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Als Hornchensattel wird der Reitsattel romischer und keltischer Kavalleristen bezeichnet Namensgebend hierfur sind die sogenannten Hornchen lederne oder bronzene Versteifungen an den Seiten der Sitzflachen die fur einen stabilen Halt im Sattel sorgen sollen Grabstein des Kavalleristen Lucius Romanus Koln spates 1 Jh n Chr Gut erkennbar sind die hornchenartigen Erhebungen an der Sitzflache sowie die vorderen Drillingsriemen Der lederne Sattel ist unter einer Satteldecke aus Stoff verborgen Romisch Germanisches Museum in Koln Inhaltsverzeichnis 1 Bildliche Darstellungen 2 Archaologische Funde 2 1 Sattelbezuge 2 2 Bronzene Sattelhornchen 2 3 Sattelgurtbeschlage 2 4 Sattelgurtschnallen 3 Rekonstruktion 4 Verbreitung und Datierung 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseBildliche Darstellungen BearbeitenBei der Rekonstruktion des romischen Militarsattels helfen bildliche Uberlieferungen Als besonders nutzlich erwiesen sich hierbei die weitestgehend naturgetreuen Darstellungen auf den Grabsteinen romischer Kavalleristen Zwar sind auch hier kleinere Veranderungen aus kunstlerischen Grunden moglich beispielsweise die optische Verkleinerung funktionaler Teile oder die Ausschmuckung dekorativer Elemente grundsatzlich jedoch hatten die Militarangehorigen ein Interesse daran sich moglichst authentisch abbilden zu lassen da sie hiermit auch ein Standesbewusstsein ausdruckten Solche Soldatengrabsteine stellen Reiter und Pferd fast immer in der Profilansicht dar Der Sattel besteht aus einer auf dem Pferderucken aufliegenden Sitzflache und ist gelegentlich durch eine mehr oder weniger lang herabhangende stofflich wirkende Satteldecke erganzt An der Vorder und Ruckseite der Sattel lassen sich jeweils zwei knaufformige Erhebungen die sogenannten Hornchen feststellen Die vorderen Sattelhornchen standen in einem etwas flacheren Winkel ab und sicherten die Oberschenkel des Reiters vor dem Abrutschen die hinteren standen fast aufrecht und sicherten das Gesass Bisweilen sind sie perspektivisch zu einem Halbrund verkurzt Gut erkennbar sind meist auch die Brust und Schweifgurte die den Sattel an der Stelle halten Weitere Riemen konnen an den Seiten der Satteldecke herabhangen 1 Was die bildliche Uberlieferung nicht vermag ist zu klaren wie der Sattel konstruiert war also ob die Hornchen weich und flexibel oder steif waren ob die lederne Sitzflache auf einen Sattelbaum aufgezogen wurde oder auch wie die Gurte um den Bauch des Pferdes gefuhrt wurden Archaologische Funde Bearbeiten nbsp Sattelbezug aus Vindolanda Die ledernen Hornchen waren ursprunglich kunstvoll bestickt Kastell Vindolanda Museum Sattelbezuge Bearbeiten Als richtungsweisend fur die archaologische Forschung erwies sich der Fund eines ledernen Sattelbezugs aus dem Kastell Praetorium Agrippinae im heutigen Valkenburg Sudholland Da sich die Grabungsflache unterhalb des Grundwasserspiegels befand boten sich ausgezeichnete Bedingungen fur die Erhaltung organischer Uberreste Der Sattelbezug besteht aus einem Lappen aus Ziegenleder Charakteristisch hierbei sind die beiden zungenformigen Ausbuchtungen an den gegenuberliegenden Seiten des Lederstreifens Durch das Ansetzen eines weiteren zungenformigen Gegenstucks wie es ebenfalls in dem Kastell entdeckt wurde bildeten sie die Sattelhornchen Unterhalb der Hornchen besass der Sattelbezug haufig einige halbmondformige Lochungen die in Zusammenhang mit den Drillingsriemen zu stehen scheinen Wie genau die Riemen durch die Locher hindurchgefuhrt wurden ist unklar ihre geschwungene Form ist jedoch ein typisches Merkmal der