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Der Begriff Massenpanik bezeichnet ein Ungluck mit einer grossen Zahl von Beteiligten auf engem Raum bei dem die raumliche Beengtheit mitursachlich fur den Verlauf des Unglucks ist Er legt die Vorstellung nahe dass eine Menschenmasse bei Grossveranstaltungen oder Schadensereignissen in Panik gerat und es zu unkontrollierten Fluchtbewegungen kommt Ursache einer Massenpanik konnen gefahrliche aussere Umstande wie ein Brand oder der Einsturz eines Gebaudes oder das Verhalten Einzelner innerhalb einer Menschenmasse sein Die Begriffe Massenunfall Massenungluck und Massenpanik werden in den Medien haufig synonym verwendet In vielen Landesgesetzen findet sich statt der Begriffe Massenunfall Massenungluck und Massenpanik der Begriff Grossschadenslage Die Konzepte vieler Katastrophenschutzbehorden sehen in einem solchen Grossschadensfall das Ausrufen eines sogenannten Massenanfalls von Verletzten MANV vor Eine Massenpanik tritt nur im Verlauf eines sehr geringen Anteils von Massenunglucken auf 1 Professor Dirk Helbing ein Physiker und Soziologe nannte den Begriff Massenpanik oft missverstandlich Eine Katastrophe passiere meist nicht weil Leute in einen Zustand psychologischer Panik verfallen Opfer seien das Resultat eines physikalischen nicht eines psychologischen Effekts Forscher bevorzugen deshalb die Begriffe crowd disaster und Massenungluck 2 Im ubertragenen Sinn gibt es Massenpaniken auch in Form von Verkaufslawinen an Wertpapiermarkten Borsenkrach und anderen Borsen zum Beispiel Rohstoffborsen und bei Schaltersturmen Massen von Kunden versuchen ihre Guthaben bei einer Bank abzuheben siehe z B Panik von 1907 Bei Herdentieren wie Rindern Antilopen und Schafen gibt es das Phanomen der Stampede das in seiner Dynamik ebenfalls Zuge der Massenpanik hat Die Deutung von stampedes als aus evolutionarer Sicht angepasstes Schutzverhalten in Gegenwart von Fressfeinden lasst sich nicht auf den Menschen ubertragen 1 Inhaltsverzeichnis 1 Gefuhlsansteckung 2 Kritik am Konzept Massenpanik 3 Empirische Untersuchungen 4 Todesursachen 5 Pravention 6 Siehe auch 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseGefuhlsansteckung BearbeitenEin theoretischer Ansatz erklart Massenpaniken durch Gefuhlsansteckung als Ausbreitung individueller Panik 3 Man unterscheidet Panikreaktionen in offenen Systemen geschlossenen Systemen oder in Flaschenhalssituationen Letztere ist die gefahrlichste Reaktion da hier die Erregung der Betroffenen am starksten ist In offenen Systemen sind Fluchtmoglichkeiten vorhanden in geschlossenen Systemen wie in Bergwerken sind entweder die Personenzahlen oder die Personendichten gering so dass es sich um individuelle Panik handelt 4 5 Kritik am Konzept Massenpanik BearbeitenDer Eindruck dass allein durch das Zusammenkommen grosser Zahlen von Menschen an einem Ort eine Panik ausgelost werden konnte ist empirisch nicht gesichert Sime 6 kritisiert dass der Begriff Panik fur Verhaltensweisen verwendet wird die aus der subjektiven Perspektive rational sind und nur bei einer ausseren Betrachtung mit zusatzlichen Informationen die dem Betroffenen in der Situation nicht zur Verfugung standen als irrational erscheint Auch die Vorstellung einer Massenseele Gustave Le Bon Psychologie der Massen 1895 oder Sigmund Freud Massenpsychologie und Ich Analyse 1921 ist umstritten 7 8 Anhand der Auswertung von Computersimulationen nannte der US amerikanische Geograf Paul Torrens die Vorstellung von der hysterischen Masse einen Mythos Die Masse konne einzelne Unruheherde sehr effektiv beruhigen Die Mehrheit durfe nur nicht versuchen einzugreifen sondern musse eine storende Gruppe moglichst ruhig umfliessen in so einem Verhalten zeigt sich die Weisheit der Masse Ungunstige Entwicklungen in Menschenmengen wurden in der Regel damit beginnen dass Einzelne die Korpersprache ihrer Neben und Vorderleute missdeuten und sich entsprechend verhalten Gleich einer Epidemie greife deren unruhiges Verhalten erst auf kleine Gruppen und schliesslich auf die grosse Masse