Space Shuttle abort modes (englisch für Space-Shuttle-Abbruchmodi) waren Notfallprozeduren für technische Probleme während der letzten Startvorbereitungen oder des Fluges eines Space Shuttles. Am wahrscheinlichsten konnte dies während der Start- und Aufstiegsphase auftreten, z. B. beim Ausfall eines Haupttriebwerks. Beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre und dem Landeanflug gab es weniger Abbruchoptionen. So bestand während des Wiedereintritts der Raumfähre Columbia am Ende der Mission STS-107 keine Möglichkeit, das Auseinanderbrechen des Shuttles abzuwenden.
Fehler, die während einer späteren Phase der Landung auftraten, konnten überlebt werden, auch wenn dies dann nicht mehr als Abbruch galt. So hätte etwa ein Problem mit dem Flugkontrollsystem oder mehrere Ausfälle der Hilfstriebwerke das Erreichen der Landebahn unmöglich machen und die Astronauten dazu zwingen können, über dem Ozean abzuspringen.
Abbruchsarten während des Aufstiegs Bearbeiten
Es gab fünf mögliche Abbruchsarten während des Aufstiegs, als Ergänzung zu Abbrüchen auf der Startplattform. Diese wurden als intakte Abbrüche und Abbrüche mit Schadensmöglichkeit klassifiziert. Die Entscheidung, welche Abbruchart gewählt wurde, war von der Situation abhängig und welche Notlandebahn erreicht werden konnte. Die Abbrucharten umfassten eine große Anzahl an möglichen Problemen, aber das am meisten erwartete Problem war das Ausfallen des Haupttriebwerks des Space Shuttles. Ob es dadurch unmöglich wurde, den Atlantik zu überqueren oder einen Orbit zu erreichen, hing vom Zeitpunkt und der Anzahl der ausgefallenen Triebwerke ab. Weitere mögliche nicht-triebwerksabhängige Ausfälle waren ein mehrfaches Ausfallen von Hilfstriebwerken, ein Kabinenleck oder ein Leck im externen Tank.
Redundant-Set-Launch-Sequencer-(RSLS)-Abbruch Bearbeiten
Die drei Haupttriebwerke (SSME, Space Shuttle Main Engines) konnten auf der Startplattform abgeschaltet werden, solange die Feststoffbooster noch nicht gezündet hatten (von T − 6,6 bis T − 0,0 Sekunden). Dies wird als Redundant Set Launch Sequencer Abbruch bezeichnet und passierte fünf Mal, bei STS-41-D, STS-51-F, STS-51, STS-55 und STS-68. Jedes Mal wurde dieser Abbruch durch einen Computer ausgelöst, der über Sensoren ein Problem mit den Haupttriebwerken, nach deren Zündung, aber vor dem Zünden der Feststoffbooster (SRBs), feststellte. Waren die Feststoffbooster einmal aktiviert, konnten sie nicht mehr abgestellt werden und das Space Shuttle hätte starten müssen. In diesem Fall existierte keine Möglichkeit zum Abbruch, bis die SRBs nach 123 Sekunden ausgebrannt waren. Ein vorzeitiges Absprengen der SRBs war nicht vorgesehen, da die daraus resultierende dynamische Beanspruchung den Orbiter zerstört hätte.
„Intakte“ Abbruchsarten Bearbeiten
Es gab vier „intakte“ Abbruchsarten, die einen Abbruch des Fluges im eigentlichen Sinne bewirkten (englisch: intact abort modes), jedoch wurde nur eine (ATO) jemals ausgeführt. Diese Abbrüche sind dafür ausgelegt, eine sichere Rückkehr des Orbiters zu einer zuvor geplanten Landebahn zu gewährleisten. Die jeweils gültige Abbruchsart wurde vom Kommandanten über einen Schalter mit den Stellungen „OFF“, „RTLS“, „TAL/AOA-S“ und „ATO“ gewählt.
Abbrüche mit Schadensmöglichkeit Bearbeiten
War aufgrund schwerwiegender Fehler ein intakter Abbruch nicht mehr möglich, hatte die Sicherung des Überlebens der Crew höchste Priorität; dabei wurden auch etwaige (irreparable) Schäden an der Fähre in Kauf genommen.
Wenn der Orbiter kein sicheres Rollfeld erreichen konnte, hätte eine Notlandung auf geeignetem Untergrund oder eine Notwasserung durchgeführt werden müssen – allerdings sanken bei solchen Manövern die Überlebenschancen der Besatzungsmitglieder. Wäre auch eine Notlandung/-wasserung nicht möglich gewesen, hätte die Besatzung an einer Führungsstange gleitend mit Fallschirmen abspringen können, sofern die Raumfähre in einen kontrollierten Gleitflug übergegangen wäre.
