Der Gesang der Flusskrebse ist ein Roman der US-amerikanischen Zoologin Delia Owens, der im Juli 2019 bei hanserblau in der Übersetzung von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann in deutscher Sprache erschienen ist. In der Heimat der Autorin erschien der Roman 2018 unter dem Titel Where the crawdads sing bei dem zu Penguin Books/Penguin Random House/Bertelsmann gehörenden Verlag G. P. Putnam’s Sons.
Obgleich das Leben der weiblichen Hauptperson Kya von ihrer Kindheit bis zu ihrem Tod erzählt wird, bildet die Zeit zwischen ihrem sechsten und ihrem fünfundzwanzigsten Lebensjahr den Schwerpunkt des Romans. Im Vordergrund stehen ihre Armut, ihre dysfunktionale Herkunftsfamilie sowie der Rassismus und Dünkel in der Kleinstadt der Umgebung. Die Autorin erzählt von dieser außergewöhnlichen Landschaft, dem sexuellen Erwachen der jungen Frau, ihrem enormen Bildungswillen und schließlich einem Mordprozess, in den Kya verwickelt wird. Der Roman ist daher nicht nur ein Coming-of-Age-Roman, sondern eine Erzählung über ein Leben jenseits des nordamerikanischen Mainstreams.
Handlung Bearbeiten
Catherine, genannt Kya, ein sechsjähriges Mädchen, lebt mit ihren vier Geschwistern und ihren Eltern in einer armseligen Hütte in den Marschgebieten (Great Dismal Swamp) von North Carolina. Da der Vater alkoholabhängig ist und immer wieder gewalttätig wird, verlässt die Mutter eines Tages ohne Abschied die Familie. Auch die Geschwister – Kya ist mit Abstand die Jüngste – verlassen nach und nach die Familie, sodass sie allein mit ihrem Vater zurückbleibt. Dieser bezieht wegen einer Verletzung im Zweiten Weltkrieg eine Rente. Eines Tages kommt er nicht mehr nach Hause zurück, und Kya bleibt im Marschgebiet allein zurück. Nach dem Verschwinden ihres Vaters versorgt sie sich durch den Verkauf von Muscheln und geräuchertem Fisch an einen schwarzen Händler aus der von Barkley Cove etwas entfernten Schwarzensiedlung des Ortes.
Aus der nicht weit entfernten Kleinstadt Barkley Cove wird Kya einmal von Mitarbeitern des Jugendamtes abgeholt und zur dortigen Grundschule gebracht. Weil sie jedoch am ersten Tag von den anderen Schülern gehänselt wird, versteckt sie sich danach immer, wenn das Jugendamt sie abholen möchte. Menschen, die im Sumpfgebiet leben, werden von den Bewohnern von Barkley Cove als soziale Randgruppe diskriminiert, Kya wird hinter ihrem Rücken das „Marschmädchen“ genannt und abgelehnt. Das wird sie ihr Leben lang prägen und ihre Beziehungsfähigkeit zu Menschen beeinträchtigen. Die vereinsamte Romanheldin zieht aus den Verhaltensweisen, die sie in der Natur beobachtet, immer wieder Rückschlüsse auf die Beziehungen zwischen Menschen, das Verhalten von Tieren und Insekten wird für Kya zu einem Fundus von Rollenmodellen.
Kya freundet sich mit Tate an, dem etwas älteren Sohn eines Krabbenfischers, und als Tate erfährt, wie wissbegierig Kya ist, bringt er ihr das Lesen bei und versorgt sie später sogar mit biologischer Fachliteratur. Kya sammelt und ordnet allmählich ihre Funde von Federn und Muscheln nach wissenschaftlichen Kriterien und beginnt sogar sie zu zeichnen. Eine über das Petting hinausgehende Sexualität lehnt Tate ab, da Kya mit ihren vierzehn Jahren zu jung sei. Tate möchte nach der Schule an einer Universität Biologie studieren, weshalb sich die Wege der beiden für einige Zeit trennen. Kya ist über diesen erneuten Verlust eines geliebten Menschen tief verletzt und erst Jahre später reagiert sie wieder auf seine Kontaktversuche. Nachdem Tate sein Studium abgeschlossen hat und in einem neuen biologischen Forschungszentrum am Rand des Sumpfgebiets arbeitet, ermuntert er Kya, die schon immer die Pflanzen- und Tierwelt der Marsch gesammelt hat, darüber ein Buch zu schreiben und vermittelt ihr einen Verlag für ihre erste Veröffentlichung.
