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Ain Sendbrieff aines furtreffenlichen gottsforchtigen hyrten und lerers Ein Sendbrief eines vortrefflichen gottesfurchtigen Hirten und Lehrers ist der Titel eines im Jahr 1526 von unbekannter Hand verfassten Schreibens das an die damals junge Taufergemeinde in St Gallen gerichtet war und deren kurz zuvor an den Verfasser gerichtete Fragen zu beantworten suchte Es ist das alteste uberlieferte Lehrschreiben eines Taufers an Taufer 1 Fundort Zurcher Zentralbibliothek Der Sendtbrieff ist Teil der von Johann Jakob Simmler 1716 1788 zusammengestellten Handschriftensammlung die sich heute in der Zurcher Zentralbibliothek befindet sie war der modernen Tauferforschung bislang unbekannt da sie weder durch den gedruckten noch durch den elektronischen Handschriftenkatalog erschlossen worden ist Christian Scheidegger innerhalb der Zentralbibliothek Leiter der Abteilung Seltene Bucher 2 veroffentlichte 2014 eine erste Untersuchung der tauferischen Schrift 3 Sie enthalt auch einen leicht uberarbeiteten Nachdruck des in der Handschriftensammlung Simmlers vorgefundenen Sendbrieffs 4 Inhaltsverzeichnis 1 Absender und Adressat 2 Zum Inhalt 2 1 Einleitung des Sendbrieffs 2 2 Erster Abschnitt 2 3 Zweiter Abschnitt 2 4 Briefschluss 3 Literatur 4 EinzelnachweiseAbsender und Adressat BearbeitenZum Verfasser des Sendbrieffs dem furtreffenlichen gottsforchtigen hyrten und lerer gibt es verschiedene Vermutungen Eine davon bezieht sich auf Wolfgang Ulimann auch Uolimann geschrieben einen Martyrer der Tauferbewegung der zwischen 1528 und 1530 hingerichtet worden ist 5 Uliman der von Konrad Grebel die Glaubigentaufe empfangen hatte gilt als einer der Begrunder und Leiter der St Galler Taufergemeinde Seine offentlichen Auftritte fuhrten zu mehreren Gefangnisaufenthalten und schliesslich zur Ausweisung aus St Gallen im Januar 1526 Wo sich Ulimann direkt im Anschluss an seine Haft aufgehalten hat ist nicht bekannt Belegt ist allerdings dass er einige Monate spater in Basel lebte und dort fur die Stadt arbeitete 6 Die Annahme dass Ulimann Verfasser des Briefes ist hat gewiss gute Grunde lasst sich aber nicht beweisen Gegen Leopold Scharnschlager um 1485 1563 der ebenfalls als Verfasser diskutiert wurde weil seine Frau Anna hiess und dieser Name in den abschliessenden Briefgrussen auftaucht spricht vor allem die Datierung des Sendbrieffs die sich mit Scharnschlagers Lebenslauf nicht in Ubereinstimmung bringen lasst 7 nbsp St Gallen um 1548 Uber die Adressaten des Briefes die etliche n guthertzig kinder gottes der kirchen Sanct Gallen ist wesentlich mehr bekannt Am Anfang der St Galler Taufergemeinde stand ein Hauskreis der von Johannes Kessler einem uberzeugten Anhanger der zwinglischen Reformation gegrundet worden war Zu diesem Kreis stiess 1523 Lorenz Hochrutiner ein aus St Gallen stammender Weber Freund Konrad Grebels und Mitbegrunder des Zurcher Castelberger Lesekreises Er stellte in den Zusammenkunften ab 1524 die Sauglingstaufe in Frage und stiess dabei auf den erbitterten Widerstand Kesslers Nachdem dieser den Hauskreis verlassen hatte ubernahm Ulimann die Leitung Als am 15 September 1524 die Hausversammlungen durch den St Galler Stadtrat verboten wurden begann Ulimann zunachst im Freien und spater im Zunfthaus der Weber zu predigen Im Februar 1525 liess er sich im Rhein bei Schaffhausen taufen Zwei Monate spater traf Konrad Grebel in St Gallen ein und taufte nach einem zweiwochigen Aufenthalt am Palmsonntag mehrere Hundert Personen in der Sitter Diese Taufe gilt als der eigentliche Beginn der St Galler Tauferbewegung Mit ihr waren ausser den bereits Genannten eine ganze Reihe bedeutender