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Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande ist ein Schauspiel von Heiner Muller nach Motiven der Erzahlung Die Umsiedlerin von Anna Seghers Muller begann die Arbeit an diesem Stuck 1956 und arbeitete es 1961 um Stofflicher Hintergrund ist die Kollektivierung in der Landwirtschaft der DDR Das Stuck wurde am 30 September 1961 im Rahmen der Internationalen Studenten Theaterwoche an der Hochschule fur Okonomie in Berlin Karlshorst uraufgefuhrt Regie fuhrte B K Tragelehn Die SED erklarte Stuck und Auffuhrung fur konterrevolutionar und belegte das Stuck mit einem Auffuhrungsverbot Muller wurde aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen Tragelehn aus der Partei 1964 uberarbeitete Muller den Text und gab ihm den Titel Die Bauern Erst 1976 konnte das Stuck in der DDR wieder aufgefuhrt werden Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt und kunstlerische Gestaltung 2 Entstehungsgeschichte 3 Ausgaben Auswahl 4 Literatur Auswahl 5 Einzelnachweise 6 WeblinksInhalt und kunstlerische Gestaltung BearbeitenIn funfzehn Bildern schildert das Stuck die Veranderungen in einem ostdeutschen Dorf durch die Bodenreform und die anschliessende Kollektivierung der Landwirtschaft zwischen 1946 und 1960 Es beginnt mit der Aufteilung des Landes im Herbst 1946 Alle Grossbauern die mehr als 100 Hektar Land besassen wurden enteignet der Boden wurde an Landarbeiter Kleinbauern und Umsiedler verteilt Mit der Vergabe wurde einerseits die Landarmut bekampft von der insbesondere die Umsiedler bedroht waren und andererseits die Produktion der so dringend benotigten Nahrungsmittel wieder angekurbelt Die Neubauern erhielten jedoch nur funf Hektar Land zu wenig um auf Dauer selbstandig wirtschaften zu konnen Die Vergesellschaftung in Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften LPG die ab 1952 einsetzte war damit quasi schon vorprogrammiert Wenn die Katze aus dem Sack ist heisst sie Kolchose prophezeit eine Figur im Stuck Diese Doppelbodigkeit des historischen Prozesses wird von Muller in ihren tragischen wie auch komischen Aspekten beleuchtet Inwiefern kann eine kommunistische Politik Erfolg haben die auf Lugen und falschen Versprechungen aufgebaut ist Walzt sich nicht nur das Rad der Macht weiter wenn die Massen wieder das Objekt einer Politik der Geheimhaltung bleiben 1 Anfangs wird die Enteignung des Grossgrundbesitzers und die Verteilung des Landes von den Dorfbewohnern in Mullers Text als Errungenschaft gefeiert Doch bald treten neue Konflikte auf ein Neubauer erhangt sich weil er das verlangte Abgabesoll nicht erfullen kann Die von der Sowjetunion als Starthilfe versprochenen Traktoren kommen zu spat und reichen nicht aus Nur mit grosser Muhe gelingt es dem Parteisekretar und Kleinbauern Flint die Bauern zur Grundung einer Genossenschaft zu bewegen Andere wie der anarchistische Saufer Fondrak wandern in den Westen ab Seine Geliebte die Neubauerin Niet die von Fondrak schwanger ist wird ihren Hof allein weiter bewirtschaften Trotz aller Ruckschlage und Konflikte erreicht Flint schliesslich sein Ziel die Kollektivierung der Landwirtschaft im Dorf ist vollzogen Flint ist der neue Burgermeister nachdem der alte wegen Korruption verhaftet wurde Der Mittelbauer Treiber versucht sich der Kollektivierung durch Selbstmord zu entziehen Als er noch