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Die Genisa Niederzissen der ehemaligen Synagoge in Niederzissen einer Ortsgemeinde im Landkreis Ahrweiler in Rheinland Pfalz stellt neben den Genisa Funden von Veitshochheim und Reckendorf einen der bedeutendsten Funde zur judischen Kultur in Deutschland dar Vitrine mit Genisa Funden verschnurtes Bundel mit Schriften Weidenkranze fur das Laubhuttenfest Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte und Einordnung 2 Religiose Handschriften 3 Judische Druckwerke 4 Sozial und wirtschaftsgeschichtliche Zeugnisse 5 Der Textilfund 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseGeschichte und Einordnung BearbeitenDer umfangreiche Fund wurde vor der grundlegenden Renovierung der ehemaligen Synagoge von Niederzissen im Jahr 2011 und ihrer Neueroffnung als Erinnerungs und Begegnungsstatte geborgen Neben vielen Einzelblattern Papierfetzen und Textilien entdeckte man auf dem Dachboden der Synagoge unter Staub Schmutz und Mausekot eine grosse Anzahl Bundel die mit Schnuren oder Faden zusammengebunden und teilweise in zerschlissene Tucher eingewickelt waren Sie enthielten Pergamenthandschriften Druckwerke abgenutzte Gebetbucher und andere unbrauchbar gewordene religiose Gegenstande Nach judischer Tradition werden rituelle Gegenstande und liturgische Schriften die nach langem Gebrauch nicht mehr benutzbar waren entweder auf dem Friedhof bestattet oder in einem eigens dafur bestimmten Ort abgelegt Meist dient hierfur wie in Niederzissen der Dachboden der Synagoge Dieser Ort wird als Genisa im Plural Genisot bezeichnet einem mittelhebraischen Wort Lehnwort aus dem Altpersischen 1 das Schatzkammer Archiv Depot bedeutet Im Jiddischen wird der Begriff Scheimess verwendet der sich von hebraisch Schemot Namen herleitet Gemeint sind Texte die den heiligen Gottesnamen HaSchem enthalten Samtliche unbrauchbar gewordenen Schriftstucke die den Namen Gottes enthalten werden um sie vor Entweihung zu schutzen in einer Genisa abgelegt Die Funde aus der Niederzissener Synagoge werden von den Autoren der Dokumentation Zeugnisse judischen Lebens in Niederzissen vier Themenbereichen zugeordnet Religiose Handschriften Judische Druckwerke Sozial und wirtschaftsgeschichtliche Zeugnisse Der Textilfund Die Niederzissener Textilfunde sind die umfangreichsten die jemals in einer Genisa geborgen wurden Altestes Objekt der bisher ausgewerteten Stucke ist der Torawimpel Mappa fur Alexander bar Jehuda aus dem Jahr 1653 Einzelne Funde werden im Ausstellungsraum der sich an die Synagoge anschliesst ausgestellt Religiose Handschriften Bearbeiten nbsp Heiratskontrakt von 1746 Ketubba Zum Fund religioser Handschriften gehoren Pergamentbogen die aus drei Torarollen ausgewechselt wurden weil sie beschadigt waren Eine Torarolle wird nach besonderen Vorschriften aus Pergament von Kalb Schaf oder Ziegenhaut gefertigt und von einem ausgebildeten Schreiber Sofer mit besonderer Tinte in hebraischen nicht vokalisierten Buchstaben beschrieben Sie gilt als ein sehr kostbares Gut und wird im aschkenasischen Judentum durch einen Toramantel geschutzt und mit einer Krone geschmuckt Die Tora funf Bucher Mose Pentateuch wird im Lauf eines Jahres in der Synagoge laut vorgelesen Um die Beruhrung mit den Handen zu vermeiden wird