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Der Castelberger Lesekreis war ein nach seinem Initiator und Gastgeber Andreas Castelberger benannter Zurcher Bibelkreis dessen Grundung um 1522 1523 1 erfolgte Er gehorte zu den Ausgangspunkten der Tauferbewegung Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrund 1 1 Sodalitat und Lesekreis 1 2 Gemeinsamkeiten und Unterschiede 2 Geschichte und Wirksamkeit 3 Praxis 4 Der Castelberger Lesekreis und die Anfange der Tauferbewegung 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseHintergrund BearbeitenVorbild des Castelberger und anderer Bibellesekreise waren vermutlich die von Conrad Celtis ins Leben gerufenen humanistisch orientierten Sodalitaten die durch Vermittlung der Celtis Schuler Huldrych Zwingli und Joachim Vadian auch in Zurich Fuss fassten Sie waren nach dem Vorbild der Platonischen Akademie konzipiert 2 verstanden sich als Lerngemeinschaft und zielten darauf ab ausserhalb der noch am Althergebrachten orientierten Universitaten humanistisches Bildungsgut zu verbreiten Sodalitat und Lesekreis Bearbeiten Zu Zwinglis Sodalitat die spatestens im Fruhsommer 1520 gegrundet worden sein muss 3 gehorte auch Konrad Grebel der spatere Mitbegrunder der Zurcher Taufergemeinde In einem Brief an Vadian vom 15 September 1520 teilte Grebel mit dass er gemeinsam mit diesem Kreis Griechisch und in diesem Zusammenhang vor allem auch Platon studiere Felix Manz ein weiterer Mitbegrunder der Zurcher Taufergemeinde nahm vermutlich ab 1522 an einem Hebraisch Kurs teil den Zwingli innerhalb seiner Sodalitat anbot und bei dem es um das Studium der Psalmen ging 4 Ein weiteres Mitglied der Sodalitat das sich spater in Tauferkreisen bewegte war Simon Stumpf der 1523 gegen den von der Kirche erhobenen Zehnten predigte und noch im selben Jahr gemeinsam mit Grebel und Mantz von Zwingli eine radikalere Durchfuhrung der Reformation forderte 5 Dass mindestens die drei genannten Manner und spateren Taufer sowohl zu Zwinglis Sodalitat als auch zum spateren Castelberger Lesekreis gehorten macht die Verflechtung beider Gruppen deutlich Ob auch Andreas Castelberger in dessen Haus sich der Lesekreis versammelte Mitglied der Sodalitat war ist nicht eindeutig zu belegen nach Andrea Strubind aber von hoher Wahrscheinlichkeit 6 Gemeinsamkeiten und Unterschiede Bearbeiten Zwischen Lesekreis und Sodalitat gab es auffallige Gemeinsamkeiten Beide Kreise trafen sich nicht im offentlichen Raum sondern in Privathausern Die entscheidenden thematischen Impulse gab ein Lehrer Sodalitat beziehungsweise ein Leser Lesekreis 7 Die Textauslegung das freundschaftliche Gesprach uber das Gehorte sowie gemeinsame Mahlzeiten in familiarer Atmosphare gehorten zum fixen Programm beider Kreise 8 Auch die Organisationsstrukturen von Sodalitat und Lesekreis lassen Gemeinsamkeiten erkennen sie waren stichwortartig formuliert antihierarchisch und nichtklerikal Trotz dieser Ahnlichkeiten unterschieden sich Sodalitat und Lesekreis in einigen Punkten von denen hier zwei besondere Erwahnung finden sollen Wahrend sich die humanistische Lerngemeinschaft mit biblischen und philosophischen Texten gleichermassen beschaftigte richtete der Lesekreis sein Interesse vor allem auf die Bibel Im Gegensatz zur Sodalitat die sich mit ihren Angeboten primar an die Gelehrten und Gebildeten richtete offnete sich der Lesekreis einem erheblich breiteren Spektrum des Zurcher Burgertums 9 Geschichte und Wirksamkeit BearbeitenDie