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Klassifikation nach ICD 10F66 1 Ichdystone SexualorientierungICD 10 online WHO Version 2019 Die ichdystone Sexualorientierung bezeichnet nach ICD 10 den Wunsch eine andere als die vorhandene und eindeutige sexuelle Ausrichtung zu haben Die Richtung der sexuellen Orientierung selbst wird dabei aber nicht als Storung angesehen sofern diese nicht gemass F65 4 im Abschnitt F65 als Storungen der Sexualpraferenz zugeordnet wird Gegenstand der Diagnose ist ausschliesslich das Empfinden mit der jeweiligen Orientierung nicht klarzukommen oder der Wunsch diese deswegen zu andern 1 Eine genaue Entsprechung im DSM IV existiert nicht Dort kann es mit 302 9 Sexuelle Storung nicht anders spezifiziert deklariert werden Betroffene und Fachverbande beklagten seit geraumer Zeit dass die sexuelle Ausrichtung in der Regel nicht das Problem darstellt Der Wunsch diese zu andern kame meist durch sozialen Druck zustande Dem Wesen nach handelt es sich also um einen sozialen Konflikt Dieser kann problemlos ohne Bezug auf eine Homosexualitat und damit ohne Stigmatisierung als solcher codiert werden 2 Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Definition und Abgrenzungen 3 Ursachen und Auswirkungen 4 Positionen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen 4 1 Medizinische Fachverbande 4 2 Homosexuellenverbande 4 3 Evangelische und katholische Kirche 4 4 Evangelikale Bewegung 5 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenDie Diagnose der ichdystonen Sexualorientierung wurde mit dem Inkrafttreten des 1992 veroffentlichten ICD 10 eingefuhrt 3 Bis dahin war lediglich die Homosexualitat seit 1968 als neurotische Storung im ICD aufgefuhrt was bei Einfuhrung des ICD 10 entfernt wurde Bei der Entwicklung des ICD 11 wurde die gesamte Gruppe F66 ersatzlos gestrichen 4 Der ICD 11 trat am 1 Januar 2022 in Kraft 5 Das Konzept und die Diagnose der ichdystonen Sexualorientierung ist demnach als veraltet anzusehen Im Rahmen der schrittweisen Umsetzung von ICD 10 auf ICD 11 kann sie nicht mehr verwendet werden Definition und Abgrenzungen Bearbeiten Die Geschlechtsidentitat oder sexuelle Ausrichtung heterosexuell homosexuell bisexuell oder prapubertar ist eindeutig aber die betroffene Person hat den Wunsch dass diese wegen begleitender psychischer oder Verhaltensstorungen anders ware und unterzieht sich moglicherweise einer Behandlung um diese zu andern ICD 10 F66 1 Version 2006 Der ICD 10 enthalt fur den gesamten Uber Abschnitt F 66 ausdrucklich folgenden Hinweis Die Richtung der sexuellen Orientierung selbst ist nicht als Storung anzusehen Die ichdystone Sexualorientierung gilt als Differentialdiagnose zu folgenden anderen Diagnosen Unter F64 2 ist die Storung der Geschlechtsidentitat im Kindesalter eingeordnet welche als nur vor der Pubertat bestehend definiert ist Sie ist nicht anzuwenden bei Kindern und Jugendlichen welche die Pubertat gerade erreichen oder sie schon erreicht haben Auch der unter F64 0 definierte Transsexualismus ist gegenuber der ichdystonen Sexualorientierung abzugrenzen hierbei besteht der Wunsch dem jeweils anderen Geschlecht anzugehoren Bei der unter F66 0 definierten Sexuellen Reifungsstorung ist im Gegensatz zu hier eine Unsicherheit bezuglich der Geschlechtsidentitat oder der sexuellen Orientierung gegeben Zu den hier verwendeten Begriffen Orientierung und Ausrichtung ist zu bemerken dass in der Fachwelt diskutiert wird ob eine prapubertare Ausrichtung als sexuelle Orientierung oder als Sexualpraferenz anzusehen ist Ein junges Einteilungskonzept nimmt eine altersmassige