Als Dynamisches Gleichgewicht wird in der Technischen Mechanik das Gleichgewicht zwischen äußerer Kraft und Trägheitskraft bezeichnet.
Für einen Körper mit der Masse lautet das zweite Newtonsche Gesetz:
Dabei ist die äußere Kraft und die Beschleunigung des Schwerpunkts im Inertialsystem. Nachdem die Grundgleichung der Mechanik auf die Form
gebracht wurde, fasst man das negative Produkt aus Masse und Beschleunigung formal als Kraft auf, die als Trägheitskraft oder genauer als D'Alembertsche Trägheitskraft bezeichnet wird. Man erhält:
Damit ist das dynamische Problem auf ein statisches Problem des Kräftegleichgewichts zurückgeführt. Die Summe von äußerer Kraft und Trägheitskraft ist somit stets Null. Die d'Alembertsche Trägheitskraft greift im Schwerpunkt an, denn sie ist die Folge der Beschleunigung und nicht deren Ursache.
Der Vorteil dieser Vorgehensweise liegt darin, dass die Beschreibung einheitlich in einem Inertialsystem erfolgt und nicht weitere Bezugssysteme eingeführt werden müssen. Für viele Anwendungen in der Technischen Mechanik ist bereits ein erdfestes Bezugssystem mit ausreichender Genauigkeit ein Inertialsystem, in der Fahrzeugdynamik nach DIN ISO 8855 so festgelegt.
In älterer Literatur wird das dynamische Gleichgewicht öfter auch als D’Alembertsches Prinzip bezeichnet. Dies verkennt jedoch den fundamentalen Unterschied, denn beim D'Alembertschen Prinzip handelt es sich um einen eigenständigen Satz, nach dem die virtuelle Arbeit der Zwangskräfte verschwindet. Das dynamische Gleichgewicht ist dagegen eine (triviale) Gleichungsumstellung des Newtonschen Bewegungsgesetzes.
Anwendungen Bearbeiten
Schräglage eines Motorrads bei Kurvenfahrt Bearbeiten
In der Praxis kann man den Umstand ausnutzen, dass Trägheitskraft und äußere Kraft häufig an verschiedenen Punkten angreifen. Beispiel ist die Berechnung der Schräglage eines Motorrads bei stationärer Kurvenfahrt. Als äußere Kräfte wirken die Gewichtskraft im Schwerpunkt und die Reifenkräfte im Radaufstandspunkt auf das Motorrad. Die Reifenkräfte sind die Seitenkraft radial zum Kurvenmittelpunkt sowie die Radlast vertikal (beide nicht eingezeichnet).
Der Betrag von Zentripetalkraft bzw. Zentrifugalkraft berechnet sich aus der Bahngeschwindigkeit und dem Krümmungsradius der Bahn :
Wählt man als Bezugspunkt für das Momentengleichgewicht den Radaufstandspunkt, muss die resultierende Kraft aus Fliehkraft und Gewichtskraft durch den Radaufstandspunkt gehen, wenn das Motorrad nicht umkippen soll. Die Reifenkräfte, die die Zentripetalkraft ausüben, brauchen beim Momentengleichgewicht nicht berücksichtigt zu werden, da sie bezüglich des Bezugspunkts (Radaufstandspunkt) keinen Hebelarm besitzen und dadurch kein Moment erzeugen. Für die Schräglage ergibt sich
mit der Erdbeschleunigung , und der Radialbeschleunigung .
Wellrad Bearbeiten
Bei einem Wellrad sind zwei an Seilen aufgehängte Schwerpunktmassen und über eine Rolle mit unterschiedlichen Radien und miteinander verbunden. Vereinfachend wird angenommen, dass die Rolle kein Trägheitsmoment besitzt.
Durch Freischneiden am Seil mit den Seilkräften ergeben sich die Bewegungsgleichungen der beiden Massen. Die y-Richtung ist nach unten positiv definiert.:
Für die Seilkräfte ergibt sich somit:
Die Beschleunigungen können durch die Winkelbeschleunigung ausgedrückt werden:
Das Momentengleichgewicht an der Welle, bei dem die Trägheitskräfte der Massen eingehen lautet:
Falls nur die Seilkräfte von Interesse sind, können diese bei vorgegebener Winkelbeschleunigung berechnet werden. Bei unbekannter Winkelbeschleunigung werden die Seilkräfte in die Beziehung für das Momentengleichgewicht eingesetzt:
umgestellt:
Damit lautet die Bewegungsgleichung des Wellrades:
Die Trägheitswirkung der beiden Massen kann auch dem Wellrad zugeschlagen werden. Das statische Moment der beiden Massen wird durch ein äußeres Moment ersetzt. Es ergibt sich der Drallsatz in der bekannten Form:
mit .
Der Drallsatz kann weiter verallgemeinert werden. Er ist also auch auf eine Konfiguration anwendbar, bei der eine der beiden Massen Null ist. Beispielsweise könnte die Masse durch eine Person ersetzt werden, die am Seil zieht. Weiter könnte dem Wellrad ein eigenes Trägheitsmoment zugeordnet werden.
Bei der Atwoodschen Fallmaschine sind beide Radien gleich und die beiden Massen . Gesucht ist die translatorische Beschleunigung der Masse :
Weblinks Bearbeiten
Einzelnachweise Bearbeiten
- Werner Hauger, Walter Schell, Dietmar Gross: Technische Mechanik. Band 3: Kinetik. Springer, 1993, S. 168–171 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Dietmar Gross, Werner Hauger, Jarg Schrader, Wolfgang A. Wall: Technische Mechanik. 10. Auflage. Band 3 Kinetik. Gabler Wissenschaftsverlage, 2008, S. 191 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche): „Wir schreiben nun und fassen das negative Produkt aus der Masse und der Beschleunigung formal als eine Kraft auf, die wir […] D'Alembertsche Trägheitskraft nennen: . Diese Kraft ist keine Kraft im Newtonschen Sinne, da zu ihr keine Gegenkraft existiert (sie verletzt das Axiom actio=reactio!); wir bezeichnen sie daher als Scheinkraft.“
- Cornelius Lanczos: The Variational Principles of Mechanics. Courier Dover Publications, New York 1986, ISBN 0-486-65067-7, S. 88–110. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche): „We now define a vector I by the equation I = -m A. This vector I can be considered as a force created by the motion. We call it the "force of inertia". With this concept the eqation of Newton can be formulated as follows: F + I = 0.“
- Georg Hamel: Elementare Mechanik. Leipzig, Berlin 1912, Kap. VII, §37, S. 302 f. (Hamel verwendet das dynamische Gleichgewicht. Textarchiv – Internet Archive„Diese Gleichung, die eigentlich keine andere als die Newtonsche Grundgleichung ist, heiße in dieser Form der D'Alembertsche Ansatz.“)