www.wikidata.de-de.nina.az
Pseudorotation ist ein Phanomen das in der Stereochemie auftritt und den schnellen Wechsel der Positionen von Atomen oder atomaren Baugruppen in Molekulen und Komplexverbindungen beschreibt Durch die Pseudorotation entstehen kurzzeitig Konformationsisomere einer Verbindung das heisst die raumliche Anordnung der Atome zueinander andert sich ohne dass chemische Bindungen zwischen den Atomen gelost und neu gebildet werden Pseudorotationen erfolgen so schnell dass Messgerate wie NMR Spektrometer den Wechsel der Atompositionen nicht erfassen und nur eine zeitlich gemittelte Struktur der Verbindung wiedergeben konnen Die Pseudorotation zahlt zu den sogenannten intramolekularen Vorgangen Der Begriff wurde im Jahr 1947 von den US amerikanischen Physikochemikern John E Kilpatrick Kenneth S Pitzer und Ralph Spitzer gepragt die eine Untersuchung uber die Thermodynamik und Molekulstruktur des Kohlenwasserstoffs Cyclopentan vorlegten 1 Inhaltsverzeichnis 1 Rotation und Pseudorotation 2 Acyclische Verbindungen aus der Anorganischen Chemie 2 1 Berry Pseudorotation 2 1 1 Trigonal bipyramidale Molekule am Beispiel von PF5 2 1 2 Mechanismus der Berry Pseudorotation 2 2 Inverse Berry Pseudorotation 3 Weitere Pseudorotationsmechanismen 4 Literatur und Quellen 5 Einzelnachweise 6 WeblinksRotation und Pseudorotation BearbeitenVor der Entwicklung quantenmechanischer Theorien zur Chemischen Bindung und Molekulstruktur wurde der dreidimensionale Bau von organischen Molekulen durch Modelle anschaulich gemacht Einfachbindungen wurden durch Stabchen dargestellt die Atome durch Kugeln welche mit den Stabchen verbunden wurden Heutige Modelle verwenden an Stelle der Kugeln im Fall von Kohlenstoffatomen Metall oder Plastik Bausteine welche die idealen Valenzwinkel 109 28 tetraedrisch 120 trigonal 180 diagonal vorgeben nbsp Prinzip eines Molekulmodells aus Kugeln und Stabchen Die schwarzen Kugeln symbolisieren Kohlenstoffatome die blauen stehen fur andere Atome Heteroatome oder Wasserstoff Letzteres gilt fur Ethan Die Kugel Stab Modelle konnten zu der Ansicht verfuhren dass Teile eines Molekuls um C C Einfachbindungen frei gedreht werden konnten Freie Drehbarkeit Das einfachste Beispiel war der Kohlenwasserstoff Ethan Die beiden Methylgruppen lassen sich im Modell gegeneinander drehen nbsp Der Begriff der Drehung Rotation ist zwar anschaulich weil er auf einem einfachen Modell basiert aber mathematisch physikalisch gesehen andern sich durch Schwingungen die internen Koordinaten der Atome aus denen das Molekul aufgebaut ist Es zeigte sich jedoch dass fur die Rotation im Ethan Molekul Energie aufgewendet werden muss und eine Energie Barriere zu uberwinden ist Verglichen mit der Bindungsenergie der C C Bindung ist die fur die Rotation notige Energie sehr klein Bei kleineren Cycloalkanen ist wie man an Kugel Stab Modellen erkennt eine Rotation um C C Einfachbindungen nicht moglich ohne diese Bindung aufzubrechen d h mindestens den Betrag der Bindungsenergie zuzufuhren Aber Schwingungen d h Veranderung der internen Atomkoordinaten sind noch moglich Die Studien am Cyclopentan fuhrten Pitzer und Mitarbeiter zu der Auffassung dass das Molekul sich faltet oder krauselt englisch puckering So kann eines der funf C Atome aus der gedachten Ebene eines regelmassigen Funfecks herausschwingen durch das Molekul lauft eine Art Wellenbewegung Diesen Vorgang