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Die Damenphilosophie ist eine Form popularwissenschaftlichen Schreibens insbesondere im Zeitalter der Aufklarung Sie wendet sich an ein adliges spater zunehmend burgerliches Publikum Damenphilosophische Texte vermitteln etablierte Philosophiemodelle an Nichtgelehrte Dabei konzentrieren sie sich inhaltlich haufig auf Themen der praktischen Philosophie wie die Morallehre Formal tendieren sie zu Dialog oder Briefform Sie sind allgemein verstandlich und in deutscher Sprache geschrieben Frauen sind immer Adressatinnen hochstwahrscheinlich Leserinnen und selten Autorinnen damenphilosophischer Texte Inhaltsverzeichnis 1 Begriffsgeschichte 2 Begriffsreflexion 3 Definition und Systematisierung 3 1 Subversives Philosophieren oder Metaphysik im Kleinformat 4 Literatur 5 WeblinksBegriffsgeschichte BearbeitenDer Begriff Damenphilosophie wird im 18 und 19 Jahrhundert sporadisch und nicht fachwissenschaftlich verwendet Er steht in einer Reihe mit Philosophie fur Damen Damenwissenschaften Damenmoral Frauenzimmer Moral Madchen Philosophie Als Fachbegriff etabliert wurde Damenphilosophie erst in der aktuellen philosophiegeschichtlichen Forschung Werner Schneiders fuhrte ihn in die Diskussion ein Zwischen Welt und Weisheit 1983 Das philosophische Frauenzimmer 1991 Begriffsreflexion Bearbeiten Damenphilosophie ist als wissenschaftlicher Terminus umstritten Das liegt unter anderem daran dass der Begriff gegenwartig anders konnotiert ist als im 18 Jahrhundert Heute steht er in semantischer Nahe zu Nominalfugungen wie Damenkranzchen Damenfussball und wird dadurch oft unreflektiert mit Unprofessionalitat und Freizeitvergnugen assoziiert Eine sprachgeschichtliche Begriffsreflexion fuhrt jedoch weiter Dame als Bezeichnung fur Frau verwies bis zum 18 Jahrhundert auf einen aristokratischen Kontext Daher ist der Begriff Damenphilosophie durchaus treffend Die so bezeichnete popularwissenschaftliche Literatur entstand im Kontext hofisch galanter Literatur und aristokratischer Geselligkeit Von dort aus eroberte sie burgerliches Terrain Der Begriff Damenphilosophie ist nicht im eigentlichen Sinne anwendbar fur andere Konstellationen in denen Frauen und Philosophie zusammenkommen Er ist abzugrenzen von Philosophie von und fur Frauen generell der Geschichte weiblichen Philosophierens feministischer Philosophie philosophischer Frauen und Geschlechterforschung Definition und Systematisierung BearbeitenWerner Schneiders unterscheidet in einer fluchtigen Skizze eine formale das heisst an Frauen von Stand adressierte Damenphilosophie im weiten Sinn eine inhaltliche das heisst fur Frauen konzipierte an ihren angeblichen oder wirklichen Interessen orientierte Damenphilosophie im engeren Sinn eine von Frauen geschriebene Damenphilosophie im engsten Sinn und eine von Frauen fur Frauen geschriebene Damenphilosophie im allerengsten Sinn Schneiders Schema wird von ihm nicht weiter ausgefuhrt es besitzt keinen theoretischen Anspruch und lasst Fragen offen warum gehort beispielsweise das Attribut fur Frauen geschrieben nur zur Damenphilosophie im allerengsten Sinn Eine prazisere Systematisierung der Damenphilosophie existiert nicht Sie liesse sich mit einem gendertheoretischen Kommunikationsmodell erreichen Aspekte dieses Modells waren Geschlechtszugehorigkeit des Senders Autor Geschlechtsspezifik der Botschaft Textinhalt Geschlechtszugehorigkeit des intendierten Empfangers Adressat und des faktischen Empfangers Rezipient Notwendiges Kriterium einer damenphilosophischen Schrift ware dabei einzig die Zugehorigkeit des Adressaten zum weiblichen Geschlecht Die Damenphilosophie steht in zwei Kontexten Kontext 1 Wissen und PopularisierungAufklarung im 18 Jahrhundert bedeutet zunehmende Alphabetisierung Leseforderung Ausdifferenzierung der Wissenschaften Entfaltung des Medienspektrums Vermittlung von Wissen an Nichtgelehrte Christian Thomasius gilt als Pionier aufklarerischer Wissenspopularisierung Seine Schrift Einleitung zu der Vernunfft Lehre 1691 richtet sich im Untertitel ausdrucklich an Menschen waserley Standes oder Geschlechts Einige deutsche Aufklarer des 18 Jahrhunderts verfassten zahlreiche weitere popularwissenschaftliche Texte Popularphilosophen