Der Kulturgüterschutz in der Schweiz definiert Massnahmen zum Schutz der Kulturgüter vor Beschädigung, Zerstörung, Diebstahl und Verlust. Hierzu wurden Rechtsgrundlagen auf nationaler Ebene geschaffen und internationale Abkommen eingegangen, welche die Schweiz verpflichten, nicht nur den Schutz des Kulturgutes auf ihrem Gebiet, sondern auch denjenigen auf dem Hoheitsgebiet anderer Vertragsstaaten zu verwirklichen, zu respektieren und zu unterstützen.
In der Schweiz standen 2016 rund 75 000 Baudenkmäler unter Schutz, wovon etwa 10 % Sakralbauten waren. Daneben waren fast 39 000 archäologische Fundstellen erfasst und mehr als 9800 archäologische Schutzzonen, die rund 1 % der Landesfläche ausmachten. Rund 4 % der geschützten Baudenkmäler sind von nationaler Bedeutung (A-Objekte).
Geschichte Bearbeiten
Die Geschichte des Kulturgüterschutzes in seiner heutigen Form beginnt mit der massiven Zerstörung von Kulturgut im Zweiten Weltkrieg. Im Zuge der Gründung der UNO 1945 wurde die UNESCO als eine der siebzehn Sonderorganisationen der Vereinten Nationen geschaffen, welche sich mit Fragen zu Erziehung, Wissenschaft und Kultur auseinandersetzt. Sie gilt heute nach wie vor als die «Mutterorganisation» des Kulturgüterschutzes auf internationaler Ebene. So war die UNESCO auch federführend, als 1954 der Kulturgüterschutz mit der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (HAK) auf eine völkerrechtliche Basis gestellt wurde. Die Schweiz trat dem HAK 1962 bei und ratifizierte 2004 das «Zweite Protokoll zum Haager Abkommen für den Schutz von Kulturgut von 1954» (Zweites Protokoll), welches das HAK seit 1999 ergänzt.
Definition Bearbeiten
Gemäss Art. 1 des HAK vom 14. Mai 1954 werden Kulturgüter wie folgt definiert:
a) bewegliches oder unbewegliches Gut, das für das kulturelle Erbe der Völker von grosser Bedeutung ist,
b) Gebäude, die in der Hauptsache und tatsächlich der Erhaltung oder Ausstellung des unter a umschriebenen beweglichen Guts dienen,
c) Denkmalzentren,
Organisation Bearbeiten
Die Interessen des Kulturgüterschutzes werden auf den Stufen Bund, Kantone und Gemeinden wahrgenommen. Zudem setzen sich auch etliche kulturelle Institutionen und Vereinigungen sowie Private für die Erhaltung und den Schutz von Kulturgütern in der Schweiz ein. Auf Bundesebene liegt die Federführung im Fachbereich Kulturgüterschutz im Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) (Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS) – er dient als Anlaufstelle für sämtliche Fragen im Zusammenhang mit dem Haager Abkommen für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 1954 (HAK). Zu seinen Hauptaufgaben gehören die Unterstützung und Förderung der Kantone bei der Durchführung der vorgeschriebenen Massnahmen, das Erlassen von Departementsverordnungen, Weisungen und Richtlinien, die Ausbildung der obersten KGS-Kader im Zivilschutz und des Personals von kulturellen Institutionen, die fachliche Unterstützung bei der Erstellung von Sicherstellungsdokumentationen, der Ankauf und Einlagerung von Mikrofilmen und fotografischen Sicherheitskopien, das Gewähren von Beiträgen beim Bau von Kulturgüterschutzräumen und die Information sowie der Austausch mit schweizerischen und internationalen Institutionen. Als beratendes Organ steht dem VBS sowie dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS die Eidgenössische Kommission für Kulturgüterschutz (früher: Schweizerisches Komitee für Kulturgüterschutz) zur Seite. In dieser ausserparlamentarischen Kommission nehmen Abgeordnete aus den Departementen der Bundesverwaltung, aus kantonalen Fachstellen (Denkmalpflege und Archäologie) sowie aus kulturellen Institutionen (Archive, Museen und Bibliotheken) Einsitz. Die Mitglieder der Kommission werden vom Bundesrat ernannt. In den Kantonen sind die kantonalen Kulturgüterschutz-Verantwortlichen Ansprechpartner für Fragen im Zusammenhang mit dem Kulturgüterschutz. Diese sind jeweils entweder bei der kantonalen Kulturabteilung – meist bei der Denkmalpflege – oder beim Bevölkerungsschutz angesiedelt. Die Denkmalpflegen bringen als Fachstellen das Know-how im Umgang mit den Objekten in die Zusammenarbeit mit ein, der Zivilschutz stellt die personellen Ressourcen für den Einsatz auf lokaler und regionaler Ebene sicher.
