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Fallexperimente zum Nachweis der Erdrotation sind physikalische Experimente mit denen ab etwa 1800 erstmals die Drehung der Erde um ihre eigene Achse empirisch nachgewiesen werden konnte Die Erdrotation verursacht bei frei fallenden Korpern eine Ostablenkung gegenuber dem Lot die von Galilei und Newton vorhergesagt 1 wurde von Carl Friedrich Gauss berechnet und von Guglielmini Benzenberg und Reich gemessen wurde In der Systematik der heutigen Physik wird sie als Teilaspekt des Corioliseffektes behandelt Der Turm der Hauptkirche St Michaelis in Hamburg Im Turm des Vorgangerbaues fuhrte Benzenberg seine Messungen durch Inhaltsverzeichnis 1 Abschatzung 2 Experimente 3 Literatur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseAbschatzung BearbeitenDie Ostablenkung ist eine Folge der hoheren Rotationsgeschwindigkeit der Erde in der Abwurfhohe gegenuber der Rotationsgeschwindigkeit an der Erdoberflache Es ergibt sich eine Ablenkung nach Osten in Drehrichtung der Erde die sich wie folgt abschatzen lasst Die Fallzeit ohne Berucksichtigung des Luftwiderstands betragt t 2 h g displaystyle t sqrt 2h g nbsp und die Differenz der Rotationsgeschwindigkeiten zwischen Fallbeginn und ende D v v r cos f h displaystyle Delta v frac v r cos varphi h nbsp Wegen des quadratischen Verlaufs der Geschwindigkeit ist die tatsachliche Differenz doppelt so gross Dabei sind h displaystyle h nbsp Fallhohe in Meter g displaystyle g nbsp Erdbeschleunigung in m s zwischen 9 780 m s am Aquator und 9 832 m s an den Polen f displaystyle varphi nbsp geografische Breite v 463 m s displaystyle v 463 text m s nbsp Rotationsgeschwindigkeit am Aquator r 6 378 136 6 m displaystyle r 6 378 136 6 text m nbsp aquatorialer ErdradiusEs ergibt sich z B bei h 120 m displaystyle h 120 text m nbsp und f 53 displaystyle varphi 53 circ nbsp geografischer Breite Hamburg bei einer Fallzeit von 4 9 s displaystyle 4 9 text s nbsp eine Ablenkung von 2 6 cm displaystyle 2 6 text cm nbsp nach Osten 2 d ost 2 3 v r cos f h 2 h g displaystyle d text ost frac 2 3 frac v r cos varphi h sqrt frac 2h g nbsp Die Ablenkung ist Folge des vertikalen Coriolis Effekts 3 Experimente Bearbeiten nbsp Der schiefe Torre degli Asinelli in Bologna an dem Guglielmini experimentierteSchon Galilei und Newton 1679 Brief an Hooke schlugen solche Experimente vor Das Experiment verlangt eine ausserst sorgfaltige Durchfuhrung zur Abschirmung von Storungen und eine gewisse Mindesthohe Robert Hooke 1635 1703 fuhrte Versuche aus 8 2 m Hohe aus kam aber nicht zu eindeutigen Resultaten theoretischer Wert 0 5 mm 4 264 Ein erstes Experiment mit genugender Fallhohe wurde 1791 von dem Italiener Giovanni Battista Guglielmini an einem der Stadtturme dem der Asinelli von Bologna ausgefuhrt Er erhielt bei rund 78 m Fallhohe und 15 Versuchen im Mittel eine Abweichung von 16 mm nach Osten theoretischer Wert 10 7 mm In Hamburg wurde das Experiment 1802 im Hamburger Michel von dem Landvermesser und Astronomen Johann Friedrich Benzenberg wiederholt der Michel hatte Zwischenboden mit Fallturen was das Experiment moglich machte Die Fallhohe der Bleikugeln betrug 76 3 m und bei 31 Versuchen