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Als Heimkampagne bezeichnet man Vorstosse von Teilgruppen der Ausserparlamentarischen Opposition APO ab 1965 autoritare und unterdruckerische Zustande in der damaligen Fursorgeerziehung der Bundesrepublik Deutschland bekannt zu machen und zu uberwinden Die Kampagne war Teil einer Randgruppenstrategie die bei sozial stark Benachteiligten ein sozialrevolutionares Bewusstsein bewirken sollte Obwohl dieses Ziel weitgehend verfehlt wurde brachte die Kampagne eine offentliche Debatte und allmahliche Reformen in der westdeutschen Fursorgeerziehung in Gang Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Verlauf 3 Historische Folgen 4 Siehe auch 5 Literatur 6 EinzelnachweiseVorgeschichte BearbeitenAls eine der ersten Medienvertreter beschrieb die Journalistin Ulrike Meinhof die Situation von Kindern und Jugendlichen in westdeutschen Fursorgeheimen in Artikeln und Radiosendungen Ausgestossen oder aufgehoben Heimkinder in der Bundesrepublik Hessischer Rundfunk 9 Dezember 1965 Flucht aus dem Madchenheim Heimkinder in der Bundesrepublik konkret 1966 Das Kind in der Gesellschaft Schlusslicht Hilfsschule Sudwestfunk 1967 Sie forderte ein gesetzliches Verbot jeder Art von Gewalt gegen Kinder und deren selbstbestimmtes Lernen ahnlich wie die Antiautoritare Erziehung 1 Dabei stutzte sie sich auch auf Forschung des Padagogen Gottfried Sedlaczek Ihre kritischen Artikel blieben jedoch zunachst folgenlos 2 Verlauf BearbeitenSchwerpunkte der Kampagne lagen im Raum Frankfurt am Main und in West Berlin In der Nacht vom 7 auf den 8 Mai 1969 rebellierten Jugendliche im Landesfursorgeheim Gluckstadt darunter Peter Jurgen Boock 3 Am 28 Juni 1969 kam es zur sogenannten Staffelberg Kampagne Frankfurter Lehrlinge und SDS Studenten besuchten 1969 das Fursorgeerziehungsheim Staffelberg in Biedenkopf kritisierten dessen strenge Heimregeln und beengte Unterbringungen und unterstutzten die Jugendlichen bei Ausbruchsversuchen Wohnungs und Arbeitssuche Unter Beihilfe von Studenten flohen rund 30 Jugendliche aus diesem Heim nach Frankfurt In neuen damaligen Kommunen und Wohngemeinschaften fanden sie Unterschlupf 4 Nachdem das Buro des Frankfurter Jugendamtsleiters besetzt worden war konnte Wohnraum fur ehemalige Heimkinder beschafft werden In vier Wohnungen wurden Wohnkollektive gegrundet Nach deren Vorbild sind die noch heute ublichen betreuten Jugendwohngemeinschaften entstanden Der damalige Frankfurter Padagogik Professor Klaus Mollenhauer und Studenten seiner Fakultat schlossen sich der Kampagne an Auch die spateren Mitglieder der terroristischen Rote Armee Fraktion RAF Andreas Baader Gudrun Ensslin Astrid Proll und ihr Bruder Thorwald Proll waren in der Staffelberg Kampagne aktiv 5 Ulrike Meinhof recherchierte im Sommer 1969 zum Fursorgeheim Fuldatal in Guxhagen Dabei lernte sie Vertreter der Staffelbergkampagne wie Baader und Ensslin kennen Sie selbst forschte seit Herbst 1968 vor allem zu den Zustanden in Westberliner Madchenheimen darunter dem Eichenhof in Tegel Meinhof erfuhr von Ubergriffen der Heimleitung auf dort untergebrachte Madchen und erreichte durch eine Burgschaft dass die Heiminsassin Irene Goergens entlassen wurde Aus diesen Erfahrungen entstand Meinhofs Drehbuch fur den Fernsehfilm Bambule 6 Dieser sollte am 24 Mai 1970 gesendet werden wurde aber wegen der Polizeifahndung nach Meinhof seit ihrer Teilnahme an der Baader Befreiung 14 Mai 1970 abgesetzt und erst 1994 gezeigt 7 Eine wichtige Forderung der Kampagne bestand spater in besseren Ausbildungsmoglichkeiten Weitere Errungenschaften dieser ersten Heimbewegung waren eine Differenzierung und Dezentralisierung