Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie ist ein 1899 veröffentlichtes Buch von Eduard Bernstein. Dieses Buch war eine Zusammenfassung und Erweiterung von zwei Artikeln aus den Jahren 1897 und 1899, die in der von Karl Kautsky herausgegebenen Zeitschrift „Die Neue Zeit“ erschienen waren. Das Buch gewann schnell an Bedeutung in der deutschen Sozialdemokratie. Bernstein gilt als Begründer der revisionistischen Strömung in der SPD und legte mit diesem Buch ihren ersten wichtigen theoretischen Ausdruck.
Inhalt Bearbeiten
Bernstein trat dafür ein, die Theorien von Marx zu modifizieren bzw. zu verwerfen. Aufgrund Marx’ Anlehnung an David Ricardo und Hegel wären seine Analysen oftmals nicht wissenschaftlich und nicht brauchbar, um sich die Realität zu erschließen. Im Anschluss an die gegenwärtigen bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften verwarf er die Arbeitswerttheorie und mit ihr auch die Mehrwerttheorie, welche von Engels noch als eine der bedeutendsten Leistungen von Marx beschrieben wurde. Bernstein war der Ansicht, dass der Klassenkampf nicht zu-, sondern vielmehr abnehme. Es würde keine Konzentration und Zentralisation des Kapitals stattfinden, wie von Marx behauptet, was er anhand von deutschen, niederländischen und englischen Statistiken darzulegen versuchte. Er war der Meinung, dass Kartelle und Geschäftssyndikate eine harmonische Entwicklung des Kapitalismus befördern, weshalb er auch die marxschen Überlegungen zur Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Produktion in Frage zog. Er setzte der marxschen Theorie sein Konzept eines evolutionären Sozialismus gegenüber.
Reaktion Bearbeiten
Auf diesen theoretischen Vorstoß des revisionistischen Flügels der SPD kam postwendend eine Antwort vom linken Flügel und der marxistischen Orthodoxie. Schon 1898 attackierte Rosa Luxemburg Bernstein und formulierte die ersten Züge ihrer Zusammenbruchstheorie. Sie charakterisierte Bernsteins Theorie folgendermaßen:
Auch Kautsky übte postwendend eine ausführliche Kritik an Bernsteins Thesen.
In der bürgerlichen Presse wurde die bernsteinsche Schrift ebenfalls aufgegriffen, wie Kautsky zu berichten weiß:
Einordnung Bearbeiten
Das Buch gewann schnell an Bedeutung in der deutschen Sozialdemokratie. Einerseits war Bernstein lange Zeit ein Freund und Mitarbeiter von Friedrich Engels, einer Autoritätsperson in der Arbeiterbewegung, verfügte mit anderen über seinen Nachlass und hatte auf diese Weise wohl ebenfalls eine gewisse Autorität erreicht. Andererseits war er der Begründer der revisionistischen Strömung in der SPD, die mit diesem Buch ihren ersten wichtigen theoretischen Ausdruck fand. Eduard Bernsteins politische Positionierung hatte mehrere gesellschaftliche Grundlagen. So setzte 1895 eine lange Boomphase ein, die eine Basis für die Verbesserung der Lebensbedingungen der arbeitenden Massen darstellen konnte, weshalb man leichter für graduelle und friedliche Reformen im Kapitalismus eintreten konnte.
Ein weiterer Hintergrund für Bernsteins Position könnte in der imperialistischen Epoche selbst festgemacht werden. Für den Kapitalismus war es nun möglich, in den imperialistischen Zentren Teilen der Arbeiterklasse Konzessionen zuzugestehen, um die soziale Lage zu befrieden (Arbeiteraristokratie), was eine Basis für die Reformpolitik darstellen könnte.
Literatur Bearbeiten
- Eduard Bernstein: Erklärung an den Parteitag. 29. September 1898 (online).
- Eduard Bernstein: Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie. 1899 (online).
- Eduard Bernstein: An meine socialistischen Kritiker. In: Socialistische Monatshefte. 1/1900 (Januar 1900), S. 3–14 (online).
- Karl Kautsky: Bernstein und das Sozialdemokratische Programm. Eine Antikritik. Dietz, Stuttgart 1899 (online).
- Karl Kautsky: Rede gegen die revisionistischen Auffassungen Eduard Bernsteins. September 1901 am SPD-Parteitag (online).
- Rosa Luxemburg: Sozialreform oder Revolution. In: Leipziger Volkszeitung. Nr. 219–225, 21.–28. September 1898, und Nr. 76–80, 4.–8. April 1899 (2. Auflage 1908 online).
- Rosa Luxemburg: Kautskys Buch wider Bernstein. In: Leipziger Volkszeitung. Nr. 218–221, 20.–23. September 1899 (online).
Weblinks Bearbeiten
- Helga Grebing, Walter Euchner: Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland, S. 162–66.
Einzelnachweise Bearbeiten
- Rosa Luxemburg: Sozialreform oder Revolution?. Vorwort.
- Karl Kautsky: Bernstein und das Sozialdemokratische Programm. Einleitung
- Eduard Bernstein: Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie. Hamburg 1970, S. 99; zitiert nach Martin Jakob: Ausgangspunkte und Anfänge der marxistischen Imperialismus-Debatte. In: Marxismus. Nr. 7, März 1995, ISBN 3-901831-04-5