Tauferpersonlichkeiten verbunden darunter Eberli Bolt Felix Mantz Jorg Blaurock und Hans Denck Bereits am 7 Juni 1525 wurde seitens des Stadtrates ein Mandat erlassen das Geldstrafen fur diejenigen vorsah die die Taufe an sich vollziehen liessen Mit Verbannung wurde bedroht wer die Tauferversammlungen besuchte Das Mandat verbot ausserdem den Besuch auslandischer Tauferlehrer Um einem moglichen Aufstand vorzubeugen wurde eine 200 Mann starke Polizeitruppe gebildet Die Repressionsmassnahmen fuhrten dazu dass Ende 1526 die starke Bewegung zu einer kleinen Gruppe zusammengeschmolzen war 8 Das war die Situation in der der Sendbrieff in St Gallen eintraf und Antwort gab auf die im Vorfeld gestellten Fragen einer kleinen und verfolgten Gemeinde Zum Inhalt BearbeitenEine klare Gliederung des Sendbrieffs fehlt dennoch lasst sich eine gewisse Struktur erkennen Sichtbar werden verschiedene Themenkreise die der hyrte und lerer in seinem Schreiben behandelt 9 Einleitung des Sendbrieffs Bearbeiten Nach einem kurzen Segensgruss bestatigt der Schreiber den Eingang des Briefes der St Galler Taufergemeinde vom 30 Oktober 1526 Dann dankt er Gott fur die Entwicklungen in der Gemeinde vor allem fur deren geistliches Wachstum da sie so zeigt es ihr Brief ihren eiffer nach gott ettlicher mass vermert haben 10 Dem Dank an Gott folgt die Bitte das in St Gallen begonnene Werk durch den Heiligen Geist voranzubringen damit die Gemeindemitglieder in Glauben und im Gehorsam dem Wort Gottes gegenuber nicht wankend werden Bis ans Ende sollen sie vest und unverrucklich mit der Kirche und gspons Christi 11 durch die Kraft und Leitung des Heiligen Geistes ausharren Hinter dieser Bitte steckte vermutlich die Besorgnis des Briefschreibers die verbliebene Schar der St Galler Taufer konnte in die offizielle Kirche zuruckkehren und sich damit wieder in den vorigen irthum und unsauberkeit sampt dem gotzendienst 12 zu bewegen Fur die Taufer war die zwinglische Reformation nur eine unvollkommene Die Heiligenbilder und statuen wurden in St Gallen nur sehr zogerlich aus den Sakralraumen entfernt und evangelische Abendmahlsfeiern hatten bis zur Abfassung des Sendbrieffs noch nicht stattgefunden obgleich die romische Messe bereits im Mai 1525 abgeschafft worden war Die Reformation beschrankte sich vor allem auf die evangelische Predigt Die Erwahnung des Heiligen Geistes im Eingang des Briefes und in seinen weiteren Abschnitten ist nicht zufallig Schon in prototauferischen Kreisen spielte eine in Ansatzen entwickelte Pneumatologie eine grosse Rolle So beklagte sich Zwingli bereits 1524 dass der Streit um Begriffe das Zusammenkommen in kleinen Zirkeln ausserhalb der verfassten Kirche sowie die Aburteilung anderer Christen bei diesen Sektierern spiritus Geist heisse die Ursache fur ihr Treiben liege jedoch in Wirklichkeit in ihren menschlichen Begierden 13 Dabei waren die meisten Prototaufer und Taufer keine Spiritualisten sie standen was die Lehre vom Heiligen Geist anging durchaus in der Tradition der Reformatoren 14 lehnten es jedoch ab in Lehr und Lebensfragen neben dem Heiligen Geist und den durch ihn vermittelten Wahrheiten auch weltliche und kirchliche Obrigkeiten zu dulden Erster Abschnitt Bearbeiten Der erste Hauptteil des Briefes bezieht sich auf das Verhaltnis der St Galler Taufer zu ihrem Lehrer Sie hatten in ihrem Brief von der Erkenntnis ihrer Sunden aber auch von der empfangenen Vergebung berichtet die durch das insprechen des h ailigen gaists 15 ihnen zu einer inneren Gewissheit geworden war Um welche erkannten und vergebenen Sunden es sich dabei handelte wird nicht berichtet sie mussen aber mit dem hyrten und lerer im Zusammenhang stehen In seinem Antwortschreiben