genauen Anfange des Castelberger Lesekreises liegen bislang im Dunklen Der Vergleich einzelner Informationen ergibt einen terminus a quo Sommer 1522 und einen terminus ad quem Fruhjahr 1523 Uber die im Lesekreis vertretenen Lehrauffassungen und uber die Zusammensetzung seiner Mitglieder bestehen ebenfalls nur bruchstuckhafte Informationen die im Folgenden zusammen getragen werden Zum Zurcher Lesekreis gehorten neben den bereits Genannten Grebel Manz Stumpf u a folgende weitere Mitglieder Heinrich Aberli 10 Lorenz Hochrutiner 11 ein gewisser W Ininger und Bartlime Pur auch Bartlime Pfister genannt 12 Bei einem Verhor berichtete Heinrich Aberli dass der Castelberger Lesekreis aufgrund eines besonderen Wunsches zustande gekommen sei Er selbst Hochrutiner Ininger und Pfister Pur hatten das Anliegen gehabt sich in der evangelischen Lehre und insbesondere in den Schriften des Apostels Paulus gemeinsam weiterzubilden Daraufhin habe man nach einem geeigneten Lehrer gesucht und sei bei der Suche auf Andreas Castelberger einen theologisch gebildeten Buchhandler gestossen 13 Offensichtlich blieben Aberli und seine Freunde nicht die Einzigen die an einem biblischen Quellenstudium interessiert waren Der Kreis um Castelberger wuchs und notigte die Teilnehmer nach neuen Versammlungsorten Ausschau zu halten Der Lesekreis wurde vor allem im Blick auf den sozialen Stand seiner Mitglieder zur Bibelschule des gemeinen Mannes 14 Dass die thematischen Schwerpunkte der Lesekreis Treffen von den Teilnehmern bestimmt wurden geht aus Berichten uber den St Galler Lesekreis hervor 15 Danach stand sowohl in St Gallen als auch in Zurich der Romerbrief im Mittelpunkt des Interesses Dass auch der sogenannte Leser von den Teilnehmern bestimmt wurde lasst sich aus dem vorhandenen Quellenmaterial folgern Castelberger war wie gesagt von Aberli und dessen Freunden um Hilfe gebeten worden Von Johannes Kessler der dem St Galler Lesekreis angehorte horen wir Folgendes Aber nit dester minder wo ir zusammen kommend will ich willig sin mich zu uch fugen und ain besundere frod haben mit uch von der gschrift und warhait unsers christlichen globens helfen reden lezen und gesprech ze halten damit wir in der ekanntnus Jesu Christi zunemmen und wachsen mogen 16 Danach will Kessler sich also fugen das heisst auf die Bitte des St Galler Lesekreises eingehen und reden lesen und besprechen helfen Dieses Zitat vermittelt zwei weitere wichtige Informationen Die Veranstaltung des Lesekreises bestand einerseits also nicht nur aus einer Vorlesung sondern vor allem aus einem gemeinsamen Gesprach uber den verlesenen Text Andererseits erwartete der Leser nicht nur fur seine Horer sondern auch fur sich selbst ein Zunehmen und Wachstum in der ekanntnus Jesu Christi Praxis BearbeitenZu den wesentlichen Programmpunkten der Zusammenkunfte des Lesekreises gehorten das Verlesen biblischer Texte und das sich daran anschliessende Bibelgesprach Die zu verhandelnden Texte wurden zwar durch eine gemeinsame Ubereinkunft der Teilnehmer beschlossen die Einflussnahme des Lesers darf dabei aber nicht unterschatzt werden Das Bibelgesprach das sich dem meist kommentierten Verlesen des Bibeltextes anschloss hatte nicht selten die Form einer lebhaften Disputation Hin und wieder kam es auch zu heftigen Streitgesprachen und manchmal auch aufgrund nicht beigelegter Meinungsverschiedenheiten zur Spaltung 17 Auch scheinen im Lesekreis selbst beziehungsweise in seinem Umfeld