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Der Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus umfasst 14 erfundene pseudepigraphische Briefe des romischen Philosophen und Dichters Seneca und des Apostels Paulus Die acht Schreiben unter Senecas Namen und sechs unter dem Namen des Apostels sollen die Freundschaft zwischen den beiden Autoren belegen Der Briefwechsel stammt aus dem 4 Jahrhundert wurde aber jahrhundertelang als echt angesehen bis zu Beginn des 15 Jahrhunderts von humanistischen Philologen Zweifel geaussert wurden Lorenzo Valla Celio Secondo Curione Justus Lipsius Erasmus von Rotterdam versetzte der Fiktion mit seiner Kritik und dank seiner Autoritat den Todesstoss Die Korrespondenz ist in stilistisch bescheidenem nachklassischem Latein verfasst und inhaltlich als durftig zu bezeichnen Links Briefschreibender Apostel Paulus 9 Jahrhundert rechts Seneca zwischen den beruhmten griechischen Philosophen Platon und Aristoteles 14 Jahrhundert Inhaltsverzeichnis 1 Verfasser Datierung Stil 2 Inhalt 3 Primarfunktion der Fiktion 4 Absicht der Fiktion 5 Wirkungsgeschichte 6 Literatur 6 1 Textausgaben 6 2 Sekundarliteratur 7 EinzelnachweiseVerfasser Datierung Stil BearbeitenDer Briefwechsel wurde von einem unbekannten Autor im 4 Jahrhundert vor 392 93 also vor seiner Erwahnung bei Hieronymus angefertigt 1 Wahrscheinlich wurde er nach 325 geschrieben was man aus dem Schweigen des Kirchenvaters und Seneca Liebhabers Lactantius zu diesem Briefwechsel schliessen kann 2 Erasmus urteilte nach Anfuhrung einiger Grunde uber diese schlecht gemachte Falschung Schamlose Narretei ist es Seneca so reden zu lassen Gotteslasterung ist es Paulus so reden zu lassen 3 Der Philologe und Theologe Alfons Furst kommt 2006 zu einem vergleichbaren Schluss Sprache und Stil samtlicher Briefe bewegen sich auf einem erbarmlichen Niveau Die Unbeholfenheit des Verfassers zeige sich in fehlerhaften Bezugen und inhaltlichen Unstimmigkeiten 4 Inhalt BearbeitenDer Briefwechsel enthalt nur Spuren senecanischer Philosophie und paulinischer Theologie Alfons Furst bezeichnet den Briefwechsel als ausgesprochen nichtssagenden Text 5 Schon Erasmus beklagte sich uber die Durre und Albernheit der Gedanken 6 Brief I Seneca Bericht uber ein zufalliges Zusammentreffens Senecas und Lucilius mit einigen Christen in den Garten des Sallust wo die Lesung eines Paulusbriefes stattgefunden habe Lob dieses Briefes wegen seiner wunderbaren Anleitung zu einer moralisch einwandfreien Lebensfuhrung und des wohl gottlichen Ursprungs der Gedanken Brief II Paulus Ehrbezeugungen und Bezeugung der Verbundenheit Brief III Seneca Benachrichtigung uber den Plan einige kurzlich von Seneca verfasste Schriften dem Kaiser Nero vorzutragen eventuell in der Gegenwart des Paulus ansonsten aber nur nachdem Paulus sie mit dem Freund zusammen durchgesehen und besprochen habe Brief IV Paulus Bezeugung inniger freundschaftlicher Verbundenheit Brief V Seneca Sorgen wegen Paulus langeren Fernbleibens vermuteter Grund dessen Angst vor der Emporung der Kaiserin Poppaea Sabina wegen seiner Bekehrung zum christlichen Glauben Brief VI Paulus Beschreibung und Begrundung des vorsichtigen missionarischen Vorgehens Gedankenaustausch uber den Glauben und die Haltung des Kaiserpaares solle nicht schriftlich erfolgen Brief VII Seneca Lob der Paulusbriefe an die Galater und Korinther deren Lekture mir gut getan hat da der Heilige Geist aus Paulus spreche solle er auch die sprachliche Form entsprechend pflegen Nero sei von den Gedanken des Paulus beeindruckt und erstaunt wie einer der die regulare Schulbildung nicht besitzt solche Gedanken haben konne Ich gab ihm zur Antwort die Gotter pflegten durch den Mund einfacher Leute zu sprechen Brief VIII Paulus Kritik an der Weitergabe seiner Gedanken bzw Briefe am Hof Bitte dies kunftig zu unterlassen Man muss sich namlich huten den Groll der Kaiserin zu erregen Brief IX Seneca Beantwortung der Kritik Seneca lenkt ein Zusendung eines Buches Uber den