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Christian Pulz 14 Dezember 1944 in Plauen 15 April 2021 1 war Aktivist der Friedens Umwelt und Menschenrechtsbewegung der DDR Buchhandler Sozialfursorger und nach der Friedlichen Revolution Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und Sozialpadagoge Christian Pulz Mitte und Eduard Stapel 2011 Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Grundung von Schwule in der Kirche Arbeitskreis Homosexuelle Selbsthilfe 3 Offentlichkeitsarbeit des Arbeitskreises 4 Operativer Vorgang Orion 5 Rezeption des Arbeitskreises nach 1989 6 Veroffentlichungen 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseLeben BearbeitenVon 1951 bis 1961 besuchte Pulz die Oberschule in Bad Elster anschliessend bis 1963 die Vorschule fur den kirchlichen Dienst in Moritzburg und von 1963 bis 1967 das Theologische Seminar in Leipzig Von 1967 bis 1970 absolvierte Pulz eine Ausbildung zum Buchhandler und war danach 14 Jahre in verschiedenen Verlagen und Buchhandlungen tatig Nach einem Fernstudium Sozialfursorge in Potsdam arbeitete Pulz bis 1990 als Sozialfursorger Pulz war von 1990 bis 1995 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin jugendpolitischer Sprecher der Fraktion Bundnis 90 Die Grunen sowie verantwortlich fur die Minderheiten und Schwulenpolitik 2 In dieser Zeit studierte er Sozialpadagogik Zuletzt war er Mitbegrunder der Gay Church Berlin Er starb im April 2021 im Alter von 76 Jahren 1 Grundung von Schwule in der Kirche Arbeitskreis Homosexuelle Selbsthilfe Bearbeiten1982 grundeten Eduard Stapel Matthias Kittlitz und Christian Pulz den ersten Arbeitskreis Homosexualitat der ESG Leipzig 3 4 Der Entstehung dieser ersten offentlichen Gruppe vorausgegangen war eine ungefahr einjahrige Selbsterfahrungsgruppe zu der ausschliesslich Homosexuelle in privaten Wohnungen zusammenkamen Das erste Treffen der Gruppe fand in der Wohnung von Christian Pulz statt Angeregt von Martin Siems Buch Coming out Hilfe zur homosexuellen Emanzipation hatte er anderen Leipziger Homosexuellen vorgeschlagen eine Gruppe zur homosexuellen Selbsterfahrung zu organisieren Kurz zuvor hatte C Pulz den damaligen Theologiestudenten Eduard Stapel kennengelernt Stapel hatte sofort Interesse an der Mitarbeit in einer solchen Gruppe Zwei der in Siems Buch genannten Prinzipien waren dass sich ausschliesslich Betroffene zusammenfinden und dass es keine Hierarchie innerhalb der Gruppe gibt jeder sein eigener Chairman ist Es ging darum einen Raum zu schaffen in welchem Homosexuelle ohne heteronormative Dominanz oder Einflussnahme sich selbst definieren lernen eine Gruppe in der nicht Heterosexuelle uber Homosexuelle und ihre Sexualitat sondern Homosexuelle uber sich selbst und ihre Sexualitat sprechen Die Beteiligten haben so begonnen nach den Ursachen ihrer Angste und Schwierigkeiten im Umgang mit der eigenen Sexualitat zu fragen Das Ergebnis dieser Gruppenerfahrung war dass man beschloss nun offentlich zu werden und bei der evangelischen Kirche eine selbstbestimmte homosexuelle Gruppe zu bilden die in der DDR emanzipatorisch wirksam werden sollte Insbesondere aus dieser Selbsterfahrung von Homosexuellen nach westlichem Vorbild bekamen die Gruppen um Pulz und Stapel ihren politisch emanzipatorischen Impetus Parallel gab es eine offizielle kirchliche Tagung der Evangelischen Akademie Ost Berlin unter Leitung von Elisabeth Adler und Manfred Punge im Januar 1982 die die Grundung eines anderen Gesprachskreises 5 in Berlin anregte 6 Noch 1982 ubersiedelte Pulz nach Ost Berlin wo er 1983 eine informelle Schwulengruppe grundete und in verschiedenen Kirchgemeinden nach Raumlichkeiten fur Treffen suchte Im Fruhjahr 1983 wandte er sich auch an den Friedensarbeitskreis der Samaritergemeinde Dort wurde