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Als Coquillards deutsch Coquillarden oft auch mit Muschelbruder ubersetzt bezeichneten sich im 15 Jahrhundert die Angehorigen einer kriminellen Bande in Nordfrankreich der 1455 in Dijon der Prozess gemacht wurde Inhaltsverzeichnis 1 Zur Wortgeschichte im Alt und Mittelfranzosischen 2 Die Coquillarden von Dijon 3 Francois Villon und die Coquillarden 4 Die Coquillarden bei Ollivier Chereau 5 Literatur 6 Trivia 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseZur Wortgeschichte im Alt und Mittelfranzosischen BearbeitenDas altfranzosische Wort coquillard ist abgeleitet von coquille aus lateinisch conchyila das Muschel schale bzw Schneckengehause bedeutet Im Altfranzosischen bezeichnet coquillard den betrogenen Ehemann oder im Gegenteil den Liebhaber einer verheirateten Frau in der weiblichen Form coquillarde die Frau die ihren Ehemann betrugt entsprechend der sexuell ubertragenen Bedeutungen von altfranzosisch coquille mannliches oder weibliches Geschlechtsteil In der altfranzosischen und mittelfranzosischen Bedeutungsentwicklung sind Uberkreuzungen moglich mit coquin Landstreicher Bettler coquinaille Bande von coquins coquinerie Landstreicherei Bettelei Betrugerei coquelarder schmarotzen sich als Schmarotzer durchschlagen coquellerie zugellose Lebensweise Libertinage coquelier sich als Schurzenjager betatigen Im 17 Jahrhundert belegt Cotgrave 1611 vendre ses coquilles wortlich seine Muscheln verkaufen in dem ubertragenen Sinn betrugen fur dumm verkaufen Wertloses verkaufen und Chereau 1628 schliesslich coquillard als Jakobspilger oder Bettler der sich als Jakobspilger ausgibt s u Die Coquillarden von Dijon BearbeitenDie erhaltenen Dokumente aus dem Prozess von 1455 wurden von Lazare Sainean 1912 ediert und bilden im Wesentlichen schon die ganze historische Uberlieferung zu den Coquillarden von Dijon Danach pflegten die Mitglieder untereinander eine Geheimsprache die Jargon genannt wurde certain langaige de jargon und die Aussenstehende nicht verstehen konnten un langaige exquiz que aultres gens ne scevent entendre Zudem hatten sie geheime Erkennungszeichen Sie bezeichneten sich in ihrer Sprache als coquillards oder compagnons de la coquille und ihr Oberhaupt als Konig der Coquille roy de la coquille was vermutlich in Entsprechung zu den spatmittelalterlichen standisch korporativen Organisationsformen der fahrenden Handler und Bettler gueux Geusarden zu sehen ist Ihr Hauptquartier in Dijon wo sie sich seit etwa zwei Jahren bemerkbar gemacht hatten soll das Bordell eines gewissen Jacquot de la Mer gewesen sein wo ihr Treiben folgendermassen beschrieben wird Sie tun nichts anderes als trinken essen und viel Geld ausgeben spielen Wurfel Karten Brettspiele und andere Spiele sie halten standig und besonders nachts im Bordell Zusammenkunfte wo sie ein schmutziges verachtliches und zugelloses Leben von Kupplern und Wustlingen fuhren und ihr ganzes Geld verlieren und ausgeben und dies treiben sie bis ihnen kein Pfennig und keine Kupfermunze mehr ubrig bleibt Und dann nachdem sie ihren armen Freudenmadchen die sie in dem besagten Bordell unterhalten alles was sie von ihnen kriegen konnen abgenommen haben brechen einige von ihnen auf und niemand weiss wohin und bleiben manchmal zwei Wochen weg und ein andermal einen Monat oder sechs Wochen Und die einen kommen zu Pferd wieder andere zu Fuss gut gekleidet und angezogen fein geschmuckt mit Gold und Silber und dann beginnen sie wieder mit einigen anderen die auf sie gewartet haben oder mit Neuhinzugekommenen ihre gewohnten Spiele und Ausschweifungen In ihren kriminellen Tatigkeiten werden sie als Einbrecher crocheteurs so benannt nach den zum Aufbrechen von Turen und Kisten benutzten Haken Betruger Falschmunzer