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Frauenkriminalitat bezeichnet die Gesamtheit strafbarer Handlungen von Personen des weiblichen Geschlechts auch von Kindern und Jugendlichen 1 Das Thema stosst in der internationalen Kriminologie auf besonderes Interesse weil in den Kriminalstatistiken aller Staaten erheblich weniger Frauenkriminalitat ausgewiesen wird als Kriminalitat von Personen mannlichen Geschlechts Der Frauenanteil der Bevolkerung der Bundesrepublik Deutschland betragt stabil uber die Halfte 2 der Anteil von Frauen unter Tatverdachtigen jedoch nur ein Viertel und unter Strafgefangenen nur noch ein Zwanzigstel Diese Diskrepanz ist in anderen Staaten noch ausgepragter Es gibt widerstreitende kriminologische Erklarungen fur dieses weltweit verbreitete Phanomen In einer Gruppe von Erklarungen wird die unterschiedliche Kriminalitatsbelastung von Frauen und Mannern bestritten und behauptet Frauenkriminalitat sei lediglich maskiert und schlage sich deshalb nicht in Kriminalstatistiken nieder In der zweiten Argumentationslinie werden die Unterschiede biologisch psychologisch und soziologisch begrundet Eine allgemein akzeptierte Theorie gibt es nicht was zeigt dass dieser kriminologische Forschungszweig noch in den Kinderschuhen steckt 3 Blick in ein Berliner Frauengefangnis 1931 Inhaltsverzeichnis 1 Kriminalstatistische Aussagen 2 Kriminologische Deutungsversuche 2 1 Gleichverteilungsthese 2 2 Spezifisch weibliche Besonderheiten 3 Erkenntnisse der Angewandten Kriminologie 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseKriminalstatistische Aussagen BearbeitenDie hohere Delinquenzbelastung von Mannern gegenuber Frauen ist umfassend belegt 4 Der Unterschied ist in verschiedenen Deliktbereichen laut Polizeilicher Kriminalstatistik unterschiedlich ausgepragt und vergrossert sich mit zunehmendem Alter Bei Bagatelldelikten im Kindesalter wie etwa Ladendiebstahl ist kaum eine geschlechtsspezifische Differenz erkennbar Bei Gewaltdelikten sind jedoch bereits von Beginn an Unterschiede zwischen Jungen und Madchen ausgewiesen Die Unterschiede werden in Dunkelfeldstudien bestatigt fallen jedoch geringer aus Betrachtet man indes die vorsatzlichen vollendeten Totungsdelikte an Kindern unter sechs Jahren im Zeitraum von 1997 bis 2006 uberwiegen Frauen als Taterinnen deutlich 56 5 Prozent 5 nbsp Zelle in einem Berliner Frauengefangnis 1931 Im Jahr 2011 wurden in Deutschland 538 044 weibliche Tatverdachtige registriert das waren 25 5 Prozent aller Tatverdachtigen 1993 lag der Anteil noch bei 21 4 Prozent Leicht uberdurchschnittlich sind die Anteile weiblicher Personen im Alter zwischen 12 und 16 Jahren 6 Noch weiter geht die Schere bei den Inhaftierungszahlen auf Am 31 Marz 2011 gab es in Deutschland 60 067 Strafgefangene und Sicherungsverwahrte davon waren 3 321 Frauen 7 5 5 Prozent Tendenziell werden diese Werte im internationalen Vergleich bestatigt es gibt keine bekannte Gesellschaft in der der Anteil der Frauenkriminalitat hoher ist als der der Mannerkriminalitat Aber von Staat zu Staat und auch innerhalb von Staaten gibt es signifikante Differenzen in der statistischen Auspragung weiblicher Delinquenz Der Anteil in landlichen Gebieten und in Entwicklungslandern liegt noch deutlich unter dem Durchschnitt In Grossstadten dagegen nahert sich die weibliche Kriminalitat quantitativ der mannlichen an wobei der Unterschied dennoch erheblich bleibt Auffallig ist dass Frauenkriminalitat in Kriegszeiten stets relativ und absolut zunimmt 8 Kriminologische Deutungsversuche BearbeitenDie kriminologische Deutung von Frauenkriminalitat 