das Anliegen von einigen Mitgliedern unterstutzt jedoch kein eigener schwuler Arbeitskreis gegrundet Grund dafur war die Belastung durch den bereits bestehenden Friedensarbeitskreis und die Blues Messen Die Verbindung zu dieser Gemeinde blieb aber erhalten Im April 1984 fand hier das erste Mitarbeitertreffen der Schwulen und Lesbenarbeitskreise der DDR statt In Berlin organisierte Pulz am 21 Mai 1983 den ersten Christopher Street Day in der DDR An dem Treffen in der Gedenkstatte Sachsenhausen beteiligten sich 13 Personen die kurzzeitig von Mitarbeitern des Ministeriums fur Staatssicherheit behindert wurden Es war der erste bekannte Gedenkakt an die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus durch einzelne Schwule und Lesben in der DDR 7 Im Gastebuch hinterliessen sie folgenden Eintrag Wir gedachten heute der im KZ Sachsenhausen ermordeten homosexuellen Haftlinge Wir waren sehr betroffen hier nichts uber ihr Schicksal zu erfahren 1983 auf der Friedenswerkstatt der Samaritergemeinde trat die Gruppe um Pulz erstmals offentlich in Erscheinung unter dem Motto Lieber ein Warmer Bruder als ein Kalter Krieger 8 9 Hier entstand der Kontakt zu Pfarrer Walter Hykel der Philippus Kapelle in Berlin Hohenschonhausen wo noch im selben Jahr die erste Veranstaltung des Arbeitskreises stattfand Dort gab sich die Gruppe den Namen Schwule in der Kirche Arbeitskreis Homosexuelle Selbsthilfe In dieser Zeit wurde auch von Ulrich Zieger das Grundsatzpapier des Kreises Zur Schwulen Realitat in der DDR verfasst Vermittelt von Barbel Bohley und Pastorin Christa Sengespeick wandte sich der Kreis an die Bekenntnisgemeinde in Treptow 10 Die raumlichen Bedingungen dort waren gut die Gemeinde lag stadtnah und der Gemeindekirchenrat hatte die Gruppe als offiziellen Arbeitskreis der Gemeinde bestatigt Der Gemeindepastor Werner Hilse war ein engagierter Begleiter des Kreises Offentlichkeitsarbeit des Arbeitskreises BearbeitenNach den Auftritten auf den Friedenswerkstatten der evangelischen Kirche entwickelten sich Kontakte zu Gruppen in der BRD West Berlin und im westlichen Ausland Der 1983 entstandene Grundsatztext Zur Schwulen Realitat in der DDR wurde an einen Journalisten aus Kanada ubergeben und in Westdeutschland im Magazin Torso unter dem Titel Coming out im Vakuum veroffentlicht Auch in anderen Arbeitskreisen in der ganzen DDR wurde dieser Text verbreitet Das Thema dieses Textes ist die Frage nach den Ursachen der Antihomosexualitat und ihrer Verinnerlichung in den Homosexuellen selber Dabei geht es einerseits um das Spannungsverhaltnis von Homosexualitat und Antihomosexualitat andererseits um die Befreiung des Homosexuellen aus dem verinnerlichten Selbstverdammungsurteil Diese Befreiung konne moglich werden wenn der Mechanismus des eigenen Selbsthasses durchschaut wurde Dieser Mechanismus wird als ein gesellschaftliches Phanomen beschrieben Aus dieser Erkenntnis heraus leiten sich gesellschaftspolitisch relevante Theorien und Forderungen wie die Bildung von selbstbestimmten Homosexuellen Gruppen ab die in der DDR Gesellschaft von besonderer Brisanz waren da Gruppen nur durch staatliche Institutionen gebildet werden durften Von 1983 bis 1989 wurden in regelmassigen Abstanden Veranstaltungen unter der Verantwortung von Pulz in den Raumen der Bekenntnisgemeinde in der Plesserstrasse durchgefuhrt In der Regel wurden Kunstler Wissenschaftler oder Kirchenvertreter eingeladen und Referate und Diskussionen zur Thematik schwuler und lesbischer Emanzipation abgehalten Nach den Verhaftungen einiger Mitglieder der Umweltbibliothek an der Berliner Zionskirche 1987 kam es zu intensiven internen Differenzen innerhalb des Leitungskreises des Arbeitskreises Christian Pulz setzte sich dafur ein den Arbeitskreis an den Solidaritatsaktionen