uber vier Monate wurde eine mittlere Abweichung von 8 7 mm in ostliche Richtung gemessen was ziemlich genau den Berechnungen von Carl Friedrich Gauss entsprach 5 Benzenberg hatte an Wilhelm Olbers geschrieben der Gauss kontaktierte Allerdings gab es auch eine mittlere Ablenkung nach Suden 6 die damals nicht erklart werden konnte Benzenberg schrieb 1804 Sobald es durch Theorie und Erfahrung ausgemacht ist dass keine Abweichung nach Suden stattfindet so verlieren die Versuche in St Michael sehr an ihrem Werthe 4 359 Benzenberg wiederholte die Versuche 1804 in einem Kohleschacht der Zeche Trappe Er liess 29 Kugeln uber 80 4 m fallen mit einem Ergebnis das nur wenig von Gauss entsprechender Vorhersage von 9 9 mm abwich Genau mass er 4 425 eine mittlere Abweichung von 5 1 Pariser Linien 11 4 mm nach Osten und 0 7 Linien 1 5 mm nach Suden 7 Ferdinand Reich erhielt bei einer Fallstrecke von 158 5 m im Drei Bruder Schacht bei Freiberg 1831 eine Abweichung von 27 4 mm theoretischer Wert 28 1 mm Ein wichtiger Punkt war das moglichst ungestorte Loslassen der Kugeln vor dem Fall was durch Zangenvorrichtungen bzw von Reich durch Abkuhlen erwarmter Bleikugeln uber einem passgenauen Loch erreicht wurde Um die Mitte des 19 Jahrhunderts war die beobachtete Sudablenkung die damals nicht erklart werden konnte Gegenstand heftiger Debatten W W Rundell vom Royal Cornell Polytechnic fuhrte 1848 deshalb das Experiment nochmals in den tieferen Bergwerksminen von Cornwall aus die zwei bis dreimal tiefer waren als Reichs Minenschacht in Freiberg Das Ergebnis war eine eindeutige Sudablenkung 8 Auch Florian Cajori stellte in einer Ubersicht 1901 eine unzweifelhafte Sudablenkung fest konnte aber auch keine Erklarung finden 9 Camille Flammarion benutzte bei seiner Wiederholung des Experiments 1903 im Pariser Pantheon eine Haltevorrichtung mit einem Elektromagneten Eine ahnliche Einrichtung wurde bei einer Wiederholung der Experimente im Jahre 2003 am Fallturm Bremen im Rahmen eines Experiments von Studenten der FU Berlin verwendet Dort wurde bei 119 m Fallhohe in einer Vakuumrohre im Mittel 26 mm Ostabweichung gemessen theoretischer Wert 16 9 mm Auch hier konnten nicht alle Storfaktoren ausgeschaltet werden es ergab sich z B auch eine mittlere Abweichung von 14 mm nach Suden 10 Ein weiteres Experiment wurde 1902 von Edwin Hall an der Harvard University ausgefuhrt Er liess aus 23 m Hohe 948 Kugeln fallen mit einer mittleren Abweichung von 1 8 mm nach Osten nach Gauss wurden 1 79 mm erwartet und 0 05 mm nach Suden 11 Angeregt durch Halls Experiment wurden auch wieder Bergwerksexperimente versucht diesmal in den sehr tiefen 4250 Fuss also 1 295 4 m Kupferminenschachten am Lake Superior die sich aber als zu schmal erwiesen 12 Ein genaueres und besser auswertbares Experiment zur Erdrotation fuhrte 1851 Leon Foucault mit einem Pendelexperiment im Pariser Pantheon aus das aber auf dem horizontalen Coriolis Effekt beruht Literatur BearbeitenJ F Benzenberg Versuche uber das Gesetz des Falles den Widerstand der Luft und die Umdrehung der Erde Dortmund 1804 2 Auflage Hamburg 1824 W Brunner Dreht sich die Erde Mathem Physikal Bibliothek Band 17 Leipzig Berlin 1915 Richard Grammel