Wechselbetruger Betruger mit falschen Preziosen Trickbetruger die in der Herberge ihre eigenen Sachen und die des Wirts heimlich fortschaffen und sich dann selbst als bestohlen ausgeben Wegelagerer Rauber und Morder beschrieben 27 Personen darunter auch mehrere Gaskogner ein Spanier ein Italiener ein Savoyarde und ein Schotte wurden in dem Prozess namhaft gemacht und mehrere von ihnen zum Tode oder zu anderen schweren Strafen verurteilt Obwohl die Coquillarden ersichtlich nicht nur in der Gegend von Dijon operierten und mindestens nach Paris s u Beziehungen unterhielten sind sie doch erst bei modernen Literaten zur am meisten gefurchteten Rauberbande Frankreichs mit einem angeblichen Hauptquartier in Paris avanciert wofur die erhaltenen historischen Quellen aber nichts hergeben Francois Villon und die Coquillarden BearbeitenIn einer Beziehung zu den Coquillarden stand auch der bedeutendste Dichter des franzosischen Spatmittelalters Francois Villon Villon werden insgesamt elf Balladen im Jargon zugeschrieben Die zweite dieser Balladen spricht ihr Publikum ausdrucklich als coquillars an und bezieht sich ausserdem anspielungsweise auf die Hinrichtung zweier Personen Regnier de Montigny und Colin de Cayleux von denen der Name des ersten in den Quellen zum Prozess von Dijon genannt wird und der zweite zu den crocheteurs gehorte mit denen Villon selbst als Einbrecher aktenkundig wurde Regnier de Montigny wird von Villon auch schon im sogenannten Kleinen Testament um 1456 erwahnt und dort als Edelmann oder edler Mann noble homme apostrophiert dem Villon als fiktives Legat drei Jagdhunde vermacht Er wurde um 1429 in Bourges geboren und entstammte einer angesehenen Adelsfamilie mit hochrangigen Vertretern u a in der Pariser Justiz Sein Vater Jean de Montigny koniglicher Brotmeister und Mitglied des Pariser Stadtparlaments hatte durch den Einzug der Burgunder in Paris einen grossen Teil seines Vermogens verloren und war fruh verstorben Regnier absolvierte ein Studium und empfing die niederen Weihen Er wird nicht mittellos gewesen sein sah sich aber durch den Vermogensverlust der Familie und hohe Mitgiftzahlungen an zwei Tochter seines Vaters aus zweiter Ehe benachteiligt und schloss sich wie es heisst verschiedenen Gesellschaften junger Leute plusieurs compaignies de jeunes gens jeunes gens par lesquelx s est gouverne autrement qu a point an mit denen er eine Reihe von Verbrechen darunter Kirchenraub Einbruch Trickbetrug und Falschspiel beging Nach verschiedenen Verhaftungen in Tours Bordeaux und Paris sowie einer durch Begnadigung wieder aufgehobenen Verurteilung wegen Mordes wird er 1457 erneut wegen Kirchenraubes und anderer Vergehen in Paris verhaftet und zum zweiten Mal zum Tode verurteilt auf ein Gnadengesuch seiner Verwandten hin wird das Urteil jedoch im September 1457 durch einen koniglichen Gnadenerlass in eine einjahrige Kerkerstrafe umgewandelt mit der Auflage dass er anschliessend eine Pilgerreise zum Grab des Heiligen Jakob unternehmen und dies durch eine Bescheinigung der dortigen Kirche nachweisen solle Der Gnadenerlass wurde vom Klagevertreter der Stadt wegen Unvollstandigkeit der zugrundegelegten Tatsachen angefochten und es ist anzunehmen dass der Prozess zuletzt doch noch zu jener Hinrichtung am Galgen fuhrte auf die sich die zweite Jargonballade anspielungsweise bezieht Colin de Cayeux Sohn eines Schlossers und wie Regnier und Villon selbst studierter und unverheirateter clerc hatte seit den 1450er Jahren eine Reihe von Verhaftungen in Paris Bayeux und Rouen hinter sich gebracht und sein technisches Geschick als crocheteur u a auch durch einen Ausbruch aus dem Gefangnis des Erzbischofs von Rouen unter Beweis gestellt Gemeinsam mit Villon Guy Tabarie und einem Dom Nicolas hatte er am Weihnachtsabend 1456 