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Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs ist ein Sonett von Robert Gernhardt 1937 2006 Es ist eine ironische Invektive Schmahrede des lyrischen Ichs gegen Sonette Es wurde erstmals 1979 im Zeitmagazin veroffentlicht 1 Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt und Aufbau 2 Sprachlich formale Analyse 3 Deutung 4 Rezeption 5 Literatur 5 1 Ausgaben 5 2 Sekundarliteratur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseInhalt und Aufbau BearbeitenDas lyrische Ich beleidigt in dem Sonett sowohl die Gedichtform selbst als auch die Autoren die Sonette schreiben Die erste Strophe beginnt das lyrische Ich mit der Feststellung dass es Sonette beschissen finde V 1 und bringt seine Abneigung gegen Sonette und ihre Formstrenge zum Ausdruck In der zweiten kritisiert es Autoren die auch in modernen Zeiten Sonette schreiben In der dritten sagt es aus dass allein das Wissen dass es noch Menschen gibt die Sonette schreiben Wut in ihm hochkochen lasse In der letzten Strophe druckt es sein Unverstandnis fur solche Menschen aus und endet mit der erneuten Aussage Sonette beschissen zu finden V 14 Allein schon am Inhalt lasst sich eine durchdachte Aufbaustruktur erkennen So lauten der erste und letzte Vers ahnlich Diese ringformige Anordnung lasst sich thematisch auch in Teilen darin ersehen dass die Wut und deren Ausloser die Autoren von Sonetten im Kern des Gedichts von den ersten und letzten Versen flankiert werden Der Hohepunkt der Wut des lyrischen Ichs lasst sich vor allem im ersten Terzett ausfindig machen Sprachlich formale Analyse BearbeitenGernhardts Sonett besteht aus vier Strophen die in zuerst zwei Quartette und dann zwei Terzette zerfallen die in einem funfhebigen Jambus rhythmisiert sind Das Reimschema ist abab cdcd efe faa also ein dominierender Kreuzreim der mit einem Paarreim am Ende durchbrochen wird Dieser Aufbau entspricht am ehesten dem Shakespeare Typ von Sonetten 2 wobei statt drei Quartetten mit einem Paar in zwei Quartette und zwei Terzette gegliedert wird Das Gedicht gilt als Gernhardts bekannteste Textsortenparodie 3 Das Wortfeld des Gedichts ist gepragt von Vulgarismen z B beschissen V 1 Scheiss V 5 Wichsereien V 10 Dies deutet schon auf eine niedrige Sprachebene auf die der Autor abzielt Daruber hinaus lassen auch Wendungen aus dem Soziolekt einer bestimmten Szene z B Macker V 11 Ich tick es nicht V 12 das Satzfragment in Vers 5 und die Reparatur in V 6 oder die vielen apokopierten Vokale vgl V 1 8 12 darauf schliessen dass Gernhardt den Eindruck eines fliessenden nicht als kunstlich empfundenen Gedichts erwecken will Die Sprecherinstanz spricht nicht geplant sondern aus ihrer Wut heraus spontan Deutung BearbeitenDas Gedicht gilt als bemerkenswertes Beispiel fur einen performativen Widerspruch Die wutende Invektive gegen die Gedichtform Sonett kleidet sich in eben diese Gedichtform die abzulehnen sie wortgewaltig vorgibt 4 Die hier offensichtliche Ironie soll die satirische Intention des Autors hervorheben Gernhardt kritisiert nicht Sonette oder ihre Autoren er verteidigt sie vielmehr und das zeigt die Parodie des szenetypischen Jargons kritisiert die unreflektiert ablehnende Geisteshaltung in der das lyrische Ich die Form in der es spricht nicht erkennt 3 Durch den humoristisch ironischen Ansatz entsteht eine starkere Bindung zwischen Gedicht und Rezipienten Spannung die zwischen Kritisiertem und Darstellung herrscht vgl V 2 wird somit aufgelost Der Leser des Gedichts wird dazu animiert uber die Aussagen der Sprecherinstanz zu reflektieren 5 Rezeption BearbeitenDie Erstveroffentlichung des Gedichts im Zeitmagazin 1979 loste einen Sturm von uber 20 emporten Leserbriefen aus Gernhardt verfasste daraufhin einen klarenden Brief in dem er angab nicht Verscheisserung des Sonetts Verarschung der kurrenten Szenesprache sei das Anliegen meines Sonetts gewesen In der Folge erfuhr das Gedicht jedoch hochste Weihen Kein anderes Werk Gernhardts wurde so haufig in Anthologien aufgenommen wie die Materialien 1 Literatur BearbeitenAusgaben Bearbeiten Robert Gernhardt Wortersee Gedichte und Bildergeschichten Zweitausendeins Frankfurt am Main 1981 Robert Gernhardt Gesammelte Gedichte 1954 2006 S Fischer Frankfurt am Main 2017 ISBN 978 3 596 90659 8 Sekundarliteratur Bearbeiten Robert Gernhardt Herr Gernhardt warum schreiben Sie Gedichte Das ist eine lange Geschichte In derselbe Reim und Zeit Gedichte Reclam Stuttgart 1990 ISBN 3 15 008652 3 S 109 116 Ivo Braak Martin Neubauer Poetik in Stichworten Literaturwissenschaftliche Grundbegriffe Eine Einfuhrung 8 Auflage Borntraeger Berlin Stuttgart 2001 ISBN 3 443 03109 9 Hans Walter Schmidt Hannisa Erniedrigen um zu erhohen Sonettistische Sonettkritik bei Robert Gernhardt und einigen seiner Vorlaufer In Klaus H Kiefer Armin Schafer Hans Walter Schmidt Hannisa Hrsg Das Gedichtete behauptet sein Recht Festschrift fur Walter Gebhard zum 65 Geburtstag Lang Frankfurt am Main u a 2001 S 99 114 Weblinks Bearbeitenvollstandiges GedichtEinzelnachweise Bearbeiten a b Robert Gernhardt Gedichte 1954 1994 Zweitausendeins Frankfurt am Main 1996 ISBN 3 86150 293 3 S 116 u Anm S 488 f vgl Braak Neubauer Poetik in Stichworten Stuttgart 2001 a b Tobias Eilers Robert Gernhardt Theorie und Lyrik Erfolgreiche komische Literatur in ihrem gesellschaftlichen und medialen Kontext Waxmann Munster New York Munchen Berlin 2011 ISBN 978 3 8309 2556 9 S 308 Maren Jager Das komische Kurzgedicht In Carsten Jakobi Christine Waldschmidt Hrsg Witz und Wirklichkeit Komik als Form asthetischer Weltaneignung transcript Bielefeld 2015 ISBN 978 3 8376 2814 2 S 359 386 hier S 370 abgerufen uber De Gruyter Online Hubert Winkels Leselust und Bildermacht Suhrkamp Frankfurt 1999 ISBN 3 518 39430 4 S 10 f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs amp oldid 237726477