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Pays interdit Verbotenes Land ursprunglich L upyre betitelt ist ein surrealistisches Gemalde von Wolfgang Paalen das in der endgultigen Fassung von 1937 ein tropfenformig stilisiertes Weiblichkeitsidol mit tentakelartigen Fangarmen zeigt das in prekarer Nahe zu einem Abgrund steht der sich jah zum Betrachter hin in dunkel kristallinen Formen auftut und vor dem drei spharenformige Raumkorper schweben zwei davon wie hereinsturzende brennende Meteoriten gestaltet Das Bild ist das erste Olbild Paalens das kunstvoll auf der von Paalen erfundenen Technik der Fumage aufbaut und sich auf vielschichtige Weise mit den Zusammenhangen von Todesangst und Weiblichkeit auseinandersetzt die seiner Ansicht nach an den Bereich der menschlichen Psyche heranfuhren in dem sich die kunstlichen Trennungen von Ich und Welt entfalten Das Bild befindet sich in einer Privatsammlung Verbotenes Land Pays interdit 1936 Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrund 2 Beschreibung 3 Titel 4 Literatur 5 Einzelnachweise 6 WeblinksHintergrund BearbeitenDas Bild bezeichnet den Beginn von Paalens konziser bildnerischer Kritik an der unumschrankt subjektivistischen Haltung des Surrealismus aus der er spater seine umfassend begrundete Philosophie der Kontingenz entwickelte Das Bild begann Paalen in den ersten beiden Oktoberwochen des Jahres 1936 nach einer schweren psychischen Krise Im August 1936 hatte er erfahren dass eine langer anhaltende Affare Pablo Picassos mit seiner Frau Alice Alice Rahon zu einer Schwangerschaft und Abtreibung gefuhrt hatte 1 Paalen ausserte sich spater uber die Depressionsschube die er schliesslich in einen regelrechten Schaffensfuror kanalisieren konnte Es ist dann als ob das Feuer oder der Keim zu ihm in sich zusammensturzte und an seinen Platz alles Entsetzliche treten kann Tagsuber kann ich vor Wut Argwohn und Schuld kaum denken geschweige denn mit irgendjemandem sprechen Nachts sterbe ich vor Angst alles konnte zertrummert werden Ruhe ist ein solch entfernter Begriff kaum kenntlich in diesen dunklen Tagen Vielleicht wird es die Malerei sein die mich aus diesen Schuben furchterlichen Dunkels herauszieht und die paar Steine zusammenfugen kann die ich in der leeren Welt nicht mehr finde Und wenn dies nicht gelingt weiss ich mindestens sicher dass es nicht darum geht ein Ich zu besitzen sondern nur einen Ruf ins Leben zu horen wenn man vor dem absoluten Nichts steht Mein Sehen hat sich einmal mehr in sich eingekehrt Mit Fug und Recht kann ich nun sagen ich sehe wie der alte heidnische Apollonius von Innen heraus 2 Nach einer orientierenden Griechenlandreise begann er Mitte Oktober an dem geheimnisvollen Bild zu arbeiten das ihn bis ins nachste Jahr beschaftigen wurde und das von dieser fast feierlich und mit dem Vokabular des Mystikers Apollonius von Tyana beschriebenen inneren Fall in die Abgrunde der Todesangst Zeugnis ablegen sollte eine apokalyptische Landschaft dominiert von einer weiblichen Gottheit und herabfallenden meteorartigen Planeten Pays interdit ist auch das erste Olbild in dem die Fumage in den ausserordentlich fein ausgefuhrten kristallinen Strukturen des unteren Teils kunstvoll eingearbeitet ist Paalen entwirft sein personliches Grundmodell des durchlassigen surrealen Seelenbildes in Form einer abgrundigen zersplitterten Landschaft durchpulst von einer Mischung aus femininer Mystik und romantischem Schauerbild die an prakeltische Feenmysterien und ihren kosmischen Anspielungen erinnern wie sie aus der lyrischen Tradition Britanniens bekannt sind Der Dichterfreund Andre Breton sprach angesichts dieses Urbildes fur die spateren grossen Fumagen des Kunstlers von Symbolen fur eine Art erweiterter Innensicht Vielleicht ja bestimmt ist es fur unsere Zeit eine Versuchung des Auges sich in jenes ideelle Stadium der Schopfung zu versetzen in dem die Schmetterlinge ein einziges Band zum Abschneiden bildeten