Als Alternativmedien werden Massenmedien bezeichnet, die sich in irgendeiner Weise von den etablierten Medien bzw. dem Mainstream unterscheiden. Der Begriff ist in der Medienwissenschaft noch nicht trennscharf definiert und wurde zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich verwendet.
Abgrenzung zum Mainstream Bearbeiten
In der wissenschaftlichen Forschungsliteratur werden Medien, die sich vom politischen, gesellschaftlichen oder medialen Mainstream abgrenzen, als Alternativmedien bezeichnet. Darüber, worin das Alternative an den Alternativmedien besteht, gibt es keinen Konsens. Früher wurde der Begriff vor allem für linke Medien verwendet, denen es darum ging, Gegenöffentlichkeit herzustellen. Beispiele hierfür waren die Alternativzeitschriften der 1970er und 1980er Jahre. Da es aber auch rechte Medien gibt, die so bezeichnet werden, schlägt der Medienwissenschaftler Fabian Prochazka vor, die Abgrenzung nicht entlang der politischen Ausrichtung zu suchen. Die Medienwissenschaftlerin Jennifer Rauch gliedert die Unterschiede zwischen Mainstream- und Alternativmedien nach Form und Inhalt: Formal weisen Alternativmedien oft eine nicht-kommerzielle Ausrichtung aus, eine kollektive Organisation mit flachen Hierarchien und einem lockeren Netzwerk von Autoren, dem Nichtvorhandensein professionalisierter Rollen (Bürger-Journalismus) und einer geringeren Reichweite. Inhaltlich legen Alternativmedien typischerweise den Fokus auf oppositionelle oder radikale Politik sowie auf Themen, Gruppen und soziale Bewegungen, die im Mainstream real oder ihrer Meinung nach zu wenig beachtet werden. Meist haben Alternativmedien den Anspruch, ihre Konsumenten für ein soziales oder politisches Anliegen zu mobilisieren. Daher sprechen sie meist nur spezialisierte Teilöffentlichkeiten an. Laut der Medienwissenschaftlerin Lisa Schwaiger hat der digitale Wandel dem Begriff der Alternativmedien „eine neue Rahmung verschafft“. Da sie vor allem die „partizipativen Möglichkeiten des Internets“ nutzen, können sie zwar als „Chance für deliberative Prozesse“ betrachtet werden, in der aktuellen Forschung werden sie jedoch „vor allem negativ konnotiert und als gefährlich für die soziale Ordnung respektive Demokratie eingestuft“.
Typologie Bearbeiten
Lisa Schwaiger hat für ihre Dissertation für den Zeitraum 2018/19 deutschsprachige Internetseiten mit Nachrichtencharakter via Google erfasst, die für sich den Anspruch erhoben, alternativ bzw. frei, unzensiert oder unabhängig zu sein. Aus den so identifizierten 178 Websites unterzog sie 56 einer qualitativen Inhaltsanalyse auf Grundlage der Grounded Theory und kam so zu einer Typologie:
- Den ersten Typus, der am häufigsten vorkommt, nennt sie „Aufdecker der Mainstreamlügen“. Die so eingestuften Websites nähmen für sich in Anspruch, angebliche Fake News des Mainstreams aufzudecken und in Abgrenzung davon eine wahrheitsgemäße Berichterstattung anzubieten. Achtzehn Websites dieses Typus, darunter Epoch Times Deutschland, Sputnik Deutschland und Politically Incorrect würden monatliche Zugriffe von über einer Million aufweisen, wohingegen mehr als die Hälfte aller Alternativmedien weniger als 100.000 Zugriffe hätten.
- Den zweiten Typ nennt Schwaiger „Verschwörung und Spiritualität“: Diesen Websites gehe es darum, angebliche Geheimnisse des Mainstreams aufzudecken, wobei davon ausgegangen werde, hinter gesellschaftlichen Ereignissen stecke stets eine Verschwörung der Eliten; nichts beruhe auf Zufall. Alternativmedien dieses Typs träten deutlich laienhafter auf als die des ersten und seien in der Hauptsache spendenfinanziert. Beispiele für diesen Typ seien KenFM und Alpenparlament.
- „Aufstand der Zivilgesellschaft“ nennt Schwaiger den dritten Typ: Er stehe in der Tradition der Alternativpresse der 1960er- und 1970er-Jahre und der damals Neuen Sozialen Bewegungen. Auf diesen Websites stehe die Kritik an sozialer Ungleichheit, an Kapitalismus oder Rechtspopulismus im Mittelpunkt, häufig gehe es um sozialistische Themen. Sie seien ebenfalls spendenfinanziert und würden von Laien oder Vertretern von NGOs produziert. Als Beispiele nennt Schwaiger unter anderen das österreichische Online-Medium mosaik oder die Schweizer Zeitschrift Rote Anneliese.
