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Europa ist eine Rede von Novalis Friedrich von Hardenberg die 1799 entstand und 1802 erstmals in Auszugen im Druck erschien Der erste vollstandige Abdruck stammt aus dem Jahr 1826 in der 4 Auflage der Schriften Novalis benannte seine Rede schlagwortartig mit dem Kurztitel Europa in ihrer Druckfassung erschien sie allerdings unter dem Langtitel Die Christenheit oder Europa Ein Fragment Diese Bezeichnung stammt nicht von Novalis sondern wurde von einer unbekannt gebliebenen Person kreiert Der originale Titel Europa wird in der Regel bevorzugt Bemerkenswert am Langtitel ist der Zusatz Ein Fragment als ware das Werk nicht vollstandig Aber in Novalis Notizen und in den Briefen seiner Herausgeber Schlegel und Tieck ist nie von einem Fragment die Rede sondern stets von einem vollendeten Aufsatz oder einer abgeschlossenen Rede Novalis verfasste Europa zwischen Oktober und November des Jahres 1799 Sie stellt seinen Beitrag zur zeitgenossischen Diskussion uber die Zukunft des europaischen Kontinents dar Angetrieben wurde sein Beitrag durch den Umbruch welcher im Zuge der Franzosischen Revolution gegen Ende des 18 Jahrhunderts Europa erfasst hatte Die Rede war zunachst fur eine Veroffentlichung im Athenaum bestimmt Als Novalis jedoch die Europa Rede bei einem Treffen im fruhromantischen Freundeskreis am 13 14 November 1799 in Jena vortrug erntete sie sehr zwiespaltige Kommentare Tieck zufolge wurde die Rede als zu schwach empfunden die Blossen des Textes seien leicht zu entdecken Schelling schrieb als Antwort auf Novalis Europa ein satirisches Gegengedicht Zunachst sollten beide Texte als Gegenuberstellung im Athenaum erscheinen In Abwesenheit Novalis wurde Goethe zur Veroffentlichung befragt und riet ganzlich davon ab Die Rezeption ist somit seit Beginn von Unverstandnis und Missverstandnissen gepragt Inhaltsverzeichnis 1 Struktur und Inhalt 2 Deutung 3 Ausgaben 4 Sekundarliteratur 5 WeblinksStruktur und Inhalt BearbeitenAusgangspunkt der Rede war die Situation Europas am Ende des 18 Jahrhunderts Als Novalis den Text schrieb war Papst Pius VI in der Zitadelle von Valence gestorben Eine Neuwahl wurde durch die Franzosen verboten die katholische Christenheit war somit ohne Oberhaupt Die Krise Europas wurde durch den drohenden Krieg gegen Frankreich verstarkt Der Kontinent stand somit an einem Kairos Dieser wird in Novalis Verstandnis als eine Moglichkeit zum Eintritt in ein besseres Zeitalter gesehen Seinen Vorstellungen zufolge kann aus der Asche Europas ein neues besseres Europa entstehen Das letztendliche Ziel ist eine Regeneration Europas und ewiger Frieden durch eine neue Religion Jede Deutung der Rede hat ihren Gattungscharakter zu berucksichtigen Nach den aristotelischen Gattungen der Rhetorik handelt es sich bei Europa um eine oratio deliberativa Das Hauptziel dieser Redegattung ist es dem Publikum von einer bestimmten Handlung abzuraten bzw einer Handlung zuzuraten Ublicherweise geht es dabei um eine Handlung die den Lauf der Geschichte beeinflussen kann In der Europarede fordert Novalis zur Herstellung des ewigen Friedens auf Die Rede kann in das fur Novalis typische Triadenschema gebracht werden Auf eine gluckliche Urzeit folgt eine Zwischenphase des Zerfalls die von dem goldenen Zeitalter einer Wiederherstellung der Urzeit aber auf hoherem Niveau abgelost wird Fur Novalis steht Europa zum Zeitpunkt der Niederschrift der Rede an einem moglichen Ubergangspunkt von einer Zwischenphase zum goldenen Zeitalter Die gluckliche Urzeit ist in der Europarede die Phase des fruhmittelalterlichen Christentums Aus der Gattung des Textes folgt jedoch dass alle Elemente die dem Zweck der Rede nicht dienlich sind weggelassen werden Das Dargestellte muss jedoch plausibel sein Daher ist die Mittelalterdarstellung in der Europa stilisiert aber in einer Form historischer Glaubwurdigkeit Der Sprecher im Text fordert die Leser am Ende des Textes auf den momentanen Schwellenpunkt zu nutzen um die hohere Stufe zu erreichen Die utopischen Hoffnungen werden also an das Idealbild einer vergangenen