Der als Quarterback populäre Chase aus Barkley Cove möchte das schöne „Marschmädchen“ erobern und Kya, die nach Tates Weggang zum Studium mehr als sonst an ihrer Einsamkeit leidet, entzieht sich den Kontaktversuchen nicht, weigert sich aber lange, mit ihm zu schlafen. Als Chase heimtückisch verspricht, sie in seine Familie und bei seinen Freunden einzuführen und sie zu heiraten, gibt Kya sich ihm sexuell schließlich hin. Kurz darauf liest sie zufällig in der Regionalzeitung von der Verlobung Chases mit einer anderen Frau. Nachdem sie ihn damit konfrontiert, versucht er, sie zu vergewaltigen, was sie abwehren kann. Aber die nagende Angst vor einem erneuten Angriff zwingt sie zu einer Entscheidung.
Kurze Zeit darauf, im Oktober 1969, wird Chase Andrews tot unter dem Feuerwachturm am Strand von Barkley Cove gefunden. Offenbar war er durch ein offenes Bodengitter gestürzt. Im Ort ist die mehrjährige Beziehung von Chase und Kya bekannt und als einige Indizien für einen Mord vorliegen, wird Kya verhaftet und ein Gerichtsverfahren gegen sie eingeleitet. Aber ihr kluger Verteidiger kann die Indizienhinweise entkräften und die Jury spricht sie vom Anklagevorwurf frei.
In der Kürze eines Epilogs umreißt die Erzählstimme die folgenden Jahrzehnte: Kya und Tate leben zusammen im Marschland und erforschen die Natur. Als Kya 2009 mit 64 Jahren stirbt, findet Tate in einem Versteck die von ihr unter Pseudonym in der Lokalzeitung veröffentlichten Gedichte, von denen eines nahelegt, dass Kya, entgegen ihrem Freispruch vor Gericht, doch Chase vom Turm herabgestürzt hat. Als Bestätigung findet er das Muschelhalsband, das Chase am Abend seines Todes trug.
Hauptpersonen Bearbeiten
Catherine Danielle Clark Bearbeiten
Catherine, im Roman als „Kya“ oder von den Bewohnern des Ortes als „Marschmädchen“ bezeichnet, als Kind von ihrer Familie verlassen, wächst allein in einer Hütte im Marschgebiet an der Atlantikküste im Bundesstaat North Carolina auf.
Tate Walker Bearbeiten
Ist der Sohn eines Krabbenfischers, ein paar Jahre älter als Kya und sehr an der Natur interessiert. Er fischt gern im Sumpfgebiet und lernt dabei auch das Marschmädchen kennen. Nach der Schule studiert er Biologie und arbeitet später für ein Forschungsinstitut in der Nähe des Sumpfgebietes.
Chase Andrews Bearbeiten
Ist der Sohn einer der einflussreichsten Familien des Ortes und Quarterback des örtlichen Footballteams. Chase baut eine Beziehung zur etwas jüngeren Kya auf, ist aber ebenso mit anderen Mädchen aus dem Ort liiert.
Jeremy Andrew Clark Bearbeiten
Wird von allen nur Jodie genannt und ist der sieben Jahre ältere Bruder von Kya. Auch er verlässt das Marschgebiet, hat aber seiner Schwester vorher viel über die Natur erzählt und ihr gezeigt, wie man mit dem Motorboot fährt. Jodie nimmt nach Jahren des Militärdienstes wieder Kontakt mit Kya auf.
