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Das Denkmal Orte des Erinnerns im Bayerischen Viertel Ausgrenzung und Entrechtung Vertreibung Deportation und Ermordung von Berliner Juden in den Jahren 1933 bis 1945 wurde von den Kunstlern Renata Stih und Frieder Schnock konzipiert und am 11 Juni 1993 eingeweiht Das ungewohnliche 1 Flachendenkmal befindet sich im Berliner Ortsteil Schoneberg des Bezirks Tempelhof Schoneberg zu erreichen mit den U Bahn Linien U4 und U7 am U Bahnhof Bayerischer Platz Es besteht im Wesentlichen aus 80 doppelseitig gestalteten Schildern Text und Bildseiten Die Textseiten zeigen Inhalte von nationalsozialistischen Gesetzen und Verordnungen mit denen die Entrechtung der Juden in Deutschland vorangetrieben wurde Erinnern an die Deportationen TextseiteErinnern an die Deportationen Bildseite Inhaltsverzeichnis 1 Das Bayerische Viertel 2 Spurensuche 3 Das Denkmal 4 Literatur 5 Weblinks 6 Anmerkungen 7 EinzelnachweiseDas Bayerische Viertel BearbeitenZwischen 1898 und 1908 errichtete die Berlinische Boden Gesellschaft auf dem neu erschlossenen Gelande gutburgerliche Wohnhauser mit weitlaufigen Wohnungen Die Strassen erhielten bayerische Ortsnamen Die ersten Bewohner waren vorwiegend gutsituierte Burger der Anteil judischer Einwohner war uberdurchschnittlich hoch in ganz Schoneberg waren es 1933 mehr als 16 000 eine grosse aber nicht genau bekannte Anzahl von ihnen lebte im Bayerischen Viertel Nach einem langjahrigen Prozess zunehmender Unterdruckung der Juden durch das nationalsozialistische Regime begannen 1941 die ersten Deportationen seit dem Fruhjahr 1943 wurden die zur Arbeit zwangsverpflichteten Juden auch an ihren Arbeitsplatzen verhaftet und deportiert Am 19 Mai 1943 waren das Viertel und ganz Berlin in der Sprache der Verfolger ausgedruckt judenfrei Spurensuche BearbeitenNoch Jahrzehnte nach dem Ende des Nationalsozialismus erinnerte kaum etwas an die judische Geschichte des Viertels mit Ausnahme eines steinernen Denkmals am ehemaligen Standort der Synagoge und eines Hinweises an jenem Haus in dem Albert Einstein von 1918 bis zu seiner Emigration 1933 gewohnt hatte 1983 begann eine Gruppe interessierter Einwohner die Geschichte ihres Stadtviertels vor und wahrend des Holocaust zu erforschen Man fand eine grosse Menge von Dokumenten aller Art Grundstucksurkunden private Briefe und Tagebucher Fotografien auch Unterlagen der Geheimen Staatspolizei Gestapo uber die Deportationen So konnte die Geschichte der meisten Hauser rekonstruiert werden Die Ergebnisse der Recherchen waren in einer Ausstellung des Kunstamtes Schoneberg unter dem Titel Leben in Schoneberg Friedenau 1933 1945 zu sehen Im Jahr 1988 begann ein Einwohner des Bayerischen Viertels die Namen derjenigen zu ermitteln die Opfer der Arisierung waren Nach einjahriger Arbeit hatte er mehr als 6000 Namen herausgefunden zum Teil dank der exakt gefuhrten Listen auf denen dokumentiert war wie judisches Vermogen enteignet und verteilt wurde Auch dieses Material wurde der Bezirksverwaltung zur Kenntnis gebracht Die Schoneberger Bezirksverordnetenversammlung beschloss danach ein Denkmal fur die ermordeten Juden des Stadtviertels zu errichten Das Denkmal BearbeitenIm Juni 1991 riefen der Senat von Berlin und das Kunstamt Schoneberg zur ersten Stufe eines Ideenwettbewerbs auf 96 Einsendungen aus ganz Berlin gingen ein die Jury aus Kunstlern Stadtplanern Historikern und einem Vertreter der