vergibt er die bekannte Schuld und bittet gleichzeitig um Vergebung fur etwaige seinerseits begangene Verfehlungen Jich pitt euch auch entgegen wo ich jendert etwz wider euch sampt oder besonders hett gethuon ir wollets mirs auch verzichen ums heren willen 16 Scheidegger vermutet dass das hier angesprochene Bekenntnis von Schuld und deren Vergebung eine in der St Galler Taufergemeinde ubliche Praxis spiegelt die wiederum auf das Vorbild des Kurschners und spateren Taufers Antoni Roggenacher zuruckgeht der in Tablat durch sein eigenes Beispiel das Sundenbekenntnis vor versammelter Gemeinde eingefuhrt haben soll 17 Zweiter Abschnitt Bearbeiten In einem weiteren Briefabschnitt geht es um eine Lehre vom neuen Menschen Der neue Mensch so der Briefschreiber ist nicht das Ergebnis frommer Anstrengungen sondern Werk des Heiligen Geistes Dabei wird aber die neue Existenz dem alten sundigen Leben nicht einfach ubergestulpt der Sunder muss in Gottes Handeln einwilligen und auf Gottes Wirken antworten Diese menschlichen Reaktionen auf gottliches Tun werden mit den Begriffen Busse Glaube und Taufe angedeutet Sie grunden aber in Christy befelch 18 und sind erst durch den Empfang der Heiligen Geistes als tauff Christi 19 moglich geworden Wesentlich fur den Verfasser ist jedoch die durch Christus vollzogene innere Beschneidung der beschnidung on hend 20 durch die der an Jesus Christus glaubige Mensch verwandelt wird Wer diese Veranderung erfahren hat ist Teil der Gemeinde Jesu die nit habe ain flecken oder runtzel oder dz ettwas sonder dz si sey hailg 21 Aber auch dieser Veranderungsprozess erfordert das Mitwirken des Menschen er hat sein Leben so auszurichten dass er nicht in die alten Lebensweisen zuruckfallt Dabei hat der Glaubige mit dem Widerstand seiner alten verdorbenen Vernunft sowie seiner fleischlichen Luste zu rechnen beides halt ihm bestandig das Leiden und die Unbequemlichkeit des neuen Lebens vor Augen Gefahrlich sei vor allem das alte Denken das christlich verkleidet daherkommt Scheidegger vermutet dass hier eine Anspielung auf das Christentum in den werdenden Staatskirchen herauszuhoren ist Hinter der Warnung des hyrten und lerers vor dem falschen Propheten sieht er auch eine Warnung vor Ulrich Zwingli 22 Auffallig im Lehrteil des Briefes sind die haufigen Verweise auf Bibelstellen die im Text oft fast wortlich zitiert werden Sie zeigen dass die biblische Unterweisung in Tauferkreisen sehr geschatzt wurde obwohl sie an eine mehrheitlich theologisch nicht gebildete Horer bzw Leserschaft hohe Anforderungen stellte 23 Die Kirchengeschichtlerin Andrea Strubind kommt in ihren Untersuchungen zum fruhen Taufertum zu einem ahnlichen Ergebnis sie leitete daraus die Forderung ab das Taufertum wieder starker unter theologischen Gesichtspunkten zu erforschen 24 Briefschluss Bearbeiten Am Ende des Sendbriefes findet sich eine Schlussbemerkung sowie ein Segenswort Der anonyme Verfasser lebte danach nicht oder aber nicht mehr in St Gallen scheint aber der dortigen Taufergemeinde kein Unbekannter zu sein Moglicherweise hat er ihr zeitweilig als Reiseprediger gedient 25 Literatur BearbeitenChristian Scheidegger Ein unbekannter Brief eines Tauferlehrers 1526 und ein neuer Blick auf die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz In Basel als Zentrum des geistigen Austausches in der fruhen Reformationszeit Hrsg Christine Christ von Wedel et al Mohr Siebeck Tubingen 2014 S 273 292Einzelnachweise Bearbeiten Christian Scheidegger Ein unbekannter Brief eines Tauferlehrers 1526 und ein neuer Blick auf die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz In Basel als Zentrum des geistigen Austausches in der fruhen Reformationszeit