9 weist zwei grundsatzliche sich kontrar gegenuberstehende Argumentationslinien auf Die erste Gruppe von Erklarungen stellt die geringere Kriminalitatsbelastung von Frauen in Frage und wird als Gleichverteilungsthese bezeichnet In der zweiten Erklarungsgruppe wird die geringere Kriminalitatsbelastung von Frauen vorausgesetzt und auf spezifisch weibliche Besonderheiten zuruckgefuhrt Gabriele Schmolzer weist darauf hin dass die kontraren Grundpositionen nicht selten von denselben Autoren vertreten wurden 10 Beide Argumentationslinien gehen auf Cesare Lombroso zuruck den Begrunder der kriminalanthropologisch ausgerichteten sogenannten Positiven Schule der Kriminologie der den geborenen Verbrecher postuliert hatte Gleichverteilungsthese Bearbeiten Die erste Version der Gleichverteilungsthese schrieb Lombroso 1891 zusammen mit seinem Schwiegersohn Guglielmo Ferrero nieder 11 sie ist auch unter der Bezeichnung Prostitutionstheorie bekannt und wurde noch 1975 von Helga Einsele in der deutschen Fachwissenschaft vertreten 12 Dabei wird davon ausgegangen ohne es zu belegen dass bei weiblichen Kriminellen und bei weiblichen Prostituierten vergleichbare korperliche und seelische Anlagen gegeben sind Die geborene Verbrecherin sei damit eine geborene Prostituierte Folglich mussten beide Formen der Devianz addiert werden wonach nicht mehr von einer geringeren Kriminalitatsbelastung von Frauen die Rede sein konne Die sich daraus ergebende Gleichverteilungsannahme gilt inzwischen als unwissenschaftlich weil sie erstens von einer Gleichsetzung unterschiedlichen Verhaltens ausgeht und zweitens statistisch nie bewiesen wurde 13 Im Zusammenhang der Drogenbeschaffungskriminalitat werden jedoch Tendenzen zur Prostitutionstheorie erkannt Mannliche Drogenabhangige begehen eher Straftaten weibliche Drogenabhangige weichen eher in die Beschaffungsprostitution aus 14 In einem weiteren Erklarungsversuch wird auf den maskierten Charakter von Frauenkriminalitat abgehoben Frauen seien Mannern an physischer Starke unterlegen und glichen dies durch Tauschungen aus Das fiele ihnen wegen ihrer grundsatzlichen Falschheit leicht Frauen begingen sehr viel mehr Straftaten als bekannt konnten diese aber gegenuber den Strafverfolgungsbehorden kaschieren Eine Variante dieser Argumentation besagt Frauen stunden als Ehefrau Geliebte oder Mutter haufig hinter den Verbrechen ihrer Manner und seien Nutzniesserinnen davon Fur alle Behauptungen zum maskierten Charakter der Frauenkriminalitat fehlen empirische Belege 15 Eine dritte Gleichverteilungsannahme steht im Zusammenhang einer geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Kriminalisierung und damit des Etikettierungsansatzes Sie wird in der kriminologischen Literatur als Ritterlichkeitsthese oder Kavaliersthese bezeichnet und besagt dass die Normdurchsetzer Polizei Staatsanwaltschaften Gerichte die fruher fast ausschliesslich Manner waren Frauen gegenuber weniger rigide agieren Diese Annahme wirkt bis in die kontroversen Diskussionen um hausliche Gewalt hinein Spezifisch weibliche Besonderheiten Bearbeiten Auch der biologistische Erklarungsansatz geht auf Lombroso zuruck der mit einem gemeinsam mit Guglielmo Ferrero verfassten Buch 16 zwei kontrare Argumentationslinien begrundete darunter auch die sogenannte Schwachetheorie Lombroso verglich die beweglichen mannlichen Samenzellen mit den unbeweglichen weiblichen Eizellen und schloss daraus auf eine grundsatzliche Passivitat der Frau die mit einem Hang zur Akzeptanz der gegebenen Ordnung einhergehe Dazu kamen mangelnde Intelligenz und Leidenschaft was