lebend vom Strick geschnitten wird nutzt er sein neues Recht als Angestellter der LPG indem er sich umgehend krankschreiben lasst Mit diesem ins Satirische gewendeten Schluss unterstreicht Muller noch einmal die Doppelbodigkeit des gesamten Vorgangs die politische Luge die der Kollektivierung zugrunde liegt sowie die Tatsache dass die neue Produktionsform nicht automatisch den neuen Menschen hervorbringt Besitzstreben Egoismus und Korruption sind die realen Gegenspieler des kommunistischen Ideals Mullers Stuck steht in der Tradition des Brechtschen Lehrstucks weist jedoch auch turbulente Szenen voller Situationskomik auf die dem Volkstheater nahe stehen Wiederkehrende Vanitas Motive sprechende Namen und poetische Allegorien verweisen zugleich auf eine Verwandtschaft mit dem barocken Drama Mit Flint und Fondrak schuf Muller ein Antagonisten Paar das den grundlegenden Konflikt des Stuckes auf philosophischer Ebene spiegelt Fortschritt Planbarkeit Aufbauwillen und gesellschaftliche Ideale auf der einen Nihilismus Vitalitat ohne Moral und Asozialitat auf der anderen Seite Fondrak vertritt in Mullers Text die Funktion der Shakespearschen Narren namlich die Welt mit dem Blick von unten zu beschreiben und Sand ins Herrschaftsgetriebe zu streuen Muller stellte den Vorgang der sozialistischen Kollektivierung mit diesen asthetisch dramaturgischen Mitteln in einen weitgespannten historischen Kontext Die Umsiedlerin ist bis auf wenige Prosa Stellen in frei gehandhabten Blankversen geschrieben wobei die Spannung zwischen Erfullung und Durchbrechen des Versmasses gestisches Material fur das Spiel des Schauspielers freisetzt 2 Das scheinbar sprode Sujet eines Produktionsstucks erfahrt durch den Vers eine verfremdende poetische Uberhohung Entstehungsgeschichte BearbeitenDie Umsiedlerin entstand als Werkauftrag des Deutschen Theaters Berlin Heiner Muller und der Regisseur B K Tragelehn vereinbarten mit dem Chefdramaturgen des Deutschen Theaters Heinar Kipphardt dass das Stuck zuvor in einer Art Versuchsinszenierung im Studententheater der Hochschule fur Okonomie Karlshorst zur Auffuhrung kommen konnte 3 Danach sollte es eine Inszenierung im Deutschen Theater geben 4 Zu Beginn der Probenarbeit im Winter 1959 60 lag erst ca ein Viertel des Gesamttextes vor B K Tragelehn beschreibt den Probenprozess als sehr produktiv auch weil die Laien Darsteller des Studententheaters den geeigneten sozialen Erfahrungshorizont fur Mullers Stuck mitbrachten Viele Studenten waren proletarischer oder landproletarischer Herkunft und sie hatten nicht nur Abitur sondern vorher schon irgendwo gearbeitet Die hatten den Einblick der Berufsschauspielern fehlte 5 Zudem hatte sich das Studententheater schon mit Muller Texten auseinandergesetzt Zuvor waren hier Der Lohndrucker und Die Korrektur aufgefuhrt worden Die Erfahrungen die Regisseur und Autor in der Probenarbeit sammelten wirkten unmittelbar auf den Schreibprozess zuruck das Stuck entwickelte sich mit dem Fortschreiten des Inszenierungsprozesses Zunachst gab es auch keine Kontrolle der Proben seitens der SED und der FDJ Heiner Muller berichtet Ich schrieb mit dem Gefuhl der absoluten Freiheit im Umgang mit dem Material auch das Politische war nur mehr Material Es war wie auf einer Insel es gab keine Kontrolle keine Diskussion uber den Text Wir haben einfach probiert und ich habe geschrieben Der