www.wikidata.de-de.nina.az
Die N Strahlen sind hypothetische energiereiche Strahlen die Anfang des 20 Jahrhunderts vom franzosischen Physikprofessor Rene Blondlot beschrieben wurden sich nach uber einem Jahr starken wissenschaftlichen Interesses letztlich aber als Irrtum erwiesen Statt als dritte epochemachende Entdeckung dieser Zeit neben die Radioaktivitat und die Rontgenstrahlen zu treten erwies sich die Forschung an diesem letztlich nicht existierenden Phanomen als Beispiel fur pathologische Wissenschaft bei der die wissenschaftliche Selbstkontrolle eine Zeit lang versagt Der Name leitet sich von der Stadt Nancy ab der Geburts und Universitatsstadt Blondlots Inhaltsverzeichnis 1 Vermeintliche Entdeckung 2 Kritik und Entlarvung 3 Nachwirkung 4 EinzelnachweiseVermeintliche Entdeckung Bearbeiten nbsp Einfluss der N Strahlung auf die Funkenhelligkeit veroffentlicht durch Blondlot 1904 Der franzosische Physiker Rene Blondlot Direktor des Physikalischen Instituts der Universitat Nancy 1 und angesehener Wissenschaftler 2 glaubte bei Untersuchungen zu den 1895 entdeckten Rontgenstrahlen welche zunachst X Strahlen genannt wurden eine weitere neuartige Strahlung entdeckt zu haben Im Jahr 1903 berichtete er erstmals in wissenschaftlichen Publikationen uber N Strahlen diesen Namen schlug er am 25 Mai 1903 vor 3 Ausgangspunkt waren Experimente mit einem heissen Platindraht im Inneren einer Eisenrohre welche einen Teil der vom Draht abgegebenen Rontgenstrahlung durch ein schmales und dunnes Aluminium Fenster austreten liess 4 Blondlots Ziel war die Suche nach Materialien mit denen er die Polarisation der durch das Fenster austretenden Rontgenstrahlung nachweisen konnte 5 Blondlot schilderte dass die Helligkeit schwacher Leuchtquellen sich verstarke wenn N Strahlen auf sie fielen Die Helligkeit einer matten Glasscheibe die von Funken einer Funkenstrecke beleuchtet wurde und die Helligkeit einer schwach leuchtenden Gasflamme wurde jeweils grosser sein als ohne N Strahlen 6 Als Nachweis dienten auch Calciumsulfid beschichtete Flachen die zuvor durch Sonnenlicht zu Phosphoreszenz gebracht worden waren 6 oder einfaches schwach beleuchtetes Papier 7 Spater schlussfolgerte Blondlot und unabhangig davon auch Augustin Charpentier dass sich auch die Wahrnehmungsfahigkeit des menschlichen Auges erhohen wurde wenn es von N Strahlen getroffen wird 7 Im Fruhjahr 1903 8 9 veroffentlichte Blondlot seine Beobachtungen in den angesehenen Comptes Rendus 1 dem wichtigsten Publikationsorgan der Academie des Sciences Bis Ende des Jahres folgten bereits zwolf weitere Veroffentlichungen dort In der Folge untersuchten und bestatigten viele Forscher die neuartige Entdeckung In den folgenden Monaten wurden von 120 Wissenschaftlern etwa 300 wissenschaftliche Artikel zum Thema publiziert 6 zahlreiche davon von Blondlot Charpentier und Jean Becquerel Sohn des Nobelpreistragers Henri Becquerel und insgesamt vorwiegend von franzosischen Forschern 4 Zahlreiche Objekte wurden als Quellen von N Strahlen identifiziert Eine ergiebige Quelle von N Strahlung stellten angeblich Auer Gluhstrumpfe dar die damals weit verbreitet waren ebenso wie Nernstlampen nicht aber Bunsenbrenner 10 Blondlot identifizierte auch die Sonne als Quelle Sein Professorenkollege Augustin Charpentier glaubte die Abstrahlung von N Strahlen durch Muskeln Nerven und das menschliche Gehirn nachzuweisen 10 was besonderes Gewicht dadurch erhielt dass die grosste damalige Autoritat Frankreichs zum Thema Elektrizitat und Magnetismus Jacques Arsene d Arsonval die Veroffentlichung veranlasste 7 Auch ein in schwarzes Papier eingewickelter Ziegelstein habe N Strahlen abgegeben sobald man ihn ins Sonnenlicht brachte 4 Holz insbesondere