Neben diesen Behörden gibt es in der Schweiz zahlreiche weitere Partner und Einrichtungen, welche ihren Beitrag zum Erhalt des kulturellen Erbes leisten: Die kulturellen Institutionen (Archive, Museen, Bibliotheken), die Partnerorganisationen im Bevölkerungsschutz (v. a. Feuerwehr und Polizei) oder Private wie die Schweizerische Gesellschaft für Kulturgüterschutz. Auf internationaler Ebene gilt es neben der UNESCO vor allem die Signatarstaaten des Haager Abkommens und des Zweiten Protokolls zu nennen. Weiter spielen zahlreiche Nicht-Regierungsorganisationen wie ICOM (International Council of Museums), ICOMOS (International Council on Monuments and Sites), IFLA (International Federation of Library Associations and Institutions) und ICA (International Council on Archives) eine bedeutende Rolle. Ein weiterer wichtiger Partner im völkerrechtlichen Bereich ist das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), das im Rahmen seiner humanitären Tätigkeit auch den Kulturgüterschutz mitberücksichtigt.
Gefahren Bearbeiten
Die Gefahren für Kulturgüter lassen sich hauptsächlich in drei Kategorien einteilen: Ständige Gefahren, Ereignisse in Friedenszeiten sowie Ereignisse im Falle eines bewaffneten Konflikts. Unter ständigen Gefahren sind vor allem Diebstahl, Vandalismus, Luftverschmutzung, Schädlings- oder Pilzbefall, Alterszerfall, Unkenntnis oder Gleichgültigkeit zu verstehen. Ein Beispiel für diese Gefahrenkategorie ist der Brand der Luzerner Kapellbrücke im August 1993. Es wird vermutet, dass das Feuer durch eine unachtsam entsorgte Zigarette ausgelöst wurde. Als Gefahren in Friedenszeiten sind vor allem technisch bedingte Schadensfälle wie Wasserschäden und Naturereignisse wie Erdbeben, Unwetter oder Lawinen zu nennen. Als Beispiel hierfür kann auf das Hochwasserereignisse vom Sommer 2005 verwiesen werden. An verschiedenen Orten in der Schweiz wurde Kulturgut in Mitleidenschaft gezogen; so beispielsweise im Sammlungszentrum des Verkehrshauses in Luzern oder im Benediktinerinnenkloster St. Andreas in Sarnen. Die kriegerische Zerstörung, gewaltsame Aneignung und Verschleppung von Kulturgut reicht bis in die Anfänge der Menschheitsgeschichte zurück. Bei Kriegseinsätzen können sich vor allem der Gebrauch von Waffen und Sprengstoff negativ auf Kulturgüter auswirken. In jüngeren militärischen Konflikten – beispielsweise während den Kriegen auf dem Balkan – kam es vermehrt zu gezielten Zerstörungsaktionen gegen Kulturgüter, was dazu beitrug, dass man das Zweite Protokoll ins Leben rief. In jüngerer Zeit sind Kulturgüter auch für den Terrorismus und dessen Finanzierung via illegaler Handel immer interessanter geworden. Die Sprengung und anschliessende Plünderung der antiken Oasenstadt Palmyra in Syrien durch Mitglieder der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) im Mai 2015 kann hierfür als Beispiel genannt werden. In der Schweiz, welche in ihrer jüngeren Vergangenheit weitestgehend von bewaffneten Konflikten verschont wurde, konzentriert sich der Kulturgüterschutz aktuell vor allem auf Massnahmen gegen technisch bedingte Gefahren, Naturereignisse und Vandalismus.