Judischen Gemeinde ermittelte daraus acht Finalisten Nach nochmaliger Beratung wurde am 1 April 1992 der Vorschlag von Renata Stih und Frieder Schnock ohne Gegenstimme zur Ausfuhrung angenommen Die beiden Kunstler haben sich in Theorie und Praxis mit Formen der Erinnerung im Stadtbild beschaftigt und verschiedene Projekte fur den offentlichen Raum entwickelt Mit ihrer Arbeit im Bayerischen Viertel wollten sie die Bedingungen sichtbar machen die zur Vernichtung der judischen Einwohner gefuhrt hatten es sollte gezeigt werden dass hier kein plotzliches unvermeidliches Ereignis stattfand sondern ein in den Alltag integrierter schleichender Prozess aus Dutzenden von Regelungen und Gesetzen einige davon auf den ersten Blick unbedeutend die nach einer Reihe von Jahren zu Deportation und Massenmord fuhrten 2 Das Projekt besteht aus 80 Tafeln jede 50 cm 70 cm gross die uber das ganze Bayerische Viertel verteilt und in einer Hohe von etwa drei Metern an den Masten der Strassenbeleuchtung befestigt sind Jede der Tafeln tragt auf der einen Seite einen Text mit Datum der auf antisemitische Massnahmen verweist und auf der Ruckseite eine einfache bildliche Darstellung nbsp Erinnern an erzwungene Vornamen nbsp Erinnern an BerufsverboteEine Woche vor der Einweihung des Denkmals am 11 Juni 1993 eine Ausstellung der Entwurfe hatte stattgefunden und die Einladungen waren verschickt begannen die Kunstler und zwei Facharbeiter mit der Montage der 80 Schilder an den Strassenbeleuchtungsmasten Zuvor hatten sie 80 Genehmigungen fur die Montage der 80 Schilder eingeholt und der zustandige Bausenator Nagel verfugte den kurzfristigen Austausch einiger maroder Beleuchtungsmasten da die Standsicherheit nicht gewahrleistet war Bei der Montage des dritten Schilds mit der Katze Text Juden durfen keine Haustiere mehr halten 15 2 1942 offnete ein Anwohner in der Barbarossastrasse das Fenster und rief Haut ab ihr Judenschweine Nach der Anbringung des 17 Schildes schritt der Staatsschutz ein und die beiden Facharbeiter wurden dienstverpflichtet um die Schilder wieder zu demontieren und in einem Asservatenkeller zusammen mit Waffen und Drogen zu deponieren Anwohner hatten die Polizei wegen antisemitischer Schilder alarmiert und der alarmierte Staatssekretar befand Die Grenzen des guten Geschmacks sind uberschritten 3 Nach einer Krisensitzung mit dem Vorsitzenden der judischen Gemeinde dem Bausenator und dem Bezirksburgermeister wurde beschlossen unter jeder der 80 Tafeln ein kleines Zusatzschild anzubringen auf dem die Denkmalsfunktion der Schilder erklart wird Fur einige der Schilder wurden Standorte gewahlt deren aktuelles Umfeld mit dem historischen Inhalt korrespondiert Vor der Backsteinfassade der Kirche zum Heilsbronnen in der Heilbronner Strasse kann man lesen Die Taufe von Juden und der Ubertritt zum Christentum hat keine Bedeutung fur die Rassenfrage 4 10 1936 An einem Kinderspielplatz in derselben Strasse Arischen und nichtarischen Kindern wird das Spielen miteinander untersagt 1938 In einem bestimmten Strassenabschnitt steht Strassen die Namen von Juden tragen werden umbenannt Die nach dem Grunder des bayerischen Viertels benannte Haberlandstrasse wurde in Treuchtlinger Strasse und Nordlinger Strasse umbenannt 27 7 1938 inzwischen wurde die Umbenennung ruckgangig gemacht allerdings nur fur den Abschnitt Nordlinger Strasse und gegen energische Proteste dort lebender Einwohner 4 Ein Schild vor einem