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Unter Leitungsgleichung oder Leitungsgleichungen kurz fur Telegraphenleitungsgleichung bzw Telegraphenleitungsgleichungen alternativ Telegrafengleichung bzw Telegrafengleichungen versteht man in der Elektrotechnik ein System gekoppelter partieller Differentialgleichungen erster Ordnung das die Ausbreitung von Strom und Spannung auf einer langen geraden zweiadrigen zweipoligen Leitung beschreibt Die Leitungstheorie beschaftigt sich mit der Analyse von Leitungen indem sie diese Leitungsgleichungen mit verschiedenen den jeweiligen Randbedingungen angepassten mathematischen Methoden lost Inhaltsverzeichnis 1 Allgemeines 2 Das Gleichungssystem im Detail 2 1 Allgemeine Form und charakteristische Grossen 2 2 Motivation der Gleichungen 3 Entkopplung des Systems 4 Losung der Telegrafengleichung 5 Wellenwiderstand und Reflektivitat 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseAllgemeines BearbeitenBringt man stromfuhrende Leitungen im Folgenden als Adern bezeichnet in raumliche Nahe zueinander fasst sie sogar in einem Kabel zusammen oder hat eine Leitung einen hinreichend grossen Querschnitt so zeigen sich Effekte die bei dunnen raumlich voneinander getrennten Leitungen vernachlassigbar klein sind Die Adern bilden Kapazitaten gegeneinander aus vgl die Analogie zum Plattenkondensator Sie zeigen induktive Eigenschaften Sind die Adern nicht ideal gegeneinander isoliert treten Querleitverluste auf also ein i d R unerwunschter Stromfluss zwischen den Adern Mit Hilfe der Telegrafengleichungen lassen sich zweiadrige Leitungen beschreiben also Kabel die zwei stromfuhrende Drahte aufweisen Der einfachste Fall einer solchen Leitung ist die sogenannte Lecher Leitung Hierbei handelt es sich um zwei parallele Drahte endlicher Dicke die gegeneinander isoliert in einem Kabel gefuhrt werden und spater als Telegrafenleitungen Verwendung fanden In der Technik finden auch kompliziertere Leitungen als die Lecher Leitung Verwendung wie etwa die Koaxialleitung die bei vielen Hochfrequenzanwendungen und in der modernen Messelektronik eine grosse Rolle spielen Eine Ader der Koaxialleitung ist ein Hohlzylinder die sogenannte aussere Ader entlang dessen Achse die zweite ebenfalls zylinderformige und durch einen Isolator von der ausseren Leitung getrennte innere Ader auch Seele gefuhrt wird Historisch gesehen wurde die Leitungsgleichung massgeblich von Oliver Heaviside fur die Analyse von Problemen mit langen Telegrafenleitungen die unter Wasser verlegt wurden entwickelt 1 vgl Artikel Seekabel Es mag zunachst erstaunen dass diese Leitungen uber nur ein stromfuhrendes Kabel also im Prinzip nur uber eine Ader verfugten Da als Ruckleiter jedoch das Meerwasser diente lasst sich das System Ozean Kabel als eine Leitung mit zwei Adern auffassen und mit der hier thematisierten Telegrafenleitungsgleichung beschreiben Das Gleichungssystem im Detail BearbeitenAllgemeine Form und charakteristische Grossen Bearbeiten Im Falle einer hinreichend geraden Leitung die sich in x displaystyle x nbsp Richtung erstreckt ist das System der Telegrafengleichungen durch U x t x L x I x t t R x I x t I x t x G x U x t C x U x t t displaystyle begin alignedat 2 frac partial U x t partial x amp L x frac partial I x t partial t amp amp R x I x t frac partial I x t partial x amp G x U x t amp amp C x frac partial U x t partial t end alignedat nbsp gegeben Die Funktionen R displaystyle R nbsp L displaystyle L nbsp G displaystyle G nbsp und C displaystyle C nbsp sind im Allgemeinen Funktionen des Ortes Fur den Normalfall der homogenen Leitungen sind sie ortsunabhangig und damit charakteristische Konstanten der Leitung die Leitungsbelage auch als primare Leitungskonstanten bezeichnet R heisst Widerstandsbelag und gibt den ohmschen Widerstand der Leitung pro Langeneinheit an C heisst Kapazitatsbelag und gibt die Kapazitat der Leitung pro Langeneinheit an L heisst Induktivitatsbelag und gibt die Induktivitat der Leitung pro Langeneinheit an G heisst Ableitungsbelag und gibt den