Schutzmassnahmen Bearbeiten
a) Inventar
b) Sicherstellungsdokumentation
c) Mikrofilm
d) Kulturgüterschutzräume
e) Notfallplanung
f) Bergungsort
g) Ausbildung
h) Kennzeichnung
i) Information
j) Partner
Internationale Zusammenarbeit Bearbeiten
Die internationale Zusammenarbeit wird in erster Linie durch die UNESCO koordiniert. Im Zweiten Protokoll, Art. 24, wird festgelegt, dass sich ein internationaler Ausschuss für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten konstituieren soll. Dieser tagt jährlich und wird vom Sekretariat der UNESCO (Zweites Protokoll, Art. 28) unterstützt. Die Signatarstaaten legen dem Ausschuss alle vier Jahre einen Bericht über die Durchführung des Zweiten Protokolls vor. Im Jahr 2015, mit der Revision des Kulturgüterschutzgesetzes, werden die Bestimmungen des Zweiten Protokolls, welches die Schweiz 2004 ratifiziert hat, in der Schweizer Gesetzgebung umgesetzt sein. Auf bilateraler Ebene hat die Schweiz schon mit verschiedenen Staaten zusammengearbeitet, als Beispiele können Tschechien, Deutschland oder Norwegen genannt werden. Im März 2019 hat der Bundesrat eine Strategie verabschiedet, welche die Positionierung und die Handlungsfelder der Schweiz im Bereich des Schutzes von gefährdetem Kulturerbe festlegt. Die Strategie hat das Ziel, Synergien innerhalb der Bundesverwaltung zu fördern und den internationalen Partnern ein Angebot an Expertise und Unterstützung in den Zuständigkeitsbereichen der Schweiz vorzulegen.
Rechtliche Grundlagen Bearbeiten
International
- Haager Abkommen für den Schutz von Kulturgütern bei bewaffneten Konflikten (HAK) vom 14. Mai 1954
- Haager Protokoll über den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (Erstes Protokoll) vom 14. Mai 1954
- Zweites Protokoll zum Haager Abkommen von 1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 26. März 1999
National
- Bundesgesetz über den Schutz der Kulturgüter bei bewaffneten Konflikten, bei Katastrophen und in Notlagen (KGSG) vom 20. Juni 2014
- Verordnung über den Schutz der Kulturgüter bei bewaffneten Konflikten, bei Katastrophen und in Notlagen (KGSV) vom 29. Oktober 2014
- Verordnung des VBS über Sicherstellungsdokumentationen und fotografische Sicherheitskopien (VSFS) vom 05. April 2016
- Verordnung des VBS über die Kennzeichnung von Kulturgütern und von für den Kulturgüterschutz zuständigem Personal (VKKP) vom 14. November 2017
- Bundesgesetz über den Bevölkerungsschutz und Zivilschutz (Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz, BZG) vom 20. Dezember 2019
- Schweizer Armee Reglement 51.007.05 d: Die zehn Grundregeln des Kulturgüterschutzes
Querbezüge
Literatur Bearbeiten
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz: KGS-Forum (Zeitschrift, Nr. 1–35). Bern 2001ff.
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz: Guidelines (Nr. 1–5). Bern 2003ff.
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz: Kulturgüterschutz betrifft uns alle. (Internationale Kulturgüterschutztagung Schweiz, 23.–25. September 2002). Bern 2003.
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz: Herausforderungen im Kulturgüterschutz. (Internationale Kulturgüterschutztagung Schweiz, 30. September – 2. Oktober 2012). Bern 2014.
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz: Bewahren, Sichern, Respektieren. Der Kulturgüterschutz in der Schweiz. (Publikation zum Jubiläum 50 Jahre «Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten»). Bern 2004.
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz: Expertenbericht: „Erdbeben und Kulturgüter“. (Arbeitsgruppe Erdbeben und Kulturgüter des Schweizerischen Komitees für Kulturgüterschutz). Bern 2004.
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz: Schutz von Kulturgut bei Hochwasser. Empfehlungen auf Stufe Bund und Kanton. Bern 2010.
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz: Mikroklima in Kulturgüterschutzräumen. Bern 2011. (Digitale Publikation.)
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz: Leitfaden für die Erstellung eines Notfallplans. Zusammen mit der Universität Basel, Stab Planung und Entwicklung. Basel/Bern 2012. (Digitale Publikation.)