es Frauen fast unmoglich mache Straftaten zu begehen Dieser uberkommene Theorieansatz wurde spater von der Annahme angeborener mangelnder Aggressivitat von Frauen ersetzt Rollen und sozialisationstheoretische Kriminalitatserklarungen besagen dass Frauen in ihrem Verhalten eher an idealistischen als an materialistischen Werten orientiert sind das Sanktionsrisiko hoher einschatzen als Manner eine grossere Normtreue zeigen und uber einen besseren sozialen Halt verfugen Zudem wird eine Einschrankung des Handlungsspielraumes registriert weil selbst voll berufstatige Frauen starkere familiare Verpflichtungen verspuren als Manner doppeltes Joch Hier setzt die von der US amerikanischen Kriminologin Freda Adler erstmals formulierte Emanzipationsthese ein Sie besagt dass sich die Kriminalitatsbelastung der Frauen derjenigen der Manner insbesondere auch bei Gewaltdelikten angleichen wird je mehr sich Frauen vom doppelten Joch befreien Diese Annahme wird durch den alarmierenden Anstieg der Tatverdachtigenbelastung bei weiblichen Jugendlichen bestatigt 17 jedoch dadurch in Zweifel gezogen dass der weibliche Kriminalitatsanteil im 19 Jahrhundert erheblich hoher war als heute 18 Erkenntnisse der Angewandten Kriminologie BearbeitenDie Angewandte Kriminologie ist nicht mit der Auswertung von Kriminalstatistiken befasst sondern analysiert mit ihrer spezifischen Methode der Methode der idealtypisch vergleichenden Einzelfallanalyse Einzelfalle im Rahmen der Strafrechtspflege Ihre Ergebnisse belegen im Vergleich dass es keine strukturellen Unterschiede zwischen Frauen und Mannerkriminalitat gibt 19 Bei kontinuierlicher Hinentwicklung zur Kriminalitat zeigen Probandinnen wie Probanden massive Auffalligkeiten in Kindheit und Jugend Schulverweigerung und ein ganzlich unstrukturiertes Freizeitverhalten Sie losen sich fruh aus dem Elternhaus was zumeist eine Verschlechterung der sozialen Situation mit Orientierung auf sozial auffallige Gleichaltrige bedeutet Typisch ist die Vernachlassigung von sozialen auch beruflichen Pflichten was bei Frauen auch die Kinderbetreuung einbezieht Ein geringfugiger Unterschied zu mannlichen Straftatern besteht darin dass der unstrukturierte Lebensstil von straffalligen Frauen sich anfangs im hauslichen Rahmen manifestiert Straffalligkeit aus sonstiger sozialer Unauffalligkeit entsteht wie bei Mannern aus dem Wegfall von lebensweltlichen Ordnungsfaktoren wie Partnerschaft nach Scheidung oder Tod oder Verlust des Arbeitsplatzes Die Delikte sind dann Folgen des Versuches den Lebensstandard zu halten Literatur BearbeitenCesare Lombroso und Guglielmo Ferrero Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte Anthropologische Studien gegrundet auf eine Darstellung der Biologie und Psychologie des normalen Weibes Hamburg 1894 Reprint 2008 ISBN 978 3 8364 3623 6 Freda Adler Sisters in crime The rise of the new female criminal New York McGraw Hill 1976 ISBN 978 0070004160 Freda Adler und Rita James Simon The criminology of deviant women Boston Houghton Mifflin 1979 ISBN 978 0395267196 Elsbeth Brokling Frauenkriminalitat Darstellung und Kritik kriminologischer und devianzsoziologischer Theorien Versuch einer Neubestimmung Stuttgart Enke 1980 ISBN 3 432 91481 4 Kirsten Franke Frauen und Kriminalitat Eine kritische Analyse kriminologischer und soziologischer Theorien Konstanz UVK 2000 ISBN 3 87940 748 7 Jutta Elz Hrsg Taterinnen Befunde Analysen Perspektiven Wiesbaden Kriminologische Zentralstelle 2009 ISBN 978 3 926371 86 7 Karsten Uhl Das verbrecherische Weib Geschlecht Verbrechen und Strafen im kriminologischen Diskurs 1800 