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Dieser Artikel behandelt den Dialog von Denis Diderot Zum Dialog von Tankred Dorst siehe Rameaus Neffe Tankred Dorst Rameaus Neffe franzosischer Originaltitel Le Neveu de Rameau ist ein philosophischer Dialog von Denis Diderot Diderot arbeitete von 1761 bis 1774 an dem Werk das zu seinen Lebzeiten nicht gedruckt worden ist Le Neveu de Rameau 1841 von Denis Diderot 1713 1784 Nach dem Tod des franzosischen Aufklarers wurde dessen Bibliothek an den Zarinnenhof uberfuhrt so dass das bislang in Frankreich unveroffentlichte Manuskript des Le Neveu de Rameau 1761 durch den Ordonnanzoffizier im Rang eines Leutnants im Marinebataillon des russischen Thronfolgers Grossfurst Paul I in Petersburg Friedrich Maximilian Klinger in der diderotschen Bibliothek gefunden werden konnte Er bot es als Abschrift zunachst dem Verleger Johann Friedrich Hartknoch in Riga an der aber lehnte eine Veroffentlichung ab Erstmals uberhaupt publiziert wurde das Werk in Deutschland 1805 in einer Ubersetzung von Johann Wolfgang von Goethe Inhaltsverzeichnis 1 Das Motto 2 Historischer Hintergrund 3 Inhalt 4 Figuren 5 Editionsgeschichte 6 Rezeption 7 Ausgaben 8 Literatur 9 Weblinks 10 Einzelnachweise und AnmerkungenDas Motto BearbeitenDiderot stellt seinem Dialog das Zitat Vertumnis quotquot sunt natus iniquis aus den Satiren des Horaz voran 1 Frei ubersetzt bedeutet das Geboren unter einem wankelmutigen Stern Vertumnus war ein romischer Gott der bei den Etruskern die Position einer obersten Gottheit besetzt hielt der seit der Antikenrezeption der Renaissance eine Wandlung zu einem Gott der Jahreszeiten des Wandels und des Zufalls erfahren hatte 2 Historischer Hintergrund BearbeitenRameaus Neffe die titelgebende Hauptfigur war der Neffe von Jean Philippe Rameau Jean Philippe Rameau hatte vier Schwestern und funf Bruder darunter Claude Rameau 1690 1761 der Vater des Jean Francois Rameau 1716 1777 Rameaus Neffe im Dialog Jean Francois Rameau oder lui in Diderots Text war ein massig erfolgreicher Musiker der sich seinen Lebensunterhalt als ein durch Frankreich reisender Gesangs und Klavierlehrer verdiente Er soll ein unruhiger unsozialer ja ungestumer Zeitgenosse gewesen sein aber nicht ohne ein gewisses Talent Er wird in einer Pariser Polizeiakte vom 7 November 1748 mit folgender Bemerkung gefuhrt Le sieur Rameau neveu du sieur Rameau de l Academie Royale de musique d un caractere peu sociable et difficile a dompter a insulte sur le theatre de l Opera les directeurs Der Herr Rameau Neffe des Herrn Rameau der Koniglichen Musikakademie von einem wenig sozialen schwierig zu bandigenden Charakter hat am Theater der Oper die Direktoren beleidigt Polizeibericht zitiert nach Erich Kohler Aufklarung I In Erich Kohler Vorlesungen zur Geschichte der Franzosischen Literatur Hrsg Henning Krauss u Dietmar Rieger Band 5 1 S 145 PDF 1 9 MB Trotz der aktenkundigen und moglicherweise weiterer nicht dokumentierter Auffalligkeiten fand er ein zufriedenstellendes Auskommen durch seine zahlenden Musikschuler Nachdem seine Frau und sein Kind verstorben waren lebte er als Bohemien und schlug sich mit verschiedenen Tatigkeiten und Betteleien durch das Leben Er soll in einem Hospital verstorben sein sein Todesdatum ist nicht bekannt Inhalt BearbeitenDas Werk besteht aus einem Dialog zwischen zwei Personen im Dialog genannt Er Lui und Ich Moi Der literarische Diderot oder moi begibt sich auf seiner abendlichen Promenade zum Palais Royal Hier nun trifft er den ihm schon seit langerem bekannten Jean Francois Rameau oder lui und ladt ihn nach kurzem Plaudern in das Cafe de la Regence ein Es handelt sich um Jean Francois Rameau den Neffen des bekannten Komponisten