sozialkritische Gedanken laut geworden zu sein So lehrte Castelberger zum Beispiel dass jeder der Heim Hof Acker oder Weiden der Armen enteignet nicht besser sei als ein Morder 18 Es scheint so der Tauferforscher Werner O Packull 18 dass Castelberger und seine Freunde die heiligen Texte im Kontext grosserer sozialer Zusammenhange gelesen haben Aus spateren Vernehmungsprotokollen geht hervor dass insbesondere Castelberger sich immer wieder unter Berufung auf das Neue Testament gegen den Kriegsdienst und das Soldnerwesen ausgesprochen hat Item der Andrea Andreas Castelberger hab geseit vil vom kriegen wie die gottlich ler so heftig darwider und wie sund das syg derselb kriegsmann syg vor gott dem allmachtigen ouch nach inhalt evangelischen ler ein morder und nit besser denn der so armout halb murde oder stele 19 Dass bei den Zusammenkunften des Lesekreises auch gegessen und getrunken wurde geht indirekt aus Geruchten hervor die im Umfeld des Lesekreises entstanden Es hiess man gebe sich bei den Versammlungen der Vollerei und dem Prassen hin Der Lesekreisteilnehmer Hochrutiner entgegnete auf diese Vorwurfe dass nach den Veranstaltungen jeweils etwas Wein gereicht worden sei um einen anschliessenden Besuch der offentlichen Wirtshauser zu vermeiden 20 Der Castelberger Lesekreis und die Anfange der Tauferbewegung BearbeitenAuf die Tatsache dass eine Reihe namentlich bekannter Mitglieder des Lesekreises zu den Initiatoren der kurze Zeit spater entstandenen Taufergemeinde gehorten wurde bereits hingewiesen Ob der Zurcher Bibelkreis im Haus der Mutter von Felix Manz der sich am 21 Januar 1525 fur die Glaubenstaufe entschied und sie dann auch durchfuhrte mit dem Castelberger Lesekreis identisch oder aus ihm hervorgegangen ist konnte bislang nicht geklart werden Die Parallelen zwischen diesem und jenem Kreis liegen jedoch nicht nur in personeller Hinsicht auf der Hand Der Biblizismus der Tauferbewegung 21 ihre Ethik z B Pazifismus sowie die Grundzuge ihrer Ekklesiologie waren im Leskreis bereits keimhaft angelegt Der Tauferforscher Johannes Goeters kommt in seinen Untersuchungen zu folgendem Ergebnis In dieser Gruppe Castelberger Lesekreis einer um das Neue Testament sich versammelnden Laienbewegung die sich gleichermassen von weltlicher Geselligkeit und katholischem Gottesdienst zuruckzieht haben wir die Wiege des Taufertums unter den stadtzurcher Burgern zu sehen 22 Literatur BearbeitenAndrea Strubind Eifriger als Zwingli Die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz Duncker und Humblot Berlin 2003 ISBN 3 428 10653 9 S 129 146 Der Castelberger Lesekreis Heinold Fast Zur Uberlieferung des Leser Amtes bei den oberdeutschen Taufern In Mennonitische Geschichtsblatter Nr 54 1997 S 61 68 Weblinks BearbeitenChristian Neff Werner O Packull Castelberger Andreas In Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia OnlineEinzelnachweise Bearbeiten Vgl Andrea Strubind Eifriger als Zwingli Die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz Duncker und Humblot Berlin 2003 ISBN 3 428 10653 9 S 129 Die prazise Datierung und der konkrete Anlass der Entstehung ist nicht eindeutig zu belegen Nach allen Recherchen bleibt der vage Zeitraum von 1522 bis Anfang 1523 am wahrscheinlichsten Andrea Strubind Eifriger als Zwingli Die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz Duncker und Humblot Berlin 2003 ISBN 3 428 10653 9 S 133 Dieses Datum lasst sich aus einem Schreiben Oswald Myconius vom 10 Juni 1520 