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Leonore Rachelle Brecher 14 Oktober 1886 in Botoșani Konigreich Rumanien 18 September 1942 im Vernichtungslager Maly Trostinez war eine osterreichische experimentelle Zoologin die vor allem uber die Ursachen der Entstehung von Farbvarietaten an Schmetterlingspuppen forschte Dabei gelang ihr zusammen mit Hans Leo Przibram 1922 eine teilweise Bestatigung von Paul Kammerers Experimenten uber die Vererbung erworbener Eigenschaften Inhaltsverzeichnis 1 Ausbildung 2 Wissenschaftliche Laufbahn bis 1933 3 Zeit des Nationalsozialismus 4 Schriften Auswahl 5 Weblinks 6 Literatur 7 EinzelnachweiseAusbildung BearbeitenLeonore Brecher besuchte das Madchengymnasium in Jassy und legte 1906 die Matura ab Sie begann ein naturwissenschaftliches Studium an der Universitat Jassy setzte es nach einem Jahr an der Universitat Czernowitz fort musste aber nach dem dritten Semester das Studium abbrechen da beide Elternteile starben und sie von Verwandten in der Bukowina aufgenommen wurde 1 Erst 1913 konnte sie mit finanzieller Unterstutzung der Familie das Studium wieder aufnehmen 1914 wechselte sie an die Universitat Wien wo sie ab August 1915 an der Biologischen Versuchsanstalt der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften bei dem Zoologen Hans Leo Przibram arbeitete 2 3 Wissenschaftliche Laufbahn bis 1933 Bearbeiten1916 wurde Brecher mit einer von Przibram betreuten Arbeit uber Die Puppenfarbungen des Kohlweisslings promoviert 1917 legte sie die Lehramtsprufung fur Mittelschulen ab und absolvierte anschliessend am Madchen Realgymnasium Albertgasse das vorgeschriebene padagogische Probejahr Danach kehrte sie aber wieder an die Biologische Versuchsanstalt zuruck wo sie ihre Forschungen fortsetzte und als unbezahlte Assistentin Przibrams arbeitete Sie erhielt dreimal fur je ein Jahr ein Stipendium der Akademie der Wissenschaften 1 als ihre Verwandten aber 1920 die finanzielle Unterstutzung einstellten und Brecher sich bei der Akademie um eine regulare Assistentenstelle bewarb hatte sie keinen Erfolg Sie hielt sich mit Fordermitteln privater Stiftungen und dem Erteilen von Volkshochschulkursen uber Wasser 3 1922 stellte sie zusammen mit Przibram auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft fur Vererbungslehre die Ergebnisse ihrer Experimente mit Schmetterlingspuppen und Ratten vor die Paul Kammerers Thesen zur Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften zu bestatigen schienen Allerdings wurden Kammerers Befunde an Amphibien und Reptilien spater von britischen und US amerikanischen Wissenschaftlern widerlegt 4 Im Oktober 1923 versuchte Brecher sich als erste Naturwissenschaftlerin in Osterreich zu habilitieren Zu diesem Zeitpunkt konnte sie bereits auf mehr als zwanzig wissenschaftliche Veroffentlichungen verweisen 3 Ihr Gesuch um Erteilung der venia legendi fur Zoologie wurde von der philosophischen Fakultat der Universitat Wien zunachst verschleppt und 1926 schliesslich abgelehnt 1923 war in die Habilitationsordnung der Universitat Wien die Bestimmung aufgenommen worden dass die Habilitationskommission und die Fakultat nicht nur uber die wissenschaftliche sondern auch uber die personliche Eignung der Bewerber abstimmen mussten Vor dem Hintergrund des bereits in den zwanziger Jahren an der Wiener Universitat herrschenden massiven volkischen Antisemitismus diente diese Bestimmung explizit dazu unerwunschte judische Bewerber auszuschliessen 5 6 7 Auch Brecher die als Frau Judin und Osteuropaerin gleich dreifachen Vorurteilen ausgesetzt war wurde wegen fehlender personlicher Eignung abgelehnt da sie nicht geeignet sei den Studenten gegenuber die fur einen Dozenten erforderliche Autoritat aufrecht zu erhalten 2 Ohne feste Anstellung war Brecher auch weiterhin von Stipendien abhangig um ihren Lebensunterhalt und ihre Forschungsarbeit zu finanzieren Eine International Fellowship der American Association of