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Deindividuation bezeichnet das Phanomen dass ein Individuum wenn es sich in einer bestimmten Situation in einer Gruppe befindet weniger stark entsprechend den gesellschaftlichen Verhaltenseinschrankungen handelt als wenn es alleine in der Situation ist Inhaltsverzeichnis 1 Definition 2 Bedingungen der Deindividuation 3 Zwei Faktoren der Deindividuation fuhren zu impulsivem Verhalten 4 Historie 5 Neuere Theorien 5 1 Das SIDE Modell 5 2 Praktische Anwendung des SIDE Modells 6 LiteraturDefinition BearbeitenDie Sozialpsychologen Aronson Wilson und Akert definieren die Deindividuation als ein Lockern der normalen Verhaltenseinschrankungen beim Einzelnen wenn er sich in einer Gruppe befindet wobei es vermehrt zu impulsiven und von der gesellschaftlichen Norm abweichenden Handlungen kommt Das Individuum vollzieht somit in der Gruppe Handlungen die es alleine nicht ausuben wurde Gewalttatige Ausschreitungen von Gruppen von Hooligans bei Fussballspielen konnen durch dieses Phanomen erklart werden auch die gewalttatige Bewegung des Ku Klux Klan wird so verstandlicher Die im Dezember 2003 aufgenommenen Bilder von Folterungen und Misshandlungen irakischer Gefangener im Abu Ghuraib Gefangnis zeugen von einer Deindividuation wie Philip Zimbardo 1971 im Stanford Prison Experiment zeigen konnte Zimbardo definiert Deindividuation als einen Zustand der sich auszeichnet durch eine geschwachte Verhaltenskontrolle geschwachte rationale und normative Urteilsprozesse verringerte Bewertungsangstund in der Folge eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit im Widerspruch mit Normen zu handeln Bedingungen der Deindividuation BearbeitenAnonymitat Robert Watson untersuchte 1973 das Verhalten von Kriegern gegenuber Kriegsgefangenen und stellte fest dass Krieger die mit Kriegsbemalung und somit anonymisiert in den Kampf zogen signifikant ofter Kriegsgefangene toteten verstummelten oder folterten Rehm Steinleitner und Lilli untersuchten 1987 den Einfluss der Anonymisierung durch Uniformen auf das Verantwortungsbewusstsein bzw die Aggressivitat und fanden auch hier deutlich aggressiveres Verhalten unter der anonymisierten Bedingung Verantwortungsdiffusion Bezeichnet das Phanomen dass bei jedem Zuschauer das Verantwortungsgefuhl abnimmt je mehr Zeugen es gibt Wie die Deindividuation zu verringertem Verantwortungsgefuhl fuhrt ist naher unter Faktoren der Deindividuation erlautert Gruppengrosse Brian Mullen analysierte 1986 60 Ubergriffe von Ku Klux Klan Anhangern auf Amerikaner mit afrikanischer Herkunft und stellte fest dass die Ermordungen der Opfer umso brutaler und grausamer waren je grosser die Gruppe von Anhangern war Die Deindividuation korreliert also positiv mit der Gruppengrosse Zimbardo 1969 Zwei Faktoren der Deindividuation fuhren zu impulsivem Verhalten BearbeitenVerringertes Verantwortungsgefuhl Die Wahrscheinlichkeit in der Gruppe entdeckt zu werden und zur Rechenschaft gezogen werden zu konnen ist sehr gering daher sinkt das Verantwortungsbewusstsein des Individuums fur die eigenen Handlungen Durch die Bewusstmachung der eigenen Identitat wird somit das Verantwortungsbewusstsein fur die eigenen Handlungen wieder gestarkt Diener 1980 Postmes amp Spears 1998 Zimbardo 1970 Starkung der Gruppennorm Deindividuation verstarkt das Festhalten an der Gruppennorm diese kann von den Normen und Regeln anderer Gruppen abweichen Es konnen aber auch die Normen der Gesellschaft sein die starker befolgt werden wodurch Deindividuation nicht zwangslaufig zu aggressiverem und antisozialem Verhalten fuhren muss Das gezeigte Verhalten ist von den in der Gruppe akzeptierten Normen abhangig Gergen Gergen amp Barton 1973 Johnson amp Dowing 1979 Historie BearbeitenBereits Scipio Sighele 1891 und Gustave LeBon 1895 postulierten dass sich das Verhalten von Menschen in grossen Gruppen verandert Sigheles Interesse war kriminologischer Art Er ging davon aus dass der einzelne in der Masse sein Bewusstsein verandere und daher nur begrenzt fur sein Handeln verantwortlich sei Der Arzt