in dem die Vogel noch alle zusammen eine einzige Musikspirale anstimmten da die Fische noch ungeschieden im Innern eines Silberschiffchens umherschwammen Fenster blind wie Lampen nachtlicher Diebe Kinder sehen solche Farben wie sie sich im Rund einer Seifenblase krummen leider offnen sie sich nur von innen Aber Paalens Verdienst ist es soweit vorgedrungen zu sein dass er aus dem Inneren der Seifenblase zu sehen vermochte und uns die Welt von dorther sehen lasst 3 Durch die Todesangst gelangt der Kunstler Betrachter an den Kern kindlicher Emotion der Welt der Einheiten gefuhlsmassiger Ahnlichkeiten 4 in der die Trennungen zwischen den Realitaten aufgehoben sind Beschreibung BearbeitenIns Auge sticht in diesem Bild vor allem die ausserordentliche Farbe im oberen Teil subtil abgestufte Gruntone die aussehen als seien sie auf Gold gemalt und im unteren Teil eine feine Ausfuhrung kristallin aufgefacherter Raumstrukturen Andeutungen von Schleimhauten und feuchtem inneren Gewebe Die Fumage Flecken lugen nur an einigen Stellen wie schwarze Locher hervor Die arm und beinlose Steinfigur mit ihren ballonformigen Empfangsorganen Bauch Bruste und Kopf wurde biografisch als ein mythologisiertes Portrat der Freundin Eva Sulzer gedeutet zu der sich Paalen nach der Krise mit seiner Frau hinwendete als eine Art Eva der Zukunft eine Frau die nicht geboren wurde sondern ihr Leben unmittelbar den gottlichen Kraften verdankt Selbst nabellos verkorpert sie den Nabel der Welt an dem sich Vergangenheit und Zukunft beruhren eine Einheit von Leibesfrucht Gebarmutter und Mutter oder wie James Joyce sie beschrieb Heva Nackte Eva Sie hatte keinen Nabel Schau Bauch ohne Fehl schwanger schwellend ein Rundschild aus strammem Velin nein weissgehauftes Korn aufstrahlend und unsterblich dauernd von Ewigkeit zu Ewigkeit 5 Paalen hatte mehrfach zuvor die Orakelstatte in Delphi mit dem Omphalos besucht der aus weissem Stein gehauenen oben abgerundeten symbolischen Steinsaule fur den Nabel der Welt die als von einem Blitz ausgeloster Meteorit vom Himmel gefallen und ursprunglich ein Opferstein der Gottin Gaia gewesen sein soll 6 Delphi ist der Erdgottin Gaia gewidmet von delphos griech Gebarmutter und war mit ihrer einst von der weiblichen Priesterin Pythia bespielten Orakelstatte sicher eines der Sehnsuchtsorte auf der inneren Landkarte des Kunstlers der nach tiefen Symbolen fur die Geburt und die hellseherischen Sprachformen einer urtumlichen Weiblichkeit suchte die gleichsam direkt aus dem Uterus kommunizierte Paalens Freund und Intimkenner der deutsche Schriftsteller Gustav Regler sprach angesichts des Bildes von dessen Amazonenreich Auf einem Planeten der abseits der grossen Strassen leise und sinnend um sich kreist liegt das Reich und hier fern von ihnen spricht er mit Frauen als gehorten sie seinem fernen Sternenvolk an Und eine nennt er Konigin da sie sich nicht verbergen kann ihre hohe Gestalt macht jeden Zweig eines Baumes unter dem sie steht zur blutentragenden Huldigung sie schaut auf die Berge als standen dort ihre Palaste Kusten sind ihr die Streifen seliger Vereinigung mit der Sonne Das Meer empfangt sie wie die Heimkehrende jedesmal wenn sie das Ufer verrat und es scheint als lebe sie nun im Element das nach dem Puls der Sterne atmet Zeit ist ihm Einbruch des Raums und ist zu bemessen nach der Zahl der Kometen die auf ihr Element trafen das sie sichtbar machte und leuchtend das sie verbrauchte und nahrte Die Gotter aber sind die Geschopfe dieser vorbeirauschenden Strome Splitter der sich auflosenden Sternschnuppen Sein Gefuhl dass wir immer am Rand der Unendlichkeit gehen dass der Abgrund uns begleitet wie ein getreuer Schatten wie Meteore in der Wuste 7 Die Fruchtbarkeitssymbolik der Figur und die grossere transparente der drei Spharen mit den eingeschlossenen Formanspielungen fur Erde Weiblichkeit Eros und einhullendem Vorgeburtsraum stehen in kompositorischer Harmonie miteinander