einen Einbruch in das College de Navarre verubt bei dem 500 Goldfranken erbeutet wurde Seine Beteiligung und die Villons kamen 1458 heraus als Guy Tabarie verhaftet wurde und ein Gestandnis ablegte Im Sommer 1460 wurde Colin de Cayeux in der Diozese von Beauvais gefasst und nach Paris uberstellt Der Ausgang des Prozesses in dem er fur verschiedene Vergehen darunter auch den Einbruch von 1456 zur Rechenschaft gezogen werden sollte ist nicht dokumentiert aber Villons Anspielung auf Colin im Grossen Testament um 1461 suggeriert dass Colin zu dieser Zeit bereits hingerichtet worden war Die Coquillarden bei Ollivier Chereau Bearbeiten nbsp Satirischer Kupferstich auf die St Jakobspilger von Jacques Lagniet 1657Ollivier Chereau Tuchhandler aus Tours gibt in seiner 1628 anonym erschienenen und seither mehrfach wieder abgedruckten Schrift Le jargon ou langage de l argot reforme einen Abriss der Geschichte Sprache und Organisationsform des Bettelkonigtums der Geusarden und erlautert hierbei als eine der verschiedenen Untergruppen auch die Coquillards das seien die Pilger des Heiligen Jakob und in den meisten Fallen ehrliche Leute aber es gebe auch solche die sich betrugerisch als Jakobspilger ausgaben Heimatlose die weder jemals am Grab des Apostels noch seit langem in ihrer Heimatpfarre gewesen seien und ihren Tribut dem Grand Coesre dem Konig der Geusarden entrichteten In der Beziehung auf Pilger oder Jakobspilger die sich dadurch erklart dass solche Pilger als Erkennungszeichen am Hut oder Gewand die Jakobsmuschel trugen und Muscheln als Souvenirs von ihrer Reise mitbrachten und verkauften scheint der Ausdruck coquillards allerdings vor Chereau nicht gelaufig gewesen zu sein so dass fraglich ist ob man seine Erklarung zur Deutung der Coquillarden des 15 Jahrhunderts und ihres Namens schon heranziehen kann Literatur BearbeitenLouis Jean Calvet Les coquillards In Ders L argot PUF Paris 2007 ISBN 978 2 13 055983 2 Patrick Mathieu Le jargon usuel sociolecte des coquillards In Ders La double tradition de l argot Vocabulaire des marges et patrimoine linguistique L Harmattan Paris 2008 ISBN 978 2 296 06334 1 Lazare Sainean Les sources de l argot ancien Slatkine Genf 1973 unveranderter Nachdr d Ausg Paris 1912 EA Genf 1850 Marcel Schwob Etudes sur l argot francais et le jargon de la coquille Editions Allia Paris 1989 ISBN 2 904235 16 7 Trivia BearbeitenDie Coquillards wurden auch musikalisch gewurdigt etwa mit der Ballade von Pierre dem roten Coquillard von Peter Rohland 1 Der Song findet sich auch in Band 2 Liederkiste des Liederbuchs Student fur Berlin Weblinks BearbeitenOllivier Chereau Le jargon ou langage de l argot reforme comme il est a present en usage parmi les bons pauvres Troyes Oudot 1741 fr Frederic Godefroy Dictionnaire de l ancienne langue francaise et de tous ses dialectes du IXe au XVe siecle vol II Paris Vieweg 1883 p 294 295 fr Patrick Mathieu Inedits de Pierre Guiraud le jargon des Coquillards Memento vom 17 November 2006 im Internet Archive Marges Linguistiques n 6 nov 2003 Saint Chamas M L M S Editeur fr Auguste Lognon Etude biographique sur Francois Villon Paris Menu 1877 fr Francoise Nore Ếtude morpho semantique et diachronique des formants du lexique populaire francais Examen d un recueil argotique du XVIIe siecle Le Jargon de l argot reforme d Ollivier Chereau Laboratoire MoDiCo Universite Paris X Nanterre 2005 fr Auguste Vitu ed Francois Villon Le jargon et jobelin comprenant cinq ballades inedites d apres le manuscrit de la bibliotheque royale de Stockholm avec un Dictionnaire analytique du jargon Paris Ollendorf 1889 fr Einzelnachweise Bearbeiten Die Ballade von Pierre dem roten Coquillard von Peter Rohland 1 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Coquillards amp oldid 223262455