Grunholz sei durchlassig fur N Strahlen emittiere diese Strahlung hingegen nicht 11 N Strahlen wurden Aluminium oder Papier durchdringen schon ein dunner Wasserfilm sei jedoch undurchdringlich 9 Blondlot beschrieb die spektrale Zerlegung der N Strahlen mittels eines Prismas und einer Linse aus Aluminium Es lage ein komplexes Spektrum vor 5 gefunden worden seien N Strahlen mit unterschiedlichem Brechungsindex und unterschiedlicher Frequenz 1 Jean Becquerel wollte herausgefunden haben dass die N Strahlen durch einen Draht geleitet werden konnten 7 Er teilte mit er habe die Emission von N Strahlen durch ein Metallstuck dadurch gestoppt dass er es mithilfe von Chloroform betaubte 10 Die Strahlen konnten auch durch Schallschwingungen erzeugt werden so Jules Mace de Lepinay 9 Unter anderem der Physiker Gustave Le Bon und der Alternativmediziner Carl Huter nahmen fur sich in Anspruch schon vorher Wirkungen von N Strahlen entdeckt zu haben 10 was zu einer Untersuchung durch die Academie des sciences fuhrte die den Prioritatsstreit zugunsten von Charpentier entschied 12 Kritik und Entlarvung BearbeitenWahrend Forschungsergebnisse zu den N Strahlen insbesondere in Frankreich grosse Aufmerksamkeit fanden waren zahlreiche Physiker skeptisch Lord Kelvin William Crookes und Otto Lummer scheiterten am Nachweis von N Strahlen Heinrich Rubens der nach manchen Quellen vom deutschen Kaiser Wilhelm II beauftragt wurde ihm diese neuartigen Strahlen vorzufuhren gelang das trotz zweiwochigen Experimentierens 4 2 und seines Schriftwechsels mit Blondlot nicht 1 Als Ergebnis eines 1904 in Cambridge stattfindenden Treffens der British Association for the Advancement of Science das auf Anregung von Rubens die N Strahlen als Schwerpunktthema hatte wurde der im europaischen Nationenstreit neutrale US Amerikaner Robert Wood dem ein Nachweis von N Strahlen ebenfalls nicht gelang zur Uberprufung der Entdeckung in Blondlots Labor entsandt 4 Wood besuchte 1904 das Labor und berichtete daruber in Nature ohne den Namen Blondlots zu nennen sein Urteil war vernichtend 13 Wood konnte die Detektion der N Strahlen nicht nachvollziehen seine Augen konnten die Helligkeitsunterschiede nicht wahrnehmen die ihm von Blondlot und seinem Assistenten geschildert wurden Wenn er selbst eingriff und wie zuvor der Experimentator mit seiner Hand die gebundelten N Strahlen schwachte stimmten die geschilderten Helligkeits Beobachtungen nicht mit den Bewegungen der Hand uberein Ihm vorgelegte fotografische Aufnahmen der veranderten Helligkeit akzeptierte Wood nicht als Beleg da die Aufnahmebedingungen nicht kontrolliert genug waren um diverse mogliche Fehlerquellen auszuschliessen Schliesslich fuhrte Blondlot ihm das Spektrum mittels des Aluminium Prismas vor und beschrieb die Messung von Spektrallinien Wood erkannte physikalische Widerspruche zwischen der Spaltbreite von 3 Millimetern und dem beobachteten Abstand der Maxima in der Grossenordnung von 0 1 mm und konnte weiterhin keine der Blondlotschen Beobachtungen selbst wahrnehmen Veranderungen am Prisma fuhrten wieder in keinem Fall zur dazu passenden Beobachtung der Helligkeiten Auch die heimliche zwischenzeitliche Entfernung des Prismas aus der Apparatur beeinflusste die Wahrnehmung von Spektrallinien nicht Beim abschliessenden Versuch der die durch eine N Strahlen aussendende Eisenfeile vor den Augen stark verbesserte Sehfahigkeit im fast dunklen Labor demonstrieren sollte vertauschte Wood unbemerkt das Eisen gegen Holz das keine N Strahlen emittiere Auch das veranderte die vorgeblich verbesserte Wahrnehmung nicht 13 Wood unterstellte keine vorsatzliche Tauschungsabsicht sondern legte eher nahe dass die Experimentatoren aufgrund ihrer Erwartungen getauscht