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Extraterritoriale Staatenpflichten englisch extraterritorial obligations kurz ETOs bezeichnen die Verpflichtungen eines Staates die Menschenrechte auch ausserhalb seiner Staatsgrenzen zu achten zu schutzen und zu gewahrleisten Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrund 2 Volkerrechtliche Debatte 3 Konsortium fur extraterritoriale Verpflichtungen 4 Situation in Deutschland 5 EinzelnachweiseHintergrund BearbeitenUniversalitat ist eines der grundlegenden Prinzipien der Menschenrechte Entsprechend heisst es in Artikel 1 der Allgemeinen Erklarung der Menschenrechte Alle Menschen sind frei und gleich an Wurde und Rechten geboren 1 Die Verantwortung die Menschenrechte zu achten zu schutzen und zu gewahrleisten liegt nach wie vor zunachst bei Staaten da Volkerrecht vornehmlich Staatenrecht ist Entsprechend werden traditionellerweise die menschenrechtlichen Staatenpflichten nur auf das jeweilige Staatsgebiet bezogen Der Menschenrechtsschutz endet damit zunachst an den Grenzen eines Landes Fur die burgerlichen und zivilen Menschenrechte wird angenommen dem Wortlaut des VN Zivilpakts sowie der Amerikanischen und Europaischen Menschenrechtskonvention entsprechend 2 dass sie extraterritoriale Staatenpflichten ausschliesslich begrunden wenn eine Hoheitsgewalt bzw Herrschaftsgewalt uber ein extraterritoriales Gebiet besteht Weitergehende Interpretationen gibt es auch wie z B eine Empfehlung des VN Menschenrechtsausschusses 3 Der VN Sozialpakt fur wirtschaftliche soziale und kulturelle Menschenrechte WSK Rechte kennt die einschrankenden Bedingungen von Territorium und Hoheitsgewalt hingegen nicht Die Rechte und Freiheiten werden allen Menschen uberall zugesichert Dass die Staatenpflichten universell gelten wird dabei nicht explizit festgeschrieben sie werden andererseits auch nicht begrenzt Der Vertrag betont nur in Artikel 2 1 die Bedeutung internationaler Kooperation Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich einzeln und durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen 4 Auch in Artikeln 11 und 12 verpflichten sich die Staaten nach ihren Einflussmoglichkeiten und durch Kooperation zur globalen Verwirklichung der Vertragsziele beizutragen Dies hat weitreichende Folgen fur Anspruch und Wirklichkeit des Schutzes der WSK Rechte Durch die Globalisierung haben Staaten zunehmend internationalen Einfluss zum Beispiel durch Handelsabkommen oder globale Produktionsketten Auslagerung von Produktionsstandorten Rohstoffgewinnung im Ausland etc Staaten und Unternehmen profitieren von diesem weltweiten Austausch verletzen dabei jedoch haufig die die wirtschaftlichen sozialen und kulturellen Rechte in den entsprechenden extraterritorialen Gebieten So kann das Handeln eines Staates der zwar im eigenen Staatsgebiet die Menschenrechte schutzt durch seine Aussenwirtschaftspolitik in anderen Landern zu massiven Menschenrechtsverletzungen beitragen Das traditionelle Verstandnis im Volkerrecht von territorial verstandener Staatenpflichten musste sich der De facto Reichweite staatlichen Handelns in der globalisierten Welt anpassen um der Universalitat der Menschenrechte effektiv gerecht zu werden Volkerrechtliche Debatte BearbeitenInzwischen gibt es eine zunehmende Debatte inwieweit Staaten menschenrechtliche Verpflichtungen gegenuber Menschen ausserhalb ihres Hoheitsgebiets haben Die Verantwortung der Staatenpflicht ist dabei durchaus graduell zu verstehen und kann nach Achtungs Schutz und Gewahrleistungspflicht differenziert werden Dass Staaten in ihren bilateralen und multilateralen Beziehungen eine menschenrechtliche Achtungspflicht entsprechend dem Do no harm Ansatz haben wird von vielen Volkerrechtlern inzwischen anerkannt 5 Extraterritoriale Schutz und Gewahrleistungspflichten hingegen die fur einen Staat bedeuten extraterritoriale Menschenrechtsverletzungen durch Dritte zu beenden bzw andere Staaten bei der Umsetzung von wirtschaftlichen sozialen und kulturellen Menschenrechten zu unterstutzen sind kontextabhangig unterschiedlich weit etabliert Grundsatzlich hatten sich schon 1970 die Vereinten Nationen das Ziel gesetzt dass alle Industriestaaten 0 7 des nationalen Bruttosozialprodukts zur Entwicklungshilfe und somit auch zur Gewahrleistung der universellen Menschenrechte bereitstellen sollten Diese Entwicklungszusammenarbeit gilt es dem VN Sozialpakt gemass an der Erfullung der Menschenrechte und insbesondere dem menschenrechtlichen Grundprinzip der Nichtdiskriminierung auszurichten Eine extraterritoriale Schutzpflicht der Staaten fur die Menschenrechte sehen bislang sowohl die Vertragsorgane der Vereinten Nationen wie auch