Postamt am Bayerischen Platz tragt einen privaten Text der die tatsachliche Lage der Schreibenden tragisch verkennt Nun ist es soweit morgen muss ich fort u das trifft mich naturlich sehr schwer Ich werde Dir schreiben Vor der Deportation 16 1 1942 Die formale Gestaltung der Schilder folgt einfachen Regeln Der knappe Text schwarz auf weiss ist klar gegliedert Die andere farbige Seite zeigt schlichte Darstellungen in einer wie die Kunstler es nennen Asthetik der Normalitat auch hier wieder im zuruckhaltenden Gestus offentlicher Mitteilungen oder eines Bilderlexikons Texte und Bilder sind inhaltlich auf unterschiedliche Weise miteinander verbunden Zuweilen ist der Bezug sehr direkt etwa bei der Abbildung eines leeren Aschenbechers und dem Text Juden sind Zigaretten oder Zigarren nicht mehr erlaubt 11 6 1942 In anderen Fallen besteht ein deutlicher sarkastischer Widerspruch zwischen Bild und Text zum Beispiel bei dem Bild einer Tur an der ein gemaltes Kartchen Herzlich willkommen wunscht Der zugehorige Text teilte unter dem Datum vom 29 Januar 1936 mit dass offentliche Bekanntmachungen mit extrem judenfeindlichem Inhalt zu entfernen seien um auf auswartige Besucher keinen ungunstigen Eindruck zu machen Formulierungen wie Juden sind hier nicht erwunscht seien ausreichend 1936 war das Jahr der Olympischen Sommerspiele in Berlin Wieder andere Schilder verwenden auf der Bildseite Zeichen die so oder ahnlich nach 1945 in Gebrauch waren U Untergrundbahn H Bushaltestelle oder DR Deutsche Reichsbahn die umseitigen Texte beziehen sich auf einschneidende Verbote im Orts und Reiseverkehr Ein einziger Text wird nicht bildlich kommentiert auf der Ruckseite ist nur eine schwarze Flache zu sehen der Text bezieht sich auf den 23 Oktober 1941 den Tag an dem jede weitere Emigration verboten wurde Die 80 Schilder sind in einem kleinen Stadtraum platziert So ergeben sich zwischen ihnen Sichtverbindungen die Interessierte veranlassen konnen sich das Erinnerungswerk im Bayerischen Viertel systematisch zu erwandern Hilfreich in diesem Zusammenhang sind drei grossere Informationstafeln die am Rathaus Schoneberg am Bayerischen Platz und vor einer Schule in der Munchener Strasse nahe der Hohenstaufenstrasse aufgestellt sind Hier uberlagern sich jeweils zwei Stadtplane derart dass durch verschiedenfarbige Konturen die Unterschiede in der Bebauung des Bayerischen Viertels in den Jahren 1933 und 1993 erkennbar werden Dabei werden auch die umfangreichen Zerstorungen des Areals im Zweiten Weltkrieg deutlich Grune Punkte zeigen die Standorte aller einzelnen Schilder des Flachendenkmals an nbsp Erinnern an Verbote beim Schulbesuch Textseite nbsp Erinnern an Verbote beim Schulbesuch Bildseite nbsp Erinnern an die Bedeutung der Rassenfrage nbsp Ubersichtstafel zum DenkmalInsgesamt vermitteln die scheinbar harmlosen unauffalligen Tafeln an den Orten des Erinnerns einen intensiven Eindruck von den Repressionen denen die judischen Einwohner zwischen 1933 und 1943 ausgesetzt waren von der allmahlichen Zerstorung ihrer sozialen Existenz die der physischen Vernichtung voranging Zur beabsichtigten Wirkung des Denkmals gehoren aber auch Uberlegungen die uber die Anteilnahme am historischen Schicksal der Juden hinausgehen Dem Betrachter sollen unbequeme Fragen nahegelegt werden Wie sind die nichtjudischen Nachbarn seinerzeit mit alledem umgegangen war es moglich nichts zu bemerken von Berufsverboten Enteignungen dem