Beim Challenger-Unglück (1986) und dem Absturz der Columbia (2003) standen keine Abbruchsoptionen mehr zur Verfügung, da in beiden Fällen die Raumfähren innerhalb kürzester Zeit zerstört wurden.
Während des Aufstiegs der Raumfähre Challenger löste ein defekter Dichtungsring im rechten Feststoffbooster ein Feuer aus, welches sich durch die Isolierung und den Mantel des Außentanks brannte und den darin befindlichen flüssigen Wasserstoff und Sauerstoff zur Explosion brachte.
Die Columbia zerbrach beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre aufgrund eines fehlerhaften Hitzeschildes im Bereich der linken Flügelwurzel. Die Fähre bewegte sich zum Zeitpunkt des Unglücks mit hoher Überschallgeschwindigkeit, so dass die Besatzung einen Ausstieg aus dem Orbiter aufgrund der großen Hitzeentwicklung durch Luftreibung unter keinen Umständen überlebt hätte. Zudem bestand bei der Entdeckung des Schadens bereits kein Funkkontakt mehr mit der Shuttle-Crew, im Abschlussbericht der NASA aus dem Jahr 2005 geht man davon aus, dass die Crewmitglieder zu diesem Zeitpunkt zwar noch am Leben, aber bewusstlos waren.
Notlandeplätze Bearbeiten
Üblicherweise endeten die Shuttleflüge auf der Shuttle Landing Facility am Kennedy Space Center oder auf der Edwards Air Force Base in Kalifornien. Die einzige Mission, die auf einen anderen Landeplatz ausweichen musste, war STS-3, die auf der White Sands Missile Range in New Mexico aufsetzte. Daneben waren für jede Mission Notlandeplätze definiert, die allerdings nie benötigt wurden.
ECAL-Landeplätze Bearbeiten
Neben der Shuttle Landing Facility, die für den RTLS-Fall verwendet werden sollte, gab es noch mehrere Flugplätze an der nordamerikanischen Ostküste, die für eine Notlandung kurz nach dem Start zur Verfügung standen (ECAL = East Coast Abort Landing). Je nach Missionsprofil wurden einige davon während des Shuttlestarts in Bereitschaft versetzt, verfügten aber nicht über shuttlespezifische Einrichtungen oder NASA-Personal. Dies betraf folgende Flugplätze:
- Myrtle Beach International Airport in Myrtle Beach, South Carolina
- Wilmington International Airport in North Carolina
- Marine Corps Air Station Cherry Point in North Carolina
- Naval Air Station Oceana in Virginia
- Dover Air Force Base bei Dover in Delaware
- Atlantic City International Airport in New Jersey
- Francis S. Gabreski Airport in Westhampton Beach, New York
- Otis Air National Guard Base (Cape Cod) in Massachusetts
- Pease Air National Guard Base bei Portsmouth in New Hampshire
- Halifax Stanfield International Airport in Nova Scotia, Kanada
- Stephenville International Airport in Neufundland, Kanada
- St. John’s International Airport in Neufundland, Kanada
- Gander in Neufundland, Kanada
- Canadian Forces Base Goose Bay in Neufundland, Kanada
- Naval Air Station Bermuda auf Bermuda
TAL-Landeplätze Bearbeiten
Bestimmte Flugplätze in Europa und Afrika wurden mit shuttlespezifischen Einrichtungen ausgestattet und als „erweiterte Landeplätze“ (Augmented Landing Sites) bezeichnet. Für jeden Shuttlestart wurde ein oder mehrere dieser Flugplätze als TAL-Landeplatz ausgewählt und mit NASA-Personal versorgt. Während der Betriebszeit des Space Shuttle waren folgende Landeplätze für TAL-Anflüge aktiv:
- Banjul in Gambia (von Juli 1988 bis November 2002)
- Ben Guerir Air Base bei Marrakesch in Marokko (von Juli 1988 bis Juni 2002)
- Casablanca in Marokko (bis Januar 1986)
- Dakar in Senegal (bis September 1987)
- Istres in Frankreich (ab Juni 2005)
- Moron Air Base bei Sevilla in Spanien (ab 1984)
- Rota in der Provinz Cádiz, Spanien (1992)
- Zaragoza Air Base in Spanien (ab 1983)
Für die geplanten Shuttlestarts von der Vandenberg Air Force Base in Kalifornien war die Osterinsel als TAL-Landeplatz vorgesehen.