Orientierung an nennt sie aber zur Unterscheidung sexuelle Ausrichtung Im ICD 10 wird die Padophilie als solche unter der Kennzahl F65 4 im Abschnitt F65 als Storungen der Sexualpraferenz verortet Ursachen und Auswirkungen BearbeitenDie Heteronormativitat einer Gesellschaft fuhrt dazu dass Homosexualitat haufiger als ichdyston empfunden wird als Heterosexualitat Lesben und Schwule die ihre Sexualorientierung als ichdyston empfinden haben Schwierigkeiten ihre als realistisch wahrgenommene homosexuelle Orientierung zu akzeptieren oder in die eigene Personlichkeit zu integrieren Diese Storung wird auf den Gegensatz zum soziokulturellen Hintergrund einer mehrheitlich gegengeschlechtlich orientierten Bevolkerung und ihre haufig vorhandene ablehnende oder gar feindselige Haltung zuruckgefuhrt Es gibt teilweise noch immer grosse Hurden fur ein Coming out die es zu uberwinden gelte In der Folge konne es zu Verdrangungs und Verleugnungsversuchen vor anderen oder sich selber kommen die jedoch von geringer Dauer seien und die dann zu einer kategorischen Ablehnung der eigenen sexuellen Orientierung fuhrten mit dem Wunsch diese zu verandern Wegen der in einigen Fallen subjektiv wahrgenommenen sozialen Unerwunschtheit gingen dann viele ichdyston homosexuell empfindende Menschen vorerst heterosexuelle Beziehungen ein Diese bleiben jedoch mitunter trotz technisch funktioneller Sexualitat wegen fehlender sexualstruktureller Kompatibilitat ohne innere emotionale Befriedigung und konnen in der Folge nicht aufrechterhalten werden Die verdrangten Gefuhle wurden oft durch das Unterbewusstsein auf verschiedene Art wieder zu Tage gefordert Schlimmstenfalls komme es zum sozialen und soziosexuellen Ruckzug und zu darauf folgender Isolation und Vereinsamung Oft wurden Sexualkontakte ausschliesslich anonym gesucht auch im Kontext semiprofessioneller Prostitution was fur die Betreffenden mit einem deutlich erhohten Risiko verbunden ist sich mit sexuell ubertragbaren Krankheiten zu infizieren oder zum Opfer von Gewalt und Eigentumsdelikten zu werden 6 7 Positionen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen BearbeitenMedizinische Fachverbande Bearbeiten Zahlreiche Fachverbande wie der Berufsverband deutscher Facharzte fur Psychiatrie und Psychotherapie die Bundesarztekammer die Deutsche Gesellschaft fur Psychiatrie und Psychotherapie Psychosomatik und Nervenheilkunde DGPPN die American Psychiatric Association und die American Psychological Association machen deutlich dass die Diagnose einer ichdystonen Sexualorientierung keine Hintertur sein darf um bestimmte sexuelle Neigungen insbesondere die Homosexualitat zu pathologisieren Die Verbande erklaren im Wesentlichen ubereinstimmend Homosexualitat sei keine Krankheit sondern eine haufige Form menschlichen Zusammenlebens und bedurfe keiner Therapie 8 9 10 11 12 Allerdings konnten Angehorige sexueller Minderheiten psychische Schaden durch Diskriminierungserfahrungen erleiden 13 Psychiatrisch psychotherapeutische Behandlungsansatze seien nicht die von der Norm abweichenden sexuellen Wunsche sondern die Konflikte die wegen dieser Veranlagung in Verbindung mit religiosen gesellschaftlichen und internalisierten Normen entstunden Therapeutische Ziele seien daher in erster Linie die Pravention psychiatrischer Folgeerkrankungen durch aussere Umstande wie z B Diskriminierungen Haben bspw homosexuell lebende Menschen psychische Erkrankungen so seien diese unabhangig von der Homosexualitat zu diagnostizieren und zu behandeln 14 15 Homosexuellenverbande Bearbeiten Verbande die fur die Interessen von Homosexuellen