uber was in Unglucksfallen zum Kollabieren der kollektiven Intelligenz fuhre Allerdings konne so Torrens kein Modell Katastrophenszenarien auch nur annahernd akkurat voraussagen vielmehr mussten Massnahmen der Pravention durchgefuhrt werden damit Personengruppen nicht die Orientierung verlieren Insbesondere Hinweisschilder welche die intuitive Wahrnehmung der Passanten ansprechen seien geeignet 9 Empirische Untersuchungen Bearbeiten nbsp Menschenmassen von Pilgern in SabarimalaDie Reaktion von Menschen in Gefahrensituationen wurde empirisch untersucht Es stellte sich heraus dass die meisten Menschen weder egoistisch noch unuberlegt reagieren 1 Nur etwa ein Prozent aller Menschen neigt in Notsituationen zu panikartigem irrationalem Verhalten 10 Michael Schreckenberg hatte nach einer Analyse von 127 Fallen Panik als Ursache von Katastrophen ausgeschlossen Vielmehr seien physikalische Prozesse ursachlich zwar herrschen Instinkte vor und der Organismus ist nur noch darauf ausgerichtet sein Leben zu erhalten aber Fluchtende folgten vorhersagbaren Regeln Auf etwa zehn Personen komme ungefahr ein Anfuhrer der eine Leitfigur darstellt Weitere zehn Prozent die Sensiblen laufen bei kleinsten Gefahren los Die restlichen 80 Prozent seien diejenigen die blind der Masse folgten Zudem liefen Menschen die in einer Masse fliehen welche plotzlich ins Stocken gerat nahezu exakt nach 15 Sekunden in eine andere Richtung 11 Massenpaniken mit hohen Opferzahlen kommen vor allem in Fussballstadien bei religiosen Grossereignissen oder bei Branden in Diskotheken sowie Nachtklubs vor Sie entwickeln sich relativ selten und unter speziellen Voraussetzungen Neben der Gefahr durch toxische Rauchgase bestehen die Gefahren der Asphyxie durch die Kompression des Thorax der Quetschung oder des Niedertrampelns Helbing et al 2000 definieren folgende charakteristische Vorgange bei einer Massenpanik Personen bewegen sich infolge von Panik deutlich schneller als in normalen Situationen was zu Schubsen und Stossen und insbesondere an Engstellen zu unkoordiniertem Verhalten fuhrt Personen werden durch die Stauwirkung eingeklemmt der Druck kann bis zu 4450 N m betragen was unter Umstanden bis zum Einsturzen von Mauerwerk fuhren kann Verletzte und am Boden Liegende stellen zudem ein weiteres Hindernis fur Fluchtende dar durch den Herdentrieb Massenpsychologie orientieren sich die Betroffenen an dem Verhalten der anderen Andere Ausgange oder Fluchtwege konnen so leicht ubersehen werden 12 Personenstromanalysen ergaben zudem dass rund 80 Prozent aller Menschen im Notfall instinktiv jenen vertrauten Weg als Fluchtweg wahlen den sie zuvor gekommen sind egal ob er langer oder riskanter ist als der nachstgelegene markierte aber unbekannte Fluchtweg 10 Daher sollten bei Veranstaltungen Eingangsbereiche entsprechend gross dimensioniert oder schon vorab mehrere Einlasse konzipiert werden wie es beispielsweise bei Fussballstadien der Fall ist Todesursachen BearbeitenDie Haupttodesursache bei einer Massenpanik ist eine traumatische Asphyxie speziell eine Kompressionsasphyxie Dabei fuhrt die extreme Enge in der Menschenmenge dazu dass sich der Brustkorb nicht mehr in dem Masse ausdehnen kann wie es fur das Atmen erforderlich ist 13 14 Pravention BearbeitenStarkes Gedrange oder Katastrophen mit vielen Beteiligten konnen eine Massenpanik auslosen die mit unkontrollierter Angst und massiven Fluchtbewegungen einhergeht In einer solchen Situation gibt es nur wenige Interventionsmoglichkeiten Die grossten Einflussmoglichkeiten bestehen in der Entstehungsphase oder davor Wichtig sind gezielte klare haufige regelmassige und strukturierte Aufforderungen und Informationen Dies kann z B durch Lautsprecherdurchsagen oder durch Ablaufe geschehen die Gelassenheit demonstrieren z B Fortsetzung der Veranstaltung wie eines Fussballspiels Auch Aufmerksamkeit erweckende Interventionen z B ein schriller Pfeifton oder das Stellen einfacher Aufgaben konnen eine panische Menge erreichen z B Achten Sie auf Kinder Entscheidend sei es Kommunikation wieder herzustellen