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Verhaltniswahlrecht mit Mehrheitsbonus 1 auch Minderheitenfreundliches Mehrheitswahlrecht ist die Bezeichnung fur das vom Grazer Politikwissenschaftler Klaus Poier vorgeschlagene Modell eines Mehrheitswahlsystems das im Gegensatz zu herkommlichen Mehrheitswahlsystemen gleichzeitig die Reprasentation kleiner Parteien Minderheitsparteien garantiert Es sieht vor dass die stimmenstarkste Partei automatisch die Mehrheit der Sitze 50 plus ein Sitz im Parlament erhalt Ein Verhaltniswahlrecht mit Mehrheitsbonus vereint damit Vorteile des Mehrheits mit solchen des Verhaltniswahlsystems indem es klare politische Verhaltnisse schafft und gleichzeitig die Pluralitat des politischen Systems fordert Die Einfuhrung eines solchen Modells wurde in Osterreich seit Ende der 1990er Jahre und insbesondere nach der Nationalratswahl 2006 bei der es mangels Alternativen zu einer Grossen Koalition aus SPO und OVP kam diskutiert Ein ahnliches Wahlrecht herrschte beispielsweise bis 2013 im italienischen Abgeordnetenhaus in dem die starkste Partei einen Sitzanteil erhielt der 54 Prozent der Stimmen entspricht 2 Inhaltsverzeichnis 1 Verhaltniswahlrecht mit Mehrheitsbonus 2 Alternativen zum Grundmodell 3 Vor und Nachteile Kritik 4 Ausblick 5 Einzelnachweise 6 LiteraturVerhaltniswahlrecht mit Mehrheitsbonus BearbeitenDie Funktionsweise des Verhaltniswahlrecht mit Mehrheitsbonus ist denkbar einfach Die Partei die die relative Mehrheit an Stimmen erzielt erhalt die Halfte der Mandate plus eins Die restlichen Mandate werden proportional also wie im Verhaltniswahlrecht nach D Hondt Verfahren auf die ubrigen Parteien verteilt Um einer Zersplitterung der Parteienlandschaft wie sie im Verhaltniswahlrecht oft zu beobachten ist vorzubeugen kann eine Stimmenhurde fur Kleinparteien vorgesehen werden Die Parteien mussen also z B 4 so derzeit in Osterreich oder 5 so derzeit in Deutschland der abgegebenen Stimmen erreichen um ins Parlament einziehen zu konnen Die siegreiche Partei erhalt demnach eine knappe Mehrheit im Parlament die ubrigen Parteien sind verhaltnismassig vertreten Damit erhoht sich die Handlungsfahigkeit fur die Siegerpartei lange Koalitionsverhandlungen werden unnotig Gleichzeitig kann der Wahlsieger die knappe Mehrheit auch zu einer stabileren ausbauen indem er eine Koalition mit einer der anderen im Parlament vertretenen Parteien eingeht Die Moglichkeit eines Machtwechsels ist jederzeit vorhanden das Volk kann bei der nachsten Wahl der Regierungspartei erneut das Vertrauen aussprechen oder sich einer anderen Partei zuwenden Der Einfluss des Wahlers wird in diesem Sinne so die Befurworter verstarkt Alternativen zum Grundmodell BearbeitenZum Modell eines Verhaltniswahlrechts mit Mehrheitsbonus wurden ausgehend vom vorgestellten Grundgedanken auch Alternativvarianten vorgeschlagen So wurde etwa von Poier darauf hingewiesen dass die Mehrheitspramie auch hoher angesetzt werden konnte die Halfte der Mandate plus zwei drei vier etc wodurch die Stabilitat einer Einparteienregierung erhoht andererseits jedoch die Reprasentation sowie die Chancen auf Regierungsbeteiligung kleiner Parteien verringert wurde Der osterreichische Bundesratsprasident a D Herwig Hosele hat demgegenuber vorgeschlagen der stimmenstarksten Partei die Halfte der Mandate minus 1 zuzusprechen damit eine Koalition notwendig bliebe was fur die kleinen Parteien gunstig ware wobei die Siegerpartei jedoch dennoch die Moglichkeit hatte aus jeder der anderen im Parlament vertretenen Parteien auszuwahlen Ein weiterer Vorschlag nach einer Idee der steirischen Landesratin Kristina Edlinger Ploder ist die Kombination eines Verhaltniswahlrecht mit Mehrheitsbonus mit einer Nichtwahlerpramie Die Partei mit der relativen Stimmenmehrheit bekommt die fiktiven Stimmen der Nichtwahler zugeschlagen Die ubrigen Mandate werden dann verhaltnismassig aufgeteilt Die Stimmen der Nichtwahler waren keine verlorenen Stimmen sondern wurden automatisch der siegreichen Partei zufallen Damit stiege der Anreiz wahlen zu gehen allerdings konnte dies bei