Spass bestand auch darin dass wir bose Buben waren die dem Lehrer ins Pult scheissen 6 Durch den Mauerbau im August 1961 veranderte sich jedoch die politische Situation radikal Auch die Urauffuhrung im September geriet in den Fokus besonderer Beobachtung Da Muller nicht willens gewesen war vor der Premiere den Stucktext aus der Hand zu geben erschien eine Kommission des Kulturministeriums zur Generalprobe Die haben sich das drei Stunden klaglos angesehen Dann kriegten sie Hunger und gingen was essen Von da aus berichteten sie an ihren Abteilungsleiter die Sache sei hart aber parteilich die Sache sei zu verkraften 7 Dennoch werden am nachsten Tag Stormassnahmen gegen die Premiere organisiert Wie sich Heiner Muller erinnert arbeiteten die Storer jedoch nicht sehr effektiv weil sie durch die Anwesenheit des DDR Filmstars Manfred Krug verwirrt waren Er sass vorn in der Mitte ein Kleiderschrank und lachte grolend uber jeden Witz 7 Die Premiere war ein Erfolg Noch in der Nacht jedoch wurden die Studenten die im Stuck gespielt hatten einbestellt und zur Selbstkritik gezwungen Der Vorwurf war konterrevolutionar antikommunistisch antihumanistisch nichts Konkretes 8 Alle Studenten distanzierten sich von Autor und Regisseur und bestatigten die Vorwurfe Die Parteifuhrung vermutete eine antisozialistische Verschworung sogar die Verhaftung Mullers und Tragelehns wurde erwogen 9 Tragelehn bekam ein Parteiverfahren das mit dem Parteiausschluss endete Sein Vertrag mit dem Theater Senftenberg wurde annulliert und Tragelehn zur Bewahrung in der Produktion in einen Braunkohlentagebau strafversetzt Muller wurde wegen Nihilismus und Schwarzfarberei aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen Helene Weigel empfahl Muller Selbstkritik zu uben diese wurde jedoch von der Kulturabteilung des Zentralkomitees der SED als unzureichend zuruckgewiesen Es folgten zwei komplizierte Jahre fur Muller Er erhielt in dieser Zeit ideelle und materielle Unterstutzung von Peter Hacks Hanns Eisler Paul Dessau und Hans Mayer Auch die Horspiel Dramaturgen Gerhard Rentzsch Alfred Schrader und die inzwischen beim Fernsehen tatige Dramaturgin Christa Vetter unterstutzten ihn mit Honoraren fur das unter Pseudonym gesendete und mehrfach wiederholte Kriminalhorspiel Der Tod ist kein Geschaft fur Kinderhorspiele nach Aitmatow Scholochow und Rasch sowie durch bezahlte Exposes fur nicht realisierte Fernsehprojekte nach Werken von Poe Merimee O Henry Hawthorne Twain Hasek und den Originalstoff Myer und sein Mord 10 Auch bei der DEFA ergaben sich via Chefdramaturg Klaus Wischnewski Gelegenheitsauftrage Bis 1973 wurde in der DDR kein Stuck des Autors mehr gespielt Die erste offizielle Wiederauffuhrung der Umsiedlerin fand am 30 Mai 1976 unter dem Titel Die Bauern an der Berliner Volksbuhne statt Regie Fritz Marquardt Unterstutzt vom Theaterverband und der Akademie der Kunste kam eine komplette 16 mm Tonfilmdokumentation dieser Auffuhrung zustande Erstmals wieder unter dem Originaltitel Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande hatte das Stuck im April 1984 mit gefuhrten Gliederfiguren am Puppentheater Neubrandenburg Premiere Regie Marion Seerig und Bert Koss Ausstattung das Spielerensemble Diese Inszenierung fand auch im August 1984 zum XIV UNIMA Kongress in Dresden verbunden mit einem nationalen Puppentheaterfestival uberregionale