- Medien des vierten Typs, den Schwaiger „Die seriöse Alternative“ nennt, wiesen im Vergleich den höchsten Professionalisierungsgrad auf. Sie würden häufig von Start-up-Unternehmen betrieben und setzten sich zum Ziel, ihrem Publikum vertiefte Recherchen anzubieten, die es in den ihres Erachtens kommerzialisierten Mainstreammedien nicht finden würden. Beispiele hierfür seien etwa die deutsche Website Krautreporter oder das Schweizer Magazin Republik.
Alternativmedien im Rechtspopulismus Bearbeiten
Laut dem Politikberater Johannes Hillje greifen vor allem Rechtpopulisten auf Alternativmedien zurück. Er spricht von einer regelrechten „Medienstrategie ‚Propaganda 4.0‘“, durch die sie große Erfolge in der Aufmerksamkeitsökonomie der Gegenwart zeitigten: Diese Strategie sei gekennzeichnet durch vier Elemente:
- die Delegitimierung der so genannten klassischen Medien als „Lügenpresse“
- die Bereitstellung digitaler Alternativmedien wie Kanäle auf Facebook, YouTube, Twitter bzw. Instagram oder eigenständigen Nachrichtenportalen
- die enge Bindung der Konsumenten an diese Kanäle, wodurch eine eigene kollektive Identität ausgebildet werde
- ein strategisch-instrumentelles Verhältnis zu journalistischen Massenmedien. Laut der Medienwissenschaftlerin Gabriele Hooffacker haben die Rechtspopulisten dabei Kommunikationskonzepte der Linken aus den 1970er Jahren kopiert.
Alternativmedien und Verschwörungstheorien Bearbeiten
Laut dem Kulturwissenschaftler Michael Butter haben die Möglichkeiten des Internets zur Verbreitung von Verschwörungstheorien und zur Ausbildung einer regelrechten konspirationistischen Gegenöffentlichkeit geführt: Diese Art von Erklärung gesellschaftlicher Phänomene sei seit den 1960er Jahren öffentlich stigmatisiert gewesen. Seit den 2000er Jahren falle es Verschwörungsgläubigen dagegen leicht, Gleichgesinnte zu finden, um ihre Thesen zu diskutieren; verschwörungstheoretische Inhalte seien auch nicht mehr nur in obskuren Zeitschriften oder Spezialbuchhandlungen zu finden. Stattdessen gebe es eine erhebliche Zahl an Websites, die sich auf verschwörungstheoretische Thesen spezialisiert hätten. Mittlerweile sei ein eigenes Mediensystem entstanden, das sich ausdrücklich als Alternative zur traditionellen Öffentlichkeit und vor allem zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den überregionalen Tageszeitungen verstehe. Hierzu rechnet Butter unter anderem KenFM, Telepolis, die NachDenkSeiten, Rubikon und den Schweizer Infosperber. Ein Beispiel für eine Verschwörungstheorie, die von Alternativmedien aufgebracht und popularisiert wurde, ist QAnon. Das bizarre Narrativ von kinderfolternden Eliten, denen Donald Trump das Handwerk legen werde, kam zuerst auf 4chan auf und wurde dann von YouTubern und Aktiven auf anderen Webseiten mit kommerziellen Interessen in einer Cross-Plattform-Strategie weiterverbreitet, um durch Klickzahlen Einkünfte zu generieren.
Alternativer Medienpreis Bearbeiten
Seit 2000 zeichnen die gemeinnützige Nürnberger Medienakademie e. V. sowie die ebenfalls gemeinnützige Stiftung Journalistenakademie innovative Formate mit dem Alternativen Medienpreis aus.
Literatur Bearbeiten
- Gabriele Hooffacker: Copycats oder innovativ und integrativ? Ein Vorschlag zur Beurteilung von „Alternativmedien“. In: Journalistik.online 3 (2020), S. 250–262 (PDF).
- Bernd Hüttner, Christiane Leidinger (Hrsg.): Handbuch Alternativmedien 2011/2012: Printmedien, Freie Radios, Archive & Verlage in der BRD, Österreich und der Schweiz. Verein zur Förderung der sozialpolitischen Arbeit (SPAK), Wasserburg 2011, ISBN 978-3-940865-22-9.