Leitwert pro Langeneinheit zwischen den beiden stromfuhrenden Adern an Motivation der Gleichungen Bearbeiten nbsp Abbildung 1 Das zweite Argument der Funktionen U und I die Zeit t wurde in der Darstellung der Ubersicht halber unterdrucktDie Telegrafengleichungen lassen sich aus den elementaren Gesetzen der Elektrotechnik namlich der Knoten und der Maschenregel herleiten wenn man sich die gesamte Leitung aus kleineren Einheiten der Lange D x displaystyle Delta x nbsp mit einer inneren Schaltungsstruktur aufgebaut denkt Da die Herleitung aus mathematischer Sicht allerdings nicht als streng zu bezeichnen ist ist dieser Abschnitt mit Motivation der Gleichung und nicht mit Herleitung uberschrieben Der innere Aufbau eines solchen Leitungssegmentes ist in Abbildung 1 dargestellt Die Kapazitat des Leitungsstucks wird durch einen Kondensator der Kapazitat C C x D x displaystyle C C x Delta x nbsp zusammengefasst sein ohmscher Widerstand in einem einzelnen ohmschen Bauelement mit dem Widerstandswert R R x D x displaystyle R R x Delta x nbsp seine Induktivitat entsprechend mit einer Spule der Selbstinduktivitat L L x D x displaystyle L L x Delta x nbsp Querleitverluste werden durch einen Querwiderstand zwischen den beiden Adern modelliert Dieser ohmsche Widerstand mit meist sehr geringem Leitwert G G x D x displaystyle G G x Delta x nbsp steht fur den Isolator der die Adern der Leitung voneinander trennt Wendet man die Maschenregel auf diejenige Masche an die nur die Spannung U x t displaystyle U x t nbsp die Spule den ohmschen Widerstand R displaystyle R nbsp und die Spannung U x D x t displaystyle U x Delta x t nbsp enthalt so erhalten wir unter Beachtung der Vorzeichen U x D x t U x t R I x D x t L I x D x t t 0 displaystyle U x Delta x t U x t RI x Delta x t L frac partial I x Delta x t partial t 0 nbsp Setzen wir nun L L x D x displaystyle L L x Delta x nbsp sowie R R x D x displaystyle R R x Delta x nbsp in die Gleichung ein so sehen wir U x D x t U x t R D x I x D x t L D x I x D x t t displaystyle U x Delta x t U x t R Delta xI x Delta x t L Delta x frac partial I x Delta x t partial t nbsp Ist D x displaystyle Delta x nbsp hinreichend klein so gilt U x D x t U x t U x t x D x displaystyle U x Delta x t U x t frac partial U x t partial x Delta x nbsp und es ergibt sich U x t x D x R D x I x D x t L D x I x D x t t displaystyle frac partial U x t partial x Delta x R Delta xI x Delta x t L Delta x frac partial I x Delta x t partial t nbsp Wir dividieren durch D x displaystyle Delta x nbsp und bekommen U x t x R I x D x t L I x D x t t displaystyle frac partial U x t partial x R I x Delta x t L frac partial I x Delta x t partial t nbsp Nun gilt ausserdem I x D x t I x t I x t x D x displaystyle I x Delta x t I x t frac partial I x t partial x Delta x nbsp sowie I x D x t t I t x t 2 I x t x t D x displaystyle frac partial I x Delta x t partial t frac partial I partial t x t frac partial 2 I x t partial x partial t Delta x nbsp Fur kleine D x displaystyle Delta x nbsp also fur D x 0 displaystyle Delta x rightarrow 0 nbsp gehen diese Ausdrucke uber in I x t displaystyle I x t nbsp bzw I x t t displaystyle partial I x t partial t nbsp Einsetzen liefert die Gleichung U x t x R I x t L I x t t displaystyle frac partial U x t partial x R I x t L frac partial I x t partial t nbsp was die erste der beiden Telegrafengleichungen darstellt Aus der Knotenregel erhalten wir die Gleichung I x D x t I x t G U x t C U x t t displaystyle I x Delta x t I x t GU x t C frac partial U x t partial t nbsp Einsetzen von I x D x t I x t I x t x D x displaystyle I x Delta x t I x t frac partial I x t partial x Delta x nbsp sowie G G x D x displaystyle G G x Delta x nbsp und C C x D x displaystyle C C x Delta x nbsp liefert nach anschliessender Division durch D x displaystyle Delta x nbsp die zweite Telegrafengleichung I x t x G U x t C U x t t displaystyle frac partial I x t partial x G U x t C frac partial U x t partial t nbsp Die Konsistenz des Modells konnte man durch die beiden Querleitverbindungen