Epoche angeknupft Um diese Zukunftsutopie erreichen zu konnen muss jedoch im Menschen der Sinn fur die Erkenntnis der hoheren Welt erweckt werden Zu Beginn der Rede erfolgt eine positive Darstellung der mittelalterlichen Welt Wichtig in dieser Darstellung ist die konzentrierte Einheit Europas die durch den christlichen Glauben bewirkt wurde Elemente des Christlichen im Mittelalter waren fur Novalis die Liebe zur Kirche die Heiligenverehrung der Reliquienkult die Wallfahrten und sogar die papstliche Zensur die zur Wahrung der religiosen Einheit und der Glaubigkeit der Menschen legitimiert wird Es wird hier ein goldenes Bild der Vergangenheit entworfen Im weiteren Verlauf folgt jedoch der Zerfall dieses Zustands der Einheit Die Geistlichen sind trage geworden und sind nicht mehr die Gelehrten in der Welt Die Gelehrsamkeit liegt nun vielmehr bei den Laien In diesen Entwicklungen werden Glaube und Liebe durch Wissen und Haben ersetzt Somit treten rationale Erkenntnis und Drang nach materiellem Reichtum in den Vordergrund Das Mittelalterbild das Novalis entwickelt steht im Gegensatz zum Mittelalterbild bestimmter rationalistischer und materialistischer Stromungen der Aufklarung Diese hatten das Mittelalter als Zeitalter der Barbarei verurteilt Der Beginn der Zwischenphase wird in der Reformation gesehen Diese wird zunachst als legitime Revolution gegen die herrschenden Zustande in der Kirche begrusst jedoch gelingt es der Reformation nicht einen besseren neuen Zustand herbeizufuhren Vielmehr wird das berechtigte Protestieren zur permanenten Haltung Die verurteilten Folgen der Reformation sind die Zerstorung der Einheit der Kirche was letzten Endes zur Herrschaft der Politik uber die Kirche fuhrt und die philologische Bibelbetrachtung Luthers die den lebendigen Geist der Kirche erstarren lasst Ausserdem entwickelt sich der Hass gegen den katholischen Glauben nach Ansicht des Sprechers uber mehrere Stufen letztendlich zum Hass gegen Religion Die Gegenreformation wird nach anfanglicher Befurwortung verurteilt und scheitert schliesslich auch nicht zuletzt am Mangel an Phantasie und Gefuhl Von der Reformation geht die Entwicklung in der Europarede zur Aufklarung Die rationalistischen und materialistischen Aufklarungsbewegungen nicht die gesamte Aufklarung werden verurteilt als Abkehr von Phantasie und Gefuhl Diese Gelehrten hingen der falschen Uberzeugung an dass Fragen des Glaubens mit Wissen gelost werden konnten Dem Sprecher zufolge degradiert diese Sicht die Welt zu einem blossen Mechanismus Sie wird in Analogie zur Reformation gesehen und als weltlicher Protestantismus bezeichnet Beide Bewegungen werden als Gegner des religiosen Sinns verstanden Von hier geht die Entwicklung zur Franzosischen Revolution die als zweite umfassendere Reformation gedeutet wird Die Revolution wird als Verscharfung der Krise betrachtet bringt aber zugleich die Moglichkeit zum Eintritt in die neue Zeit Man kann sie somit als Startpunkt der Entwicklung zum goldenen Zeitalter sehen Die Revolution schafft dem Sprecher zufolge die notwendigen Voraussetzungen fur eine Wiederbelebung des Christentums Die Revolution drangt die Religion vollkommen in den privaten Bereich ab Dadurch kann eine viel personlichere und innigere Beschaftigung mit der Religion stattfinden somit findet eine geistige Befruchtung im Menschen statt Der Sprecher behauptet Wahrhafte Anarchie ist das Zeugungselement der Religion Dies ist zu verstehen als Forderung nach einem vollstandigen Untergang zwecks Reinigung Aus der Zerstorung kann dann die Religion als ordnende Kraft wieder hervortreten Er beschreibt die Franzosische Revolution in prophetischem Stil wendet sich dabei direkt an den Horer und fordert dazu auf nicht standig in den Lauf der Geschichte eingreifen zu wollen da sich der richtige Zustand von selbst einstelle wenn man der Geschichte nur die Moglichkeit dazu gabe Das Geschichtsverhaltnis in der Europarede beruht auf der Vorstellung Geschichte sei ein Wechsel von entgegengesetzten Bewegungen Ein Wechsel von Suche nach Ideal und Realitat aber in der Art dass die Nahe zum Ideal