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Als karolingischer Reichskalender wird ein mittelalterlicher Kalendertyp bezeichnet der im Kontext der karolingischen Reformbemuhungen des 8 Jahrhunderts entstanden sein soll Der Begriff wurde von dem deutschen Mediavisten Arno Borst gepragt Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung und Verbreitung 2 Quellen 3 Uberlieferung 4 Aufbau 5 Kritik an Borsts Konzeption 6 Literatur 6 1 Edition 6 2 Sekundarliteratur 7 EinzelnachweiseEntstehung und Verbreitung BearbeitenDie romisch antike Gattung des Kalenders hatte in Westeuropa den Umbruch zum Fruhmittelalter nicht uberlebt Fur die Zeit vom 4 bis zum 7 Jahrhundert sind keine lateinischen Tageskalender uberliefert 1 Was blieb waren komputistische Schriften Ostertafeln und Martyrologien die der Festlegung des christlichen Festkalenders und der sakralen Erinnerungskultur dienten Zeit unterstand im ganzen wie im einzelnen der unbedingten Verfugung Gottes 2 Ab der Mitte des 8 Jahrhunderts setzte jedoch ein Wandel der Zeitwahrnehmung ein Monche begannen fur die sakrale Ordnung unbedeutende Ereignisse wie die Anfange der Jahreszeiten oder politische Jahrestage neben geistlichen Gedenktagen zu vermerken 3 Nach Uberzeugung von Borst entstand der Prototyp des karolingischen Reichskalenders 789 im Kloster Lorsch unter der Agide von Abt Richbod der zum engeren Beraterkreis Karls des Grossen gehorte 4 Eine Verbindung zum Reformprogramm des Kaiserhofes liegt auch deshalb nahe weil Karl an Fragestellungen der Zeitrechnung allgemein sehr interessiert war und verschiedentlich forderte dass Priester uber komputistische Grundkenntnisse verfugen sollten 5 Der neue Kalender entwickelte sich fortan weiter und setzte sich in seinen verschiedenen Ausfuhrungen im lateinischen Europa bis hin ins 12 Jahrhundert durch Quellen BearbeitenNeben anderen Kalendern benutzten die Monche Borst zufolge vor allem einen aus Rom stammenden und in Nordengland erweiterten liturgischen Kalender Dieser Kalender sei uber englische Missionare ins Frankenreich gelangt und nicht identisch mit dem verlorenen Kalender des angelsachsischen Gelehrten Beda Venerabilis 6 Dessen komputistische Schrift De temporum ratione war Hauptquelle fur alle nichtliturgischen und nichtformalen Aspekte des Lorscher Kalenders Daneben verwendeten die Monche die Naturalis Historia des Plinius Die Vorlagen konnten moglicherweise uber die frankische Hofbibliothek nach Lorsch gelangt sein 7 Uberlieferung BearbeitenArno Borst berucksichtigt fur seine Edition 250 Kalenderhandschriften die aus dem 9 bis 12 Jahrhundert stammen Er unterteilt diese nach raumlichen und zeitlichen Kriterien in acht Uberlieferungsgruppen A H 8 Als Leithandschrift dient ihm eine um 840 in Prum angefertigte Handschrift die heute in der Staatsbibliothek zu Berlin liegt Phillipps 1869 fol 1r 11v und die Borst direkt auf den Lorscher Prototypen von 789 zuruckfuhrt 9 Aufbau BearbeitenDer Kalender besteht aus einem Sonnen sowie einem beigefugten Mondkalender Den einzelnen Monaten gehen Kopfzeilen voraus die die Monatseintrage voneinander absetzen und Angaben zur Anzahl der Tage Tageslange und Tierkreiszeichen enthalten Es folgt ein Vorspann der u a den lateinischen Kalender mit dem griechischen hebraischen und agyptischen Kalendersystem in Bezug setzt und den Monatsnamen etymologisch herleitet Schliesslich folgt der eigentliche Tageskalender mit dreigeteilter Tageszeile die erste Spalte enthalt Kennzahlen und buchstaben Goldene Zahl siderische und synodische Mondbuchstaben in der zweiten Spalte folgt die