Hrsg Christine Christ von Wedel et al Mohr Siebeck Tubingen 2014 S 274 uzh academia edu Christian Scheidegger eingesehen am 8 Februar 2023 Christian Scheidegger Ein unbekannter Brief eines Tauferlehrers 1526 und ein neuer Blick auf die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz S 273 292 Christian Scheidegger Ein unbekannter Brief eines Tauferlehrers 1526 und ein neuer Blick auf die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz S 290 292 zur Bearbeitung der Vorlage siehe besonders Anmerkung 75 S 290 Zu Ulimann siehe Ludwig Keller Artikel Ulimann gen Schorank Wolfgang In Allgemeine Deutsche Biographie Hrsg Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Band 39 1895 S 187 18 Eine digitale Volltextausgabe des Artikels findet sich bei Wikisource eingesehen am 8 Februar Emil Durr Hrsg Aktensammlung zur Geschichte der Basler Reformation in den Jahren 1519 bis Anfang 1534 Band 2 Juli 1525 bis Ende 1527 Basel 1933 S 484 Christian Scheidegger Ein unbekannter Brief eines Tauferlehrers 1526 und ein neuer Blick auf die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz S 273f siehe auch Anmerkung 3 S 274 Harold S Bender St Gall Switzerland In Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia Online 1959 online eingesehen am 8 Februar 2023 Daten und Fakten des folgenden Abschnitts orientieren sich sofern nicht anders angegeben an Christian Scheidegger Ein unbekannter Brief eines Tauferlehrers 1526 und ein neuer Blick auf die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz S 275 278 Die Zitate sind dem bei Christian Scheidegger Ein unbekannter Brief eines Tauferlehrers 1526 und ein neuer Blick auf die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz S 290ff entnommen Braut Christi in dem fruheren Irrtum und in der fruheren Unsauberkeit samt Gotzendienst Emil Egli et al Huldrych Zwinglis samtliche Werke Band 3 Corpus Reformatorum 90 Leipzig 1914 S 405 Vergleiche dazu Johannes Calvin In Evangelioum secundum Johannem commentarius Band 2 Hrsg Helmut Feld Genf 1998 S 154 28 31 zu Johannes 14 25 Eingebung des Heiligen Geistes Ich bitte euch auch umgekehrt wo ich irgendeinmal etwas gegen euch insgesamt oder besonders getan habe ihr wollet es mir auch verzeihen um des Herrn willen siehe dazu Christian Scheidegger Ein unbekannter Brief eines Tauferlehrers 1526 und ein neuer Blick auf die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz S 291 Anmerkung 80 Zu Antoni Roggenacher siehe Leonhard von Muralt Hrsg Quellen zur Geschichte der Taufer in der Schweiz Band 2 Zurich 1973 S 615 Christi Befehl Taufe Christi gemeint ist die Taufe durch Christus Beschneidung ohne menschliche Hande die weder Flecken noch Runzeln hat oder sonst etwas sondern dass sie heilig sei siehe dazu Eph 5 27 EU Christian Scheidegger Ein unbekannter Brief eines Tauferlehrers 1526 und ein neuer Blick auf die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz S 277f S 292 Christian Scheidegger Ein unbekannter Brief eines Tauferlehrers 1526 und ein neuer Blick auf die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz S 278 Andrea Strubind Eifriger als Zwingli Die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz Duncker amp Humblot Berlin 2003 ISBN 3 428 10653 9 S 585f Schlussbemerkung Christian Scheidegger Ein unbekannter Brief eines Tauferlehrers 1526 und ein neuer Blick auf die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz In Basel als Zentrum des geistigen Austausches in der fruhen Reformationszeit Hrsg Christine Christ von Wedel et al Mohr Siebeck Tubingen 2014 S 278 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Ain Sendbrieff aines furtreffenlichen gottsforchtigen hyrten und lerers amp oldid 235853813