Sattelbezuge Durch den Fund aus Valkenburg konnten in den letzten Jahrzehnten weitere Lederfragmente als Sattelbestandteile identifiziert werden darunter ein sehr ahnliches Stuck aus Vindolanda GB Bronzene Sattelhornchen Bearbeiten Der schrittweise Erkenntnisgewinn in der archaologischen Forschung durch bildliche Satteldarstellungen und Lederbezuge ermoglichte die Identifizierung einer weiteren Fundgruppe der metallenen Sattelhornchen Diese bestanden aus Bronzeblech das in Halbschalenform getrieben wurde Gelegentlich wurden ganze Sets gefunden bei denen die vorderen Hornchen I formig und die hinteren zueinander spiegelbildlich L formig waren An den Randern besitzen sie durchgeschlagene Lochreihen anhand derer sie an den Sattel genaht oder genagelt wurden Die bisherigen Funde datieren von der augusteischen Zeit Haltern Asciburgium bis ins 2 Jahrhundert n Chr Newstead GB 2 Manche Exemplare weisen auf der konkaven Innenseite Ritzungen auf die als Besitzerinschriften gedeutet werden Ebenfalls moglich waren Markierungen durch den Sattler Dies ware insbesondere dann denkbar wenn es sich bei den Hornchen wie aufgrund der grossen Formenvielfalt oft gemutmasst wird um individuelle Massanfertigungen handelt Auch weisen einige Stucke Zierwulste am Rand auf und andere nicht Bei einem einzelnen Set wurden Lederreste auf der Aussenseite festgestellt die auf einen Lederuberzug hindeuten 3 Sattelgurtbeschlage Bearbeiten Auf den bildlichen Darstellungen romischer Kavalleristen lassen sich haufig Lederriemen erkennen die unterhalb der Sattelhornchen herabhangen Da sie ublicherweise in drei Strangen auftreten werden sie als Drillings oder Triplet Riemen bezeichnet Ihr genauer Zweck lasst sich nicht mehr eindeutig rekonstruieren vielleicht dienten sie dazu die Hornchen an ihrer Stelle zu halten Archaologisch gut nachweisbar sind hingegen die Sattelgurtbeschlage die die Riemen zusammenhielten Sie konnen durch ihre Verzierungstechnik datiert werden Fruhe tiberisch claudische Beschlage bestehen aus einfachen rechteckigen Metallplatten die gelegentlich durchbrochen gearbeitet oder verzinnt sind Ab dem spateren ersten Jahrhundert variiert die Grundform starker es treten auch Treibmuster und Niello Dekor auf Solche Exemplare bestehen aus Bronze und sind haufig zusatzlich versilbert An den Drillingsriemen wurden sie mithilfe von Metallstreifen an der Ruckseite befestigt durch die ein Niet getrieben wurde 4 Sattelgurtschnallen Bearbeiten Sattelgurtschnallen unterscheiden sich in ihrer Form grundsatzlich nicht von anderen romischen Riemenschnallen Als solche werden sie einzig aufgrund ihrer auffalligen Grosse von etwa 70 mm in der Breite bezeichnet Sie dienten dazu den Sattelgurt um den Bauch des Pferdes zu befestigen Wie diese Gurte genau konstruiert und befestigt waren ist allerdings nicht bekannt eindeutige bildliche Darstellungen gibt es bisher nicht Rekonstruktion Bearbeiten nbsp Rekonstruktionszeichnung eines romischen Kavalleriepferdes mit Zaumzeug und Hornchensattel Satteltyp nach Connolly Es gibt einige Unsicherheiten bei der Rekonstruktion des romischen Kavalleriesattels grundsatzlich lasst sich aber sagen dass die eng am Korper anliegenden Hornchen fur einen festen Sitz sorgen sollten Anstelle von Steigbugeln die im romischen Reich noch nicht bekannt waren ermoglichten sie es dem Reiter sein Gewicht im Sattel zu verlagern 5 Eine erste Rekonstruktion wagte die niederlandische Archaologin Groenman van Waateringe in den sechziger Jahren anhand der Lederfunde von Valkenburg Sie deutete die Seitenteile als lose herabhangende Sattelblatter und vermutete dass die Hornchen mit Metall oder