hoher Stimmenthaltung zu einer hohen Mehrheitspramie fuhren Ein weiter verfeinerter Vorschlag ist jener von Richard Seyfried Sein Minderheitenfreundlich Mehrheitsbildendes Wahlrecht 3 zielt wie das Modell von Herwig Hosele eher auf ein Mandatsergebnis der starksten Partei knapp unter der absoluten Mehrheit ab Die Mandatszahl soll aber fur diese Partei reichen um viele Koalitionsoptionen zu haben Eine wesentliche Neuerung ist bei Seyfried die Einbeziehung einer Alternativstimme Zweitpraferenz Dieses etwa in London bereits verwendete Alternative Vote wirkt wie eine Stichwahl zwischen den stimmenstarksten Parteien Dadurch wird verhindert dass eine Partei die mehrheitlich abgelehnt wird in den Genuss des Bonus kommt Die genaue Hohe des Bonus errechnet sich bei Seyfried nach der Zahl der Erst und Zweitpraferenzstimmen Diese werden dem Ergebnis der im Stechen siegreichen Partei noch einmal als halbe Wahlerstimmen hinzugerechnet Mit Hilfe der Alternativstimme werden Verzerrungen durch taktisches Wahlen weitgehend ausgeschlossen die moglichen Auswirkungen eines solchen Wahlrechts lassen sich daher anhand der letzten Wahlergebnisse zumindest annaherungsweise errechnen vgl dazu die Berechnung in Anlehnung an den osterreichischen Nationalrat 4 Sinnvoll anwendbar ist das Modell auch auf das politische System in Deutschland Auch dort gibt es seit der Etablierung eines 5 bzw 6 Parteien Systems erhebliche Probleme bei der Mehrheitsbildung wie z B bei der Landtagswahl in Hessen 2008 Seyfrieds Modell wurde nach der aktuellen Berechnung anhand der Bundestagswahl 2005 5 auch dort zu einer deutlich vereinfachten Mehrheitsbildung fuhren ohne automatisch absolute Mehrheiten zu schaffen Vor und Nachteile Kritik BearbeitenIm traditionellen Mehrheitswahlrecht wie etwa in den USA oder in England haben Kleinparteien und neue Gruppierungen kaum die Moglichkeit Mandate zu erringen Minderheiten sind im Parlament grosstenteils nicht vertreten und die Stimmen fur Kleinparteien werden oft zu so genannten Papierkorbstimmen Die Mandate werden hauptsachlich von den beiden Grossparteien besetzt Der Vorteil des Verhaltniswahlrechts mit Mehrheitsbonus liegt darin dass die stimmenstarkste Partei eine Mehrheit im Parlament besitzt und somit allein handlungsfahig ist Wie im traditionellen Mehrheitswahlrecht werden klare politische Verhaltnisse geschaffen Gleichzeitig gehen die fur die Kleinparteien abgegebenen Stimmen nicht verloren da die Minderheiten bzw Kleinparteien durch die proportionale Aufteilung der restlichen Mandate ebenfalls im Parlament vertreten sind Im Vergleich zum Verhaltniswahlrecht wurden die Kleinparteien im Verhaltniswahlrecht mit Mehrheitsbonus einige Mandate verlieren Eine starke Opposition wie auch die Pluralitat des politischen Systems sind dennoch gewahrleistet Auch kann die stimmenstarkste Partei aus strategischen Uberlegungen heraus eine kleine Partei in die Regierung holen um die knappe Mehrheit zu einer stabileren Parlamentsmehrheit auszubauen Koalitionen werden durch die niedrige Mehrheitspramie die Halfte plus ein Mandat sehr wahrscheinlich Bei den Vorbildern des Modells in Frankreich und Italien ist dies hingegen nicht so da dort die Mehrheitspramie in der Regel wesentlich hoher ist z B zwei Drittel der Mandate fur die starkste Partei Der grosste Nachteil des Grundmodells ist dass eine einzelne Partei die weniger als 50 der Wahler auf sich vereint also nur eine Minderheit der Gesamtbevolkerung reprasentiert uber mehr als 50 der Mandate verfugt und damit alleine regieren kann Ausserdem stellt sich die Frage ob Kleinparteien im Verhaltniswahlrecht mit Mehrheitsbonus uberhaupt noch gewahlt werden da sie fur eine Mehrheitsbildung nicht mehr zwingend notig sind Die Wahler konnten wie im klassischen Mehrheitswahlrecht dazu tendieren ihre Stimme nicht an die Klein sondern nur noch an die Grossparteien zu vergeben Dem wird wiederum entgegengehalten dass die Mehrheitspramie nicht sehr hoch sei nur die Halfte der Mandate plus eins umfasst Dadurch ergibt sich meist keine extreme Uberreprasentation der stimmenstarksten Partei Im