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Praventivdoktrin bezeichnet eine Verteidigungsstrategie nach der ein Recht zu vorbeugenden Massnahmen im Vorfeld eines bewaffneten Angriffs besteht Inhaltsverzeichnis 1 Ursprung 2 Begrundungsansatze zur volkerrechtlichen Legitimitat 3 Literatur 4 Einzelnachweise 5 WeblinksUrsprung BearbeitenDie Vorlaufer der modernen Diskussion hinsichtlich der volkerrechtlichen Legitimitat von praventiven Handlungsoptionen im Vorfeld bewaffneter Konflikte lassen sich bis in die Mitte des 19 Jahrhunderts zuruckverfolgen So legt die beruhmte Note von Lord Webster im Caroline Fall bereits ein Zeugnis einer Notwendigkeit praventiver Verteidigungsoptionen unmittelbar im Vorfeld eines bewaffneten Angriffs ab Eine besondere volkerrechtliche Legitimitationsgrundlage benotigt die einseitige vorbeugende Anwendung von Gewalt jedoch erst mit der Einfuhrung des Art 2 4 UN Charta und der damit verbundenen umfassenden Domestizierung von Gewalt in einem Verbotstatbestand Bis dato war das ius ad bellum mit Ausnahme des ineffektiven Kellogg Briand Paktes als Ausfluss der Souveranitat ein Kernbereich staatlicher Entscheidungshoheit Folglich beschreibt die Praventivdoktrin lediglich eine Richtungskorrektur Dieser geschichtliche Zusammenhang erscheint insofern interessant da in der Diskussion hinsichtlich des Ruckgriffs auf vorbeugende Verteidigungsmassnahmen diese vielfach als eine Art volkerrechtliche Anomalie klassifiziert werden Die volkerrechtliche Frage wird dabei im Lichte des politischen Anstosses der offen formulierten Stellungnahme der National Security Strategy der USA im Jahr 2002 bestatigt 2006 erheblich katalysiert Denn mit der National Security Strategy bemuht die einzig verbleibende Hegemonialmacht eine Legitimitat von praventiven Handlungsoptionen Stellt man diese Marschroute der amerikanischen Administration in ihren politischen Kontext so kann festgehalten werden dass die USA selbst nicht in Gefahr stehen einseitige Praventivmassnahmen anderer Staaten gegen sich dulden zu mussen Vielmehr wird in bewusster Art und Weise allein das eigene Handlungspotential geweitet Begrundet wird diese Strategie mit dem Aufkeimen neuer Bedrohungsszenarien die in erster Linie auf Grundlage asymmetrischer Gefahrenpotentiale angezeigt sind Ein Teil der Volkergemeinschaft liest in dieser Doktrin hingegen die Ermachtigung zu einer vom Volkerrecht getragenen Interventionswillkur Auch die Irak Invasion im Fruhjahr 2003 wird teilweise als gescheitertes Muster einer Doktrin verstanden die aufgrund eines ihr immanenten Webfehlers Fehlprognosen geradezu herausfordere Zwar verweist der Prasident der Vereinigten Staaten mit Blick auf die Irakinvasion am 17 Marz 2003 ausdrucklich auf die neue Verteidigungsstrategie jedoch bleibt die volkerrechtliche Legitimitat der Irak Invasion selbst unter Zugrundelegung der National Security Strategy starken Zweifeln ausgesetzt Hieran erkennt man dass die Diskussion der rechtlichen Massstabe nicht mit dem empirischen Befund der fehlerhaften Anwendung dieser Massstabe beginnen kann Ansonsten wurde der fehlerhafte Rechtsanwender die Massstabe nach seinem Belieben diktieren konnen Zudem darf trotz der zentralen politischen Rolle der USA nicht ubersehen werden dass auch andere Staaten wie z B Frankreich oder Russland das Recht zu einseitiger Pravention in ihre Verteidigungsstrategien