Holz verstarkt wurden Ob der Lederbezug auf einer holzernen Konstruktion fixiert wurde oder ob er direkt auf der Satteldecke auflag lasst sie offen 6 Connolly hingegen halt einen Sattelbaum fur unabdingbar um das Gewicht des Kavalleristen von der empfindlichen Wirbelsaule des Pferdes auf seine Flanken zu lenken und es dem Reiter gleichzeitig zu erlauben mit den Schenkeln Druck auf die Rippenbogen des Tieres auszuuben Bestatigt sieht der Experimentalarchaologe seine These durch die Nahtreihen an den Randern des Lederlappens die seiner Meinung nach daraus resultierten dass das Leder auf ein Holzgestell aufgezogen und an den sich uberlappenden Stellen zusammengenaht wurde 7 In den 1980er Jahren tat sich Connolly mit der Lederspezialistin van Driel Murray zusammen um der Frage nach der Konstruktion des Sattels weiter nachzugehen Denn in der Zwischenzeit hatte sein deutscher Kollege Junkelmann einen Sattel mit weicher Polsterung anfertigen lassen und in der Praxis erprobt Junkelmann argumentierte dass ein solcher Sattel auf jedes Pferd passe und im Ubrigen bei langen Distanzritten bequemer sei Die ungleichmassige Belastung des Pferderuckens sieht er durch eine entsprechende Polsterung als verhinderbar an Connolly und van Driel Murray hingegen halten die Zugsfalten die sie an den Lederfunden feststellten fur den eindeutigen Beweis dass das Leder auf einen Sattelbaum aufgezogen wurde Zwei angefertigte Nachbildungen mit Sattelbaum scheinen das zu bestatigen sie zeigen die gleichen Gebrauchsspuren wie die archaologischen Funde Unklar ist lediglich die Form der Holzkonstruktion Auch musste ein solcher Sattel individuell an jedes Pferd angepasst worden sein um nicht zu scheuern Da es sich allem Anschein nach aber auch bei den in Form und Grosse betrachtlich variierenden Bronzehornchen um Massanfertigungen handelt ist das fur den Sattel selbst also durchaus denkbar Weitere Ratsel geben die Sattelhornchen auf Auffallig ist dass die bisher gefundenen metallenen Hornchen stets deutlich grosser waren als die ledernen Insofern konnen die Bronzeschalen nicht als formgebende Unterlage fur das anschliessend aufgezogene Leder gedient haben Auch andersherum die bronzenen Platten als aussere Verstarkung fur weichen Lederhornchen ware die Rekonstruktion nicht plausibel da die Lochreihen der Bronzehornchen nicht mit den Nahten der Lederfunde korrespondieren Beide Fundgattungen konnen also kaum einem einzigen Satteltyp zugeordnet werden Eine Moglichkeit ware daher dass es sich um die Bestandteile zweier verschiedener Satteltypen handelte Einen mit kleineren ausgestopften oder holzverstarkten Lederhornchen und einen mit starren grossen Bronzehornchen Connolly vermutete anhand seiner Nachbauten dass der Satteltyp mit den hohen Hornchen ahnlich wie der mittelalterliche Prunksattel eine stossdampfende Wirkung hatte und daher fur den direkten Kampfeinsatz entwickelt worden war wahrend der kleinhornige Typ eher fur lange Distanzritte geeignet war 8 Verbreitung und Datierung BearbeitenUnklar ist wo genau der Hornchensattel erfunden wurde Der fruheste eindeutige Beleg fur die Verwendung des Sattels ist eine Darstellung auf dem Julier Mausoleum im sudfranzosischen St Remy Abgebildet ist ein reiterloses Pferd eines besiegten keltischen Kriegers das einen Sattel mit den charakteristischen Hornchen auf dem Rucken tragt 9 Es erscheint naheliegend dass der Hornchensattel in der pferdeaffinen keltischen Kultur entwickelt wurde Da die Kelten der Spatlatenezeit rege Handelskontakte fuhrten ist jedoch auch eine Ubernahme von anderen Volksgruppen denkbar Mit der Eroberung durch die Romer wurden die keltischen