wie Christian Garve Moses Mendelssohn und Johann Jacob Engel verbreiteten anerkannte philosophische Lehren Ihre Distanz zur Schulphilosophie zeigt sich formal und inhaltlich Sie schreiben deutsch allgemeinverstandlich und haufig in Dialog oder Briefform Ihre Texte thematisieren Anwendbarkeit und Nutzen philosophischer Konzepte Moral und Lebenshilfe Die Damenphilosophie lasst sich dieser Popularphilosophie zuordnen Ihr Spezifikum ist der Adressatinnenbezug Kontext 2 Wissen und GeschlechtAlphabetisierung Leseforderung Wissensvermittlung Frauen hatten an diesen aufklarerischen Prozessen nur eingeschrankt teil Madchenbildung war noch langst nicht selbstverstandlich Zur Universitat wurden Frauen nur ausnahmsweise zugelassen Weiblicher Autorschaft begegnete man mit hartnackiger Skepsis Dennoch diskutierte das 18 Jahrhundert engagiert uber weibliche Bildung Bildung meinte dabei immer auch philosophische Bildung Die Philosophie damals haufig als Weltweisheit bezeichnet umfasste ein weites Spektrum des Wissens von Welt und Mensch von Natur und Geist Es entstanden Lehrbucher Zeitschriften Leselisten und Lexika fur Frauen Diese Medien wiesen Frauen ein Spezialwissen zu Jenes Wissen entsprach der zunehmend als naturlich gedachten eigentlich aber gesellschaftlich vorgegebenen Bestimmung der Frau zur Gattin Hausfrau und Mutter Ein solcher geschlechtsspezifischer Wissenstransfer findet auch in damenphilosophischen Texten statt Die Forschung beurteilt ihn zwiespaltig Einerseits konnten Frauen erstmals selbststandig auf Wissen zugreifen Andererseits wurde es kontrolliert und eingeschrankt Indem Frauen nur spezielle weibliche Kenntnisse erwerben sollten wurden sie vom mannlich gepragten allgemeinen Wissen ausgeschlossen Autoren und SchriftenDie Anfange der Damenphilosophie liegen nicht in Deutschland In Frankreich diskutierte man bereits im 17 Jahrhundert uber die Philosophiefahigkeit der Frau Francois Poullain de la Barre De l education des dames pour la conduite de l esprit dans des sciences et dans les moeurs 1674 Armand de Gerard La philosophie des gens de cour 1680 Dort entstand auch das erste und zugleich bekannteste Werk des damenphilosophischen Kanons Bernard le Bovier de Fontenelle Entretiens sur la pluralite des mondes 1686 In einem erotisch galanten unterhaltsamen Gesprach unter dem Sternenhimmel erklart ein Ich Erzahler einer adligen Dame das cartesianisch kopernikanische Weltbild Fontenelles Entretiens wurde oft ubersetzt und breit rezipiert In England verbreiteten Frauenzeitschriften wie Lady s Journal 1693 ff und Ladies Diary 1704 ff philosophische und andere wissenschaftliche Themen Das erste deutsche Philosophielehrbuch fur Frauen erschien unter dem Pseudonym Clisander 1720 in Leipzig Die Einleitung zu der Welt Weissheit oder Philosophie eines galanten Frauenzimmers wird der Thomasius Schule zugerechnet Kurz darauf belehrt ein M F C B Studenten und Frauen uber Erste und vornehmste Grunde der Welt Weissheit 1724 Das Buch wurde 1730 ubersetzt von Antioch Kantemir in Russisch aber erst 1740 herausgegeben Grossere Bekanntheit als diese deutschen Lehrbucher erlangte eine italienische Damenphilosophie Francesco Algarotti Il Newtonianismo per le dame 1737 dt Ubs 1745 Nach Fontenelles Vorbild schrieb der italienische Gelehrte und Hofmann Francesco Algarotti einen Newton fur Damen Der Dialog popularisiert Newtons Optik und Mechanik Er wurde europaweit beruhmt und vielfach ubersetzt Die Damenphilosophie etablierte sich in Deutschland vor allem per Kulturtransfer Ubersetzungen zu Fontenelle und Algarotti erschienen Nach dem englischen Vorbild der moral weeklies entstanden Zeitschriften sie wandten sich gezielt an Leserinnen und popularisierten philosophische Themen In Frauenzimmer Bibliotheken empfahlen sie Bucher zur philosophischen Weiterbildung Johann Christoph Gottsched spielt hier eine zentrale Rolle Er gab die erste deutschsprachige Moralische Wochenschrift heraus Die Vernunftigen Tadlerinnen 1725 26 Seine Gesprache von mehr als einer Welt 1726 sind nicht die erste aber die wirkungsmachtigste Fontenelle Ubersetzung Die fuhrende philosophische Schule in der ersten Halfte des 18 Jahrhunderts war der Rationalismus Wolff scher Pragung Das spiegelt die