bei der Toralesung ein Torazeiger Jad benutzt Unbrauchbar gewordene Torarollen werden auch auf dem Friedhof bestattet Uber dreissig Pergamenthandschriften waren Gebetsriementexte Tefillin und Texte die fur Turpfostenkapseln Mesusot verwendet worden waren Tefillin und Mesusot werden von einem Sofer nach den gleichen Vorschriften die auch fur die Torarollen gelten angefertigt Die Gebetsriementexte werden in sehr kleiner Schrift einseitig auf schmale Pergamentstreifen geschrieben und in ledernen Kapseln untergebracht Man unterscheidet Gebetsriemen die um den Arm gewickelt werden und Gebetsriemen die man um die Stirn legt Letztere enthalten vier Pergamentstreifen Nach Gebrauch werden die Lederriemen in kleinen Stoffbeuteln aufbewahrt Im Fall der Genisa von Niederzissen wurden ausser Pergamentbogen von Torarollen Tefillin und Mesusot auch mit Segenswunschen versehene Ehekontrakte Ketubbot Verlobungsvereinbarungen Tenaim Gebetszettel u a abgelegt Ein Textfragment ein einseitig in Quadratschrift beschriftetes Papier aus dem 19 Jahrhundert enthalt Anweisungen fur das Anbringen der Quasten Zizit an den kleinen Gebetsmantel und das Anlegen des Gebetsmantels Tallit am Morgen Ein Schmuckblatt mit der Inschrift Misrach Osten in hebraischen Buchstaben sollte die Gebetsrichtung zum Tempel von Jerusalem anzeigen Es war in Raumen aufgehangt die man zum Gebet nutzte Auf einem zerrissenen Blatt ist mit Tinte ein kabbalistischer Sefirot Baum gemalt und mit Anmerkungen versehen Ein beidseitig beschriebenes Blatt enthalt die Liste der Tagespsalmen fur das gesamte Jahr Von einem ehemals mit einem Faden zusammengebundenen Heft sind noch einzelne von Mausen zerfressene Blatter erhalten auf denen die Morgengebete fur Jom Kippur in geubter Schreibschrift aufgezeichnet sind Ein kleines Buch enthalt in Quadratschrift abgeschriebene Bibeltexte Auch ist der Name des Schreibers Mordechai ben Susmann aus Breisig mit burgerlichem Namen Max Steinberg geboren am 30 November 1800 in Niederbreisig verzeichnet und die Jahreszahl 576 1815 16 In ein Gebetbuch eingelegt fanden sich vier handschriftliche Doppelseiten aus einem Mohelbuch in dem der Beschneider Namen und Daten notierte Es enthielt Eintragungen aus der Zeit von 1795 bis 1809 Besonders haufig finden sich in der Niederzissener Genisa handschriftliche Gebetbuchtitelblatter Da die Titelblatter meist als erste abgenutzt wurden ersetzte sie vermutlich ein Gemeindemitglied durch handgeschriebene Abschriften die er mit Rahmen und kleinen Verzierungen versah Judische Druckwerke Bearbeiten nbsp Buch mit Gebeten und Psalmen erschienen 1729 30 bei Schlomo Proops in Amsterdam Titelblatt Seder tehillim Psalmenordnung Wie in den meisten bisherigen Genisa Funden besteht auch in Niederzissen der uberwiegende Teil der Funde aus Druckwerken bedruckten Buchseiten Fetzen und Teilen von Buchern die allerdings bei Weitem noch nicht ausgewertet sind Die Bucher stammen zum grossen Teil aus dem 18 und der ersten Halfte des 19 Jahrhunderts und wurden vor allem in suddeutschen Druckereien in Sulzbach Furth und Frankfurt am Main hergestellt Diese boten wesentlich gunstigere Ausgaben religioser Gebrauchsliteratur an als die grossen Amsterdamer Druckhauser die im 18 Jahrhundert das hebraische Buchwesen beherrschten und fur ihre aufwandig