hieratisch schwebend vor dem undurchdringlichen Dickicht des terrestrischen Abgrundes Die Idee zu den Meteoriteneinschlagen war Paalen vielleicht durch die Lekture von Camille Flammarions visionaren Roman La Fin du Monde gekommen in dem es der Eva beschieden war der nach einem Meteoriteneinschlag erkaltenden absterbenden Erde bei ihrem Untergang bis zur eigenen Vereisung zuzusehen 8 Titel BearbeitenDas Bild wurde vom Kunstler nicht auf der Ruckseite der Leinwand wie sonst meist ublich betitelt Unter dem Titel L upyre erscheint es im Katalog der Ausstellung in der Julien Levy Gallery New York 1940 auf der erhaltenen Ausstellungsliste ist der Titel Pays interdit als Zusatz eingefugt Das Bild ist eines der ersten Erwerbungen Gordon Onslow Ford der das Bild wahrscheinlich 1941 in New York erwarb um auf Paalens Initiative Gelder fur die notwendigen Garantien zur Ausreise der in Marseille einsitzenden Surrealisten insbesondere Andre Breton zu generieren es war bis zu diesem Zeitpunkt bei Julien Levy eingelagert Onslow Ford behielt es seither in seiner Privatsammlung Es wurde von dort nie fur Ausstellungen ausgeliehen Fur Ida Prampolinis grosse Publikation El Surrealismo y el Arte Fantastico de Mexico Mexico IIE 1969 diente ein Archivfoto von Andre Caillet aus den Pariser Bestanden Paalens das den Zustand von 1936 wiedergibt als Druckgrundlage Abbildung Nr 44 ganzseitig Auf dem Foto sind ruckseitig beide Titel vermerkt Literatur BearbeitenAndreas Neufert Wolfgang Paalen Im Inneren des Wals Springer Wien und New York 1999 Monografie und Werkverzeichnis Dieter Schrage Paalen Wolfgang Robert In Neue Deutsche Biographie NDB Band 19 Duncker amp Humblot Berlin 1999 ISBN 3 428 00200 8 S 733 f Digitalisat Amy Winter Wolfgang Paalen Artist and Theorist of the Avantgarde Praeger Westport Connecticut 2002 Andreas Neufert Auf Liebe und Tod Das Leben des Surrealisten Wolfgang Paalen Parthas Berlin 2015 ISBN 978 3 86964 083 9 Andreas Neufert Paalen Life and Work I Forbidden Land The Early and Crucial Years 1905 1959 Berlin Hamburg 2022 S 250 Farbabbildung 251 Zustand von 1936 Abb und Umschlagbild ISBN 978 3 756 85887 3 Einzelnachweise Bearbeiten Alices von der Forschung bisher kaum beachtete Liebesbriefe an Picasso im Musee Picasso Paris wurden kurzlich von Andreas Neufert entdeckt und gesichtet der in seiner Biografie uber Paalen Einsicht in die Affare und ihren dichterischen Ausstoss gibt Neufert 2015 S 321ff WP unpublizierte Fragmente Notizzettel EP 9 1 1937 zit n Neufert 2015 S 270 Andre Breton Non plus le diamant au chapeau in Ausstellungskatalog Wolfgang Paalen Galerie Renou et Colle Paris 1938 engl in London Bulletin Nr 10 Febr 1939 S 13 15 Wolfgang Paalen Totem Art in DYN No 4 5 Amerindian Number Mexiko Dezember 1943 S 7ff James Joyce Ulysses London 1922 zit n deut Ausg Frankfurt M Suhrkamp 1975 S 54 ubersetzt v H Wollschlager Zum Gedenken an den Treffpunkt der beiden Adler die Zeus in entgegengesetzter Richtung entsandte um den Mittelpunkt den Nabel der Welt zu finden Strabon berichtet Das Orakel ist eine in der Tiefe sehr ausgehohlte Grotte mit einer nicht sehr grossen Offnung Aus ihr steigt ein begeisternder Dunst empor uber der Offnung aber steht ein hoher Dreifuss welchen die Pythia besteigt die aus dem Dunst einatmet und in Versen und Prosa weissagt Strabon Erdbeschreibung 1911 S 5f Gustav Regler Portrait W P unveroffentlichtes Typoskript Marz April 1945 S 7 zit n Neufert 2015 S 274 Camille Flammarions popularwissenschaftlicher Roman uber einen Zusammenstoss der Erde mit einem Kometen La Fin du monde Paris 1894 erschien 1925 in einer illustrierten Neuausgabe und inspirierte u a auch Max Ernst Weblinks Bearbeiten 1 offizielle Webseite uber Wolfgang Paalen 2 Akademie der Bildenden Kunste Karlsruhe 3 Ausstellung The Colour of my Dreams The Revolution in Surrealist Art Vancouver Art Gallery 2011 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Pays interdit amp oldid 229438480