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Das mythische Analogon ist ein von Clemens Lugowski in die Literaturwissenschaft eingefuhrter Begriff zur Charakterisierung der Beziehung des Menschen zu literarischen Texten die nach Lugowskis Auffassung in mancher Hinsicht der Beziehung der Menschen der Antike zu ihren Mythen entspricht Da das Verhaltnis Mensch Mythos und Mensch Literatur nicht in allen Teilen gleich ist sondern auch Unterschiede aufweist sind beide Beziehungen nach Lugowski eben nicht identisch sondern nur analog Als Initialdefinition lasst sich das mythische Analogon als die Entsprechung zwischen literarischer Form und Mythos begreifen die sich daraus ergibt dass ein Restbestand mythischen Denkens sich noch in der asthetischen Struktur literarischer Texte manifestiert Dies ist besonders im Rahmen der modernen Erzahltheorie von Bedeutung Lugowskis Konzeption BearbeitenLugowski entwickelte seine Theorie vom mythischen Analogon 1932 im Rahmen seiner erst viel spater von der Literaturwissenschaft gefeierten Gottinger Dissertation Die Form der Individualitat im Roman Er stutzt sich dabei neben anderen Werken auf Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen und Andre Jolles Einfache Formen 1 In seinem Werk geht Lugowski zunachst von der Grundannahme aus dass die Literatur des nachmythischen Zeitalters zwar einerseits den direkten Bezug zu mythischen Gestalten und Gottergeschichten unterbunden habe dass jedoch gleichzeitig der Gehalt des Mythischen implizit in den formalen Gesetzen der Dichtung weiterlebe Mythischer Gehalt ist also in der Literatur grundsatzlich vorhanden aber auf den ersten Blick nicht erkennbar existiert also sozusagen latent in einer dem oberflachlichen oder nicht eingeweihten Betrachter verborgenen Weise Lugowski stutzt sich dabei auf die Beobachtung dass die Bedeutung und die Funktion der Handlung im modernen Roman letztendlich nichts anderes sei als eine mythische Einheit in weltlicher Einkleidung In dieser Zusammenballung werde der Mythos zur Geschichte und zur Bildung So trage die Handlung in vielen literarischen Texten ihre Erfullung bereits in sich Wir wissen zum Beispiel dass die bose Stiefmutter ihr gerechtes Ende finden und die tapfere Prinzessin am Schluss doch noch Konigin werden wird Lugowski knupft hieran die Frage Wie wird im Ablauf der Zeiten das Dasein des Menschen als Einzeldasein dichterisch figurenhaft aufgefasst und wie deutet es sich in der Dichtung Zur Beantwortung dieser Frage greift Lugowski auf Friedrich Nietzsches Werk Die Geburt der Tragodie zuruck und gelangt auf diesem aufbauend zu der Erkenntnis dass die Volksgemeinschaft im antiken Griechenland auf mythostragender Gemeinsamkeit im Angesicht des tragischen Spiels beruht habe wobei das tragische Spiel immer wieder die alten tief ins Volksbewusstsein eingewurzelten Themen behandelt habe Die spezifische Beziehung der Menschen der Antike zum Mythos sei auch spater einzigartig geblieben und daher bei keiner Nation des nachmittelalterlichen Abendlandes anzutreffen Jedoch so Lugowski lasst sich in der nachmythischen Zeit eine Beziehung der Menschen zur Dichtung feststellen die eine mythische Komponente beinhalte und daher der Haltung der antiken Griechen gegenuber den mythischen Stoffen ihrer Tragodien vergleichbar sei Diese Beziehung sei jedoch nur analog und nicht identisch da die Beziehung des nachmythischen Menschen zur Dichtung auch gravierende Unterschiede zur Beziehung des Menschen der Mythenzeit zum Mythos aufweise So fehle etwa dem nachmythischen Menschen der religiose Bezug zur Dichtung den der Mensch der Antike zu den Mythen gehabt habe Eine Voraussetzung fur den Zugang zu einem literarischen Werk ist nach Lugowski die Akzeptanz des Gemachtseins des betreffenden Werkes als das Bewusstsein dass es sich bei dem betreffenden Werk um ein Produkt von Kunstlichkeit handelt Wem es nicht moglich ist die Kunstlichkeit eines Werkes zu akzeptieren dem musse dieses Werk verschlossen bleiben Aus diesem Grund fanden die Menschen in dem Hinnehmen der Kunstlichkeit der Dichtung eine Gemeinsamkeit zum Mythos Diese Gemeinsamkeit fande ihre Grenze wiederum darin dass es ausser den Einsichtigen auch die Verstandnislosen gibt Die Kunstlichkeit der Dichtung sei dabei dasjenige ihrer Merkmale das sich am erfolgreichsten der analytischen Reflexion entziehe Wie der heroische Mythos in der attischen Tragodie so ist auch die Kunstlichkeit eine gemeinsamkeitsbegrundende Kraft Trotz allem ist sie die Kunstlichkeit nun aber doch kein Mythos wir werden kunftig von ihr als einem mythischen Analogon sprechen Literatur BearbeitenHerwig Gottwald Spuren des Mythos in moderner deutschsprachiger Literatur Theoretische Modelle und Fallstudien Wurzburg 2007 Clemens Lugowski Die Form der Individualitat im Roman Frankfurt am Main 1994 Katrin Stepath Gegenwartskonzepte eine philosophisch literaturwissenschaftliche Analyse temporaler Strukturen Wurzburg 2006 S 180 185 Anmerkungen Bearbeiten Zu diesen Einflussen etwa Heinz Schlaffer Clemens Lugowskis Beitrag zur Disziplin der Literaturwissenschaft in Clemens Lugowski Die Form der Individualitat im Roman Frankfurt am Main 1994 S VII XXIV hier S X XII Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Mythisches Analogon amp oldid 220695311