University Women ermoglichte ihr 1923 ein Jahr am Physiologischen Institut der Universitat Rostock bei Hans Winterstein zu arbeiten 8 Ende 1924 war sie wieder in Wien im Jahr darauf erhielt sie ein Stipendium der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft fur einen Aufenthalt am Pathologischen Institut der Berliner Universitat 9 wo sie von 1926 bis 1928 bei Rhoda Erdmann und Peter Rona arbeitete 3 8 von 1928 bis Oktober 1931 eine Yarrow Research Fellowship des Girton College in Cambridge dank derer sie in Cambridge dann in Rostock und schliesslich an der Universitat Kiel bei Wolfgang Freiherr von Buddenbrock Hettersdorff sowie Rudolf Hober weiterforschen konnte 10 Danach blieb sie in Kiel war aber wieder auf finanzielle Unterstutzung ihrer Familie angewiesen Einer Einladung der Columbia University zu einem Forschungsaufenthalt in den USA konnte sie nicht folgen da sie ohne Festanstellung in Deutschland kein Visum fur die USA erhielt 1 8 Zeit des Nationalsozialismus BearbeitenNach dem Machtantritt der Nazis war Brecher aufgrund ihrer nicht arischen Abstammung von einer weiteren Forderung durch die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft ausgeschlossen Infolgedessen bat sie im Juli 1933 Juda H Quastel in Cardiff ihr ein Stipendium zu verschaffen was ihm aber nicht gelang Ihr Unterstutzer und Arbeitgeber Rudolf Hober wurde im September 1933 als Halbjude und Demokrat aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von seinem Lehrstuhl vertrieben Brecher wandte sich daraufhin an das Academic Assistance Council mit der Bitte um eine Arbeitsmoglichkeit in England die aber abschlagig beschieden wurde unter anderem aufgrund einer negativen Beurteilung ihrer Personlichkeit durch das Girton College 8 Nachdem Brecher sowohl ihre Forschungsmoglichkeit in Kiel als auch die Unterhaltszahlung ihrer Verwandten verloren hatte die sie ab November 1933 nicht mehr unterstutzen konnten kehrte sie im November 1933 nach Wien zuruck wo Przibram ihr eine schlechtbezahlte Anstellung an der Biologischen Versuchsanstalt gab Weitere Hilfeersuchen Brechers an das Academic Assistance Council wurden ebenfalls abgelehnt 8 Nach dem Anschluss Osterreichs 1938 wurde sie mit allen anderen judischen Wissenschaftlern der BVA entlassen Jeder wissenschaftlichen Arbeitsmoglichkeit beraubt arbeitete Brecher ab Oktober 1938 als Lehrerin an der judischen Volks und Hauptschule in der Kleinen Sperlgasse 2a wo sie eine Klasse korperbehinderter Schuler unterrichtete und bemuhte sich verzweifelt um eine Arbeits oder Unterstutzungsmoglichkeit im Ausland Quastel lud sie zwar im November 1938 nach Cardiff ein konnte ihr aber nur eine unbezahlte Tatigkeit anbieten Weder das Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars noch das American Council for Emigres noch die Nachfolgeorganisation des Academic Assistance Council die Society for Protection of Science and Learning sahen sich in der Lage ihr zu helfen Ihr letzter Brief an die letztgenannte Organisation datiert vom 14 Mai 1939 10 Ende Februar 1941 wurde die Schule in der Kleinen Sperlgasse geschlossen und das Gebaude als Sammellager fur zu deportierende Juden genutzt 1 Brecher wurde am 14 September 1942 deportiert und vier Tage spater nach ihrer Ankunft im Vernichtungslager Maly Trostinez ermordet 3 Im Jahr 2018 wurde in Wien Meidling 12 Bezirk der Leonore Brecher Weg nach ihr benannt Schriften Auswahl BearbeitenDie Puppenfarbungen des Kohlweisslings Pieris brassicae L Erster Teil Beschreibung des Polymorphismus Zweiter Teil Prufung des Lichteinflusses Dritter Teil Chemie der Farbtypen Phil Diss Universitat Wien 1916 In Archiv fur Entwicklungsmechanik der Organismen 43 1917 Heft 1 2 S 88 221 doi 10 1007 BF02189260 Digitalisat bei HathiTrust nur mit US Proxy Vierter Teil Wirkung sichtbarer und unsichtbarer Strahlen In Archiv fur Entwicklungsmechanik der Organismen 45 1919 H 1 2 S 273 322 doi 10 1007 BF02554403 Digitalisat bei