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Der Melierdialog bezeichnet eine beruhmte Episode im Geschichtswerk Der Peloponnesische Krieg des griechischen Historikers Thukydides Buch 5 Kapitel 84 116 Dabei handelt es sich um die in Wechselreden gefasste Auseinandersetzung einerseits zwischen den Vertretern der mit Krieg drohenden Hegemonialmacht Athen die ultimativ die Unterwerfung der Inselbewohner von Melos unter das attische Seebund Regime verlangen und den Verhandlungsfuhrern der Melier andererseits die Melos die Unabhangigkeit von Athen zu erhalten suchen Melos 416 v Chr zwischen den Hegemonialmachten Athen und SpartaEs war weder die militarische Bedeutung dieses Konflikts den Athen zu Zeiten eines mit Sparta vereinbarten Friedens 415 16 v Chr in zeitlicher Nahe zu anderen Unternehmungen vorantrieb noch eine strategisch besondere Lage von Melos die Thukydides dazu veranlassen konnten diese Vorgange auf eine in seinem Werk einmalige Weise zu behandeln Denn die Schilderung des tatsachlichen Geschehens spielt gegenuber dem Austausch der beiderseitigen Motivlagen im Dialog nur eine knapp gehaltene randliche Rolle Thukydides kann im Hinblick auf die inhaltliche und formale Ausgestaltung dieses Dialogs aber so verstanden werden dass er damit den Wendepunkt in der Geschichte der Grossmacht Athen markieren wollte Denn was zeitlich darauf unmittelbar folgte war die fur Athen katastrophal endende und seinen Machtniedergang einleitende Sizilienexpedition 1 Thukydides der menschliches Handeln auf bestimmte naturgegebene Motivkonstanten zuruckfuhrte und mit seinem Werk den Anspruch erhob ein Besitztum fur immer zu hinterlassen 2 hat im Melierdialog nicht wiedergegeben so Wolfgang Will was Athener und Melier einander tatsachlich sagten sondern das was sie gedacht haben ansonsten aber in offentlicher Rede hinter diplomatischen Floskeln verbargen 3 Der Dialog zeigt vollkommen unverhullt welche Positionen einerseits die ubermachtigen Athener und andererseits die unterlegenen Melier zum Recht des Starkeren einnahmen Inhaltsverzeichnis 1 Die Ausgangslage 2 Standpunkte und Argumente im Dialog 2 1 Recht und schone Worte 2 2 Am Leben bleiben zum beiderseitigen Nutzen 2 3 Umstrittene Neutralitat 2 4 Widerstand zwischen Hoffnung und Illusion 3 Untergang der Melier 4 Rezeption 5 Siehe auch 6 Ubersetzungen 7 Literatur 8 Weblinks 9 AnmerkungenDie Ausgangslage BearbeitenDie Athener waren mit einer Flotte von 38 Trieren darunter auch Verbundete aus Chios und Lesbos auf Melos gelandet um die Insel zu unterwerfen die sich bis dahin als einzige der Kykladen neutral verhalten und den Beitritt zum Attischen Bund verweigert hatte da sie eine Kolonie Spartas war Die athenischen Feldherren schickten Unterhandler in die Stadt mit dem Ziel die Melier von den Vorteilen einer freiwilligen Unterwerfung zu uberzeugen Standpunkte und Argumente im Dialog BearbeitenAnders als wohl von den Athenern beabsichtigt und fur gunstig gehalten gelangen sie mit ihrer Botschaft nicht vor die Volksversammlung der Melier sondern vor die Behorden und den Rat der Adligen von Melos 4 Die von Thukydides gestaltete Verhandlung umfasst bis zur Beschlussfassung der Melier 14 Beitrage der Athener und 13 der Melier wobei die Einlassungen der Athener auch an Lange ein leichtes Ubergewicht aufweisen 5 Die Erorterung behandelt neben Fragen von Macht und Recht im zwischenstaatlichen Verhaltnis auch die Chancen wohlwollender Neutralitat und entschlossenen Widerstands Recht und schone Worte Bearbeiten Angesichts der vorgefahrenen athenischen Streitkrafte zeigen sich die Melier von Anbeginn skeptisch mit ihren Rechtsgrunden durchdringen zu konnen und sehen fur sich am Ende nur die Wahl zwischen Krieg und Knechtschaft 6 Die Athener verzichten bei Thukydides explizit darauf mit schonen Worten 