reichen Wortschatz vgl Brief VII Ermahnung zur Pflege eines besseren Stils Brief X Paulus Eingestandnis des schwerwiegenden Fehlers gravis res den eigenen Namen wie allgemein ublich an zweiter Stelle des Briefes anstatt ganz am Schluss zu nennen ohne dies aber im Brief zu korrigieren Brief XI Seneca Ausdruck der Trauer uber die Verachtung Verleumdung und Verfolgung der Christen Aufruf zum gleichmutigen Ertragen schlechter Herrscher die die gottliche Strafe zu tragen haben werden Die Brande in Rom wurden von den Herrschenden verursacht nicht von Christen oder Juden die dafur bestraft werden Der Brand 64 n Chr habe innert sechs Tagen 132 Palaste und 4 000 Wohnhauser vernichtet Brief XII Seneca Ehrbezeugungen Bezeugung inniger freundschaftlicher Verbundenheit Paulus solle zumal als romischer Burger seinen Namen getrost an den Anfang der Briefe stellen vgl Brief X Brief XIII Seneca Ermahnung zur Verbesserung des sprachlichen Ausdrucks Paulus solle auf korrektes Latein achten vgl Brief VII Brief XIV Paulus In Senecas Gedanken seien Dinge offenbart worden die die Gottheit nur wenigen gewahrt hat Ausdruck der Hoffnung dass Seneca ein fruchtbarer Boden sei und am kaiserlichen Hof dereinst zu einem neuen Verkunder Christi Jesu werde Das Wort Gottes als Leben spendendes Gut das einen neuen Menschen zeugt der zu Gott strebt Die Abfolge der letzten vier Briefe ist unsicher Folgt man ihrer eigenen Datierung wird die inhaltliche Logik Ausserung und Antwort gestort 7 Primarfunktion der Fiktion BearbeitenZwei Thesen wurden und werden vertreten 1 Seneca als Christen erweisenNach Erasmus wollte der unbekannte Verfasser Seneca als Christ hinstellen Brief 2092 1515 Diese These tauchte schon im 14 Jahrhundert mehrfach auf sie lasst sich aber durch die Texte nicht stutzen Vielmehr unterscheidet der Autor zwischen deiner Lebensform Brief I und meiner Religion Brief X er lasst Seneca von den Christen reden ohne sich einzuschliessen indem er von eurer Unschuld euch und ihr spricht Brief XI 2 Die Freundschaft von Seneca und Paulus dokumentierenIn den Briefen reden sich die beiden des Oftern mit liebster Seneca bzw liebster Paulus an Ave mi Paule carissime Brief XII oder auch mit dem freundschaftlichen Bruder Die Briefpartner machen sich gegenseitig hoflich Komplimente drucken ihre Wertschatzung aus entschuldigen sich fur verzogertes Beantworten von Briefen zum Teil mit Hinweis auf das Fehlen eines geeigneten Briefboten Briefe II VI und sie drucken ihre Sehnsucht aus beisammen sein zu konnen Briefe I III IV V Damit folgen sie den Spielregeln solcher spatantiker Korrespondenzen Absicht der Fiktion BearbeitenZur Diskussion stehen drei Absichten fur die Anfertigung der fiktiven Freundschafts Korrespondenz 8 1 Weit verbreitet ist die auf Theodor Zahn und Adolf von Harnack zuruckgehende These Paulus und seine Schriften bzw die Bibel allgemein sollten gebildeten Neubekehrten zur Lekture empfohlen werden Dagegen spricht aber dass Senecas Ansehen im 4 Jahrhundert auf einen Tiefpunkt gesunken war und seine Philosophie keine Rolle mehr spielte 9 2 Die Gegenthese lautet Paulus sollte diskreditiert werden indem man ihn mit Seneca sowie dem Christenverfolger Nero und dessen beruchtigten Frau Poppaea Sabina in Verbindung brachte E Westerburg 1881 Dagegen spricht dass der Briefwechsel dazu in zwei Gruppen aufgeteilt werden muss 10 Diese These fand keine Nachfolger 3 Die Werke Senecas sollten christlichen Lesern empfohlen werden 11 Diese Annahme berucksichtigt den ganzen Briefwechsel Dazu passt auch die Aussage im letzten Brief XIV wo Seneca bezeugt wird ihm seien von Gott seltene Offenbarungen zuteilgeworden und er sei schon fast propemodum zur gottlichen Weisheit gelangt Der Briefwechsel wurde vielen Seneca Ausgaben des Mittelalters vorangestellt wonach er also zumindest in spaterer Zeit eine Leseempfehlung darstellte Lediglich die schlechte Qualitat des Briefwechsels wirft die Frage auf ob er das nach Absicht des Autors leisten sollte Wirkungsgeschichte BearbeitenDie