1945 LIT Munster u a 2003 ISBN 3 8258 6593 2 Gaby Temme und Christine Kunzel Hrsg Hat Strafrecht ein Geschlecht Zur Deutung und Bedeutung der Kategorie Geschlecht in strafrechtlichen Diskursen vom 18 Jahrhundert bis heute Transcript Bielefeld 2010 ISBN 978 3 8376 1384 1 Weblinks BearbeitenGabriele Schmolzer Geschlecht und Kriminalitat Zur kriminologischen Diskussion der Frauenkriminalitat querelles net Einzelnachweise Bearbeiten Johannes Feest Frauenkriminalitat In Kaiser Kerner Sack Schellhoss Hrsg Kleines Kriminologisches Worterbuch 3 Auflage Heidelberg 1993 S 142 146 hier S 142 Statistisches Bundesamt Bevolkerung nach Geschlecht und Staatsangehorigkeit Stand 5 August 2019 Gabriele Schmolzer Geschlecht und Kriminalitat Zur kriminologischen Diskussion der Frauenkriminalitat Fur Deutschland Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht 2006 S 366 Theresia Hoynck Ulrike Zahringer Ergebnisse des KFN Forschungsprojekts Totungsdelikte an Kindern August 2012 abgerufen am 21 Januar 2019 Vgl Polizeiliche Kriminalstatistik 2011 Memento vom 1 September 2012 im Internet Archive S 34 PDF 4 80 MB Vgl Statistisches Bundesamt Rechtspflege Strafvollzug Demographische und kriminologische Merkmale der Strafgefangenen zum Stichtag 31 3 die Strafvollzugsstatistik wird jeweils zum Ende des ersten Quartals eines Jahres erhoben Vgl Johannes Feest Frauenkriminalitat In Kaiser Kerner Sack Schellhoss Hrsg Kleines Kriminologisches Worterbuch 3 Auflage Heidelberg 1993 S 142 146 hier S 143 f Die folgende Darstellung grundet sich hauptsachlich auf Werner Maschke Kriminalitat ausgewahlter Bevolkerungsgruppen in Goppinger Kriminologie 6 Auflage Munchen 2008 S 366 418 sowie Hans Dieter Schwind Kriminologie Eine praxisorientierte Einfuhrung mit Beispielen 18 Auflage Heidelberg 2008 S 78 84 Vgl Schmolzer Geschlecht und Kriminalitat Zur kriminologischen Diskussion der Frauenkriminalitat Erste Ubersetzung ins Deutsche Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte Anthropologische Studien gegrundet auf eine Darstellung der Biologie und Psychologie des normalen Weibes Hamburg 1894 Helga Einsele Weibliche Kriminalitat und Frauenstrafvollzug in Rudolf Sieverts und Hans Joachim Schneider Hrsg Handworterbuch der Kriminologie Band 3 2 Auflage Berlin 1975 S 608 656 hier S 631 Vgl Werner Maschke Kriminalitat ausgewahlter Bevolkerungsgruppen in Goppinger Kriminologie 6 Auflage Munchen 2008 S 413 So die ubereinstimmende Einschatzung von Schwind Kriminologie Eine praxisorientierte Einfuhrung mit Beispielen 2008 S 80 und Maschke Kriminalitat ausgewahlter Bevolkerungsgruppen 2008 S 413 Vgl Werner Maschke Kriminalitat ausgewahlter Bevolkerungsgruppen in Goppinger Kriminologie 6 Auflage Munchen 2008 S 414 Cesare Lombroso und Guglielmo Ferrero Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte Anthropologische Studien gegrundet auf eine Darstellung der Biologie und Psychologie des normalen Weibes Hamburg 1894 Reprint 2008 ISBN 978 3 8364 3623 6 Vgl Schmolzer Geschlecht und Kriminalitat Zur kriminologischen Diskussion der Frauenkriminalitat Vgl Johannes Feest Frauenkriminalitat In Kaiser Kerner Sack Schellhoss Hgg Kleines Kriminologisches Worterbuch Heidelberg 1993 S 142 146 hier S 144 Die folgende Darstellung grundet sich auf Petra Fischer Jehle Frauen im Strafvollzug Eine empirische Untersuchung uber Lebensentwicklung und Delinquenz strafgefangener Frauen Bonn 1991 sowie Michael Bock Angewandte Kriminologie in Goppinger Kriminologie 6 Auflage Munchen 2008 S 247 343 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Frauenkriminalitat amp oldid 231852182