Transgeschlechtlichen oder andere sexuellen Minderheiten eintreten sehen das Problem einer ichdystonen Sexualorientierung nicht durch die sexuelle Orientierung an sich Vielmehr seien die Reaktionen der Mitmenschen auf die Sexualorientierung eines Betroffenen Ursache von psychischen Problemen 16 17 Der Lesben und Schwulenverband in Deutschland warnte offentlich davor die an sich anders gemeinte Diagnose einer ichdystonen Sexualorientierung zur Pathologisierung von Homosexualitat durch die Hintertur zu missbrauchen Die Diagnose betreffe den Umgang mit der eigenen sexuellen Orientierung und nicht deren Veranderungsbedurftigkeit 18 Evangelische und katholische Kirche Bearbeiten Die beiden grossen organisierten Glaubensgemeinschaften in Deutschland die Evangelische Kirche Deutschlands sowie die Katholische Kirche nehmen zum Thema ichdystone Sexualorientierung als psychisches Storungsbild keine Stellung Bezuglich Abweichungen vom heterosexuellen Normverhalten nehmen beide Glaubensrichtungen moraltheologisch teilweise zustimmende bis sehr kritische Positionen ein betrachten jedoch beispielsweise Homosexualitat und Transgeschlechtlichkeit nicht als Krankheit sondern als Normvarianten und befassen sich damit als einem rein moralischen und nicht medizinischen Thema 19 20 Evangelikale Bewegung Bearbeiten In der evangelikalen Bewegung werden Abweichungen vom heterosexuellen Lebensstil als Sunde betrachtet und mit Bezugnahme auf die Bibel strikt abgelehnt Entgegen dem wissenschaftlichen Mainstream wird homosexuelles Verhalten oft als psychische Storung verstanden Eine therapeutische Behandlung die auf eine Anderung der sexuellen Identifikation zielt wird entsprechend begrusst Die evangelikale Bewegung ist eine von vielen religiosen Gruppierungen die abweichendes sexuelles Empfinden moralisch ablehnen jedoch eine der wenigen die es als Krankheit betrachten die behandelt werden konne Da Homosexualitat in den internationalen Krankheitsklassifikationen nun allerdings nicht mehr als psychische Storung betrachtet wird nutzen einige Vertreter dieser Sichtweise die Kategorie der ichdystonen Sexualorientierung als Grundlage der Empfehlung von reparativen Therapien Anders als die Mainstream Wissenschaft und andere gesellschaftliche Verbande sehen die Vertreter der evangelikalen Bewegung eine subjektive Unzufriedenheit mit abweichendem Sexualverhalten nicht als Folge gesellschaftlicher Repressionen sondern als originare Folge des abweichenden sexuellen Empfindens Wer von ichdystoner Sexualorientierung betroffen sei leide unter seiner abweichenden Sexualitat an sich und habe deshalb auf Wunsch in der Veranderung seiner sexuellen Orientierung unterstutzt zu werden Als Losung bieten Therapeuten die haufig der evangelikalen Bewegung nahestehen reparative Therapien die von den medizinischen Fachverbanden abgelehnt werden 13 Die Vertreter dieser Denkrichtung gehen von der Hypothese aus dass Homosexualitat nicht genetisch begrundet und angeboren sei sondern auf einer Kombination von Veranlagung und verschiedenen komplexen Lebenserfahrungen in der Kindheit und Jugend der Betroffenen zuruckzufuhren sei Zu diesen Lebenserfahrungen werden unter anderem die Herkunft das Temperament Verletzungen durch Eltern und Geschwister Familienentwicklungen sexueller Missbrauch sowie soziale und kulturelle Verletzungen gezahlt Es wird postuliert die medizinischen Fachverbande hatten insbesondere die Homosexualitat falschlicherweise aus der Liste der Krankheiten gestrichen Sie beklagen zudem dass man die Behandlung von Homosexualitat in der heutigen psychologischen Ausbildung