romische Tagesangabe die dritte Spalte Festzone ist insbesondere fur christliche Heiligenfeste aber auch profane Daten wie den Geburtstag Karls des Grossen am 2 April 10 oder Angaben zu Ungluckstagen reserviert Zu beachten ist dass die einzelnen Kalenderhandschriften sich zum Teil erheblich in ihrer Ausfuhrung unterscheiden So enthalt etwa die als A4 bezeichnete Kalenderhandschrift nur eine einfache Kopfzeile die das Tierkreiszeichen und die Anzahl der Tage des betreffenden Monats angibt Vorspann und Fusszeile fehlen ganz 11 Auf Grund der grossen Abweichungen der verschiedenen Redaktionen des Kalenders voneinander vermied es Borst den gebrauchlichen Begriff des Archetypen zu verwenden und sprach stattdessen im Zusammenhang mit dem Lorscher Kalender von einem Prototyp aus dem heraus sich die verschiedenen Uberlieferungsstrange entwickelt hatten 12 Kritik an Borsts Konzeption BearbeitenBorsts Kalenderedition hat in der Fachwelt Zustimmung jedoch auch von verschiedenen Seiten Kritik erfahren 13 Die drei Hauptkritiker Paul Meyvaert Donald Bullough und Brigitte Englisch teilten zwar manche der Grundannahmen Borsts gingen aber von anderen Ausgangspunkten aus Englisch edierte die von Borst A4 genannte Kalenderhandschrift Sie hielt diese ebenfalls fur karolingisch glaubte aber an eine Entstehung desselben in einer fruhen Phase karolingischer Reformversuche im Umkreis der Synode von Soissons 744 14 Dagegen gingen Meyvaert und Bullough von einer angelsachsischen Herkunft des Kalenders aus 15 Meyvaert zufolge handelt es sich beim Reichskalender eigentlich um den verloren geglaubten Kalender Bedas auf den dieser in seinem Werk De temporum ratione verwies Dieser sei von Alkuin aus England an den karolingischen Hof gebracht worden nachdem dieser bereits seit Langerem v a in England und Irland im Umlauf gewesen sei 16 Dem Hof Karls des Grossen kame demnach lediglich die Rolle zu die Verbreitung des Kalenders auf dem Kontinent vorangetrieben zu haben Demgegenuber nahm Borst an der karolingische Kalender habe den Kalender Bedas verdrangt 17 Borst setzte sich mit der Kritik von Meyvaert Bullough und Englisch 2004 ausfuhrlich in monographischer Form auseinander 18 Literatur BearbeitenEdition Bearbeiten Der karolingische Reichskalender und seine Uberlieferung bis ins 12 Jahrhundert hg v Arno Borst 3 Bd Hahnsche Buchhandlung Hannover 2001 MGH Libri mem 2 Sekundarliteratur Bearbeiten Arno Borst Der Streit um den karolingischen Kalender Hahnsche Buchhandlung Hannover 2004 MGH Studien und Texte 36 Arno Borst Die karolingische Kalenderreform Hahnsche Buchhandlung Hannover 1998 MGH Schriften 46 Arno Borst Computus Zeit und Zahl in der Geschichte Europas Wagenbach Verlag 3 Aufl Berlin 2004 Donald A Bullough Alcuin Achievement and Reputation Brill Leiden u a 2002 Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 16 Michel Bur Rezension zu Der karolingische Reichskalender und seine Uberlieferung bis ins 12 Jahrhundert hg v Arno Borst in Revue d Histoire ecclesiastique Nr 97 2 2002 S 174 175 Immo Eberl Rezension zu Der karolingische Reichskalender und seine Uberlieferung bis ins 12 Jahrhundert hg v Arno Borst in Schweizerische Zeitschrift fur Geschichte Nr 53 2003 S 463 464 Brigitte Englisch Zeiterfassung und Kalenderproblematik in der fruhen Karolingerzeit Das Kalendarium der Hs Koln DB 83 2 und die Synode von Soissons 744 Thorbecke Stuttgart 2002 Instrumenta 8 Yitzak Hen Rezension zu Der karolingische Reichskalender und seine Uberlieferung bis ins 12 Jahrhundert hg v Arno Borst in Francia Nr 31 2004 S 289 290 Paul Meyvaert Discovering