Deutschsprachige Kultur war ein wichtiger Bestandteil der Prager Geschichte.
Demographische Entwicklung Bearbeiten
Prag war seit dem Mittelalter die Hauptstadt des tschechischsprachigen Königreichs Böhmen. Im 15. und 16. Jahrhundert wurden die Bestrebungen zur Aufrechterhaltung der tschechischen Kultur und Sprache durch die kirchenreformatorischen Aktivitäten von Jan Hus und seinen Anhängern gegen verschiedene äußere Einflüsse gestärkt.
Nach der Eroberung Böhmens durch die Habsburgermonarchie 1620 in der Schlacht am Weißen Berg wurde Deutsch die offizielle Amtssprache. Es entstanden vielfache familiäre, wirtschaftliche und persönliche Beziehungen zu der deutschsprachigen Bevölkerung in den böhmischen Randregionen (Böhmendeutsche) und in den deutschsprachigen Nachbarländern.
Deutschsprachige Adlige lebten im 19. Jahrhundert vor allem auf der Kleinseite westlich der Moldau, die anderen in der Altstadt und der Neustadt. Außerdem gab es eine traditionsreiche jüdische Bevölkerung im Stadtteil Josefstadt (Josefov, früher Judenstadt), die als Umgangssprache ein Hochdeutsch, das sogenannte Prager Deutsch, sprach. Die ersten offiziellen Zählungen ergaben 1846 66.046 deutschsprachige und 36.687 tschechischsprachige Bewohner. Diese Zahlen wurden von den Pfarrgemeinden angegeben, sie waren wahrscheinlich etwas zugunsten der deutschsprachigen Bevölkerung zu hoch. Dazu gab es etwa 6.400 Juden.
Nach der Aufhebung des deutschen Sprachzwangs in der Habsburgermonarchie 1861 setzte sich das Tschechische schnell als einzige offizielle Amtssprache in der Stadt durch. Im Stadtrat gab es seitdem eine tschechischsprachige Mehrheit. Seit 1872 gab es offiziell nur noch tschechische Straßennamen.
In dieser Zeit wuchs die Bevölkerung der Stadt durch den Zuzug tschechischer Arbeiter innerhalb weniger Jahrzehnte auf fast das Doppelte (1880 213.000, 1910 405.000). Dadurch sank der relative Anteil der deutschsprachigen Bevölkerung auf unter zehn Prozent (1880 39.000, 1910 33.000). Diese hatte aber in dieser Zeit noch immer einen großen Anteil in führenden Positionen in Wirtschaft und Kultur. 1899 gab es mehrtägige Ausschreitungen gegen deutsche und jüdische Einrichtungen, die erst durch das Eingreifen von Militär beendet werden konnten.
Im Oktober 1918 wurde Prag die Hauptstadt des neuen tschechoslowakischen Staates. Danach wurden einige deutsche Einrichtungen geschlossen. Es blieb aber eine bedeutende deutsche Minderheit in der Stadt.
Nach der Eroberung des Landes durch die deutsche Wehrmacht 1939 wurde Deutsch wieder eine offizielle Amtssprache. Es wurde aber in Behörden, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen weiter tschechisch gesprochen.
Nach 1945 wurde die Mehrheit der deutschsprachigen Bevölkerung des Landes verwiesen. Danach gab es nur noch wenige Deutschsprachige in der Stadt, die sich dem tschechischen Umfeld weitgehend anpassen mussten. Deutsche Sprache und Kultur wurden dann zumeist nur noch im Privaten gepflegt. Als letzte Repräsentantin deutschsprachiger Kultur in Prag galt die Schriftstellerin Lenka Reinerová, die 2008 verstarb. Nach ihr ist eine Straße im Prager Stadtteil Řepy benannt.
Deutsche Kultur in Prag Bearbeiten
1724 gründete Graf Franz Anton von Sporck in Prag das erste öffentliche Operntheater in Böhmen. 1739 wurde dieses vom Theater an der Kotzen abgelöst. 1783 wurde ein neues Nationaltheater eröffnet. In diesem wurde 1791 die Oper Don Giovanni von Wolfgang Amadeus Mozart uraufgeführt. Später es zum böhmischen Ständetheater, in dem (seltener) auch tschechische Theaterstücke gespielt wurden. In Prag erschienen einige deutschsprachige Zeitungen und Zeitschriften. An der Karlsuniversität wurde Deutsch seit etwa 1800 die offizielle Sprache, ebenso in den drei Gymnasien (vorher Lateinisch). 1812 weilte Ludwig van Beethoven in Prag.
Nach 1861 entstand eine deutlichere Sprachentrennung in Schulen und dem öffentlichen Leben. Es wurden neue deutschsprachige und tschechischsprachige Schulen gegründet. 1882 wurde die Karlsuniversität in einen deutschen und einen tschechischen Teil aufgespalten. Es gab deutsche Studentenverbindungen (Lese- und Redehalle der deutschen Studenten in Prag). Das Deutsche Haus war ein kultureller Treffpunkt der Deutschen. 1882 wurde ein zweites deutsches Theater gegründet.
Seit etwa 1890 entstand eine neue deutschsprachige Literatur junger Autoren, von denen einige bald eine große Bekanntheit erlangten, wie Rainer Maria Rilke, Franz Kafka und Max Brod.
Nach 1918 erschienen in der Stadt weiter einige deutschsprachige Zeitungen sowie andere Literatur. Ab 1934 wurde Prag zu einem Zufluchtsort aus Deutschland geflüchteter Autoren wie Egon Erwin Kisch, außerdem zu einem wichtigen Ausgangsort für die Emigration von Deutschen in andere Länder. In dieser Zeit erschien dort Die Weltbühne.
Nach 1945 gab es nur noch vereinzelte deutschsprachige Veröffentlichungen in Prag, vor allem von offiziellen Stellen für das Ausland. Es gab verschiedene Angebote für Besucher aus den Nachbarländern Österreich, Bundesrepublik Deutschland und DDR. 1953 eröffnete die DDR ein Kulturzentrum in Prag, 1988 auch Österreich. Seit 1988 existiert die Deutsche Schule Prag. Die Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien gründete 1995 in Prag das private Thomas-Mann-Gymnasium mit angeschlossener Grundschule der deutsch-tschechischen Verständigung (Gymnázium Thomase Manna a Základní škola německo-českého porozumění).
Literatur Bearbeiten
- Gary B. Cohen: The Politics of Ethnic Survival. Germans in Prague 1861–1914. Princeton University Press, 1981.
- Walter Schmitz, Ludger Udolph (Hrsg.): Tripolis Praga. Die Prager Moderne um 1900. Katalogbuch. Dresden 2001, ISBN 3-933592-91-7 (Ausstellungskatalog, 402 Seiten).
- Leo Woerl (Hrsg.): Illustrierter Führer durch die königliche Landeshauptstadt Prag und Umgebung. Prag [1912] (Digitalisat).
Einzelnachweise Bearbeiten
- Gary B. Cohen: The Politics of Ethnic Survival. Germans in Prague 1861–1914. Princeton University Press, 1981, Neuauflage 2001, S. 19.
- Gary B. Cohen: Germans in Prague 1861–1914. 2001, S. 20.
- Statistický úřad hlavního města Prahy: Statistická zpráva hlavního města Prahy za léta 1926–1929 / Annuaire statistique de la ville de Prague années 1926–1929. Josef Šiška (red.), Praha 1933, S. xvi, 448 (Příloha)
- Alles wie früher. Prager Zeitung, 23. Januar 2020 (zur Geschichte des Theaters und seines Umfelds).