nicht mehr lerne Angeblich erfolgreich behandelte Patienten bezeichnen sich als Ex Gays wobei es inzwischen auch eine Gruppe von Ex Ex Gays ruckfallig gewordener Patienten gibt Bekannte Gruppen die diese Positionen beziehen sind u a Wustenstrom und das Deutsche Institut fur Jugend und Gesellschaft 21 Einzelnachweise Bearbeiten ICD 10 Katalog der Weltgesundheitsorganisation WHO Kapitel F66 icd code de Abgerufen am 31 Marz 2014 Gisela Wolf Psychopathologisierungsprozesse von LSBT I Lebensweisen in DSM 5 und ICD 10 Kapitel F PDF 69KB Bundesstiftung Magnus Hirschfeld abgerufen am 28 Dezember 2022 Frauke Koher Katharina Puhl Gewalt und Geschlecht Konstruktionen Positionen Praxen Vs Verlag ISBN 3 8100 3626 9 S 72 Verena Klein et al Diagnoseleitlinien sexueller Storungen in der International Classification of Diseases and Related HealthProblems ICD 11 Dokumentation des Revisionsprozesses Zeitschrift fur Sexualforschung Januar 2016 abgerufen am 28 Dezember 2022 BfArM ICD 11 Bundesinstitut fur Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM abgerufen am 28 Dezember 2022 Kurt Wiesendanger Schwule und Lesben in Psychotherapie Seelsorge und Beratung Ein Wegweiser Vandenhoeck amp Ruprecht 2000 ISBN 3 525 45878 9 S 20 Klaus M Beier Hartmut A G Bosinski Kurt Loewit Sexualmedizin Urban amp Fischer Bei Elsevier 2005 ISBN 3 437 22850 1 S 14f Kurt Wiesendanger Stellungnahme zu Umpolungstherapien fur Homosexuelle aus psychologischer und psychotherapeutischer Sicht 2005 Stellungnahme der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften zu Homoheilungwerbung an Universitaten abgerufen am 30 Marz 2014 Position Statement der American Psychiatric Association Therapies Focused on Attempts to Change Sexual Orientation Reparative or Conversion Therapies PDF Marz 2000 abgerufen am 30 Marz 2014 Kommentar PDF der Bundesarbeitsgemeinschaft Schwuler im Gesundheitswesen BASG uber Fundamentalistische Organisationen und ihre Therapien 2005 abgerufen am 30 Marz 2014 Stellungnahme PDF des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen zu Christlicher Sexualberatung durch Wustenstrom e V Therapie von Homosexualitat 2006 abgerufen am 30 Marz 2014 a b DGPPN Stellungnahme Memento vom 30 Marz 2014 im Internet Archive Abgerufen am 30 Marz 2014 Stellungnahme des Berufsverbandes Deutscher Facharzte fur Psychiatrie und Psychotherapie zur offentlichen Diskussion um Konversionstherapien oder reparative Therapien bei Homosexualitat Pressemitteilung der Bundesarztekammer Weltarztebund Homosexualitat ist keine Krankheit Beschlusse der 64 Generalversammlung des Weltarztebundes Archivlink Memento vom 5 Marz 2014 im Internet Archive Abgerufen am 30 Marz 2014 Reparativtherapie Konversionstherapie usw Die Wortwahl des DIJG Was bedeuten die Worte huk org Abgerufen am 30 Marz 2014 Lesben und Schwulenverband LSVD Mission Aufklarung mission aufklaerung de Abgerufen am 30 Marz 2014 Lesben und Schwulenverband in Deutschland Mission Aufklarung mission aufklaerung de Abgerufen am 31 Marz 2014 Evangelische Kirche in Deutschland Homosexualitat Archivlink Memento vom 30 August 2011 im Internet Archive Abgerufen am 30 Marz 2014 Katechismus der Katholischen Kirche Homosexualitat und Keuschheit vatican va Abgerufen am 31 Marz 2014 Mein Weg heraus Deutsches Institut fur Jugend und Gesellschaft abgerufen am 30 Marz 2014Dieser Artikel behandelt ein Gesundheitsthema Er dient nicht der Selbstdiagnose und ersetzt nicht eine Diagnose durch einen Arzt Bitte hierzu den Hinweis zu Gesundheitsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Ichdystone Sexualorientierung amp oldid 236165829