7 bzw mit endlosen und unglaubhaften Reden ihre Forderung zu begrunden etwa im Hinblick auf ihre Verdienste in den Perserkriegen Vielmehr heben sie geradewegs hervor die Melier wussten doch so gut wie sie selbst dass Recht in den menschlichen Verhaltnissen nur bei Gleichheit der Krafte zur Geltung komme dass aber ansonsten die Uberlegenen das Mogliche fur sich durchsetzten und die Schwacheren sich dem zu fugen hatten 8 Am Leben bleiben zum beiderseitigen Nutzen Bearbeiten Die Melier halten den Athenern die Leichtfertigkeit der Preisgabe des Rechts vor konnten doch auch einmal diese selbst wieder in die Lage kommen nach dem Verlust ihrer Machtposition auf rechtliches Denken und Handeln anderer angewiesen zu sein Dagegen zeigen sich die Athener von einem moglichen Machtverlust in der Zukunft wenig beeindruckt damit fertig zu werden moge man getrost ihnen uberlassen Hier und jetzt gehe es ihnen darum Melos zu erhalten um es sich zum Vorteil beider Seiten dienstbar zu machen Denn unterwurfen sich die Melier konnten die Athener ihre Streitmacht schonen die Melier aber blieben am Leben und behielten als Untertanen ihr Land 9 Umstrittene Neutralitat Bearbeiten Ob es den Athenern nicht genugen konne fragen die Melier dass Melos sich unter Wahrung eines freundlich neutralen Verhaltnisses zu ihnen keiner der beiden Kriegsparteien anschlosse Nein antworten die Athener denn die besagte Freundschaft liesse sie in ihrer Machtposition bei anderen als schwachlich erscheinen wahrend der Hass der Unterworfenen ihre Starke betone 10 Als die Melier darauf hinweisen dass die Athener mit einem solchen Vorgehen gegen Melos alle zu Feinden machen mussten die sich noch bis dato in dem Konflikt neutral gehalten hatten 11 heisst es seitens der Athener dass man von den unentschiedenen Festlandstadten diesbezuglich wenig zu furchten habe anders als im Seereich von den unterworfenen wie von den noch nicht unterworfenen Inseln wie Melos 12 Widerstand zwischen Hoffnung und Illusion Bearbeiten Die letztere Einschatzung der Athener in dem von Thukydides zusammengestellten Dialog bringt die Melier zu der Schlussfolgerung dass in einer Lage in der die Athener auf der einen und die von ihnen Unterworfenen auf der anderen Seite bereit seien gegeneinander das Ausserste zu wagen so ware es doch von uns noch Freien gar zu niedrig und feig nicht jeden Weg zu versuchen eh wir Sklaven werden 13 Auf irrefuhrende Hoffnungen halten die Athener dagegen sollten die Melier in ihrer Lage nicht setzen und tut es nicht den vielen gleich die statt auf Menschenwegen die noch mogliche Rettung zu ergreifen sobald in der Bedrangnis die klaren Hoffnungen sie verlassen auf die verschwommenen bauen Weissagung Gotterspruche und all dieses was mit Hoffnungen Unheil stiftet 14 Die Melier raumen ein dass sie den Kampf unter sehr nachteiligen Bedingungen aufnehmen mussten doch sei Zuversicht angesichts ihrer gerechten Sache und des gewiss zu erwartenden Beistands durch den Spartanischen Bund nicht unvernunftig Die Athener wiederum erklaren ihr Handeln fur ubereinstimmend mit den Gesetzen der menschlichen Natur und spotten uber den vermeintlichen Unverstand der Melier Wegen eurer Spartanerhoffnung aber die ihr hegt sie wurden um ihrer Ehre willen euch gewiss helfen da preisen wir euch selig fur euren Kinderglauben ohne eure Torheit euch zu neiden 15 Nach je drei weiteren Reden und Gegenreden zu den Beistandsperspektiven in einem Abwehrkampf der Melier gegen Athens Unterwerfungsverlangen endet die Verhandlung mit der Aufforderung der Athener bei dem anstehenden Beschluss mitzubedenken Wer seinesgleichen nicht nachgibt dem Starkeren wohl begegnet gegen den Schwacheren Mass halt der fahrt meist am besten So pruft also auch noch wahrend wir draussen warten und bedenkt wieder und wieder ihr