aufgenommen haben Im Jahr 2005 veroffentlichte die Washington Post einen Entwurf des Verteidigungsministeriums der Vereinigten Staaten zur Praventivdoktrin des US Prasidenten George W Bush Das 69 seitige Papier vom 15 Marz stellte die Moglichkeit in Aussicht dass die USA zur Abschreckung fur Staaten oder Terrororganisationen auch den vorbeugenden Einsatz nuklearer Waffen erwagen Der Entwurf enthielt Richtlinien fur Kommandeure die eine prasidiale Erlaubnis fur den Atomwaffeneinsatz beantragen mussen Zur glaubwurdigen Abschreckung gehore es dass die Streitkrafte Praventivschlage gegen Massenvernichtungswaffen fuhren durften die gegen die Vereinigten Staaten oder ihre Verbundeten gerichtet seien 1 Begrundungsansatze zur volkerrechtlichen Legitimitat BearbeitenDie ganz uberwiegende Volkerrechtslehre lehnt die Praventivdoktrin als unvereinbar mit den Massstaben des Volkerrechts ab Dabei scheint bei der Praventivdoktrin im Zuge eines intuitiv leicht nachzuzeichnenden Begrundungspfades schnell auf die Illegitimitat verwiesen werden zu konnen Denn Art 2 4 UN Charta verbietet die Anwendung von Gewalt in den zwischenstaatlichen Beziehungen und die einzigen Durchbrechungen dieses Hochstwerts der Volkerrechtsordnung bilden das Selbstverteidigungsrecht und das Vorgehen des Sicherheitsrates nach dem VII Kapitel Eine positivistische Sicht wurde an dieser Stelle eine weiterfuhrende Diskussion mit Verweis auf die offen zu Tage tretende Struktur des Regelungsgefuges abbrechen Damit wird jedoch verkannt dass die UN Charta keine ausdruckliche Aussage zur zulassigen Ausubung praventiver Optionen im Vorfeld eines bewaffneten Angriffs formuliert das Problem mithin nicht beschreibt Um deutlicher zu werden Die Sorge dass eine von Terroristen oder unberechenbaren Regimen ausgehende Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen entsteht ist nicht als Szenario in der UN Charta aufgenommen Die einzigen tatsachlichen Aussagen der UN Charta sind zum einen dass Gewalt in den zwischenstaatlichen Beziehungen verboten ist Art 2 4 UN Charta und dass bei Vorliegen eines bewaffneten Angriff das Recht auf Selbstverteidigung unberuhrt Art 51 UN Charta bleibt Daran anknupfend konnte man die These formulieren dass bei praventiven Handlungen bereits begriffsimmanent kein bewaffneter Angriff vorliegen kann diese demnach niemals von Art 51 UN Charta gedeckt sein konnten Voraussetzung fur diese These ist jedoch dass Art 51 UN Charta tatsachlich nur bei Vorliegen eines bewaffneten Angriffs ein Recht auf Selbstverteidigung auszulosen vermag Jedoch dokumentiert die Staatenpraxis sowie die Rechtsuberzeugung der Staatengemeinschaft einhellig dass auch der unmittelbar bevorstehende bewaffnete Angriff von Art 51 UN Charta erfasst ist Diese klare normative Einzelaussage der Volkerrechtsordnung hat sich im Rahmen der Ereignisse des Sechstagekrieges in Israel herausgebildet Getragen wurde sie von der Begrundung dass es keinem Staat zuzumuten sei bis zu dem tatsachlichen Vorliegen eines bewaffneten Angriffs zuzuwarten An dieser Stelle konnte man nun meinen dass folgerichtig die Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht aus Art 51 UN Charta dann zur Voraussetzung haben musse dass ein bewaffneter Angriff jedenfalls unmittelbar bevorstehen muss Auch dies sei aber gerade nicht der die Praventivdoktrin typisierende Fall da diese ja gerade darauf