fur die Verhafteten zu beteiligen und den Druck auf die DDR Fuhrung zu erhohen Andere Mitglieder im Leitungskreis distanzierten sich von politischen Aktionen und betonten die Gefahr einer Verfolgung durch staatliche Behorden Insbesondere nach den Verhaftungen im folgenden Jahr wahrend der Liebknecht Luxemburg Demonstration verscharften sich die Fronten innerhalb des Arbeitskreises Das Ministerium fur Staatssicherheit setzte dazu auch gezielt Inoffizielle Mitarbeiter in der Leitung des Arbeitskreises ein um dessen offentliche Solidarisierung mit den Verhafteten zu verhindern 11 Operativer Vorgang Orion BearbeitenDie regelmassigen Zusammenkunfte und Veranstaltungen in den Raumen der Treptower Bekenntnisgemeinde wurden von Anfang an durch das Ministerium fur Staatssicherheit MfS observiert Unter dem Operativen Vorgang Orion der fur die Person Christian Pulz angelegt wurde sammelte das MfS Informationen uber die Gruppe Ziel war es belastendes Material fur den Straftatbestand eines Zusammenschlusses zur Verfolgung gesetzwidriger Ziele 218 StGB DDR in Verbindung mit landesverraterischer Nachrichtenubermittlung 99 StGB DDR zu erhalten 12 Auf Pulz wurden mehrere Inoffizielle Mitarbeiter angesetzt in seiner Wohnung wurde eine Abhoreinrichtung Massnahme B 13 eingerichtet im selben Haus eine konspirative Wohnung unterhalten und vor dem Haus ein mit Infrarottechnik ausgestatteter Barkas positioniert 14 Der Grundsatztext Zur Schwulen Realitat in der DDR wurde vom Ministerium fur Staatssicherheit als Programm und Inspirationsquelle der schwulen Gruppen wahrgenommen 15 Ende der 1980er Jahre setzte das Ministerium fur Staatssicherheit Inoffizielle Mitarbeiter in der Leitung des Arbeitskreises ein um die offentliche Solidarisierung mit der Umweltbewegung und der Friedensbewegung zu verhindern Rezeption des Arbeitskreises nach 1989 BearbeitenDie Schwulen und Lesbenbewegungen in der DDR wurden in der Forschung in den ersten 30 Jahren nach dem Ende der DDR von der wissenschaftlichen Forschung weitestgehend ignoriert Insbesondere in den bekannten Schriftenreihen der Aufarbeitungseinrichtungen wie der BStU oder den wenigen universitar angesiedelten Forschungsinstituten gab es keine fur die Forschungsarbeit weiterfuhrenden Publikationen weder in den thematisch noch in den biographisch orientierten Reihen Ebenso ist angesichts der zahlreichen Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen die es zur Thematik des politischen Widerstandes in der DDR gab auffallig dass nahezu keiner der damaligen Protagonisten offentlich in Erscheinung getreten ist Dieses Fehlen der Thematisierung ist selbst ein Anzeichen fur die noch andauernden antihomosexuellen Mechanismen die fur repressive Gesellschaftsformen charakteristisch aber keinesfalls auf die DDR Gesellschaft beschrankt sind Bezeichnend dafur ist dass die Nonkonformitat schwuler und lesbischer Emanzipation gerade in Form der selbstbestimmten Gruppenbildung von Menschen die nicht aufgrund einer speziellen Qualifizierung sondern aufgrund ihrer personlichen Betroffenheit politisch aktiv geworden sind bisher nicht als ein Kernelement politischer und widerstandiger Bewegungen unter den zusatzlich verscharfenden Bedingungen einer Diktatur zu einer grundsatzlichen Gesellschaftskritik und theorie am Beispiel der DDR geworden ist In den wesentlichen Verlagen dieser Schriftenreihen wie dem Ch Links Verlag Vandenhoeck amp Ruprecht Edition Temmen LIT Verlag oder dem Peter Lang Verlag ist bisher keine einzige wissenschaftliche Publikation zur Schwulen und Lesbenbewegung in der DDR erschienen Eduard Stapel veroffentlichte 1999 eine personliche Auseinandersetzung mit seinem Engagement in der Schwulenbewegung und den Massnahmen des Ministeriums fur Staatssicherheit 16 Auf der Berlinale 2013 