beschrankten Wissens und Erfahrungshorizont ausgeliefert 8 Nach Stanzel ist der Reflektormodus in der personalen Erzahlform erst ab der zweiten Halfte des 19 Jahrhunderts hervorgetreten hat dann aber vor allem in der Geschichte des Romans eine grosse Bedeutung erlangt Stanzel zufolge haben im Wesentlichen drei Dinge zu der Entwicklung dieser Erzahlweise in der narrativen Literatur beigetragen ein philosophisches Prinzip die Forderung nach Objektivitat eine erzahltechnische Neuerung die strenge und konsequente Einhaltung einer bestimmten Perspektive und ein neues Thema das Bewusstsein und Unterbewusstsein sic des Menschen Der Reflektor spiegelt dabei den ausserlichen Ruckzug des Autors d h der Gestalt des auktorialen Erzahlers als Schopfer der Charaktere und bedeutet insbesondere im Roman gleichermassen eine Dramatisierung 9 Literatur BearbeitenFranz K Stanzel Theorie des Erzahlens Vandenhoeck amp Ruprecht Verlag Gottingen 8 Aufl 2008 ISBN 978 3 525 03208 4 Franz K Stanzel Typische Formen des Romans Vanderhoek und Ruprecht Verlag 8 Auflage 1976 ISBN 3 525 33212 2 Weblinks BearbeitenAllgemeine Erzahltheorie Bodil Zalesky Allgemeine Erzahltheorie Theoretischer Teil der Dissertationsschrift zu Erzahlweise und Sprechverhalten in Effi Briest PDF Datei 334 kB Abgerufen am 7 November 2013 Einzelnachweise Bearbeiten Franz K Stanzel Theorie des Erzahlens Vandenhoeck amp Ruprecht Verlag Gottingen 8 Aufl 2008 ISBN 978 3 525 03208 4 S 222 sowie Franz K Stanzel Typische Formen des Romans Vanderhoek und Ruprecht Verlag 8 Auflage 1976 ISBN 3 525 33212 2 Franz K Stanzel Typische Formen des Romans Vanderhoek und Ruprecht Verlag 8 Auflage 1976 ISBN 3 525 33212 2 S 40 und S 17 Vgl dazu auch die Ausfuhrungen bei Bodil Zalesky Allgemeine Erzahltheorie Theoretischer Teil der Dissertationsschrift zu Erzahlweise und Sprechverhalten in Effi Briest S 3ff Auf Allgemeine Erzahltheorie PDF Datei 334 kB Abgerufen am 7 November 2013 Franz K Stanzel Theorie des Erzahlens Vandenhoeck amp Ruprecht Verlag Gottingen 8 Aufl 2008 ISBN 978 3 525 03208 4 S 222 Vgl dazu auch die Ausfuhrungen bei Bodil Zalesky Allgemeine Erzahltheorie Theoretischer Teil der Dissertationsschrift zu Erzahlweise und Sprechverhalten in Effi Briest S 3ff Auf Allgemeine Erzahltheorie PDF Datei 334 kB Abgerufen am 7 November 2013 Siehe Franz K Stanzel Typische Formen des Romans Vanderhoek und Ruprecht Verlag 8 Auflage 1976 ISBN 3 525 33212 2 S 40 und S 17 und Franz K Stanzel Theorie des Erzahlens Vandenhoeck amp Ruprecht Verlag Gottingen 8 Aufl 2008 ISBN 978 3 525 03208 4 S 222 Vgl dazu auch die Ausfuhrungen bei Bodil Zalesky Allgemeine Erzahltheorie Theoretischer Teil der Dissertationsschrift zu Erzahlweise und Sprechverhalten in Effi Briest S 3ff Auf Allgemeine Erzahltheorie PDF Datei 334 kB Abgerufen am 7 November 2013 Siehe Franz K Stanzel Typische Formen des Romans Vanderhoek und Ruprecht Verlag 8 Auflage 1976 ISBN 3 525 33212 2 S 39 Franz K Stanzel Theorie des Erzahlens Vandenhoeck amp Ruprecht Verlag Gottingen 8 Aufl 2008 ISBN 978 3 525 03208 4 S 204 Franz K Stanzel Theorie des Erzahlens Vandenhoeck amp Ruprecht Verlag Gottingen 8 Aufl 2008 ISBN 978 3 525 03208 4 S 204 Siehe Franz K Stanzel Typische Formen des Romans Vanderhoek und Ruprecht Verlag 8 Auflage 1976 ISBN 3 525 33212 2 S 39f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Reflektor Literatur amp oldid 238492974