abzielt bereits im Vorfeld des unmittelbar bevorstehenden Angriffs militarischen Massnahmen Legitimitat zu bescheinigen Ein solcher Begrundungspfad ware im Prinzip eine konsequente Fortfuhrung des oben gewahlten positivistischen Ansatzes der aus Einzelaussagen eine taugliche Losung des Problems ableitet Jedoch erscheint bei einem zweiten Blick auch diese These nur bei Geltung einer weiteren Pramisse Gultigkeit beanspruchen zu konnen Diese Pramisse muss dergestalt formuliert werden dass nach ihrem Inhalt Art 51 UN Charta tatsachlich nur im unmittelbaren Vorfeld eines Angriffs ein Recht zur Selbstverteidigung begrunden kann Jedoch hat der Sicherheitsrat in den Resolutionen 1368 und 1373 auch terroristische Angriffe als bewaffnete Angriffe qualifiziert Dabei begrundet die innere Logik des Terrorismus geradezu die Unberechenbarkeit des Bevorstehens eines Angriffs Folglich kann im Fall der Selbstverteidigung aufgrund der Bedrohung durch terroristische Schlage niemals verlasslich das unmittelbare Bevorstehen eines Angriffs begrundet werden Damit reift auch hier das Anscheinsverstandnis des Art 51 UN Charta zu keiner tauglichen Problemlosung Nun konnte man im Ergebnis entweder die Tragweite der Sicherheitsratsresolution anzweifeln oder das Erfordernis des unmittelbar bevorstehenden Angriffs als nicht zeitgemass verwerfen und versuchen den oben aufgezeigten Pfad in einem unendlichen Regress fortzusetzen Jedoch erscheint es naheliegender andere Ansatze der Problemlosung zu erwagen Jedenfalls schutzen sowohl Art 51 UN Charta wie auch das Gewaltverbot des Art 2 4 UN Charta das Selbsterhaltungsinteresse der Staaten und damit zielen beide Vorschriften im Kern auf den Schutz des gleichen Rechtsguts Wie nun dieses Rechtsgut des Angreifenden also desjenigen Staates der sich auf sein durch Art 51 UN Charta geschutztes Selbsterhaltungsinteresse beruft zu dem gleichen Rechtsgut auf Seiten des Angegriffenen also desjenigen Staates der sein Selbsterhaltungsinteresse durch den Verbotstatbestand des Art 2 4 UN Charta geschutzt sieht in Relation steht ist wie oben aufgezeigt keinesfalls eindeutig Dabei spricht dem ersten Anschein nach viel dafur diese beiden konfligierenden Schutzrichtungen nach dem Muster der praktischen Konkordanz in einen Ausgleich zu setzen Dieses Unterfangen unternimmt das neugewonnene Verstandnis des Volkerrechts als Wertordnung Dabei scheint eine abwagungsgebundene Werteordnung ohne eine privilegierte absolute Geltung eines Wertes auf den ersten Blick das Problem der Zulassigkeit praventiver Optionen militarischen Handelns einfacher bewaltigen zu konnen Je nach Einschatzung kann dabei die Auswahl der Grundwerte wie auch deren Gewichtung unterschiedliche Ergebnisse begrunden So konnte man entweder vertreten dass die Abwagung der Grundwerte der Volkerrechtsordnung zu dem Ergebnis fuhrt dass die Formulierung einseitiger Pravention im Vorfeld aufgrund des Uberwiegens des Selbsterhaltungsinteresses des latent bedrohten Staates zulassig ist Oder das Abwagungspendel schlagt die andere Richtung ein und bestreitet im Ergebnis eine Zulassigkeit praventiver Optionen mit der Begrundung dass eine Abwagung der Grundwerte zu dem Ergebnis fuhrt dass das Selbsterhaltungsinteresse des mit praventiven Massnahmen bedrohten Staates uberwiegt Dass diese Sichtweise in offensichtlicher Weise mit der dissuasiven Wirkung einer nicht klar