produzierten Bande beruhmt waren In der Niederzissener Genisa ist ein umfangreicher Band taglicher Gebete mit Psalmen und Bittgebeten erhalten der 1729 30 in Amsterdam bei Salomo Proops erschien Titelblatt und Anfangspartie sind verlorengegangen und eine unbedruckte Seite ist mit Kritzeleien versehen Obwohl Abbildungen in judischen Buchern nicht ublich waren finden sich in den Druckwerken des Niederzissener Fundes mehrere Illustrationen In dem Buch Sefer Josippon Das Buch Josippon das 1660 61 bei Uri Feiwesh ha Levi in Amsterdam erschien illustriert ein Holzschnitt nach Hans Holbein dem Jungeren den Kampf der Israeliten gegen die Amalekiter beim Zug durch die Wuste Neben dem Kampfgeschehen werden Aaron und Hur dargestellt die Mose unter die Arme greifen damit dieser die Hande erhoben halten kann was den Sieg der Israeliten herbeifuhrt Sozial und wirtschaftsgeschichtliche Zeugnisse Bearbeiten nbsp Brief eines Soldaten an seine Eltern von 1807Zu den Niederzissener Genisa Funden gehoren auch Dokumente uber die Handelstatigkeit der ortsansassigen Juden wie Viehhandelsvertrage tierarztliche Gesundheitsscheine und Herkunftsscheine fur zu verkaufendes Vieh Es finden sich Quittungen Rechnungen Mahnungen Zahlungs und Abrechnungsbucher ausserdem Warentransport Scheine und Quittungen uber Wegezoll 2 die meist auf Deutsch seltener in Hebraisch oder Jiddisch manche auch in franzosischer Sprache abgefasst sind Daneben sind Seiten mit Schreibubungen erhalten Fragmente einer Lehrtafel zur hebraischen Sprache und Blatter einer Schreib und Lesefibel Ein besonders originelles Dokument ist der Brief eines judischen Soldaten aus dem Jahr 1807 der wahrend der Koalitionskriege zum Militardienst fur Napoleon Bonaparte verpflichtet wurde Er ist in deutscher Sprache mit dem hebraischen Alphabet geschrieben Der Brief ist mit einer farbigen Tuschezeichnung versehen die den Verfasser in rotweisser Uniform und mit hoher Pelzmutze bekleidet vor Zelten im Hintergrund darstellt 3 Der Textilfund Bearbeiten nbsp Tefillinbeutel aus der zweiten Halfte des 18 JahrhundertsLinda Wiesner unterscheidet die Textilfunde in zwei Gattungen diejenigen die in personlichem Gebrauch waren und diejenigen die in der Synagoge verwendet wurden 4 Den umfangreicheren Teil stellen die personlich genutzten Textilien dar Dazu gehoren viele Stoffbeutel in denen Gebetsriemen aufbewahrt wurden seltener Tallitbeutel fur den grossen Gebetsmantel Tallit Einer der wertvolleren Tefillinbeutel stammt aus der zweiten Halfte des 18 Jahrhunderts Er besteht aus verschiedenen farblich aufeinander abgestimmten blaugrunen und gelben Seidenstoffen und ist mit Rohleinen gefuttert Unter den personlichen Textilien sind auch zahlreiche Exemplare des Tallit katan die haufig aus wiederverwendeten Stoffresten zusammengenaht wurden Der zweiten Gattung gehoren zwei Toravorhange Parochot und einige schmale Querbehange Kapporot an 5 Aus dem spaten 18 Jahrhundert ist ein Toramantel erhalten der vermutlich aus einem Brautkleid genaht wurde Er besteht aus blaugrauer broschierter Seide und besitzt ein bunt bedrucktes Leinenfutter Beiden Gattungen zuzurechnen sind die Torawimpel Dies sind die Windeln die der Saugling bei der Beschneidung trug Sie wurden gewaschen in vier Streifen geschnitten und aneinander genaht Das