Jean Philippe Rameau Mit diesem Bekannten dem lui wird er im Verlauf eine ausgedehnte Konversation fuhren Von dieser Person fuhlt sich das moi aber zugleich angezogen und abgestossen Denn der Neffe ist nicht nur ein Zyniker der wortgewandt gestenreich charmant und ohne Schamgefuhl seine parasitare Existenz und Amoralitat offenlegt und damit enthullt dass das inszenierte Maskenspiel der Niedertrachtigkeit in der realen Gesellschaft sich auszahlt So werden die Widerspruche zwischen burgerlichen Tugenden und der realen Gesellschaft offenbart Der literarische Diderot oder moi der zunachst aus einer Position moralischer Uberlegenheit auftritt wird von Rameaus Neffen immer mehr in Widerspruche verwickelt Aus dem zu Anfang noch heiteren Geplankel gewurzt mit Scherzen und Anekdoten wird in der Folge ein zusehends ernstes Gesprach Es fuhrt letztlich zu moralischen kunstlerischen und philosophischen Grundfragen Rameau kritisiert den Kulturbetrieb zeigt sich zugleich aber abhangig von demselben Rameaus Neffe ist nur ein Pulcinella der reichen Gesellschaft halt sich aber fur ein verkanntes Genie Mit Rameaus Neffe legt Diderot die Seele eines gescheiterten Kunstlers offen uberheblich und masslos in seiner Leidenschaft ist er zugleich abhangig von der Gunst seiner Gonner Dem verzweifelten Verachter der Gesellschaft steht mit dem feinsinnigen Ich Erzahler ein Philosoph der Aufklarung gegenuber Der illusionslosen Weltbetrachtung des Zynikers begegnet die aufklarerische Menschenliebe des Philosophen In beiden Figuren konnen Gedanken Diderots gesehen werden Diderot wahlte gleichsam den Dialog als Gestaltungsform um philosophische Gedankengange und kulturkritische Uberlegungen durchzuspielen Figuren BearbeitenDer Dialog ist ein Who s Who des vorrevolutionaren Paris Aufklarer und Gegenaufklarer Schauspieler Musiker Finanziers und Geistlichkeit Adelaide Louise Pauline Hus Schauspielerin an der Comedie Francaise Charles Palissot de Montenoy franzosischer Dramatiker Gegenspieler der Enzyklopadisten insbesondere Diderots Jacques Rochette de La Morliere Chevalier de la Morliere 1719 1785 Literat Stammgast im Cafe Procope und beruchtigter Intrigant Claude Adrien Helvetius Steuerpachter Philosoph der Aufklarung Claudine Alexandrine Guerin Marquise de Tencin Salonniere Egidio Duni italienischer Opernkomponist gilt als Begrunder der Opera comique Elie Catherine Freron Publizist Voltaire gefeierter Philosoph der Franzosischen Aufklarung den Diderot bewunderte dem er aber aus dem Weg ging Georges Louis Leclerc Comte de Buffon franzosischer Naturforscher Mitglied der Academie francaise Giovanni Battista Pergolesi italienischer Komponist Hippolyte leris de la Tude genannt Claire Josephe Clairon Schauspielerin Jean Calas franzosischer Protestant Opfer eines Justizmordes durch den Einsatz Voltaires rehabilitiert Jean Racine Dramatiker Jean Baptiste le Rond d Alembert genannt D A franzosischer Mathematiker Mitherausgeber der Enzyklopadie Jean Jacques Rousseau Philosoph langjahriger Freund Diderots Jean Philippe Rameau Komponist Montesquieu Philosoph und Staatstheoretiker Nicolas Corby und Pierre Moette 1721 1806 Leiter der Opera comique bis 1762 Jeanne Antoinette Poisson Marquise de Pompadour 3 Favoritin Ludwigs XV protegierte die Enzyklopadisten Philidor Musiker Stammgast im Cafe de la Regence galt seinerzeit als weltbester SchachspielerEditionsgeschichte BearbeitenRameaus Neffe hat eine wechselvolle und verlustreiche Editionsgeschichte Entstanden zwischen 1762 und 1774 blieb das Manuskript zu seinen Lebzeiten ungedruckt und schien nach seinem Tod verschollen Eine Abschrift war jedoch mit anderen Skripten nach St Petersburg gelangt und befand sich zusammen mit der Bibliothek Diderots