erschien der Film Out in Ost Berlin von Jochen Hick und Andreas Strohfeldt Er dokumentiert das politische Wirken von Schwulen und Lesben in der DDR Eine zentrale Rolle spielen dabei die Berliner Arbeitskreise um Christian Pulz und Marina Krug Schwule in der Kirche und Lesben in der Kirche sowie Eduard Stapel Veroffentlichungen BearbeitenHomosexualitat und Antihomosexualitat als Herausforderung an die gesellschaftliche Diakonie der Kirche In H Elliger Hegermann Hrsg Bibelhilfe fur die kirchliche Jugendarbeit 1987 Berlin 1986 Das Berliner AG KJHG Anderungsvorschlage der Fraktion Bundnis 90 Grune AL UFV mit Manfred Gunther und Oliver Schruoffeneger Berlin 1994 Lieber ein Warmer Bruder als ein Kalter Krieger in Horch und Guck Heft 57 2007 27 30 Literatur BearbeitenWerner Breunig Andreas Herbst Hrsg Biografisches Handbuch der Berliner Abgeordneten 1963 1995 und Stadtverordneten 1990 1991 Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin Band 19 Landesarchiv Berlin Berlin 2016 ISBN 978 3 9803303 5 0 S 297 Christoph Links Pulz Christian In Wer war wer in der DDR 5 Ausgabe Band 2 Ch Links Berlin 2010 ISBN 978 3 86153 561 4 Weblinks BearbeitenChristian Pulz Lieber ein Warmer Bruder als ein Kalter Krieger In Horch und Guck Heft 57 2007 Robert Havemann Gesellschaft MfS Akten und Personliche Archivbestande zu Christian Pulz 1965 1987 Enrico Ippolito Doku uber Homosexualitat in DDR Raus aus den Toiletten in taz 10 November 2011 uber die Dokumentation DDR unterm Regenbogen von Jochen Hick und Andreas Strohfeld Coming out im Vakuum Fotodokumente und ein Video Interviews mit Protagonisten und Protagonistinnen der Schwulen und Lesbenbewegung in der DDR uber Christian Pulz Interview mit Christian Pulz uber die Anfange der Leipziger Gruppe und den Beginn in BerlinEinzelnachweise Bearbeiten a b mize Trauer um Christian Pulz queer de 16 April 2021 abgerufen am 18 April 2021 deutsch Abgeordnetenhaus 12 Wahlperiode Handbuch II hrsg v d Pras d Abgeordnetenhauses v Berlin Berlin 1991 Alexander Zinn Erfolgsstory aus dem Osten Uber die Wurzeln des LSVD In Respekt 01 05 April 2005 S 14 PDF 1 7 MB Interview mit dem damaligen Studentenpfarrer der ESG Dieter Ziebarth vom 1 Oktober 2021 https www youtube com watch v d44nW6XSHTU Interview mit Volker Gasser zur Entstehung des Gesprachskreises Homosexualitat Markus Loffler Der Aufbruch von Lesben und Schwulen in der Landeskirche Sachsens in den 80er Jahren Abgerufen am 2 Oktober 2019 deutsch BStU MfS HA XX 9962 Bl 188a 188b HA XX 12398 Bl 35 vgl auch Bl 34 zum Tragen des Rosa Winkel in der Offentlichkeit als Zeichen des homosexuellen Widerstandes Linke Dietmar Streicheln bis der Maulkorb fertig ist Berlin 1993 Abb auf S 73 Horch und Guck Heft 57 2007 Themenschwerpunkt Friedenswerkstatt in Ost Berlin Memento vom 4 Marz 2016 im Internet Archive Friedliche Revolution 1989 1990 Revolutionsstelen in Berlin BStU MfS AIM 16471 91 Teil II Bd 1 Bl 182f 273 MfS HA XX 5193 Bl 27f u v a BStU MfS HA XX 5190 Bl 44 vgl Engelmann u a Das MfS Lexikon 2 durchges u erw Aufl Berlin 2012 29f BStU MfS HA XX 5190 Bl 54f 61f 66 78 86f 111 113 u v a BStU MfS HA XX 5190 Bl 31 Eduard Stapel Warme Bruder gegen Kalte Krieger Schwulenbewegung in der DDR im Visier der Staatssicherheit Betroffene erinnern sich Bd 10 hrsg von der LStU Sachsen Anhalt Magdeburg 1999 online als gezipptes PDF 1 5 MB auf der Internetprasenz der LStU Sachsen Anhalt Normdaten Person GND 1234736543 lobid OGND AKS VIAF 4028162301486720270009 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Pulz ChristianKURZBESCHREIBUNG deutscher LGBT Aktivist und Politiker Bundnis 90 Die Grunen GEBURTSDATUM 14 Dezember 1944GEBURTSORT PlauenSTERBEDATUM 15 April 2021 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Christian Pulz amp oldid 217430986