Extremfall deutsche Bundestagswahlen 2002 und 2005 konnen aber einige Tausend Wahlerstimmen zweier beinahe gleich starker Parteien den Unterschied ausmachen welche im Parlament die absolute Mehrheit erhalt Schliesslich muss sich der Wahler auch im Verhaltniswahlsystem entscheiden ob er seine Stimme einer Grosspartei oder einer kleineren Gruppierung mit weniger Chancen auf eine Regierungsbeteiligung gibt Dieses grundsatzliche Problem der Mehrheitswahl bleibt somit bestehen Das ist auch einer der zentralen Grunde warum es bereits eine Reihe von uberarbeiteten Alternativmodellen gibt Das Modell von Hosele noch starker aber der Wahlrechtsentwurf von Seyfried 6 tragen dieser Ungerechtigkeit gegenuber Kleinparteien bereits Rechnung und eroffnen den kleineren Parteien eine vollwertige und zum Teil gegenuber heute sogar gestarkte Moglichkeit zur Teilnahme an der Mehrheitsbildung Auch durften sich die Regierungsverhaltnisse mit einem solchen Modell nur sehr selten verandern da sich in den meisten Landern zwar die konkreten Prozentzahlen der einzelnen Parteien andern nicht aber deren Reihenfolge so war beispielsweise die SPD bei der deutschen Bundestagswahl nur dreimal die starkste Kraft stellte aber sechsmal den spateren Regierungschef Des Weiteren verstarkt ein Verhaltniswahlrecht mit Mehrheitsbonus auf jeden Fall die Bedeutungslosigkeit kleinerer Parteien Fur diese ware vielmehr eine gegenteilige Losung erforderlich die die Mandatszahl von vergleichsweise kleinen Parteien sogar uberproportional erhoht Ausblick BearbeitenIn Osterreich kehrt in regelmassigen Abstanden die Diskussion um ein neues Wahlrecht wieder War bis in die 90er Jahre ein Zwei Parteiensystem vorherrschend findet nun eine zunehmende Zersplitterung statt Die Ergebnisse der Nationalratswahlen 2006 ergaben nur eine einzig mogliche Koalitionsvariante zweier Parteien die einer grossen Koalition aus SPO und OVP Die Alternativen bestanden in einer wackeligen Dreierkoalition aus Parteien verschiedenster Weltanschauungen und in einer Minderheitsregierung die in Osterreich jedoch ublicherweise nur als Ubergangslosung in Frage kommt Der Vorschlag eines Verhaltniswahlrecht mit Mehrheitsbonus ist eine Reformmoglichkeit mit dem Ziel das politische Geschehen aus seiner Erstarrung zu losen ohne gleichzeitig den Pluralismus der politischen Landschaft zu zerstoren Eine Wahlrechtsreform im Sinne eines Verhaltniswahlrechts mit Mehrheitsbonus wurde in jedem Falle eine Verfassungsanderung bedingen da die Osterreichische Bundesverfassung in den Art 23a 26 95 und 117 fur die Wahlen zum Europaischen Parlament zum Nationalrat sowie zu den Landtagen und Gemeinderaten den Grundsatz der Verhaltniswahl vorschreibt Ob das demokratische Prinzip als ein Grundprinzip der Verfassung beruhrt wird und daher eine obligatorische Volksabstimmung notwendig ware ist umstritten Die Diskussion uber ein Verhaltniswahlrecht mit Mehrheitsbonus erfuhr seit dem Sommer 2007 seinen bisherigen Hohepunkt Fur ein solches Modell sprachen sich neben einer Reihe von Journalisten etwa auch Franz Vranitzky Erhard Busek Gerd Bacher Norbert Leser der bekannte osterreichische Politikwissenschaftler Wolfgang Mantl und zuletzt auch Vertreter der OVP Perspektivengruppe aus Einzelnachweise Bearbeiten Auch der Siegerbonus verhindert kein Patt Frankfurter Allgemeine Italiens kompliziertes Wahlsystem Sie nennen es Schweinerei Spiegel Online 25 Februar 2013 Minderheitenfreundlich Mehrheitsbildendes Wahlrecht Privatseite auf chello at Nationalrat Privatseite auf chello at Bundestag Privatseite auf chello at Wahlrechtsentwurf von Seyfried Privatseite auf chello atLiteratur BearbeitenKlaus Poier Minderheitenfreundliches Mehrheitswahlrecht Rechts und politikwissenschaftliche Uberlegungen zu Fragen des Wahlrechts und der Wahlsystematik Bohlau Verlag Wien 2001 ISBN 3 205 99338 1 Alfred Payrleitner Hrsg Aufbruch aus der Erstarrung Neue Wege in die osterreichische Politik Molden Verlag Wien 1999 ISBN 3 85485 023 9 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Verhaltniswahlrecht mit Mehrheitsbonus amp oldid 229223368