HathiTrust nur mit US Proxy Funfter Teil Kontrollversuche zur spezifischen Wirkung der Spektralbezirke mit anderen Faktoren Sechster Teil Chemismus der Farbanpassung In Archiv fur Entwicklungsmechanik der Organismen 48 1921 H 1 3 S 1 139 doi 10 1007 BF02554478 doi 10 1007 BF02554479 Digitalisat bei HathiTrust nur mit US Proxy Siebenter Teil Wirksamkeit reflektierten und durchgehenden Lichtes In Archiv fur Entwicklungsmechanik der Organismen 50 1922 Heft 1 2 S 41 78 doi 10 1007 BF02093762 Digitalisat bei HathiTrust nur mit US Proxy Achter Teil Die Farbanpassung der Puppen durch das Raupenauge In Archiv fur mikroskopische Anatomie und Entwicklungsmechanik 102 1924 H 4 S 501 516 doi 10 1007 BF02292958 mit Hans Przibram Ursachen tierischer Farbkleidung I Vorversuche an Extrakten In Archiv fur Entwicklungsmechanik der Organismen 45 1919 H 1 2 S 83 198 doi 10 1007 BF02554400 mit Hans Przibram Die Farbmodifikationen der Stabheuschrecke Dixippus morosus Br et Redt Ursachen tierischer Farbkleidung VI In Archiv fur Entwicklungsmechanik der Organismen 50 1922 H 1 2 S 147 185 doi 10 1007 BF02093765 Die Puppenfarbungen der Vanessiden Vanessa Io V urticae Pyrameis cardui P atalanta In Archiv fur Entwicklungsmechanik der Organismen 50 1922 Heft 1 2 S 209 308 doi 10 1007 BF02093770 Die Puppenfarbungen der Vanessiden Vanessa Io V utricae In Archiv fur mikroskopische Anatomie und Entwicklungsmechanik 102 1924 H 4 S 517 548 doi 10 1007 BF02292959 Physiko chemische und chemische Untersuchungen am Raupen und Puppenblute Pieris brassicae Vanessa urticae In Zeitschrift fur vergleichende Physiologie 2 1925 H 6 S 691 713 Anorganische Bestandteile des Schmetterlingspuppenblutes Sphynx pinastri Pieris brassicae Veranderungen im Gehalt an organischen Bestandteilen bei der Verpuppung Pieris brassicae In Biochemische Zeitschrift 211 1929 S 40 64 Pigment Bildung bei Wirbellosen und Wirbeltieren In Tabulae Biologicae 16 1938 S 140 161 Weblinks Bearbeiten nbsp Wikisource Leonore Brecher Quellen und Volltexte Eintrag in der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaustopfer der Gedenkstatte Yad Vashem Gedenken an Leonore Rachelle Brecher bei Memory Gaps Erinnerungslucken dem digitalen Erinnerungsprojekt von Konstanze SailerLiteratur BearbeitenMarkus Brosch Judische Kinder und LehrerInnen zwischen Hoffnung Ausgrenzung und Deportation VS HS Kleine Sperlgasse 2a 1938 1941 Diplomarbeit fur Mag phil in Geschichte Universitat Wien 2012 online bei Universitat Wien PDF 2 2 MB Wolfgang L Reiter Zerstort und vergessen Die Biologische Versuchsanstalt und ihre Wissenschaftler innen In Osterreichische Zeitschrift fur Geschichtswissenschaften 10 Jahrgang Heft 4 1999 S 585 614 online unter wirtges univie ac at PDF 1 8 MB Einzelnachweise Bearbeiten a b c d Brosch Judische Kinder und LehrerInnen zwischen Hoffnung Ausgrenzung und Deportation Wien 2012 S 75 77 a b Brigitte Bischof Naturwissenschafterinnen an der Universitat Wien Biografische Skizzen und allgemeine Trends In Ilse Korotin Hrsg 10 Jahre Frauen sichtbar machen biografiA datenbank und lexikon osterreichischer frauen Mitteilungen des Instituts fur Wissenschaft und Kunst 63 2008 S 5 12 Digitalisat bei IWK PDF 3 MB a b c d e Klaus Taschwer Andenken an eine 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S 126 128 Dr Leonore Brecher bei GEPRIS Historisch Deutsche Forschungsgemeinschaft abgerufen am 1 Juni 2021 deutsch a b Dr Leonore Brecher uni kiel de abgerufen am 29 August 2013 Normdaten Person LCCN no2003081075 VIAF 4624413 Wikipedia Personensuche Kein GND Personendatensatz Letzte Uberprufung 13 Juni 2019 PersonendatenNAME Brecher LeonoreALTERNATIVNAMEN Brecher Leonore Rachelle vollstandiger Name KURZBESCHREIBUNG osterreichische ZoologinGEBURTSDATUM 14 Oktober 1886GEBURTSORT Botoșani RumanienSTERBEDATUM 18 September 1942STERBEORT Vernichtungslager Maly Trostinez Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Leonore Brecher amp oldid 212582323