wurden und schlug objektivere Beobachtungsmethoden vor beispielsweise durch Fotografien bei denen der Fotograf selbst keine Kenntnis davon hatte ob gerade N Strahlen wirken sollten oder nicht um beispielsweise eine Beeinflussung der Blendenoffnungszeiten auszuschliessen Neben Woods Bericht in Nature gibt es noch deutlich ausgeschmucktere Schilderungen seines Besuchs die gegenseitige Tauschungsversuche und Taschenspielertricks umfassen Sie basieren auf dem 1941 erschienenen Buch Doctor Wood Modern Wizard of the Laboratory des Schriftstellers William Seabrook Dieser Quelle zufolge geriet Blondlot wenig spater in eine schwere Depression und verstarb in geistiger Umnachtung 4 Dieser Darstellung wird aber in anderen Quellen ausdrucklich widersprochen 6 9 Nachwirkung Bearbeiten nbsp Rene Blondlot im Ornat der Academie des sciences etwa 1910Die Forschung an N Strahlen ebbte nach der Nature Veroffentlichung am 29 September 1904 stark ab innerhalb weniger Monate glaubte fast niemand mehr an die Existenz solcher Strahlen 8 Wahrend bis zur ersten Halfte des Jahres 1904 noch 54 Berichte in den Comptes Rendus veroffentlicht wurden war es im Jahr 1905 kein einziger mehr 10 Aber noch 1911 enthielt der Brockhaus einen Eintrag N Strahlen eine von Blondlot in Nancy entdeckte Strahlenart sind schwer nachzuweisen da weder sichtbar noch photographisch wirksam durchdringen Metalle Holz u a werden von reinem Wasser absorbiert haben eine zehnmal kleinere Wellenlange als die aussersten ultravioletten Strahlen ohne praktische Bedeutung 14 Webster s Dictionary definierte N Strahlen noch 1946 als An emanation or radiation from certain hot bodies which increases the luminosity without increasing the temperature as yet not fully determined 15 Die Entdeckung einer der vom deutschen Physiker Wilhelm Conrad Rontgen vergleichbaren Strahlung durch einen Franzosen weckte in Frankreich Nationalstolz in Deutschland dagegen Ablehnung Eric Picholle vom Institut de Physique de Nice sieht die vermeintliche Entdeckung in einem Kontext des Revanchismus nach dem Verlust von Elsass Lothringen das nach dem Deutsch Franzosischen Krieg vom Deutschen Reich annektiert worden war und der wachsenden deutsch franzosischen Spannungen 16 Cecile Bonneau schrieb im franzosischen Wissenschaftsmagazin Science amp Vie dass Artikel in der britischen Zeitschrift Nature von zunehmender Ironie durchdrungen gewesen seien 9 In Frankreich betrachteten viele den Skandal als nationale Schmach Der franzosische Wissenschaftler Joseph Le Bel wird zitiert mit Was fur eine Niederlage fur die franzosische Wissenschaft wenn einer ihrer angesehenen Weisen die Position von Spektrallinien misst wahrend das Prisma in der Tasche seines amerikanischen Kollegen ruht 4 Trotzdem ehrte die franzosische Academie des sciences Blondlot Ende 1904 17 auf ihrer Jahrestagung mit dem Leconte Preis der manchmal in Literatur auch mit dem Lalande Preis 1 verwechselt wird auch um das Vertrauen in ihn als Versuchsleiter zu unterstutzen in der Preisbegrundung wurden aber primar andere Verdienste aufgezahlt 9 18 Als die Zahl der das Phanomen N Strahlen befurwortenden Wissenschaftler auf eine kleine Gruppe Franzosen geschrumpft war wurde auch die chauvinistische Meinung geaussert nur manche Volker wurden die intellektuelle wie sensorische Qualitat fur die Wahrnehmung der N Strahlen haben Die Angelsachsen seien durch den Einfluss von Nebel die Teutonen durch die andauernde Einflossung von Bier abgestumpft 10 Blondlot forschte weiter 8 und glaubte mindestens bis 1926 an die Existenz der N Strahlen 6 Den Vorschlag der Editoren der Comptes Rendus Experimente in einem Blindversuch anzustellen bei dem Blondlot nicht wusste ob er gerade ein seiner Theorie nach