einige Volkerrechtler bei der Vermeidung und Ahndung von wirtschaftsbezogenen Menschenrechtsverletzungen im Ausland durch Unternehmen Durch die Etablierung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten fur private Akteure und die Kontrolle ihrer Einhaltung konnten Staaten auf ihrem eigenen Hoheitsgebiet dafur Sorge tragen dass Wirtschaftsunternehmen im Ausland keine Menschenrechtsverletzungen begehen Unmittelbaren Einfluss konnen hiesige Regierungen nehmen wenn staatliche Unternehmen im Ausland tatig sind oder die Aussenwirtschaftstatigkeit vom Staat finanziell gefordert wird wie z B durch Hermesdeckungen Auch ist bislang offen wie internationale Organisationen ausserhalb der Vereinten Nationen z B die WTO verbindlich auf den Menschenrechtsschutz verpflichtet werden konnen Die wachsende Zahl von Befurwortern einer umfassenden Anerkennung extraterritorialer Staatenpflichten berufen sich u a auf zahlreiche Berichte und Positionen von UN Ausschussen und UN Sonderberichterstattern 6 auf die Einschatzung von Volkerrechtlern 7 wie auch die Rechtsauslegung und Spruchpraxis von Organen regionaler Menschenrechtsschutzsysteme 8 So stellte der Internationale Gerichtshof fest dass extraterritoriale Staatenpflichten im Sinne des VN Zivilpakts seien 9 und auch der Europaische Gerichtshof fur Menschenrechte entschied in Al Skeini et al vs Vereinigtes Konigreich 10 dass das Territorialitatsprinzip staatlicher Verantwortung soweit ausgeweitet werden kann wie das staatliche Handeln reicht Damit ist zu erwarten dass die Normenbildung zur extraterritorialen Verantwortung von Staat und Wirtschaft sowohl international als auch national voranschreitet und zunehmend auch rechtsverbindliche Abkommen sowie Kontrollinstrumente geschaffen werden Konsortium fur extraterritoriale Verpflichtungen Bearbeiten2007 grundete sich das Konsortium fur extraterritoriale Verpflichtungen in Genf kurz ETO Konsortium 11 Das Konsortium setzt sich aus rund 80 Vertretern von Menschenrechtsorganisationen und der Wissenschaft zusammen darunter u a Amnesty International Brot fur die Welt Human Rights Watch die Internationale Juristenkommission ICJ Misereor Oxfam GB und die Universitat Maastricht Das Konsortium setzt sich fur die volkerrechtliche Anerkennung und Umsetzung umfassender extraterritorialer Achtungs Schutz und Gewahrleistungspflichten von Staaten im Bereich Menschenrechte ein Im Zeitalter der Globalisierung sei die Schaffung eines normativen Rahmens fur extraterritoriale Menschenrechtsverpflichtungen 12 ein zentraler Schritt um weiterhin die Universalitat der Menschenrechte zu gewahrleisten 2011 wurden aus dem Konsortium heraus die Maastrichter Prinzipien zu den extraterritorialen Staatenpflichten im Bereich der wirtschaftlichen sozialen und kulturellen Rechte erarbeitet und verabschiedet Die Prinzipien sehen grenzuberschreitende staatliche Verantwortung dort wo Staaten durch ihr Handeln oder Unterlassen die Moglichkeit haben die Einhaltung von Menschenrechten zu gewahrleisten bzw Menschenrechtsverletzungen praventiv zu verhindern oder zu beenden Die Maastrichter Prinzipien fassen damit zusammen was der UN Ausschuss fur wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte in zahlreichen seiner sog Allgemeinen Bemerkungen General Comments bereits gefordert hat Der normative Rahmen den die Prinzipien darstellen ist also nicht neu sondern hergeleitet aus bestehenden Menschenrechtsnormen Die Prinzipien wurden von 40 Personen verabschiedet darunter Volkerrechtler und aktuelle wie ehemalige UN Sonderberichterstatter 13 Situation in Deutschland BearbeitenDie Position der Bundesrepublik Deutschland in der Anerkennung von extraterritorialen Staatenpflichten ist nicht eindeutig 14 Deutsche Menschenrechtsorganisationen fordern daher seit Jahren eine politische Debatte zur extraterritorialen Verantwortung Deutschlands und eine rechtlich verbindliche Anerkennung extraterritorialer Staatenpflichten fur die Bereiche wo Deutschland Einfluss auf die Verwirklichung der Menschenrechte nehmen kann 15 Im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte versucht die Bundesregierung im Rahmen der Umsetzung der VN Leitprinzipien Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte im Ausland anzuhalten 16 2016 hat sie dafur den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet 17 Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern dabei gemass den VN Leitprinzipien nicht die Staatenpflichten und Beschwerdemoglichkeiten zu vergessen damit der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte uber freiwillige CSR Massnahmen der Unternehmen hinausgeht 18 Mit der Initiative Lieferkettengesetz fordert ein Zusammenschluss verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen die Einfuhrung eines verbindlichen Lieferkettengesetzes welches Unternehmen zur Einhaltung menschenrechtlicher Standards auch im Ausland entlang der gesamten Lieferkette verpflichtet 19 Eine ahnliche Entwicklung hin zu extraterritorialen Staatenpflichten und verbindlichen Sorgfaltspflichten fur Unternehmen gibt es auch in anderen europaischen Staaten In Frankreich wird im Januar 2015 ein entsprechender Gesetzesvorschlag diskutiert in Danemark wurde eine parlamentarische Arbeitsgruppe 20 eingesetzt Die Schweiz hat Berichte zur Einfuhrung verbindlicher Sorgfaltspflichten 21 erstellen lassen Die Konzernverantwortungsinitiative fordert daruber hinaus die Einfuhrung eines Gesetzes welches Konzerne in die Verantwortung zur Einhaltung von Menschenrechts und Umweltstandards auch im Ausland verpflichtet 22 Das deutsche Bundesministerium fur wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erkennt bereits an dass fur die Bundesrepublik Menschenrechte nicht nur auf ihrem eigenen Territorium sondern auch im Rahmen ihres Handelns in Internationalen Organisationen und im Ausland 23 gelten und wendet bereits in seiner Entwicklungszusammenarbeit ein entsprechendes Menschenrechtskonzept an Auch ein Beschwerdemechanismus fur Personen die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind wird derzeit geplant 24 Das Menschenrechtskonzept geht auch auf die extraterritoriale Staatenpflicht im Rahmen von Auslandseinsatzen der Bundeswehr ein Eine umfassende Anerkennung extraterritorialer Staatenpflichten durch die Bundesregierung ist jedoch nicht absehbar Einzelnachweise Bearbeiten UNO Menschenrechte Art 2 Abs 1 UN Zivilpakt Art 1 EMRK Art 1 AMRK https www auswaertiges amt de cae servlet contentblob 360794 publicationFile 3613 IntZivilpakt pdf https dejure org gesetze MRK 1 html http www oas org dil treaties B 32 American Convention on Human Rights htm Human Rights Committee Concluding observations on the sixth periodic report of Germany adopted by the Committee at its 106th session 15 October 2 November 2012 12 November 2012 CCPR CDEU CO 6 Abschnitt 16 https www2 ohchr org english bodies hrc docs co CCPR C DEU CO 6 doc http www institut fuer menschenrechte de fileadmin user upload PDF Dateien Pakte Konventionen ICESCR icescr de pdf Michael Krennerich Soziale Menschenrechte Zwischen Recht und Politik Schwalbach 2013 S 124 Einen Uberblick gibt Olivier de Schutter in de Schutter International Human Rights Law Oxford 2011 S 162 178 Olivier de Schutter International Human Rights Law Oxford 2011 S 162 178 Michael Krennerich Soziale Menschenrechte von der zogerlichen Anerkennung bis zur extraterritorialen Geltung in Zeitschrift fur Menschenrechte 2 2012 S 166 183 hier S 167 The Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory Advisory Opinion 2004 ICJ Rep p 136 109 Al Skeini and Others v the United Kingdom Appl No 5572 107 Urteil vom 7 2011 133 http www etoconsortium org Fons Coomans Die Verortung der Maastrichter Prinzipien zu den extraterritorialen Staatenpflichten im Bereich der wirtschaftlichen sozialen und kulturellen Rechten in Zeitschrift fur Menschenrechte 2 2012 S 27 47 hier S 30 Die Maastrichter Prinzipien zu den Extraterritorialen Staatenpflichten im Bereich der wirtschaftlichen sozialen und kulturellen Rechte FIAN Koln 2012 Michael Krennerich Soziale Menschenrechte Zwischen Recht und Politik Schwalbach 2013 S 126 Michael Krennerich Soziale Menschenrechte Zwischen Recht und Politik Schwalbach 2013 S 126 http www auswaertiges amt de DE Aussenpolitik Aussenwirtschaft Wirtschaft und Menschenrechte Uebersicht node html Auswartiges Amt Nationaler Aktionsplan Umsetzung der VN Leitprinzipien fur Wirtschaft und Menschenrechte September 2017 abgerufen am 16 Juli 2020 http www cora netz de cora steckbriefe Initiative Lieferkettengesetz Initiative Lieferkettengesetz abgerufen am 16 Juli 2020 http www ohchr org Documents Issues Business NationalPlans Denmark NationalPlanBHR pdf https www parlament ch de ratsbetrieb suche curia vista geschaeft AffairId 20123980 Konzernverantwortungsinitiative Konzerne sollen fur skrupellose Geschafte geradestehen Abgerufen am 16 Juli 2020 Menschenrechte in deutschen Entwicklungspolitik Bundesministerium fur wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2011 S 5 Memento vom 21 Dezember 2014 im Internet Archive Menschenrechte in deutschen Entwicklungspolitik Bundesministerium fur wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2011 S 21 Memento vom 21 Dezember 2014 im Internet Archive Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Extraterritoriale Staatenpflichten amp oldid 238851663