Kirchenvater Tertullian Laktanz und Hieronymus brachten Seneca grosse Wertschatzung entgegen Da Hieronymus den Briefwechsel kannte und anscheinend von der Freundschaft mit Paulus beeindruckt war nahm er den heidnischen Philosophen sogar in sein Verzeichnis der Heiligen auf De viris illustribus 12 Augustinus kannte die Briefe ebenfalls und konnte Seneca zustimmend zitieren mit Verweis auf ebendiesen Kontakt mit dem Apostel Epistula 153 14 413 14 n Chr 12 Damit war fur die nachfolgenden Jahrhunderte die enge Beziehung Senecas zu Paulus und seine Nahe zum Christentum erwiesen Der Briefwechsel war fester Bestandteil in der Uberlieferung der Werke Senecas ab dem 9 Jahrhundert Er wurde aber auch gesondert oder mit anderen Schriften zusammen herausgegeben zum Beispiel um 795 von Alkuin dem Berater Karls des Grossen Senecas Philosophie wurde in die Nahe des Christentums geruckt Ergebung in den gottlichen Willen Gewissenserforschung und Mitmenschlichkeit Auch den Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin galt Seneca noch als Autoritat In jungerer Zeit ging der exzentrische 13 Tubinger Althistoriker und Theologe 14 Helmut Waldmann 1935 von der Echtheit des Briefwechsels aus und nutzte ihn als Stutze fur seine These einer judischen Herkunft der Kaiserin Poppaea Sabina die er fur ein fruh zum Christentum konvertiertes Mitglied der Konigsdynastie Davids halt 15 Literatur BearbeitenTextausgaben Bearbeiten Franz Xaver Kraus Der Briefwechsel Pauli mit Seneca Ein Beitrag zur Apokryphen Litteratur In Theologische Quartalschrift Nummer 49 1867 S 603 624 Digitalisat Der apokryphe Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus Zusammen mit dem Brief des Mordechai an Alexander und dem Brief des Annaeus Seneca uber Hochmut und Gotterbilder eingeleitet ubersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von Alfons Furst Therese Fuhrer Folker Siegert und Peter Walter Scripta Antiquitatis Posterioris ad Ethicam Religionemque pertinentia Band 11 Mohr Siebeck Tubingen 2006 ISBN 3 16 149130 0 PDF im Open Access Sekundarliteratur Bearbeiten Robert McLachlan Wilson Art Apokryphen II In Theologische Realenzyklopadie Band 3 1978 S 349 Alfons Furst Pseudepigraphie und Apostolizitat im apokryphen Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus In Jahrbuch fur Antike und Christentum Band 41 1998 S 77 117 Einzelnachweise Bearbeiten Alfons Furst in R Feldmeier et al Hrsg Der apokryphe Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus Tubingen 2006 S 6 Robert McLachlan Wilson Apokryphen II In Theologische Realenzyklopadie Band 3 S 349 Erasmus von Rotterdam Lucii Annaei Senecae Opera Basel 1515 2 Aufl 1529 Alfons Furst In Der apokryphe Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus S 9 Alfons Furst in Der apokryphe Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus S VII Erasmus von Rotterdam Lucii Annaei Senecae Opera Basel 1515 2 Aufl 1529 Alfons Furst in Der apokryphe Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus S 22 Naheres bei Alfons Furst 1998 S 94 111 Alfons Furst in Der apokryphe Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus S 17 Alfons Furst in Der apokryphe Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus S 17 18 So z B F X Kraus S 608 Robert McLachlan Wilson Apokryphen II In Theologische Realenzyklopadie Band 3 S 349 Melanie Malzahn Rezension zu Pesditschek Martina Barbar Kreter Arier Leben und Werk des Althistorikers Fritz Schachermeyr Band 1 Saarbucken 2009 Pesditschek Martina Barbar Kreter Arier Leben und Werk des Althistorikers Fritz Schachermeyr Band 2 Saarbucken 2009 In H Soz Kult 5 Januar 2011 Gregor Ahn Helmut Waldmann Der kommagenische Mazdaismus Tubingen Wasmuth 1991 In Gnomon 66 1994 Heft 2 S 134 140 hier S 134 Helmut Waldmann Petrus und die Kirche Wissenschaftliche Reihe der Tubinger Gesellschaft Band 7 Verlag der Tubinger Gesellschaft Tubingen 1999 ISBN 3 928096 09 5 S 147 f Digitalisat Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus amp oldid 222210254