beschliesst uber euer Vaterland dieses eine Vaterland und auf diesen einen Beschluss der treffen oder missglucken kann kommt es an 16 Untergang der Melier BearbeitenBelagerung von MelosTeil von Peloponnesischer KriegDatum 416 v Chr Ort Milos in der AgaisAusgang Versklavung der BevolkerungFolgen Sizilische ExpeditionKonfliktparteienAthen Chios Lesbos MelosBefehlshaberKleomedes Teisias PhilokratesTruppenstarke38 Schiffe 2 700 Hopliten 300 Schutzen 20 Berittene geringVerlustewenige Manner Hinrichtung aller erwachsenen Manner Nach der Beratung erklarten die melischen Oligarchen in einer kurzen Wiederaufnahme des Dialogs dass sie ihre seit 700 Jahren bestehende Freiheit nicht aufgeben sondern sich dem Beistand der Gotter und der Spartaner anvertrauen und einer Unterwerfung widersetzen wollten Die Athener begannen daraufhin mit der Belagerung der Stadt Sie hatten an eigenen Truppen 1 200 Hopliten 300 Schutzen und 20 Reiterschutzen ubergesetzt sowie von den Verbundeten 1 500 Schwerbewaffnete Die Feldherren Kleomedes und Teisias liessen den Ort zuerst mit einer Belagerungsmauer umschliessen und nachdem sie die Wachen eingeteilt hatten fuhren sie mit ihrer Hauptmacht wieder ab Bei zwei nachtlichen Ausfallen gelang es den Meliern einige von den Wachleuten zu toten und Getreidevorrate in die Stadt zu schaffen Die Hoffnungen der Belagerten auf spartanischen Entsatz zerschlugen sich jedoch und im Winter litt das Stadtchen schweren Hunger der in spateren Jahrhunderten sprichwortlich wurde melischer Hunger Nach dem zweiten Ausfall fuhrten die Athener die Belagerung wieder energischer und sandten ein neues Heer unter dem Befehl des Philokrates Da zuletzt auch noch Verrat hinzu kam ergab sich Melos schliesslich auf Gnade oder Ungnade Uber das Los der Gefangenen beschloss die Volksversammlung in Athen gemass dem Antrag des Alkibiades Thukydides widmet ihrem Schicksal wenige Satze Die Athener richteten alle erwachsenen Melier hin soweit sie in ihre Hand fielen die Frauen und Kinder verkauften sie in die Sklaverei Den Ort grundeten sie selber neu indem sie spater 500 attische Burger dort ansiedelten 17 Uber zehn Jahre spater nach der endgultigen Niederlage Athens im Peloponnesischen Krieg im Jahr 404 v Chr veranlasste Sparta die Ruckfuhrung der letzten uberlebenden Melier auf ihre Insel Rezeption BearbeitenManches von dem was uber Thukydides und sein Werk gesagt worden ist bezieht sich auf den Melierdialog oder schliesst ihn ein Jacob Burckhardt sah darin die vollstandigste Philosophie der Macht des Starkeren 18 Fur Friedrich Nietzsche war Thukydides der Menschen Denker einer Kultur der unbefangendsten Weltkenntnis und der Melierdialog das furchtbare Gesprach 19 Wolfgang Will nennt den Melierdialog einen zeitlosen Text der zu den wichtigen der Weltliteratur zahlt und nach knapp 2500 Jahren noch keine Altersspuren zeigt 20 Einfachen Deutungen aber entziehe er sich Athener und Melier sprechen unkommentiert und Thukydides sagt nicht welche Argumente er billigt und welche er verurteilt ob er das Geschehen als kriegsnotwendig akzeptiert oder kritisiert ob er die Partei der Unterlegenen ergreift oder sich seiner Heimatstadt verpflichtet sieht 21 Er maskiere seine Meinung indem er sie auf widerspruchliche Weise verschiedenen Personen in den Mund lege Thukydides legt nahe Schlusse zu ziehen aber er nimmt dem Leser die Arbeit nicht ab 22 Auch zeitgenossische Poeten hat der Text in seinen Bann gezogen so zum Beispiel Giannis Ritsos der 1969 den Gedichtband Milos geschleift herausbrachte oder Bob Dylan der sich in Chronicles Volume One davon beeinflusst zeigt 23 Simon Werle hat den Melierdialog als Grundlage in seinem Drama Die Invasion 2001 herangezogen Siehe auch BearbeitenPeloponnesischer Krieg Attischer Seebund Attische DemokratieUbersetzungen BearbeitenThukydides