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Der Baukasten zu einer Theorie der Medien ist eine sozialistische Medientheorie von Hans Magnus Enzensberger Der Medienbaukasten knupft an die Kritik der Kulturindustrie durch die Frankfurter Schule an steht zugleich jedoch in der emanzipatorischen Tradition von Bertolt Brechts Radiotheorie Der Medienbaukasten wurde erstmals 1970 in der von Enzensberger herausgegebenen Zeitschrift Kursbuch publiziert Kernaussagen BearbeitenAusgangspunkt bildet die von Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklarung 1947 formulierte Kritik der modernen Kulturindustrie die Enzensberger unter dem Begriff Bewusstseins Industrie fortfuhrt Mit der Entwicklung der elektronischen Medien ist die Bewusstseins Industrie zum Schrittmacher der sozio okonomischen Entwicklung spatindustrieller Gesellschaften geworden Enzensbergers Verstandnis der Bewusstseinsindustrie ist dialektisch Er sieht in ihr sowohl einschrankende wie auch befreiende Elemente Einerseits ubernehmen die elektronischen Medien in der modernen Gesellschaft immer mehr Steuerungs und Kontrollfunktionen andererseits durchbricht ihre technische Struktur bisherige Beschrankungen Die Vermassung der Kommunikationsinhalte ebenso wie die Vielfalt der Kommunikationswege untergrabt die Moglichkeiten der Zensur Da elektronische Medien die Information beliebig reproduzierbar und allgemein zuganglich machen durchbrechen sie auch soziale Barrieren Die neuen Medien sind ihrer Struktur nach egalitar Kursbuch 20 1970 167 Von zentraler Bedeutung fur Enzensbergers Medientheorie ist die Aufhebung der Trennung zwischen Konsumenten und Produzenten Enzensberger formuliert in Bezugnahme auf Bertolt Brechts Radiotheorie Die elektronische Technik kennt keinen prinzipiellen Gegensatz von Sender und Empfanger Jedes Transistorradio ist von seinem Bauprinzip her zugleich ein potentieller Sender Kursbuch 20 1970 160 Im repressiven Mediengebrauch dagegen herrscht Enzensberger zufolge ein zentral gesteuertes Programm mit einem Sender und vielen Empfangern das die Konsumenten passiviert und entpolitisiert In der heutigen Gestalt dienen Apparate wie das Fernsehen oder der Film deswegen nicht der Kommunikation sondern ihrer Verhinderung Sie lassen keine Wechselwirkung zwischen Sender und Empfanger zu technisch gesprochen reduzieren sie den feedback auf das systemtheoretisch mogliche Minimum Kursbuch 20 1970 160 Ein emanzipatorischer Mediengebrauch macht dagegen jeden Empfanger auch zum Sender An dieser Stelle setzt auch Enzensbergers Kritik am bisherigen Medienverstandnis der Linken an die Kino Rundfunk und Fernsehen vor allem als Manipulationsinstrument begreifen das einflussreich gegen das Proletariat gerichtet sei Damit einher gehe das Festhalten an Buch und Zeitschrift also einer Mediensituation die etwa dem Stand von 1900 entspreche Die Manipulations These der Linken ist in ihrem Kern defensiv in ihren Auswirkungen kann sie zum Defaitismus fuhren Kursbuch 20 1970 163 Enzensberger versteht Mediengerate gerade nicht als reine Konsumtionsmittel Sie sind im Prinzip immer zugleich Produktionsmittel und zwar da sie sich in den Handen der Massen befinden sozialisierte Produktionsmittel Kursbuch 20 1970 168 Ahnlich wie Brecht macht Enzensberger allerdings die Einschrankung dass die Massenmedien in der kapitalistischen Organisationsform ihr volles Potential nicht entfalten Nur eine freie sozialistische Gesellschaft wird sie produktiv machen konnen Trotzdem gebe es keinen Grund fur die Linke in der bestehenden Gesellschaftsform auf die medialen Moglichkeiten zu verzichten die bereits verfugbar sind um neue Formen der Offentlichkeit herzustellen Tonbandgerate Bild und Schmalfilmkameras befinden sich heute schon in weitem Umfang im Besitz der Lohnabhangigen Es ist zu fragen warum diese Produktionsmittel nicht massenhaft in allen gesellschaftlichen Konfliktsituationen auftauchen Kursbuch 20 1970 170 Enzensberger fordert den ebenso aggressiven wie bewussten Zugriff auf die neuen Medien Ein unmanipuliertes Schreiben Filmen und Senden gibt es nicht Die Frage ist daher nicht ob die Medien manipuliert werden oder nicht sondern wer sie manipuliert Ein revolutionarer Entwurf muss nicht die Manipulateure zum Verschwinden bringen er hat im Gegenteil einen jeden zum Manipulateur zu machen Kursbuch 20 1970 166 Die politischen Aktivisten sollen dabei nicht nur den Mediengebrauch sondern auch Organisationsformen der grossstadtischen Subkulturen ubernehmen z B netzartige Kommunikationsmodelle die auf dem Prinzip der Wechselwirkung aufgebaut sind eine Massenzeitung die von ihren Lesern geschrieben und verteilt wird ein Videonetz politisch arbeitender Gruppen usw Kursbuch 20 1970 170 Nicht umsonst erinnert der Netzwerk Gedanke an die Organisationsstruktur des Internets Das oft so genannte Netz der Netze hat die scharfe Trennung zwischen Sender und Empfanger von Anfang an aufgehoben Fur Enzensberger ist die Aufhebung dieser Trennung die allgemeine Bedingung der modernen Medienwelt Der Netzwerk Gedanke dagegen hat Anfang der siebziger Jahre sehr viel speziellere Funktion Es gilt namlich ein strukturelles Problem sozialistischer Bewegungen zu uberwinden die Dialektik von Disziplin und Spontaneitat Zentralismus und Dezentralisation autoritarer Fuhrung und antiautoritarer Desintegration Kursbuch 20 1970 170 Im Spiegel 2 2000 ausserte sich Enzensberger kritisch hinsichtlich seiner 1970 geausserten medientheoretischen Uberlegungen 1 Wohl gesprochen zu einer Zeit da vom Internet noch keine Rede war Doch fuhrte der Versuch des Verfassers die Medienpraxis zu uberholen zu allerhand Erwartungen die heute naiv anmuten Dem imaginaren Netz der Zukunft wurden ganz im Gegensatz zu den alten Medien utopische Moglichkeiten zugeschrieben seine emanzipatorische Potenz stand fur den Dichter ausser Frage Ganz im Sinn der marxistischen Theorie hegte er ein unbegrenztes Zutrauen in die beruhmte Entfaltung der Produktivkrafte eine materialistische Variante der christlichen Trias von Glaube Liebe und Hoffnung Heute wurden auf derartige Verheissungen nur die Evangelisten des digitalen Kapitalismus schworen Vielleicht empfiehlt sich 30 Jahre spater eine gewisse Nuchternheit Spiegel 2 2000Literatur BearbeitenHans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien In Kursbuch 20 S 159 186 1970Einzelnachweise Bearbeiten Hans Magnus Enzensberger Das digitale Evangelium erschienen in Der Spiegel 2 2000 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Baukasten zu einer Theorie der Medien amp oldid 233261204