ableiten in dem Myconius der Sodalitat Zwinglis Grusse ausrichten lasst Siehe dazu Andrea Strubind Eifriger als Zwingli Die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz Duncker und Humblot Berlin 2003 ISBN 3 428 10653 9 S 135 Ekkehard Krajewski Leben und Sterben des Zurcher Tauferfuhrers Felix Mantz Uber die Anfange der Tauferbewegung und des Freikirchentums in der Reformationszeit Kassel 1958 S 22f Homepage des Schleitheimer Museums wayback archive Vom Beginn bis zum Schleitheimer Bekenntnis Memento vom 27 Oktober 2006 im Internet Archive eingesehen am 10 Dezember 2013 Andrea Strubind Eifriger als Zwingli Die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz Duncker und Humblot Berlin 2003 ISBN 3 428 10653 9 S 138 Vgl dazu Heinold Fast Vom Amt des Lesers zum Kompilator des sogenannten Kunstbuches Auf den Spuren von Jorg Maler in Quellen zur Geschichte der Taufer XVII Band Gutersloh 2007 S 42 71 Vgl dazu Emil Egli Actensammlung zur Geschichte der Zurcher Reformation Zurich 1879 Nr 623 S 276 278 Vgl dazu Harold S Bender Conrad Grebel 1498 1526 The Founder of the Swiss Brethren Sometimes Called Anabaptists Goshen 1950 S 87f Leonhard von Muralt Walter Schmid Hrsg Quellen zur Geschichte der Taufer in der Schweiz Bd I Zurich 1974 2 Auflage S 405 Hochrutiner gehorte auch dem St Galler Lesekreis an vgl Hanspeter Jecker Hochreutiner Hochrutiner Lorenz In Historisches Lexikon der Schweiz Zu Pur siehe Leonhard von Muralt Walter Schmid Hrsg Quellen zur Geschichte der Taufer in der Schweiz Bd I Zurich 1952 1 Auflage S 19 65 385 Vgl Andrea Strubind Eifriger als Zwingli Die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz Duncker und Humblot Berlin 2003 ISBN 3 428 10653 9 S 130 Werner O Packull Die Anfange des Schweizer Taufertums im Gefuge der Reformation des Gemeinen Mannes in Anabaptistes et dissidents au XVIe siecle Actes du Colloque international d histoire anabaptiste du XVIe siecle tenu a l occasion de la XIe Conference Mennonite mondiale a Strasbourg Juillet 1984 Juli 1984 Baden Baden 1987 S 54 Heinold Fast Hrsg Quellen zur Geschichte der Taufer in der Schweiz Bd II Zurich 1972 S 593 Zitiert nach Andrea Strubind Eifriger als Zwingli Die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz Duncker und Humblot Berlin 2003 ISBN 3 428 10653 9 S 141 Vergleiche dazu Andrea Strubind Eifriger als Zwingli Die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz Duncker und Humblot Berlin 2003 ISBN 3 428 10653 9 S 140 a b Zitiert nach Werner O Packull The Origins of Swiss Anabaptism in the Context of the Reformation o the Common Man in The Reformation Critical Concepts in Historical Studies Hrsg Andrew Pettegree London 2004 ISBN 0 415 31667 7 S 334 Quellen zur Geschichte der Taufer der Schweiz Band I Nr 397 387 zitiert nach Andrea Strubind Eifriger als Zwingli Die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz Duncker und Humblot Berlin 2003 ISBN 3 428 10653 9 S 144 Andrea Strubind Eifriger als Zwingli Die fruhe Tauferbewegung in der Schweiz Duncker und Humblot Berlin 2003 ISBN 3 428 10653 9 S 144 vgl dazu John C Wenger Der Biblizismus der Taufer in Das Taufertum Erbe und Verpflichtung Hrsg Guy F Hershberger Stuttgart 1963 S 161 172 J F G Goeters Die Vorgeschichte des Taufertums in Zurich in Studien zur Geschichte und Theologie der Reformation Festschrift fur Ernst Bizer Neukirchen Vluyn 1969 S 255 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Castelberger Lesekreis amp oldid 216610386