gefahrdet sehen da es reine Willkur ist an welcher Stelle der Schaltung sie in das Modell eines Leitungssegmentes einzubringen sind Schliesslich stellen diese Verbindungen letztlich Zusammenfassungen von Prozessen dar die an sich kontinuierlicher Natur sind So konnten wir die Querleitverbindung die den Kondensator enthalt auch zwischen den ohmschen Widerstand R displaystyle R nbsp und die Spule L displaystyle L nbsp schalten Da die Herleitung aber nicht von der konkreten Position der Querverbindungen abhangt fur die Knotenregel ist allein die Existenz der Verbindungen notwendig die Maschenregel wurde auf eine Masche angewandt die die beiden Querverbindungen nicht enthalt ist das Modell in diesem Sinne selbstkonsistent Entkopplung des Systems BearbeitenIm Falle konstanter Belage lasst sich das System der Telegrafengleichungen entkoppeln Dazu ist die erste Gleichung einmal partiell nach dem Ort x displaystyle x nbsp abzuleiten die zweite Gleichung nach der Zeit t displaystyle t nbsp Die dadurch entstandene zweite Gleichung lasst sich wegen der Vertauschbarkeit partieller Ableitungen in die erste einsetzen und man erhalt fur Strom und Spannung jeweils eine eigene Differenzialgleichung 2 U x t x 2 L C 2 U x t t 2 L G R C U x t t R G U x t displaystyle frac partial 2 U x t partial x 2 L C frac partial 2 U x t partial t 2 L G R C frac partial U x t partial t R G U x t nbsp und 2 I x t x 2 L C 2 I x t t 2 L G R C I x t t R G I x t displaystyle frac partial 2 I x t partial x 2 L C frac partial 2 I x t partial t 2 L G R C frac partial I x t partial t R G I x t nbsp Man beachte allerdings dass diese beiden Gleichungen nicht mehr aquivalent zu dem Ausgangssystem sind da die Bildung der partiellen Ableitung keine Aquivalenzumformung darstellt Zwar ist jede Losung der Telegrafengleichung auch Losung der entkoppelten Gleichungen aber nicht jede Losung der entkoppelten Gleichungen muss auch eine Losung der Telegrafengleichung sein Dennoch kann man aus den entkoppelten Gleichungen Informationen gewinnen Bei den entkoppelten Gleichungen handelt es sich um Wellengleichungen Da sich die Losungen der Telegrafengleichung aber unter denen der entkoppelten Gleichungen befinden erwarten wir also wellenformige Spannungs und Stromverlaufe als Losungen der Telegrafengleichung Losung der Telegrafengleichung BearbeitenIm Falle konstanter Belage und dem Betrieb der Leitung mit stationaren sinusformigen Signalen lasst sich die Telegrafengleichung durch den Ansatz ebener Wellen losen U x t u 0 e j w t g x I x t i 0 e j W t G x displaystyle begin aligned U x t amp u 0 e j omega t gamma x I x t amp i 0 e j Omega t Gamma x end aligned nbsp Dabei lassen wir zu dass g displaystyle gamma nbsp und G displaystyle Gamma nbsp komplexe Zahlen sind Setzt man diese ebenen Wellen in die Telegrafengleichung ein sieht man dass die Losungen nur dann fur beliebige Zeiten t displaystyle t nbsp gelten konnen wenn w W displaystyle omega Omega nbsp gilt Ebenso kann die Losung nur dann fur beliebige x displaystyle x nbsp gelten wenn g G displaystyle gamma Gamma nbsp ist Weiterhin findet man durch Einsetzen des Ansatzes in die Telegrafengleichung dass die Amplituden u 0 displaystyle u 0 nbsp und i 0 displaystyle i 0 nbsp Losung des linearen homogenen Gleichungssystems g u 0 L j w R i 0 0 C j w G u 0 g i 0 0 displaystyle begin aligned gamma u 0 L j omega R i 0 amp 0 C j omega G u 0 gamma i 0 amp 0 end aligned nbsp sind Dieses besitzt aber nur dann nicht triviale Losungen wenn die Determinante der Koeffizientenmatrix verschwindet det g L j w R C j w G g 0 displaystyle det begin pmatrix gamma amp L j omega R C j omega G amp gamma end pmatrix 0 nbsp was genau dann der Fall ist wenn g displaystyle gamma nbsp der Gleichung g 2 R j w L G j w C g R j w L G j w C displaystyle gamma 2 R j omega L G j omega C Leftrightarrow gamma pm sqrt R j omega L G j omega C nbsp genugt Da die Telegrafengleichung linear ist ist die Summe zweier Losungen wieder eine Losung Superpositionsprinzip so dass wir als allgemeinste Losung die wir aus dem Ansatz ebener