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz: Bau von Kulturgüterschutzräumen und Umnutzung von überzähligen Schutzanlagen als Kulturgüterschutzräume Unter Mitarbeit von Dr. Thomas Wenk und Andrea Giovannini. Bern 2020. (Digitale Publikation.)
- Mylène Devaux: Seismic vulnerability of cultural heritage buildings in Switzerland. Doktorarbeit der EPF Lausanne. Lausanne 2008. (Digitale Publikation.)
- Andrea Giovannini: „De Tutela Librorum“: La conservation des livres et des documents d’archives / Die Erhaltung von Büchern und Archivalien. 4. überarbeitete und wesentlich erweiterte Aufl. Baden 2010.
- Kerstin Odendahl: Kulturgüterschutz. Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems. Tübingen 2005.
- Jiří Toman: Les biens culturels en temps de guerre: Quel progrès en faveur de leur protection? Commentaire article-par-article du Deuxième Protocole de 1999 relatif à la Convention de la Haye de 1954 pour la protection des biens culturels en cas de conflit armé. Paris 2015.
- UNESCO / Schweizerische Eidgenossenschaft: Protecting cultural property. International Conference on the 20th anniversary of the1999 Second Protocol of the 1954 Hague Convention. 25-26 April 2019, Geneva. Conference proceedings. Paris 2020. (Digitale Publikation.)
- Martin Strebel: Konservierung und Bestandeserhaltung von Schriftgut und Grafik Ein Leitfaden für Archive, Bibliotheken, Museen, Sammlungen. 3. vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben von der Fachstelle schriftliches Kulturerbe St. Gallen. St. Gallen 2020. (Digitale Publikation.)
Weblinks Bearbeiten
- Fachbereich Kulturgüterschutz KGS des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz (BABS), (VBS)
- KGS-Inventar 2021: Schweizerisches Inventar der Kulturgüter von nationaler und regionaler Bedeutung als Geografisches Informationssystem (GIS)
- Denkmäler in der Schweiz: erste Ergebnisse. Denkmalstatistik 2016 und Statistik des Kulturverhaltens. Bundesamt für Statistik. Korrigierte Version vom 20. Dezember 2018
- Schweizerische Gesellschaft für Kulturgüterschutz SGKGS
- Curesys: Kulturgut-Rettungssystem, System zur Zusammenarbeit mit der Feuerwehr inklusive Einsatzdokumentation
Einzelnachweise Bearbeiten
- ↑ Schweizerische Denkmalstatistik 2016. Über 75 000 geschützte Baudenkmäler in der Schweiz. Medienmitteilung des Bundesamts für Statistik, 18. Dezember 2018
- Mitglieder der Eidgenössischen Kommission für Kulturgüterschutz auf admin.ch
- Denkmäler in der Schweiz: erste Ergebnisse. Denkmalstatistik 2016 und Statistik des Kulturverhaltens. Bundesamt für Statistik. Korrigierte Version vom 20. Dezember 2018
- (Memento des vom 29. Oktober 2020 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , auf babs.admin.ch
- Bundeskanzlei: Verordnung des VBS über die Kennzeichnung von Kulturgütern und von für den Kulturgüterschutz zuständigem Personal (VKKP). SR 520.312. In: Systematische Rechtssammlung SR. Schweizerischer Bundesrat, 14. November 2017, abgerufen am 5. Januar 2018 (Stand am 1. Januar 2018).
- Hans Schüpbach: Das neue KGS-Gesetz ist in Kraft. (PDF, 5 MB) Permanente Kennzeichnung von Kulturgut wird möglich. (Nicht mehr online verfügbar.) In: FORUM NR. 24 / 2015. Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS, Fachbereich Kulturgüterschutz KGS, 2015, S. 68; Seiten 35–39, ehemals im ; abgerufen am 29. April 2019. (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven.)
- Hans Schüpbach: Fluch oder Segen? (PDF, 9,4 MB) Empfehlungen zur Beschilderung und Kennzeichnung von Kulturgut. In: Diplomarbeit Hans Schüpbach. MAS Denkmalpflege und Umnutzung, Berner Fachhochschule für Architektur, Holz und Bau, 2015, S. 170, abgerufen am 29. April 2019.
- https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen/bundesrat.msg-id-74245.html