von Einrichtungen eine Reduzierung der Gruppengrosse eine gesellschaftliche Achtung repressiver Erziehungsmassnahmen sowie Verbesserungen in der Qualifizierung des Personals Die Vorstellung der beteiligten Studenten die Heimkampagne zum Mittel des Klassenkampfes zu machen erwiesen sich bald als illusionar Zu gross waren die Interessengegensatze und lebensweltlichen Differenzen zwischen Studierenden und den von ihnen Aufgenommenen Die Jugendlichen wehrten sich nach einiger Zeit gegen standigen Diskussionszwang im Plenum und die Bevormundung durch die Studenten und wollten ihre Angelegenheiten lieber selbst in die Hand nehmen Umgekehrt waren viele Studenten zutiefst enttauscht uber das fehlende revolutionare Bewusstsein der Heimjugendlichen Dass die Heimkampagne dennoch nicht wirkungslos blieb lag wesentlich an der enormen offentlichen Resonanz die die Aktionen von Beginn an fanden Im aufgeheizten Medienklima der ausgehenden sechziger Jahre griff eine Flut von Presseberichten Rundfunk und Fernsehsendungen das Thema auf und setzte sich gleichfalls kritisch mit den Zustanden in den Erziehungsheimen auseinander 8 Historische Folgen Bearbeiten2006 belegte die Buchdokumentation Schlage im Namen des Herrn den grossangelegten Missbrauch von Heimkindern in Westdeutschland zwischen 1945 und 1970 Laut dem Autor Peter Wensierski begann die Aufklarung daruber mit der Heimkampagne die langfristig zur Beendigung dieser Zustande fuhrte Seine Dokumentation war seinerseits eine Folge dieser Kampagne und steht in ihrer Tradition 9 Siehe auch BearbeitenSexueller Missbrauch in der romisch katholischen KircheLiteratur BearbeitenMarita Scholzel Klamp Thomas Kohler Saretzki Das blinde Auge des Staates Die Heimkampagne von 1969 und die Forderungen der ehemaligen Heimkinder Klinkhardt Bad Heilbrunn 2010 ISBN 978 3 7815 1710 3 Klaus Lehning Aus der Geschichte lernen die Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren die Heimkampagne und die Heimreform Kassel 2006 ISBN 978 3 925146 65 7 Markus Koster Holt die Kinder aus den Heimen Veranderungen im offentlichen Umgang mit Jugendlichen in den 1960er Jahren am Beispiel der Heimerziehung In Matthias Frese u a Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik Paderborn 2003 Wilfried Rudloff Eindammung und Persistenz Gewalt in der westdeutschen Heimerziehung und familiare Gewalt gegen Kinder In Zeithistorische Forschungen 15 2018 S 250 276 Einzelnachweise Bearbeiten Katriina Lehto Bleckert Ulrike Meinhof 1934 1976 Ihr Weg zur Terroristin Tectum 2010 ISBN 978 3 8288 2538 3 S 243 263 Marita Scholzel Klamp Thomas Kohler Saretzki Das blinde Auge des Staates S 57 f Dokumentation Runder Tisch mit ehemaligen Fursorgezoglingen aus dem Landesfursorgeheim Gluckstadt Ministerium fur Soziales Gesundheit Familie Jugend und Senioren des Landes Schleswig Holstein Kiel 2008 S 29 L Gothe R Kippe Protokolle und Berichte aus der Arbeit mit entflohenen Fursorgezoglingen Ausschuss Koln Berlin 1970 S 72 Das Leid der fruhen Jahre Zeit Online S 8 8 abgerufen am 19 Juli 2012 Jutta Ditfurth Ulrike Meinhof Die Biografie Ullstein 2007 ISBN 978 3 548 37249 5 S 236 240 und 263 266 Jutta Ditfurth Ulrike Meinhof 2007 S 278 Susanne Karstedt Soziale Randgruppen und soziologische Theorie In Manfred Brusten und Jurgen Hohmeier Hrsg Stigmatisierung 1 Zur Produktion gesellschaftlicher Randgruppen Luchterhand Neuwied Darmstadt 1975 ISBN 978 3 472 58026 3 S 169 196 Online Version dort unter Studentenbewegung und Randgruppenarbeit Marita Scholzel Klamp Thomas Kohler Saretzki Das blinde Auge des Staates 2010 S 8 S 130 und 152 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Heimkampagne amp oldid 193758261