die er bereits 1765 an Katharina verkauft hatte sie dann aber weiter als ihr angestellter Bibliothekar in Paris betreut hatte in der Eremitage Wahrscheinlich hatte Goethes Jugendfreund Friedrich Maximilian Klinger damals hoher Amtstrager im Militar und Erziehungswesen Russlands das Manuskript dort entdeckt heimlich eine Abschrift veranlasst sich aber vergeblich um einen Verleger bemuht 4 Durch Vermittlung von Friedrich Schillers Studienfreund Wilhelm von Wolzogen kam das Manuskript nach Weimar wo Schiller in dem Text den verschollen geglaubten Neffen erkannte Goethe darauf aufmerksam machte und dem Leipziger Buchhandler Goschen 1804 zum Druck anbot Im gleichen Jahr begann Goethe mit der Ubersetzung 1805 kam das Buch in Leipzig heraus ein ursprunglich vom Verleger geplanter Paralleldruck in franzosischer Sprache wurde nicht ausgefuhrt Das Manuskript aus dem Goethe ubersetzt hat ist seitdem verschwunden 1821 ubertrugen zwei franzosische Autoren de Saur und Saint Genies die Goethe Ubersetzung in ein uberaus skrupelloses Franzosisch 5 und verkauften es als Original Etwa zur gleichen Zeit erhielt der Verleger J L J Briere von Diderots Tochter Mme de Vandeul eine Abschrift des Dialogs der mit einigen Eingriffen und Verballhornungen 6 1823 gedruckt wurde Auch das dieser Ausgabe zugrunde liegende Manuskript ist verschwunden 1890 fand Georges Monval Bibliothekar an der Comedie Francaise bei einem der Bouquinisten am Seineufer in Paris ein Konvolut mit Schriften von Diderot darunter auch ein eigenhandiges Manuskript des Neveu de Rameau Das Konvolut kam aus dem Nachlass des Marquis Larochefoucauld Liancourt 1747 1827 eines franzosischen Diplomaten der mit Melchior Grimm befreundet gewesen war und war verborgen in der Erotika Sammlung des Marquis Auf der Grundlage dieses eigenhandigen Manuskripts veroffentlichte Monval 1891 Diderots Text Diese Fassung gilt heute als die authentische Das Manuskript wird in der Pierpont Morgan Library in New York aufbewahrt Rezeption BearbeitenBereits kurz nach Erscheinen von Goethes Ubersetzung in Deutschland kommentiert Hegel Rameaus Neffe in seiner Phanomenologie des Geistes und setzte ihn dort in Zusammenhang zum Thema Herrschaft und Knechtschaft 7 8 In seinem Essay Wahnsinn und Gesellschaft Histoire de la folie a l age classique kommentiert Michel Foucault ebenfalls Diderots Text erkennt in dem Protagonisten eine Verknupfung von Sinnlichkeit und Wahnsinn und liest ihn als Beleg fur die Nachtseite der Aufklarung 1861 erschien in der Zeitschrift Revue europeenne unter dem Titel La fin d un monde et du neveu de Rameau ein Text von Jules Janin der Szenen und Themen aus Diderots Vorlage parodiert und den Janin selbst als literarische und stilistische Fingerubung wertete 9 Thomas Bernhards Erzahlung Wittgensteins Neffe spielt im Titel auf Diderots Text an Bernhards und Diderots Protagonisten sind beide historische Personen die im Schatten ihres Onkels einer Personlichkeit von epochaler Bedeutung stehen Ebenfalls auf den Titel spielt Louis Aragons Le neveu de M Duval 1953 an Friedrich Engels ordnet das Werk in Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft in die Meisterwerke der Dialektik ein 10 Der rumanische Regisseur David Esrig schuf in den 1960er Jahren eine legendare Inszenierung des Textes mit den beiden Darstellern Marin Moraru und Gheorghe Dinică 1975 inszenierte und spielte Jacques Weber am Theater in St Etienne den Dialog mit Jean Francois Balmer als Spielpartner 11 In ihrem Essay Rupel und Rebell Die Erfolgsgeschichte des Intellektuellen 2018 sieht Hannelore Schlaffer Rameaus Neffen als erste Gestalt der Figur des Intellektuellen 2020 inszenierte Didier Bezace 1946 2020 den Dialog fur das Theater mit Pierre