Wellen gewinnen konnen festhalten U x t u 1 e j w t g x u 2 e j w t g x I x t i 1 e j w t g x i 2 e j w t g x displaystyle begin aligned U x t amp u 1 e j omega t gamma x u 2 e j omega t gamma x I x t amp i 1 e j omega t gamma x i 2 e j omega t gamma x end aligned nbsp mit g R j w L G j w C displaystyle gamma sqrt R j omega L G j omega C nbsp g displaystyle gamma nbsp heisst auch komplexe Ubertragungskonstante oder Fortpflanzungskonstante Wellenwiderstand und Reflektivitat BearbeitenIm Falle konstanter Belage und einer verlustfreien Leitung d h R 0 displaystyle R 0 nbsp G 0 displaystyle G 0 nbsp lasst sich durch Einsetzen zeigen dass eine Spannung der Form U x t u 1 e j w t g x u 2 e j w t g x displaystyle U x t u 1 e j omega t gamma x u 2 e j omega t gamma x nbsp stets einen Strom der Form I x t u 1 Z 0 e j w t g x u 2 Z 0 e j w t g x displaystyle I x t frac u 1 Z 0 e j omega t gamma x frac u 2 Z 0 e j omega t gamma x nbsp mit Z 0 L C displaystyle Z 0 sqrt frac L C nbsp zur Folge hat Da der Scheitelwert des Stroms i 0 displaystyle i 0 nbsp und der der Spannung u 0 displaystyle u 0 nbsp gegeben durch u 0 u 1 2 u 2 2 i 0 u 1 Z 0 2 u 2 Z 0 2 displaystyle begin aligned u 0 amp sqrt u 1 2 u 2 2 i 0 amp sqrt left frac u 1 Z 0 right 2 left frac u 2 Z 0 right 2 end aligned nbsp uber die Beziehung u 0 i 0 Z 0 displaystyle frac u 0 i 0 Z 0 nbsp verbunden sind die sehr an das ohmsche Gesetz erinnert nennt man Z 0 displaystyle Z 0 nbsp den Wellenwiderstand der Leitung Um den Begriff der Reflektivitat zu verstehen betrachten wir noch einmal die obige Darstellung des Spannungsverlaufs Da die Leitung verlustfrei ist vereinfacht sich die komplexe Ubertragungskonstante zu g j w L C displaystyle gamma j omega sqrt L C nbsp der nbsp Abbildung 2 Leitung mit komplexen Widerstand abgeschlossen Spannungsverlauf ist also eine Uberlagerung zweier ebener Wellen und zwar einer Welle mit Wellenvektor k 1 w L C displaystyle k 1 omega sqrt L C nbsp im Folgenden hinlaufende Welle genannt und einer Welle mit Wellenvektor k 2 w L C displaystyle k 2 omega sqrt L C nbsp rucklaufende Welle Die erste dieser beiden Wellen lauft in x displaystyle x nbsp Richtung die zweite Welle gegen die x displaystyle x nbsp Richtung Fuhrt man den Anteil der rucklaufenden Welle in der Gesamtwelle auf die Reflexion eines Teiles der hinlaufenden Welle am Ende der Leitung zuruck so gibt das Verhaltnis r u 2 u 1 displaystyle r frac u 2 u 1 nbsp gerade den Bruchteil der einlaufenden Welle an der am Ende der Leitung reflektiert wurde Man nennt r displaystyle r nbsp daher die Reflektivitat der Leitung Man beachte dabei dass u 1 displaystyle u 1 nbsp die Amplitude der Welle mit Wellenvektor w L C displaystyle omega sqrt L C nbsp also die Amplitude der hinlaufenden Welle ist und u 2 displaystyle u 2 nbsp die Amplitude der Welle mit Wellenvektor w L C displaystyle omega sqrt L C nbsp also der rucklaufenden Welle darstellt Man kann nun zeigen dass die Reflektivitat einer mit einem komplexen Widerstand Z displaystyle Z nbsp abgeschlossenen Leitung Abbildung 2 uber r Z Z 0 Z Z 0 displaystyle r frac Z Z 0 Z Z 0 nbsp berechnet werden kann Den Grenzfall einer offenen Leitung erhalten wir aus der Auswertung des Grenzwertes von r displaystyle r nbsp fur Z displaystyle left Z right rightarrow infty nbsp Es ergibt sich r 1 displaystyle r 1 nbsp die gesamte Welle wird also ohne Phasensprung reflektiert Die kurzgeschlossene Leitung entspricht dem Fall Z 0 displaystyle Z 0 nbsp Hier ergibt sich eine Reflektivitat von 1 die gesamte Welle wird also reflektiert es findet aber ein Phasensprung um 180 statt Weblinks BearbeitenKlaus Wille Telegrafengleichung Memento vom 24 Januar 2014 imInternet Archive PDF 1 6 MB Skript zur Vorlesung ELEKTRONIK 2013 Technische Universitat Dortmund 15 April 2013 S 58 60 Einzelnachweise Bearbeiten Ernst Weber and Frederik Nebeker The Evolution of Electrical Engineering IEEE Press Piscataway New Jersey USA 1994 ISBN 0 7803 1066 7 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Leitungsgleichung amp oldid 206120296