- Markus Linden: Von der Fundamentalkritik zum völkischen Widerstand: Medien- und Politikkritik in digitalen ‚Alternativmedien‘. In: Hans-Jürgen Bucher (Hrsg.): Medienkritik zwischen ideologischer Instrumentalisierung und kritischer Aufklärung. Herbert von Halem Verlag, Köln 2020, ISBN 978-3-86962-445-7, S. 375–394
- Jennifer Rauch: Exploring the Alternative–Mainstream Dialectic: What “Alternative Media” Means to a Hybrid Audience. In: Communication, Culture and Critique 8, Heft 1, (2015), S. 124–143.
- Lisa Schwaiger: Gegen die Öffentlichkeit. Alternative Nachrichtenmedien im deutschsprachigen Raum. transcript, Bielefeld 2022, ISBN 978-3-8376-6121-7 (PDF). doi:10.14361/9783839461211
Weblinks Bearbeiten
- ZAPP - Das Medienmagazin: Ken Jebsen, Stefan Magnet und Co. - Medien gegen den "Mainstream". Teil 1 auf YouTube, 15. September 2022.
- ZAPP - Das Medienmagazin: Ken Jebsen, Stefan Magnet und Co. - Medien gegen den "Mainstream". Teil 2 auf YouTube, 15. September 2022.
Einzelnachweise Bearbeiten
- Daniel Vogler, Lisa Schwaiger et al.: Falschinformationen, Alternativmedien und Verschwörungstheorien – Wie die Schweizer Bevölkerung mit Desinformation umgeht. Bericht für das Bundesamt für Kommunikation, University of Zurich, 2021, S. 9.
- Fabian Prochazka: Vertrauen in Journalismus unter Online-Bedingungen. Zum Einfluss von Personenmerkmalen, Qualitätswahrnehmungen und Nachrichtennutzung. Springer VS, Wiesbaden 2020, ISBN 978-3-658-30226-9, S. 21.
- Jennifer Rauch: Exploring the Alternative–Mainstream Dialectic: What “Alternative Media” Means to a Hybrid Audience. In: Communication, Culture and Critique 8, Heft 1, (2015), S. 124–143, hier S. 126.
- Fabian Prochazka: Vertrauen in Journalismus unter Online-Bedingungen. Zum Einfluss von Personenmerkmalen, Qualitätswahrnehmungen und Nachrichtennutzung. Springer VS, Wiesbaden 2020, S. 21 f.
- Lisa Schwaiger: Gegen die Öffentlichkeit: Alternative Nachrichtenmedien im deutschsprachigen Raum. transcript, Bielefeld 2022, S. 11.
- Lisa Schwaiger: Gegen die Öffentlichkeit: Alternative Nachrichtenmedien im deutschsprachigen Raum. transcript, Bielefeld 2022, S. 249 ff.
- Lisa Schwaiger: Gegen die Öffentlichkeit: Alternative Nachrichtenmedien im deutschsprachigen Raum. transcript, Bielefeld 2022, S. 145–154.
- Lisa Schwaiger: Gegen die Öffentlichkeit: Alternative Nachrichtenmedien im deutschsprachigen Raum. transcript, Bielefeld 2022, S. 154–160.
- Lisa Schwaiger: Gegen die Öffentlichkeit: Alternative Nachrichtenmedien im deutschsprachigen Raum. transcript, Bielefeld 2022, S. 161–168.
- Lisa Schwaiger: Gegen die Öffentlichkeit: Alternative Nachrichtenmedien im deutschsprachigen Raum. transcript, Bielefeld 2022, S. 168–174.
- Johannes Hillje Digitale Desinformation: Propaganda 4.0 von Europas Rechtspopulisten. Bundeszentrale für politische Bildung, 2. Mai 2019.
- Gabriele Hooffacker: Copycats oder innovativ und integrativ? Ein Vorschlag zur Beurteilung von „Alternativmedien“. In: Journalistik.online 3 (2020), S. 250–262, hier S. 250.
- Michael Butter: Verschwörungs(theorie)panik. „Filter Clash“ zweier Öffentlichkeiten. In: Heiner Hastedt (Hrsg.): Deutungsmacht von Zeitdiagnosen. Interdisziplinäre Perspektiven. Transcript Verlag, Bielefeld 2019, ISBN 978-3-8376-4592-7, S. 197–211, konkret S. 205.
- Katharina Kleinen-von Königslöw, Gerret von Nordheim: Verschwörungstheorien: Verschwörungstheorien in sozialen Netzwerken am Beispiel von QAnon. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 27. August 2021.
- Gabriele Hooffacker: Copycats oder innovativ und integrativ? Ein Vorschlag zur Beurteilung von „Alternativmedien“. In: Journalistik.online 3 (2020), S. 250–262, hier S. 255.