Tuch das meist aus Leinen gewebt war wurde bemalt oder bestickt und mit dem Namen des Jungen und einem Segensspruch versehen Der Torawimpel spielte eine wichtige Rolle bei der Bar Mitzwa und der Hochzeit Der gut erhaltene Torawimpel des Nathan bar Chajjim Fotos enthalt eine hebraische Inschrift die einem ublichen Schema folgt Nathan bar Chajjim geboren unter einem glucklichen Stern am heiligen Schabbat am 28 Tag im Siwan im Jahr 648 nach der kleinen Zahlung 6 7 Juni 1888 der Herr lasse ihn heranwachsen zur Tora zur Chuppa und zu guten Taten Amen Sela Der Bildschmuck stellt Wunsche fur den Saugling dar er moge fromm werden Torarolle und eine Familie grunden Hochzeitsbaldachin 7 nbsp Torawimpel nbsp Torawimpel nbsp Torawimpel fur Nathan bar Chajjim von 1888 mit Abbildung einer Torarolle und der Inschrift Eine Weisung hat uns Mosche geboten vgl Dtn 33 4 EU nbsp Torawimpel fur Nathan bar Chajjim von 1888 mit Abbildung einer Chuppa Hochzeitsbaldachin und der Inschrift Jubelruf und Freudenruf Ruf des Brautigams und Ruf der Braut vgl Jer 33 11 EU Literatur BearbeitenFalk Wiesemann Richard Keuler Andreas Lehnardt Annette Weber Zeugnisse judischen Lebens in Niederzissen Genisa Funde in der ehemaligen Synagoge Kultur und Heimatverein Niederzissen Niederzissen 2012 ISBN 978 3 00 039493 5 Andreas Lehnardt Genisa Die materielle Kultur des deutschen Judentums im Spiegel neu entdeckter synagogaler Ablageraume In Nathanael Riemer Hrsg Einfuhrungen in die materiellen Kulturen des Judentums Judische Kultur Band 31 Harrassowitz Wiesbaden 2016 S 173 202 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Genisa Niederzissen Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Ehemalige Synagoge Niederzissen Kultur und Heimatverein Niederzissen e V Einzelnachweise Bearbeiten Gesenius 18 Aufl 2013 S 225 Falk Wiesemann Sozial und wirtschaftsgeschichtliche Zeugnisse In Falk Wiesemann Hrsg Zeugnisse judischen Lebens in Niederzissen Genisa Funde in der ehemaligen Synagoge Kultur und Heimatverein Niederzissen Niederzissen 2012 ISBN 978 3 00 039493 5 S 59 Ehemalige Synagoge Niederzissen Brief des judischen Soldaten Schmuel Doderer Transkription des Briefs Linda Wiesner Der Textilfund In Falk Wiesemann Hrsg Zeugnisse judischen Lebens in Niederzissen Genisa Funde in der ehemaligen Synagoge Kultur und Heimatverein Niederzissen Niederzissen 2012 ISBN 978 3 00 039493 5 S 69 Zu Parochot und Kapporot vgl Shalom Sabar Curtain III Judaism and Visual Arts In Encyclopedia of the Bible and Its Reception EBR Band 5 De Gruyter Berlin Boston 2012 ISBN 978 3 11 018373 3 Sp 1185 1188 Die Kapporet war demnach ein kurzer Vorhang oder Gesimsbehang der in aschkenasischen Gemeinden Mittel und Osteuropa im spaten 17 Jahrhundert aufkam Der Name bezieht sich auf das im Mischkan vorhandene kultische Objekt Kapporet vgl Ex 25 21 EU Dementsprechend werden auf der vor dem Toraschrein aufgehangten Kapporet oft geflugelte Wesen oder Vogel dargestellt die an die Cherubim erinnern Die judische Ara zahlt die Jahre seit Erschaffung der Welt das Jahr 5648 entspricht dem Jahr 1888 n Chr Bei der kleinen Zahlung werden die Tausender nicht angegeben daher 648 Ehemalige Synagoge Niederzissen Torawimpel Mappa Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Genisa Niederzissen amp oldid 216931025