Erweiterte Notlandeplätze Bearbeiten
Für den Fall, dass eine außerplanmäßige Landung nicht während des Startvorgangs durchgeführt werden musste, und dass diese Landung nicht auf den bevorzugten Landebahnen in den USA stattfinden konnte, waren einige Flugplätze mit shuttlespezifischen Einrichtungen und mit NASA-Personal ausgestattet. Diese wurden als „Erweiterte Notlandeplätze“ (Augmented Emergency Landing Sites) bezeichnet. Es handelte sich dabei um:
- Andersen Air Force Base, Guam
- Joint Base Pearl Harbor-Hickam/Honolulu International Airport, Hawaii
- Hao, Französisch-Polynesien
Weitere Notlandeplätze Bearbeiten
Darüber hinaus konnte das Space Shuttle auf jeder Landebahn landen, die lang genug war, und die im vom Shuttle überflogenen Gebiet lag. Die NASA hielt eine Liste von 25 bis 30 Flugplätzen, auf denen im Notfall gelandet werden konnte. Diese Liste umfasste:
- Europa: Arlanda (Schweden), Beja (Portugal), Brize Norton (Vereinigtes Königreich), Fairford (Vereinigtes Königreich), Köln/Bonn (Deutschland), Shannon (Irland), Souda Bay (Griechenland),
- Afrika: Amílcar Cabral International Airport (Kapverdische Inseln), Gran Canaria (Kanarische Inseln), Hoedspruit (Südafrika), Kinshasa (Zaire), Lajes Field (Azoren), Monrovia (Liberia), Tamanrasset (Algerien), Ascension
- Asien: Diyarbakır (Türkei), Diego Garcia, Esenboğa (Türkei), Riad (Saudi-Arabien)
- Ozeanien: Amberley (Australien), Darwin (Australien)
- Amerika: Bangor (Maine, USA), China Lake (Kalifornien, USA), Dyess (Texas, USA), Ellsworth (South Dakota, USA), Elmendorf, (Alaska, USA), Grant County (Washington, USA), Libby (Arizona, USA), Lincoln Municipal (Nebraska, USA), MacDill (Florida, USA), Mountain Home (Idaho, USA), Nassau (Bahamas), Orlando (Florida, USA), Vandenberg (Kalifornien, USA)
Weblinks Bearbeiten
- NASA: Shuttle Abort Modes in: STS-93 (S. 80–85; englisch; PDF)
Einzelnachweise Bearbeiten
- ↑ Justine Whitman: Space Shuttle Abort Modes. Aerospaceweb.org, 25. Juni 2006, abgerufen am 14. September 2011 (englisch).
- Space Shuttle Landing at Wilmington’s ILM. Carolina Beach Today, 23. Oktober 2008, abgerufen am 15. September 2011 (englisch, Quelle führt einen AP-Bericht von Januar 2001 an: NASA Names North Carolina Airport Emergency Landing Site for Shuttle).
- ↑ (Nicht mehr online verfügbar.) U.S. Northern Command, 9. Juli 2009, archiviert vom 15. September 2012; abgerufen am 15. September 2011 (englisch). am
- Space Shuttle Transoceanic Abort Landing (TAL) Sites. (PDF; 3,4 MB) NASA, Dezember 2006, abgerufen am 13. September 2011 (englisch).
- (Nicht mehr online verfügbar.) NASA, 11. Januar 2006, archiviert vom 10. Juni 2011; abgerufen am 13. September 2011 (englisch): „It was selected in September 1987, replacing a TAL site at Dakar, Senegal, that NASA concluded was unsatisfactory due to runway deficiencies and geographic hazards“ am
- Chris Kridler: French base named emergency shuttle landing site. USA Today, 8. Juni 2005, abgerufen am 13. September 2011 (englisch).
- STS-49 Press Kit. NASA, Mai 1992, abgerufen am 14. September 2011 (englisch): „Loss of one or more main engines midway through powered flight would force a landing at either Ben Guerir, Morroco; Moron, Spain; or Rota, Spain“
- (Nicht mehr online verfügbar.) NASA, 18. Januar 2006, archiviert vom 29. Oktober 2011; abgerufen am 13. September 2011 (englisch). am
- Anthony Boadle: Lonely Easter Island Will Be Emergency Shuttle Landing Site. Los Angeles Times, 30. Juni 1985, abgerufen am 15. September 2011 (englisch).
- Ask The Mission Team – Question and Answer Session. NASA, 23. November 2007, abgerufen am 14. September 2011 (englisch): „we have probably 25 or 30 emergency landing sites around the world that the orbiter can land at.“
- Space Shuttle Emergency Landing Sites. GlobalSecurity.org, abgerufen am 14. September 2011 (englisch).
- Sam Savage: NASA Puts BIA on Shuttle Landing List. Red Orbit, 9. August 2005, abgerufen am 8. Februar 2017 (englisch).
- (Nicht mehr online verfügbar.) Fort Huachuca, archiviert vom 3. September 2011; abgerufen am 15. September 2011 (englisch): „Libby Army Airfield … is on the list of alternate landing locations for the space shuttle, though it has never been used as such“ am