the Calendar Annalis Libellus attached to Bede s own Copy of De temporum ratione in Analecta Bollandiana Nr 120 2002 S 5 64 Wesley M Stevens Rezension zu Der karolingische Reichskalender und seine Uberlieferung bis ins 12 Jahrhundert hg v Arno Borst in Cahiers de Civilisation medievale Nr 47 2004 S 384 387 Steven Vanderputten Rezension zu Der karolingische Reichskalender und seine Uberlieferung bis ins 12 Jahrhundert hg v Arno Borst in Le Moyen Age Revue d Histoire et de Philologie Nr 110 2004 S 1089 Werner Sulzgruber Zeiterfahrung und Zeitordnung vom fruhen Mittelalter bis ins 16 Jahrhundert Hamburg 1995 Einzelnachweise Bearbeiten Der karolingische Reichskalender und seine Uberlieferung bis ins 12 Jahrhundert hg v Arno Borst Bd 1 Hahnsche Buchhandlung Hannover 2001 S 16 Der karolingische Reichskalender und seine Uberlieferung bis ins 12 Jahrhundert hg v Arno Borst Bd 1 Hahnsche Buchhandlung Hannover 2001 S 17 Der karolingische Reichskalender und seine Uberlieferung bis ins 12 Jahrhundert hg v Arno Borst Bd 1 Hahnsche Buchhandlung Hannover 2001 S 17 Arno Borst Die karolingische Kalenderreform Hahnsche Buchhandlung Hannover 1998 S 246 Arno Borst Die karolingische Kalenderreform Hahnsche Buchhandlung Hannover 1998 S 232 244 Arno Borst Die karolingische Kalenderreform Hahnsche Buchhandlung Hannover 1998 S 248 249 Arno Borst Die karolingische Kalenderreform Hahnsche Buchhandlung Hannover 1998 S 252 Der karolingische Reichskalender und seine Uberlieferung bis ins 12 Jahrhundert hg v Arno Borst Bd 1 Hahnsche Buchhandlung Hannover 2001 S 54 333 Der karolingische Reichskalender und seine Uberlieferung bis ins 12 Jahrhundert hg v Arno Borst Bd 1 Hahnsche Buchhandlung Hannover 2001 S 56 59 Der karolingische Reichskalender und seine Uberlieferung bis ins 12 Jahrhundert hg v Arno Borst Bd 2 Hahnsche Buchhandlung Hannover 2001 S 751 Hs Koln Diozesan und Dombibl 83II fol 72v 76r Digitalisat einsehbar unter http www ceec uni koeln de Arno Borst Der Streit um den karolingischen Kalender Hahnsche Buchhandlung Hannover 2004 S 12 Uberwiegend positiv ausserten sich Michel Bur in Revue d Histoire ecclesiastique Nr 97 2 2002 S 174 175 Immo Eberl in Schweizerische Zeitschrift fur Geschichte Nr 53 2003 S 463 464 Steven Vanderputten in Le Moyen Age Revue d Histoire et de Philologie Nr 110 2004 S 1089 dagegen eher kritisch Wesley M Stevens in Cahiers de Civilisation medievale Nr 47 2004 S 384 387 Yitzak Hen in Francia Nr 31 2004 S 289 290 Brigitte Englisch Zeiterfassung und Kalenderproblematik in der fruhen Karolingerzeit Das Kalendarium der Hs Koln DB 83 2 und die Synode von Soissons 744 Thorbecke Stuttgart 2002 Vgl zusammenfassend Arno Borst Der Streit um den karolingischen Kalender Hahnsche Buchhandlung Hannover 2004 S 7 10 Donald A Bullough Alcuin Achievement and Reputation Brill Leiden u a 2002 Paul Meyvaert Discovering the Calendar Annalis Libellus attached to Bede s own Copy of De temporum ratione in Analecta Bollandiana Nr 120 2002 S 5 64 Vgl zusammenfassend Arno Borst Der Streit um den karolingischen Kalender Hahnsche Buchhandlung Hannover 2004 S 3 7 Paul Meyvaert Discovering the Calendar Annalis Libellus attached to Bede s own Copy of De temporum ratione in Analecta Bollandiana Nr 120 2002 S 8 Der karolingische Reichskalender und seine Uberlieferung bis ins 12 Jahrhundert hg v Arno Borst Band 1 Hahnsche Buchhandlung Hannover 2001 S 19 Arno Borst Der Streit um den karolingischen Kalender Hahnsche Buchhandlung Hannover 2004 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Karolingischer Reichskalender amp oldid 223100686