und die Selbstkompetenz des Einzelnen zu aktivieren Die Verantwortlichen sollten bei einer Massenpanik sachlich und nuchtern wirken Ihre Informationen sollten klar eindeutig und wahrheitsgemass sein Mit den beschriebenen Interventionen konne es gelingen die Erregung der Betroffenen zu dampfen Die Auseinandersetzung mit moglichen Katastrophen Simulation bereitet die Verantwortlichen darauf vor auf plotzliche Ereignisse zu reagieren 15 Ein Aufruf an eine Menschenmasse sollte vier Punkte umfassen um einen moglichst hohen Befolgungsgrad zu erzielen 10 Aufmerksamkeitssignal Gefahrenhinweis Handlungsanweisung Erklarung der KonsequenzenEine Reihe von individuellen Handlungsempfehlungen gibt Clarke 1 16 17 Siehe auch BearbeitenMassenhysterie Rettungsweg Panikfalle EN 1125 Flucht und Rettungsplan Crowdmanager StampedeLiteratur BearbeitenThomas Brudermann Massenpsychologie Psychologische Ansteckung Kollektive Dynamiken Simulationsmodelle Springer Verlag Wien New York 2010 ISBN 978 3 211 99760 4 Gerd Motzke Verkehrssicherheit in Fussballstadien Forderungen der Panikforschung an der Schnittstelle zwischen Bauordnungsrecht und Privatrecht mit Auswirkungen auf die Planung In Neue Zeitschrift fur Baurecht und Vergaberecht Bd 5 2004 6 S 297 303 Frank Gerald Pajonk u B Coellen Massenphanomene bei Grossschadensereignissen Panik als seltene Erscheinungsform In Der Notarzt 2002 18 S 146 151 doi 10 1055 S 2002 33303 Fritz Stiebitz Polizeieinsatze in Fussballstadien 1 Aufl Verlagsanstalt Deutsche Polizei Hilden Rhld 1979 ISBN 3 8011 0100 2 94 S Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Massenpanik Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Verhalten bei Massenpanik Bruce Schneier On the Myth of Panic Paniksimulation Seite ungarischer Forscher zum Thema Tunnelblick und Herdentrieb Was passiert bei Massenpanik RTF 10 Deadliest Stampedes in History J Fruin Causes and Prevention of Crowd Disasters Uberblick uber MassenungluckeEinzelnachweise Bearbeiten a b c d L Clarke Panic Myth or Reality Memento vom 17 Februar 2006 im Internet Archive Contexts Magazine Was sind crowd dynamics jetzt de 22 Juli 2011 B de Gelder J Snyder D Greve G Gerard N Hadjikhani Fear fosters flight A mechanism for fear contagion when perceiving emotion expressed by a whole body Proc In Natl Acad Sci 2004 101 S 16701 16706 Frank Lasogga Bernd Gasch Notfallpsychologie Lehrbuch fur die Praxis Springer Berlin 2007 S 439 in der Google Buchsuche Thomas Luiz Christian K Lackner Hanno Peter Jorg Schmidt Medizinische Gefahrenabwehr Katastrophenmedizin und Krisenmanagement im Bevolkerungsschutz Elsevier Munchen S 263 in der Google Buchsuche J Sime The concept of panic In D Canter Hrsg Fires and Human Behavior 1981 Peter R Hofstatter Gruppendynamik Kritik der Massenpsychologie Rowohlt Reinbek 1990 Hier wird vor allem Le Bons Deindividuationstheorie kritisiert E L Quarantelli The Sociology of Panic Memento vom 18 Mai 2006 im Internet Archive PDF In Smelser Baltes Hrsg International Encyclopedia of the Social amp Behavioral Sciences 2001 Frank Thadeusz Weisheit der Menge In Der Spiegel Nr 19 2009 S 142 online a b c Andreas Hussak Mythos Massenpanik In KOMMUNAL Osterreichischer Gemeindebund Juli 2018 abgerufen am 20 Dezember 2018 Gerald Traufetter Geordnet in den Untergang In Der Spiegel Nr 41 2008 S 166 online Dirk Helbing Illes Farkas Tamas Vicsek Simulating dynamical features of escape panic In Nature Jg 407 H 6803 S 487 490 2000 09 28 print Crowd disaster In gkstill com Warum es zu Herzstillstanden bei Opfern von Massenpaniken kommt In correctiv org Verhalten bei Massenpanik nach F G Pajonk u a Massenphanomene bei Grossschadensereignissen Panik als seltene Erscheinungsform In Der Notarzt 2002 18 S 146 151 Larry P Perkins Crowd Safety and Survival Lulu Press Morrisville NC 2004 Weitere Hinweise finden sich unter crowdsafe com Memento vom 1 Juni 2013 im Internet Archive Ein Onlinejournal zum Thema befindet sich unter crowdsafetymanagement co uk Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Massenpanik amp oldid 237740935