Beachtung 11 B K Tragelehn der Regisseur der Urauffuhrung inszenierte das Stuck 1985 noch einmal am Staatsschauspiel Dresden mit dem Buhnenbild von Gabriele Koerbl Im Januar 2004 kam eine 90 minutige Horspieladaption des Dramentexts Funkeinrichtung Bert Koss und Wolfgang Rindfleisch beim Mitteldeutschen Rundfunk zur Erstsendung Regie Wolfgang Rindfleisch Ausgaben Auswahl BearbeitenHeiner Muller Werke 3 Die Stucke 1 Hrsg von Frank Hornigk Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2000 ISBN 3 518 40895 X unter dem Titel Die Bauern In Heiner Muller Stucke Mit einem Nachwort von Rolf Rohmer Henschelverlag Berlin Ost 1975Literatur Auswahl BearbeitenMatthias Braun Drama um eine Komodie Das Ensemble von SED und Staatssicherheit FDJ und Ministerium fur Kultur gegen Heiner Mullers Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande im Oktober 1961 Christoph Links Verlag Berlin 1996 ISBN 3 86153 102 X Marianne Streisand Fruhe Stucke Heiner Mullers Werkanalysen im Kontext zeitgenossischer Rezeption 2 Bde Diss Berlin 1983 Marianne Streisand Heiner MullersDie Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande Entstehung und Metamorphosen des Stuckes In Weimarer Beitrage 32 1986 8 S 1358 1384 Heiner Muller Handbuch Leben Werk Wirkung Hrsg von Hans Thies Lehmann und Patrick Primavesi Verlag J B Metzler Stuttgart und Weimar 2003 ISBN 3 476 01807 5 Peter Hacks Uber den Vers in Mullers Umsiedlerin Fragment In Peter Hacks Die Massgaben der Kunst Gesammelte Aufsatze Henschelverlag Kunst und Gesellschaft Berlin Ost 1978 Gunnar Decker 1965 Der kurze Sommer der DDR Bundeszentrale fur politische Bildung Band 1598 Bonn 2015 ISBN 978 3 8389 0598 3Einzelnachweise Bearbeiten Genia Schulz Die Umsiedlerin Die Bauern In Hans Thies Lehmann Patrick Primavesi Hrsg Heiner Muller Handbuch Verlag J B Metzler Stuttgart und Weimar 2003 ISBN 3 476 01807 5 S 282 dazu Peter Hacks Uber den Vers in Mullers Umsiedlerin Fragment In Peter Hacks Die Massgaben der Kunst Gesammelte Aufsatze Henschelverlag Kunst und Gesellschaft Berlin Ost 1978 S 72 77 Thomas Irmer Matthias Schmidt Die Buhnenrepublik Theater in der DDR Bundeszentrale fur politische Bildung Bonn 2006 ISBN 3 89331 744 9 S 71 Heiner Muller Werke 3 Die Stucke 1 Hrsg von Frank Hornigk Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2000 ISBN 3 518 40895 X S 544 Thomas Irmer Matthias Schmidt Die Buhnenrepublik Theater in der DDR Bundeszentrale fur politische Bildung S 70 Dieter Kranz Argumente gab es nie Interview mit Heiner Muller und B K Tragelehn Radio DDR 2 28 Mai 1990 in AdK B K Tragelehn Archiv Sign 128 a b Heiner Muller Krieg ohne Schlacht Leben in zwei Diktaturen Eine Autobiographie Kiepenheuer amp Witsch Koln 1992 ISBN 3 462 02172 9 S 168 Muller 1992 S 171 Muller 1992 S 170 Thomas Irmer Der Ekel am Frohsinn in Der Freitag 47 2020 Christa Hasche Traute Scholling Joachim Fiebach Theater in der DDR Henschelverlag Berlin 1994 S 125Weblinks Bearbeitenhttp www heinermueller de de index php http muller kluge library cornell edu de videos php http hmtransit umsiedlerin egoditor com die umsiedlerin html http www berliner zeitung de heiner muellers die umsiedlerin oder das leben auf dem lande die geschichte eines kulturpolitischen verbotes das stueck ist ohne jede einschraenkung abzulehnen 17599436 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande amp oldid 239009854