Arditi Diderot und Bruno Abraham Kremer 1958 Premiere des Stucks war am 22 Mai 2020 im Anthea Theater in Antibes anschliessend Tournee Ausgaben BearbeitenLe Neveu de Rameau Dialogue Ouvrage posthume et inedit par Diderot Paris Delaunay 1821 franzosische Erstausgabe als Ruckubertragung von Goethes Ubersetzung 12 Le Neveu de Rameau Presentation notes chronologie et dossier de Jean Philippe Marty Paris Flammarion 2005 Etonnants classiques ISBN 2 08 072218 2 Kritische Ausgabe deutsche Ubersetzungen und BearbeitungenRameaus Neffe Ein Dialog Aus dem Manuskript ubersetzt u mit Anmerkungen begleitet von Johann Wolfgang Goethe Leipzig Goschen 1805 VolltextMit e Nachwort von Gunter Metken Stuttgart Reclam 1967 Durchges u erw Ausgabe 1984 Herrn Rameaus Neffe Ubers von Otto Heinrich von Gemmingen 1891 Neuausgabe Tredition Classics 2012 ISBN 978 3 8472 4653 4 Volltext Rameaus Neffe und Moralische Erzahlungen Ubers u mit einem Nachwort vers von Hans Hinterhauser Frankfurt am Main Ullstein 1967 Diderot Das erzahlerische Gesamtwerk Band 4 Ullstein Werkausgabe ISBN 3 548 37145 0 Rameaus Neffe Ubers und fur die Buhne bearb von Tankred Dorst Koln Kiepenheuer amp Witsch 1963 Rameaus Neffe Fassung fur die Volksbuhne Berlin nach einer Ubers von Gustav Rohn Berlin Henschel Verlag 1996 henschel schauspiel de PDF 314 kB Literatur BearbeitenRudolf Schlosser Rameaus Neffe Studien und Untersuchungen zur Einfuhrung in Goethes Ubersetzung des Diderotschen Dialogs Nachdruck der Originalausg von 1900 Severus Hamburg 2011 ISBN 978 3 86347 027 2 Huseyin Kocintar Ich und Er Uber Vernunft und Unvernunft in Diderots Rameaus Neffe 2013 Akademische Schriftenreihe 5 ISBN 978 3 656 37721 4 Jean Firges Die Arbeit am Neveu de Rameau in dsb Denis Diderot Das philosophische und schriftstellerische Genie der franzosischen Aufklarung Biographie und Werkinterpretationen Sonnenberg Annweiler 2013 ISBN 978 3 933264 75 6 S 56 92 Ernst Gamillscheg Diderots Neveu de Rameau und die Goethesche Ubersetzung der Satire Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Geistes und sozialwissenschaftliche Klasse Jahrgang 1953 Band 1 Verlag der Wissenschaften und der Literatur in Mainz in Kommission bei Franz Steiner Verlag Wiesbaden Weblinks BearbeitenBarthelemy Toraille Le neveu de Rameau Goethe traducteur de Diderot vom 25 Juni 2013Einzelnachweise und Anmerkungen Bearbeiten Ubers Hinterhauser Unter ungnadigen Vertumnern wieviel ihrer sind geboren Horaz Satiren Buch 2 7 Philip Francis A Poetical Translation of the Works of Horace Band 2 1749 S 232 Allgemeine Literaturzeitung Jahrgang 1805 Band 4 Numero 326 Diderot D Rameaus Neffe 1805 Rudolf Schlosser Rameaus Neffe Studien und Untersuchungen zur Einfuhrung in Goethes Ubersetzung des Diderotschen Dialogs Nachdruck der Originalausgabe 1900 Hamburg 2011 S 107 Hans Hinterhauser Diderot als Erzahler Nachwort in Denis Diderot Das erzahlerische Gesamtwerk Band 4 1967 S 224 Hans Hinterhauser S 224 Otto Poggeler Dietmar Kohler Hrsg G W F Hegel Phanomenologie des Geistes Akademie Verlag Berlin 2006 ISBN 3 05 004234 6 S 32 Hans Robert Jauss The Dialogical and the Dialectical Neveu De Rameau How Diderot Adopted Socrates and Hegel Adopted Diderot Center for Hermeneutical Studies 1984 ISBN 0 89242 045 6 Hedi Denzel de Tirado Biographische Fiktionen Das Paradigma Denis Diderot im interkulturellen Vergleich 1765 2005 Wurzburg 2008 S 167 Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft auf http www mlwerke de me me19 me19 202 htm Jacques Weber Les archives du spectacle abgerufen am 14 Januar 2023 Christie s Sale 5597 Lot 15Normdaten Werk GND 4192982 2 lobid OGND AKS VIAF 180583301 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Rameaus Neffe amp oldid 235523152