gelben Stern an den Kleidungsstucken der Kasernierung in Judenhausern den Deportationen Wie hatte sich der heutige Beobachter damals verhalten Wie verhalt er sich gegenuber heutigen Anzeichen von Fremdenfeindlichkeit 5 Im Jahr 2008 wurde der Zustand des Denkmals wird vielfach als unbefriedigend empfunden Zum 15 Jahrestag seiner Einweihung erinnerte die taz in einem Artikel vom 9 Juni 2008 an die Anerkennung die das neuartige dezentrale Mahnmal im In und Ausland gefunden hatte und benennt danach eine Reihe von aktuellen Mangeln In Stadtfuhrern wird das Denkmal Orte des Erinnerns im Bayerischen Viertel kaum erwahnt in der Mahnmal Liste im Dokumentationszentrum des Holocaust Mahnmals wird es nicht genannt 1 Alle beschadigten Schilder wurden inzwischen erneuert und die Begleitpublikation liegt in der funften Auflage vor Seit 2020 gibt es eine kostenlose App fur Android und iOS Betriebssysteme zum Denkmal Orte des Erinnerns Places of Remembrance von Renata Stih amp Frieder Schnock mit GPS Ubersetzungen und Audiodateien zu den 80 Schildern im Bayerischen Viertel in Berlin Schoneberg 6 7 Anm 1 Literatur BearbeitenRenata Stih Frieder Schnock Orte des Erinnerns Places of Remembrance in Berlin Stih amp Schnock Berlin 2009 ISBN 978 3 00 030284 8 deutsch englisch 32 S einschl Faltplan Map mit Essays von Barbara Straka deutsch und Caroline Wiedmer englisch Abbildung aller 80 Schilder Bild und Text und nicht realisierte Entwurfe fur weitere Schilder Orte des Erinnerns Das Denkmal im Bayerischen Viertel Judisches Alltagsleben im Bayerischen Viertel Kunstamt Schoneberg Schoneberg Museum in Zusammenarbeit mit der Gedenkstatte Haus der Wannsee Konferenz Hrsg Berlin 1994 1995 Ruth Federspiel Ruth Jacob Hrsg Judische Arzte in Schoneberg Topographie einer Vertreibung ISBN 978 3 942271 76 9 Berlin 2012 128 S Klappenbroschur 34 Abb Herbert Mayer Geschichtslektion im Bayerischen Viertel In Berlinische Monatsschrift Luisenstadtischer Bildungsverein Heft 4 1998 ISSN 0944 5560 S 73 78 luise berlin de Weblinks BearbeitenAndreas Stirn Das Denkmal im Bayerischen Viertel Deutsches Historisches Museum Caroline Wiedmer Remembrance in Schoneberg englisch uber das Denkmal auf der Website von Renata Stih und Frieder Schnock Kito Nedo Orte des Erinnerns In art magazin 7 Oktober 2008 Renata Stih amp Frieder Schnock Orte des Erinnerns Denkmal im Bayerischen Viertel Places of Remembrance Memorial in the Bavarian Quarter Berlin Schoneberg 1993 Anmerkungen Bearbeiten Die App zum Denkmal fur Android und iOSEinzelnachweise Bearbeiten a b Brigitte Werneburg Armes Berlin In taz 9 Juni 2008 Caroline Wiedmer Remembrance in Schoneberg Absatz 4 englisch abgerufen am 26 Juli 2008 Caroline Wiedmer Remembrance in Schoneberg englisch Herbert Mayer Geschichtslektion im Bayerischen Viertel In Berlinische Monatsschrift Luisenstadtischer Bildungsverein Heft 4 1998 ISSN 0944 5560 S 73 78 luise berlin de Caroline Wiedmer Remembrance in Schoneberg Absatz 8 englisch abgerufen am 3 Juni 2018 Renata Stih amp Frieder Schnock Orte des Erinnerns Denkmal im Bayerischen Viertel Places of Remembrance Memorial in the Bavarian Quarter Berlin Schoneberg 1993 auf stih schnock de Die Orte des Erinnerns sind nun digitalisiert auf tagesspiegel de abgerufen am 30 Marz 202252 490555555556 13 341666666667 Koordinaten 52 29 26 N 13 20 30 O Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Orte des Erinnerns Bayerisches Viertel amp oldid 221619026