Die mechanischen Beweise fur die Drehung der Erde Julius Springer Verlag 1922 Philipp Furtwangler Die Mechanik der einfachsten physikalischen Apparate und Versuchsanordnungen Kapitel III Versuche zum mechanischen Nachweis der Erdrotation Enzyklopadie der mathematischen Wissenschaften IV Teilband 2 1904Weblinks BearbeitenEin Blick vom Turm Friedrich Benzenbergs Fallversuche im Turm des Michels Wiederholung des Experiments am Fallturm Bremen durch Studenten der FU Berlin 2003 PDF 3 97 MB Romanovskis im Hamburger Abendblatt zu Benzenbergs Versuch Cunningham zu Fallversuchen in Mercury Magazine Gauss Berechnungen Werke Bd 5 S 495Einzelnachweise Bearbeiten Galilei allerdings nur in einem Argument das auf die Nicht Beobachtbarkeit des Effekts abzielte Dialog uber die beiden hauptsachlichen Weltsysteme Newton schlug eine zum Corioliseffekt alternative Betrachtungsweise ein in dem er fand dass die Bewegung eines fallenden Korpers in einem festen nicht mitrotierendes Bezugssystem gedanklich ins Erdinnere fortgesetzt eine Ellipsenbahn sein wurde mit dem Erdmittelpunkt in einem der Brennpunkte der Ellipse Er fand also nicht direkt die Corioliskraft sondern in gewisser Weise die Anfange seiner Gravitationstheorie Siehe Persson The Coriolis Effect a conflict between common sense and mathematics Memento vom 11 April 2014 im Internet Archive englisch PDF Gauss ging von einer ahnlichen Betrachtungsweise wie Newton aus C F Gauss Werke Band 5 S 496 Die genauen Bewegungsgleichungen werden im Artikel Corioliskraft angegeben Aus ihnen geht auch hervor dass es auf der Nordhalbkugel dabei einen kleinen Sudablenkungseffekt gibt Corioliseffekt 2 Ordnung der allerdings zu klein ist um in den angefuhrten Experimenten eine Rolle zu spielen a b c Johann Friedrich BENZENBERG Versuche uber das Gesetz des Falls uber den Widerstand der Luft und uber die Umdrehung der Erde nebst der Geschichte aller fruheren Versuche von Galilai bis auf Guglielmini etc 1804 google com Gauss erhielt 3 951 Pariser Linien mit Luftwiderstand 3 86 Benzenberg mass im Mittel 4 Linien Eine Sudabweichung wurde in fast allen Experimenten beobachtet beginnend mit Hooke er interpretierte das so dass keine Abweichung nach Suden gemessen wurde in Ubereinstimmung mit der Rechnung von Gauss Bei den Fallversuchen kam es immer wieder zu grossen Ausbrechern was Benzenberg auf Kollision mit Tropfen aus der Zerstaubung von an den Schachtwanden herabfliessendem Wasser zuruckfuhrte Darstellung von Rundells Experiment Mechanics Magazine Mai 1849 sowie ein Brief von Oersted an Herschel in den Reports der British Association for the Advancement of Science 1846 Cajori The unexplained southerly deviation of falling bodies Science Band 14 29 November 1901 S 853 855 Julia Bahr Marilen Loge Kathrin Mechelk Alexandra Maria Operhalsky Forschungsbericht uber ein padagogisches und physikalisches Experiment zum Nachweis der Erdrotation 2004 abgerufen am 6 Mai 2022 Hall Do falling bodies move south Physical Review Series 1 Bd 17 1903 S 179 Bericht von McNair 1906 Abstract in Science Bd 23 1906 S 415 PDF Datei Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Fallexperimente zum Nachweis der Erdrotation amp oldid 238324703