Der Peloponnesische Krieg Herausgegeben und ubersetzt von Georg Peter Landmann Dusseldorf Zurich Artemis und Winkler 2002 ISBN 3 7608 4103 1 Thukydides Der Peloponnesische Krieg Griechisch deutsch Ubersetzt von Michael Weissenberger Mit einer Einleitung von Antonios Rengakos de Gruyter Berlin Boston 2017 ISBN 978 3 11 037858 0 Literatur BearbeitenMichael G Seaman The Athenian Expedition to Melos in 416 B C in Historia 46 4 1997 S 385 418 Nicolas Stockhammer Die Dialektik politischer Macht Der Melierdialog im Lichte aktueller Machttheorien In Internationale Zeitschrift fur Philosophie IZPh 15 2006 S 23 43 ISSN 0942 3028 Wolfgang Will Der Untergang von Melos Machtpolitik im Urteil des Thukydides und einiger Zeitgenossen Habelt Bonn 2006 ISBN 3 7749 3441 X Die Studie behandelt die drei entscheidenden Jahre in der Geschichte der Grossmacht Athen von der gelungenen Eroberung von Melos bis zur misslungenen von Sizilien Wolfgang Will Herodot und Thukydides Die Geburt der Geschichte Beck Verlag Munchen 2015 S 217 227 zum Melier Dialog ISBN 978 3 534 26804 7 Weblinks BearbeitenSynopse von Egon Gottwein lateinisch griechisch deutsch Sixteenth Year of the War The Melian Conference Fate of Melos englisch Anmerkungen Bearbeiten Will 2015 S 217 Im uberlieferten Werk folgt der Bericht der Sizilienfahrt unmittelbar auf den Melier Dialog in der Werkgeschichte geht jener diesem voraus Thukydides hat die Unterredung der Athener und Melier erst nach 404 aufgezeichnet und mit den damals bereits fertigen Buchern sechs und sieben verbunden Ebenda S 218 Thukydides 1 22 Will 2015 S 219 Wenn unsere Worte sich schon nicht ans Volk richten sollen offenbar damit die Menge nicht in fortlaufender Rede von uns verlockende und unerwiesene Dinge in einem Zuge hort und damit betort wird denn dies meint doch merken wir wohl unsere Fuhrung vor den Adelsrat so geht doch ihr hier versammelten Manner noch behutsamer vor gebt eure Antwort Punkt fur Punkt auch ihr nicht in einer einzigen Rede sondern unterbrecht uns gleich sooft wir etwas sagen was euch nicht annehmbar scheint Thukydides 5 85 zitiert nach der Ubersetzung von Landmann Munchen 1991 S 434 Will 2015 S 220 Thukydides 5 85 111 Thukydides 5 86 altgriechisch kalὰ onomata Thukydides 5 89 Will 2015 S 221 Thukydides 5 90 93 Will 2015 S 222 So wurdet ihr ausser der Mehrung unserer Herrschaft uns auch noch Sicherheit bringen wenn ihr euch unterwerft und zumal als Insel und gar der schwacheren eine der Seemacht Athen nicht trotzt Thukydides 5 97 zitiert nach der Ubersetzung von Landmann Munchen 1991 S 434 Alle die namlich die jetzt noch keinem der Bunde zugehoren musst ihr sie euch nicht zu Feinden machen wenn sie dies hier mit ansehn und sich sagen einmal wurdet ihr auch gegen sie kommen Und was tut ihr damit anderes als dass ihr die bisherigen Feinde starkt und die die nicht daran dachten es zu werden gegen ihren Willen dazu bringt Thukydides 5 98 zitiert nach der Ubersetzung von Landmann Munchen 1991 S 434 Thukydides 5 99 Thukydides 5 100 zitiert nach der Ubersetzung von Landmann Munchen 1991 S 435 Thukydides 5 103 zitiert nach der Ubersetzung von Landmann Munchen 1991 S 435 f Thukydides 5 105 zitiert nach der Ubersetzung von Landmann Munchen 1991 S 436 Thukydides 5 111 zitiert nach der Ubersetzung von Landmann Munchen 1991 S 438 f Thukydides 5 116 zitiert nach der Ubersetzung von Landmann Munchen 1991 S 440 Zitiert nach Will 2015 S 217 Zitiert nach Will 2015 S 243 Will 2015 S 217 Will 2015 S 226 So erscheint dieser der Melierdialog als Rechtfertigung und Kritik des attischen Imperialismus als Angriff auf die spartanische Hegemonie oder allgemeine Verdammung brutaler Kriegfuhrung Ebenda S 227 Will 2015 S 227 Will 2015 S 244 f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Melierdialog amp oldid 227276857