Kritik Bearbeiten
Mark Lawson im Guardian bestätigt der Autorin ein Talent in der Beschreibung von Natur und Personen: „Aber diese Themen werden durch das altmodische Talent der Autorin für fesselnde Charaktere, Handlungen und Landschaftsbeschreibungen ein großes Publikum erreichen.“
In der Washington Post sieht Rachel Rosenblit die Autorin besonders stark, wenn sie ihre Heldin in der Natur beschreibt, dagegen nimmt sie einen Bruch in der Darstellung des Gerichtsverfahrens wahr: „Die Szenen im Gerichtssaal sind ein krasser Milieu-Kontrast – keine von Eichen gesäumten Lagunenkanäle mehr, die man unter den Sternen erkunden kann; jetzt besteht Kyas Welt tagelang aus einer verschlossenen Zelle [...] der Reichtum von Kyas Innenleben, der in früheren Kapiteln so anschaulich ist, scheint im Gerichtssaal zu fehlen. Für eine so scharfsinnige Beobachterin von Lebewesen, die sich jahrelang mit den Federn von Nachtreihern und den Paarungsmustern von Ochsenfröschen beschäftigt hat, gibt es da nur wenig Beobachtung der dreisten menschlichen Charaktere um sie herum.“
Catrin Lorch in der Süddeutschen Zeitung sieht insbesondere in den Naturbeschreibungen die Verwendung von ungeeigneten sprachlichen Mitteln, die für sie wie Einschübe aus einem Biologiebuch klingen. Der Mix aus nature writing, Lovestory, Entwicklungsroman und Krimi geht für sie nicht auf. Das liege zum einen an dem schwülstigen Naturmädchen-Setting, zum anderen aber gerade an der Unfähigkeit der Autorin, ihre Figur und die Natur lebendig zu beschreiben. Hinzu kämen schiefe Vergleiche und Ungereimtheiten, eine Leiche, sexuelle Anspielungen und ein reichlich unwahrscheinliches Gerichtsverfahren.
Im Spiegel liest Marcus Müntefering dagegen gerade die Naturpassagen als Darstellungen mit viel Gefühl, aber ohne Sentimentalität, als lyrische Panoramen der Stille und Einsamkeit. Dabei sieht er die Romanheldin Kya in der Tradition von anderen Helden amerikanischer Coming of Age-Romane, wie aus den Werken von Mark Twain, Harper Lee oder J. D. Salinger.
Kommerzieller Erfolg Bearbeiten
Das Buch, das nach dem Erscheinen im Sommer 2018 in der populären Literatursendung Hello Sunshine von Hollywood-Schauspielerin Reese Witherspoon präsentiert wurde, war mit 4,5 Millionen verkauften Exemplaren 2019 das erfolgreichste Buch in den USA.
Auch in Deutschland konnte es sich direkt nach seiner Veröffentlichung 2019 auf der Spiegel-Bestsellerliste platzieren, war 2020 jede Woche unter den Top-20 dieser Auflistung aufgeführt und 2021 auch sechsmal auf der Spitzenposition dieser Charts gelistet.
In der deutschen Taschenbuchausgabe im Heyne Verlag verkaufte das Buch über eine Million Exemplare.
Verfilmung Bearbeiten
Unter dem Titel Der Gesang der Flusskrebse kam am 15. Juli 2022 die Verfilmung in die US-Kinos. Der Kinostart in Deutschland war am 18. August 2022.
Weblinks Bearbeiten
- Buchvorstellung des Verlags
- Empfehlung des Buches durch Elke Heidenreich in der Sendung Literaturclub vom 17. Dezember 2019
- Der Roman bei Perlentaucher.de
Einzelnachweise Bearbeiten
- Mark Lawson: Where the crawdads sing by Delia Owens review – in the swamps of North Carolina. In: The Guardian. 12. Januar 2019, abgerufen am 12. Februar 2021.
- Rachel Rosenblit: Now that we have all read ‚Where the crawdads sing‘, can we talk About the ending? In: The Washington Post.17. April 2019, abgerufen am 12. Februar 2021.
- Catrin Lorch: Heiß wie Wildschweinatem. Süddeutsche Zeitung, 23. Oktober 2019, abgerufen am 12. Februar 2021. (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Oktober 2023. Suche in Webarchiven.)
- Marcus Müntefering: Allein mit der Sehnsucht. Der Spiegel, 24. Juli 2019, abgerufen am 12. Februar 2021.
- Alexandra Alter: The long tail of ‚Where the crawdads sing‘. The New York Times, 19. Dezember 2019, abgerufen am 12. Februar 2021.
- Das sind die Spiegel-Jahresbestseller. Buchreport, 29. Dezember 2020, abgerufen am 12. Februar 2021.
- „Der Gesang der Flusskrebse“ bei Heyne im Taschenbuch jetzt eine Million mal verkauft | BuchMarkt. 21. Oktober 2022, abgerufen am 23. Oktober 2022 (deutsch).
- Sony's Bullet Train Pushes Back Release Date. Abgerufen am 8. August 2022 (englisch).
- Starttermine Deutschland. In: insidekino.com. Abgerufen am 19. Mai 2022.