und Soziologie Gustave LeBon interessierte sich mehr fur die Prozesse die fur die Veranderung des Verhaltens verantwortlich sind und postulierte dass hohere psychische Prozesse in der Masse geschwacht und niedrigere gestarkt wurden Das Resultat sei dass die Masse als Ganzes dummer sei als die Individuen im Durchschnitt Neuere Theorien BearbeitenDas SIDE Modell Bearbeiten Die globale Idee dass in der Masse eine Entmenschlichung stattfande und daher das Aggressionspotenzial in Massen erhoht sei wird in der modernen Sozialpsychologie nicht mehr vertreten Ein neuerer Ansatz zur Erklarung der Deindividuation ist das social identity model of deindividuation effects SIDE von Reicher Spears und Postmes 1995 Im SIDE wird davon ausgegangen dass Deindividuation eine Art von Depersonalisation im Sinne von Selbstkategorisierungsprozessen Turner et al 1987 ist Die Selbstkategorisierungstheorie beinhaltet dass das Selbst in hierarchischer Art kategorisiert ist und soziale Identitaten abhangig von den situativen und sozialen Bedingungen salient werden Somit verhalt sich ein Individuum in einer bestimmten Situation den Regeln der Gruppe entsprechend in der es auftritt Ausserdem basiert das SIDE Modell auf der Theorie der sozialen Identitat da Individuen sich uber ihre Gruppenzugehorigkeit durch den sozialen Vergleich definieren wenn eine Out Group auftritt Es wird folgendermassen argumentiert In einer Gruppe mit der man sich identifiziert finden Selbstkategorisierungsprozesse durch Vergleiche auf intergruppaler Ebene statt Man vergleicht sich nicht selbst mit anderen Individuen personelle Identitat sondern die Eigengruppe mit Fremdgruppen soziale Identitat Dadurch wird die soziale Identitat Gruppenzugehorigkeit zu z B ethnischen Gruppen Alters und Berufsgruppen salient Das bedeutet dass man sich selbst uber die Zugehorigkeit zu der entsprechenden Gruppe und den Vergleich dieser Gruppe mit Fremdgruppen definiert Daher wird das Verhalten starker an Gruppennormen orientiert als an individuellen Normen Die Folge ist dass in der Gruppe kein Verhalten gefordert wird das den Normen widerspricht sondern schlicht andere Normen salient werden und das Verhalten beeinflussen Minimal Group Paradigma Somit kann es durch Deindividuation zu sozial reguliertem Verhalten kommen diesen Anstieg des normativen Verhaltens zeigen viele Experimente bezuglich der Deindividuation Neben dem Minimal Group Paradigma wurde auch die Computer basierte Kommunikation bezuglich der daraus resultierenden Deindividuation als Erweiterung des SIDE Modells untersucht Gruppendiskussionen anhand von Computern fuhren zu extremeren Meinungspolarisationen als Gruppendiskussionen die nicht Computer gestutzt durchgefuhrt werden Kiesler Siegel amp McGuire 1984 Siegel et al 1986 Die These dass die Diskussion mittels Computer die Anonymitat steigert konnte belegt werden Praktische Anwendung des SIDE Modells Bearbeiten Diese Theorie des SIDE Modells stimmt mit der Realitat besser uberein als die alteren Annahmen zu Masseneffekten da nicht jede Gruppe per se aggressiv ist man denke z B an eine Kirchenchorgruppe Durch die Normen der Gruppe kann aggressives Verhalten sogar reduziert werden Dies ist auch ein Ansatz der Sozialarbeit mit Vereins Fangruppen sie auf langere Sicht auf ein friedlicheres Verhalten zu programmieren indem man mit ihnen als Gruppe veranderte soziale Regeln einubt Literatur BearbeitenS Otten A Mummendey Sozialpsychologische Theorien aggressiven Verhaltens In Dieter Frey Marlene Irle Hrsg Gruppen Interaktions und Lerntheorien Huber Bern 2002 ISBN 3 456 83513 2 Theorien der Sozialpsychologie Band 2 Helmut E Luck Geschichte der Psychologie Stromungen Schulen Entwicklungen Kohlhammer Stuttgart 1992 ISBN 3 17 014199 6 S D Reicher R Spears T Postmes A social identity model of deindividuation phenomena In European Review of Social Psychology 6 1995 S 161 198 E Aronson T Wilson R Akert Sozialpsychologie 4 Auflage Pearson Munchen 2004 ISBN 3 8273 7084 1 S 330 333 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Deindividuation amp oldid 225305370