hervortretenden Aussage einer Rechtsordnung liebaugelt mag zwar rechtspolitisch interessant sein widerspricht jedoch dem Gedanken der rule of law nach welcher das Recht zu jedem Sachverhalt nur eine normative Einzelaussage fallt Im Kern spiegelt sich in der Unzulanglichkeit der Begrundungsansatze das alte Leid positivistischer Argumentationsmuster Dieses Modell fusst auf induktiver Problemlosung d h auf dem Gedanken ausgehend von normativen Einzelaussagen also Einzelbeobachtungen uber Aussagen einer Rechtsordnung zu allgemeineren Aussagen fahig zu sein Die Schwierigkeiten dieses Verfahrens sind zum einen logischer Natur siehe Induktionsproblem und offenbaren sich zum anderen auch in der oben aufgezeigten praktischen Verfehlung taugliche Problemlosungen anzubieten Dass das induktive Verfahren innerhalb der Naturwissenschaften als der Problemlosung letztlich unzulangliche Methodik in Vergessenheit geraten ist begrundet nicht dass sich diese Erkenntnis auch auf die Rechtswissenschaft ubertragen hat Dabei muss in Abgrenzung zu einem blossen Streit um Worte die Forderung an die Methodologie diejenige sein dem Sachproblem eine angemessene Losung zuzufuhren Insofern scheint der Versuch gleichermassen spannend und ambitioniert entgegen der herrschenden induktiven Dogmatik deduktiv potentiell widerlegbare Satze zu formulieren Literatur BearbeitenMartin Kunde Der Praventivkrieg Geschichtliche Entwicklung und gegenwartige Bedeutung Peter Lang Verlag Frankfurt am Main 2007 Rezensionen des Buches Thomas Speckmann Washington ist das neue Sparta Angriff als beste Verteidigung Der Rechtswissenschaftler Martin Kunde legt eine grundlegende Ideengeschichte des Praventivkrieges vor in Suddeutsche Zeitung 2 Oktober 2007 Rezension von Martin Kunde Der Praventivkrieg Geschichtliche Entwicklung und gegenwartige Bedeutung Peter Lang Verlag Frankfurt am Main 2007 Viele Fragen Praventivkrieg und Politik Hugo Grotius De jure belli ac pacis libri tres Paris 1625 engl Ubersetzung Sibylle Tonnies Souveranitat und Angriffskriegsverbot in Aus Politik und Zeitgeschichte 22 2005 S 39 46 Link Deutsche Atlantische Gesellschaft e V Hrsg Auf der Suche nach ethisch rechtlichen Kriterien fur vorbeugende Militareinsatze Lehren auch aus dem Irak Krieg Bonn 2005 Link Hannes Hofmeister Preemptive Strikes A new Normative Framework in Archiv des Volkerrechts 44 2006 S 187 200 Steven J Barela Preemptive or Preventive War A Discussion of Legal and Moral Standards in Denver Journal of International Law amp Policy 33 2004 2005 S 31 42 Mark L Rockefeller The Imminent Threat Requirement for the Use of Preemptive Military Force Is It Time for a Non Temporal Standard in Denver Journal of International Law amp Policy 33 2004 2005 S 131 149 Miriam Sapiro Preempting Prevention Lessons Learned in New York University Journal of International Law and Politics 37 2005 S 357 371 Link Christian Stelter Gewaltanwendung unter und neben der UN Charta Verlag Duncker und Humblot Berlin 2007 Link ISBN 978 3 428 12547 0 Bjorn Schiffbauer Vorbeugende Selbstverteidigung im Volkerrecht Verlag Duncker und Humblot Berlin 2012 Link ISBN 978 3 428 13868 5 Einzelnachweise Bearbeiten Augsburger Allgemeine vom 12 September 2005 USA erwagen AtomangriffeWeblinks BearbeitenNational Security Strategy der USA Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Praventivdoktrin amp oldid 238237538