Damenphilosophie wider Samuel Heinrich Formey La belle Wolfienne 1741 1753 Der aus Frankreich stammende Berliner Philosoph Samuel Heinrich Formey verfasste einen sechsbandigen Roman zu Christian Wolffs philosophischen Lehren ubersetzt als Die Schone Wolfianerin 1741 42 Johanna Charlotte Unzer Grundriss einer Weltweisheit fur das Frauenzimmer 1751 2 erw Aufl 1767 Die bekannteste deutsche Damenphilosophie verdankt ihr Renommee dem Geschlecht der Verfasserin Johanna Charlotte Unzer prasentiert eine wenig originelle Aufbereitung gangiger Philosophie vor allem Leibniz Wolff scher Lehren Dabei pflegt sie einen heiteren Plauderton und verwahrt sich vor echter Gelehrtheit Leonhard Euler Lettres a une Princesse d Allemagne 1768 Der Schweizer Mathematiker Leonhard Euler der viele Jahre in St Petersburg und Berlin wirkte richtet seine franzosische Schrift an eine Nichte Friedrichs des Grossen In Briefform vermittelt er Grundkenntnisse der Physik Mathematik Astronomie Theologie und Philosophie 1769 1773 erschien die Ubersetzung Briefe an eine deutsche Prinzessin uber verschiedene Gegenstande aus der Physik und Philosophie Philippine von Knigge Versuch einer Logic fur Frauenzimmer 1789 Ein weiteres damenphilosophisches Werk stammt von der Tochter des Freiherrn Adolph von Knigge Laut Vorrede handelt es sich um eine Niederschrift vaterlicher Lehren Philippine von Knigges Ziel ist eine anwendungsbezogene Ordnung der weiblichen Begriffe Jauch S 110 Im gleichen Jahr erschien noch eine freie Ubersetzung aus dem Franzosischen in Form eines Briefs an eine Dame Friedrich Eberhard von Rochow Eine kleine Logik oder Vernunft Anwendungs Lehre 1789 Generell verlor die Damenphilosophie jedoch spatestens mit dem Jahrhundertende an Bedeutung auch wenn sich noch im 19 Jahrhundert folgende Titel finden lassen Philosophie fur Damen Schiller 1803 Brief an eine Dame uber die Hegelsche Philosophie Karl Wilhelm Ernst Mager 1837 Subversives Philosophieren oder Metaphysik im Kleinformat Bearbeiten Ursula Pia Jauchs Buch Damenphilosophie amp Mannermoral 1990 machte den Begriff Damenphilosophie bekannt Jauch bezeichnet damit eine Philosophie fur das ungelehrte Frauenzimmer ohne Anspruch auf ein klassisch philosophisches Gutesiegel S 19 zu erheben Ihre These Damenphilosophie dekonstruiert die althergebrachte Schulmetaphysik Es gelingt Jauch allerdings nicht dieses subversive Potential der Damenphilosophie nachzuweisen Im Widerspruch dazu steht ausserdem ihre eigene ironische Abwertung der Damenphilosophie als in kleine leicht nachvollziehbare hubsche Lernschrittchen aufteilbare Metaphysikchen und Logikchen S 109 Literatur BearbeitenAndreas Gipper Wunderbare Wissenschaft Literarische Strategien naturwissenschaftlicher Vulgarisierung in Frankreich Von Cyrano de Bergerac bis zur Encyclopedie Fink Munchen 2002 ISBN 3 7705 3716 5 Ursula Pia Jauch Damenphilosophie amp Mannermoral Von Abbe de Gerard bis Marquis de Sade Ein Versuch uber die lachelnde Vernunft 2 durchges und korr Auflage Passagen Wien 1991 ISBN 3 900767 48 3 John Mullan Gendered Knowledge Gendered Minds Women and Newtonianism 1690 1760 In Marina Benjamin Hrsg A Question of Identity Women Science and Literature Rutgers University Press New Brunswick 1993 ISBN 0 8135 1982 9 S 41 58 Patricia Phillips The Scientific Lady A Social History of Women s Scientific Interests Weidenfeld and Nicolson London 1990 ISBN 0 297 82043 5 Moira R Rogers Newtonianism for the ladies and other uneducated souls The popularization of science in Leipzig 1687 1750 Lang New York u a 2003 ISBN 0 8204 5029 4 Werner Schneiders Zwischen Welt und Weisheit Zur Verweltlichung der Philosophie in der fruhen Moderne 1983 Das philosophische Frauenzimmer 1991 In Ders Philosophie der Aufklarung Aufklarung der Philosophie Gesammelte Studien Hg von Frank Grunert Duncker amp Humblot Berlin 2005 ISBN 3 428 11658 5 S 343 364 S 365 397 Weblinks BearbeitenElisabeth Strauss Science at the tea table Frauen und Naturwissenschaft im 18 Jahrhundert Memento vom 4 Januar 2007 im Internet Archive PDF 200 kB Frauen in den Naturwissenschaften Frauen in Wissenschaft und Technik Linksammlung Philosophinnen Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Damenphilosophie amp oldid 223197593