N Strahlen aussendendes Material oder nicht verwendet lehnte er nach langer Bedenkzeit 1906 ab 10 Esoteriker greifen das Konzept auch im 21 Jahrhundert weiter auf Dieses klassische Beispiel wissenschaftlicher Fehlleistungen wird oft Studienanfangern der Physik erzahlt um typische Fehler bei wissenschaftlicher Arbeit zu verdeutlichen In der Regel wird es interpretiert als Folge der mangelnden Kontrolle gegenuber erwartungsgeleiteter Selbsttauschung The story of N rays which fooled many respectable scientists has been used ever since as a cautionary tale of how easy it is to deceive oneself into seeing something that is not really there AMERICAN PHYSICAL SOCIETY 19 Einzelnachweise Bearbeiten a b c d e Arno Bamme Science Wars von der akademischen zur postakademischen Wissenschaft Campus 2004 ISBN 978 3 593 37505 2 S 38 ff a b Florian Aigner Die Schwerkraft ist kein Bauchgefuhl Christian Brandstatter Verlag 2000 ISBN 978 3 7106 0487 4 Faksimile der Publikation On New Sources of Radiations Capable of Traversing Metals Wood etc and on New Actions Produced by These Radiations abgerufen am 24 August 2022 a b c d e f g Heinrich Zankl Falscher Schwindler Scharlatane Betrug in Forschung und Wissenschaft Wiley VCH 2003 ISBN 978 3 527 30710 4 a b Alexander K Dewdney Alles fauler Zauber IQ Tests Psychoanalyse und andere umstrittene Theorien Birkhauser 1998 ISBN 3 7643 5761 4 a b c d e R T Lagemann New light on old rays N rays In American Journal of Physics 45 Jahrgang Nr 3 1977 S 281 284 doi 10 1119 1 10643 bibcode 1977AmJPh 45 281L a b c d Robert L Weber Eric Medoza Kabinett physikalischer Raritaten Vieweg Teubner 2013 ISBN 978 3 663 16334 3 a b c September 1904 Robert Wood debunks N rays abgerufen am 24 August 2022 a b c d e f Cecile Bonneau Les 6 cas les plus scandaleux de fraude scientifique Science et Vie 11 Marz 2017 online abgerufen am 24 August 2022 a b c d e f g I M Klotz The N Ray Affair In Scientific American 242 Jahrgang Nr 5 Mai 1980 S 168 175 doi 10 1038 scientificamerican0580 168 bibcode 1980SciAm 242e 168K R T Carroll The Skeptic s Dictionary Abgerufen im 1 Januar 1 M d Arsonval Remarques a propos des Communications de M A Charpentier et des revendications de priorite auxquelles elles ont donne lieu In Comptes rendus de l Academie des sciences 11 April 1904 S 884 885 franzosisch a b R W Wood The N Rays In Nature 70 Jahrgang Nr 1822 29 September 1904 S 530 531 doi 10 1038 070530a0 bibcode 1904Natur 70 530W zenodo org After spending three hours or more in witnessing various experiments I am not only unable to report a single observation which appeared to indicate the existence of the rays but left with a very firm conviction that the few experimenters who have obtained positive results have been in some way deluded A somewhat detailed report of the experiments which were shown to me together with my own observations may be of interest to the many physicists who have spent days and weeks in fruitless efforts to repeat the remarkable experiments which have been described in the scientific journals of the past year Eintrag im Brockhaus 1911 Joseph Devlin Webster s New School and Office Dictionary The New World Publishing Company 1946 S 496 Eric Picholle Suspension in volontaire d incredulite emotions et science pathologique 2020 Online French Academy Prizes In The Electrical Journal LIV Jahrgang Nr 12 6 Januar 1905 google com abgerufen am 24 August 2022 Faksimile der Preisbegrundung als pdf www biosensor physik de biosensor 1904 2 1120 1122 blondlot preisverleihung pdf abgerufen am 24 August 2022 September 1904 Robert Wood debunks N rays abgerufen am 24 August 2022 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title N Strahlen amp oldid 229880232