Reiterverbande in die romische Armee eingegliedert und somit hielt auch der Hornchensattel Einzug ins Militarwesen Die mittlerweile beachtliche Anzahl von Funden bronzener Hornchen zeugt von ihrer Haufigkeit Doch auch uber die Reichsgrenzen hinaus fand der Sattel weite Verbreitung Bildliche Uberlieferungen belegen dass er auch von den Parthern und den spatantiken Sassaniden genutzt wurde 10 Im Verlauf des vierten Jahrhundert verschwindet der Hornchensattel allmahlich Im ostlichen Sassanidenreich wird er unmittelbar von einem Sattel mit Steigbugeln ersetzt fur den Westen ist dieser Typ erst deutlich spater nachweisbar Literatur BearbeitenMike C Bishop Cavalry equipment of the Roman Army in the first century A D In Jonathan C Coulston Hrsg Military Equipment and the Identity of Roman Soldiers Proceedings of the Fourth Roman Military Equipment Conference BAR International Series Band 394 Oxford 1988 S 67 195 Peter Connolly Greece and Rome at war Macdonald Phoebus Ltd London 1981 Peter Connolly The Roman Saddle In Michael Dawson Hrsg Roman Military Equipment The Accoutrements of War BAR International Series Band 336 Oxford 1987 S 7 27 Peter Connolly Tiberius Claudius Maximus The Cavalryman Oxford University Press Oxford 1988 Peter Connolly Carol van Driel Murray The Roman Cavalry Saddle In Britannia Band 22 1991 S 33 50 Carol van Driel Murray Peter Connolly John Duckham Roman Saddles Archaeology and Experiment 20 Years On In Lauren Adams Gilmour Hrsg In the Saddle An Exploration of the Saddle Through History Archetype London 2004 S 1 20 Jochen Giesler Rekonstruktion eines Sattels aus dem frankischen Graeberfeld von Wesel Bislich In Alfried Wieczorek u a Hrsg Die Franken Wegbereiter Europas Vor 1500 Jahren Konig Chlodwig und seine Erben Ausstellungskatalog Mannheim 1996 97 Philipp von Zabern Mainz 1997 S 808 811 Willy Groenman van Waateringe Romeins lederwerk uit Valkenburg J B Wolters Groningen 1967 Georgina Herrmann Parthian and Sasanian Saddlery New Light from the Roman West In Leon de Meyer Ernie Haerinck Hrsg Archaeologia Iranica et Orientalis Miscellanea in Honorem Louis Vanden Berghe Peeters Gent 1989 S 757 809 Marcus Junkelmann Romische Kavallerie Equites Alae Die Kampfausrustung der romischen Reiter im 1 und 2 Jahrhundert n Chr Schriften des Limesmuseums Aalen Band 42 Limesmuseum Aalen Aalen 1989 Marcus Junkelmann Die Reiter Roms 1 3 Kulturgeschichte der Antiken Welt Band 45 49 53 Philipp von Zabern Mainz 1990 1992 Mathilde Schleiermacher Romische Reitergrabsteine Die kaiserzeitlichen Reliefs des triumphierenden Reiters Abhandlungen zur Kunst Musik und Literaturwissenschaft Band 338 Bouvier Bonn 1984 Weblinks BearbeitenFotos eines rekonstruierten Hornchensattels mit Sattelbaum nach Connolly Fotos eines Sets von bronzenen Sattelhornchen aus Newstead Foto eines Sets von SattelgurtbeschlagenEinzelnachweise Bearbeiten Einen pragnanten Uberblick uber die erhaltenen bildlichen Darstellungen auf Reitergrabsteinen der fruhen Kaiserzeit bietet M C Bishop Cavalry equipment of the Roman army in the first century A D In J C Coulston Military Equipment and the Identity of Roman Soldiers Proceedings of the Fourth Roman Military Equipment Conference BAR International Series 394 Oxford 1988 S 67 195 Vgl Deschler Erb et al 2012 Funde aus Asciburgium S 78 Vgl Connolly van Driel Murray 1991 S 44 f Vgl Bishop 1988 S 110 Vgl Connolly 1987 S 7 Vgl Groenman van Waateringe 1974 S 72 Vgl Connolly 1987 S 16 Vgl Connolly van Driel Murray 1991 S 46 48 Vgl Connolly 1981 S 236 Vgl Herrmann 1989 S 757 809 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Hornchensattel amp oldid 226836237