immer grosser wird Der Sprecher der Rede fordert daher die Horer auf bereit zu sein fur die Wiedergeburt des goldenen Zeitalters Notwendig ist die Religion da die weltlichen Machte nicht in der Lage sind sich gegenseitig in ein Gleichgewicht zu setzen Aus diesem Grund ist ein drittes uberirdisches aber zugleich weltliches Element notwendig die Religion Er sieht in seiner Gegenwart bereits Zeichen der Wende Beispielsweise in der Entwicklung der Wissenschaften gegen Ende des 18 Jahrhunderts Am Ende der Rede druckt der Sprecher seinen Wunsch nach Universalismus aus Er fordert eine Kirche die keine Rucksicht auf die Landesgrenzen nimmt und somit eine engere Verbindung der europaischen Staaten hervorbringt Die neue dauerhafte und von konfessionellen Schranken befreite Kirche eine Verbindung von Christentum und Naturphilosophie soll an die Stelle des Papsttums und des Protestantismus treten Hiermit ist jedoch nicht so sehr ein institutionelles Gebilde gemeint sondern eine Friedensgemeinschaft Diese europaische Friedensgemeinschaft ware der erste Schritt zu einer Weltgemeinschaft Novalis fordert achte Freiheit das heisst einen freieren und poetischeren Umgang mit den biblischen Schriften Somit soll das Christentum ausgeweitet werden Mit der Auflosung der Abgrenzung von den ubrigen Religionen nahert sich das von Novalis erdachte neue Christentum immer weiter einer allgemeinen Weltreligion an Diese visionare Zukunftsreligion sollte im Alltag erfahrbar sein und soziale Gemeinschaft schaffen aber dennoch nicht die Freiheit einschranken In der alten goldenen Zeit herrschten Ehrfurcht und Gehorsam im religiosen Bereich vor in der neuen goldenen Zeit soll dagegen die Freiheit in der Religion vorherrschen Das Ende dieser angestrebten Entwicklung ist jedoch noch nicht gekommen aber der Sprecher in der Rede vertrostet den Horer und betont dass diese Zeit sicher kommen wird Nur ein wenig Geduld ist notwendig Deutung BearbeitenNovalis sieht die goldene Zeit als eine sakrale Zeit in der alles zwischen dem Menschen und dem Unendlichen dem Gottlichen ein Mittler sein kann Hier sind klar die Vorstellungen einer fruhromantischen Mittlerreligion sichtbar Wichtig ist fur Novalis die Einsicht des Horers dass religiose Ideen wichtig sind einmal als Vermittlung zwischen weltlichen und politischen Kraften aber auch fur die Verbindung dieser Ebenen mit dem Unendlichen dem grossen Ganzen der Natur Die Rede fordert somit jeden Menschen insbesondere aber auch die intellektuelle Avantgarde dazu auf die Einheit von Religion Wissenschaft und Kunst zu fordern Die Rede wurde im Verlauf der Geschichte sehr unterschiedlich rezipiert Oft wurde der Text als Befurwortung der Restauration gelesen Dabei wird vernachlassigt dass der Text keine laudatio temporis acti ist sondern ein Zukunftspathos entwickelt Jede Zeitepoche hat die Europarede fur sich unterschiedlich ausgelegt So wurde sie zum Beispiel im Nationalsozialismus als Vision der Machtergreifung von 1933 gesehen Ausgaben BearbeitenDie Christenheit oder Europa Ein Fragment In Ludwig Tieck Friedrich Schlegel Hrsg Novalis Schriften Bd 1 Reimer Berlin 1826 S 187 208 Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv Fur eine Ubersicht uber die verschiedenen Ausgaben siehe den Eintrag Novalis und die Internationale Novalis Bibliographie URL siehe Weblinks Sekundarliteratur BearbeitenDie Christenheit oder Europa In Walter Jens Hrsg Kindlers neues Literatur Lexikon Kindler Munchen 1988 1992 Hermann Kurzke Novalis Munchen C H Beck 1988 Lothar Pikulik Fruhromantik Epoche Werke Wirkung Beck Munchen 1992 Herbert Uerlings Friedrich von Hardenberg genannt Novalis Werk und Forschung Metzler Stuttgart 1991 Herbert Uerlings Novalis Reclam Stuttgart 1998 Weblinks BearbeitenInternationale Novalis Bibliographie Memento vom 10 Juni 2007 im Internet Archive Der Volltext der Reclam Ausgabe Novalis Die Christenheit oder Europa bei Zeno org Novalis Hymnen an die Nacht Die Christenheit oder Europa im Project GutenbergNormdaten Werk GND 4534564 8 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Europa Novalis amp oldid 233501044