nannten die Forscher Pseudorotation nbsp Ein Pseudorotationsmodus beim Cyclopentan Das dunkelblau markierte Kohlenstoffatom bewegt sich uber oder unter die Ebene Der Atomverband weist zu jeder Zeit Spiegelsymmetrie Cs auf Ein weiterer Modus der Pseudorotation entsteht dadurch dass sich zwei CH2 Gruppen relativ zu den anderen verdrehen englisch twist Dabei zeigt der Atomverband zu jeder Zeit C2 Symmetrie d h eine zweizahlige Drehachse Bildlich ist dieser Vorgang schwieriger darzustellen Pseudorotation zeigen auch die Molekule von Cycloalkanen mit Ringgrossen gt 5 doch sind die Verhaltnisse komplizierter und in einfachen Bildern nicht leicht zu zeigen Pitzer erkannte auch worauf die Pseudorotation beim Cyclopentan und die Barriere der Rotation beim Ethan beruht Die Natur vermeidet Drehwinkel Torsionswinkel von Null Grad energetisch ungunstige sogenannte ekliptische Wechselwirkungen benachbarter vicinaler C H Bindungen Molekule mit ekliptischen Wechselwirkungen von C H und auch C C Bindungen stehen unter Torsionsspannung welche nach dem Entdecker auch Pitzer Spannung genannt wird Im Falle des Cyclopentans wurden waren die funf C Atome in einer Ebene angeordnet alle benachbarten C H Bindungen einen Winkel von 0 bilden also in ekliptischer Stellung sein Dies ware das Maximum der potentiellen Energie durch Pseudorotation wird eine energetisch gunstigere Anordnung erreicht Die gunstigste Anordnung sind zwei Konformationen welche Spiegelsymmetrie Cs und C2 Symmetrie zweizahlige Drehachse aufweisen Briefumschlag und Halbsessel Form nbsp nbsp Zu Pseudorotationen weiterer cyclischer organischer Verbindungen siehe die Artikel uber die einzelnen Kohlenwasserstoffe Acyclische Verbindungen aus der Anorganischen Chemie BearbeitenDer bekannteste und energetisch gunstigste Pseudorotations Mechanismus wurde von dem amerikanischen Chemiker R Stephen Berry Berry Pseudorotation fur Molekule mit trigonal bipyramidalem Aufbau am Beispiel von Phosphorpentafluorid PF5 beschrieben 2 Berry Pseudorotation Bearbeiten Trigonal bipyramidale Molekule am Beispiel von PF5 Bearbeiten nbsp Trigonal bipyramidales Molekul Phosphorpentafluorid PF5Die Berry Pseudorotation findet in Molekulen mit trigonal bipyramidalem Aufbau statt das zentrale Atom weist dabei eine Koordinationszahl von funf auf Wahrend bei Koordinationszahlen von vier Tetraeder oder sechs Oktaeder alle Atome den gleichen Abstand zum zentralen Teilchen einnehmen konnen gibt es bei einer trigonalen Bipyramide zwei verschiedene Abstande Drei der funf Atome liegen dabei in der dreieckigen Grundflache der Bipyramide aquatoriale Position und haben einen kurzeren Abstand zum Zentralatom als die zwei Atome an den Spitzen der Bipyramide axiale oder apikale Position In Molekulen der Form AX5 wie zum Beispiel das rechts dargestellte PF5 mussten sich daher drei Atome der Sorte X von den anderen zwei unterscheiden lassen die Koordinationszahl funf kann genauer als 3 2 beschrieben werden Bereits 1953 entdeckte der amerikanische Chemiker Herbert S Gutowsky bei Untersuchungen von PF5 mit Hilfe der 19F NMR Spektroskopie dass anstatt der erwarteten zwei Signale fur die Fluoratome nur ein einziges in den Spektren beobachtet werden kann 3 Mechanismus der Berry Pseudorotation Bearbeiten In einem Molekul befinden sich die Atome nicht vollig starr an einer bestimmten Position sondern fuhren in Abhangigkeit von der Umgebungstemperatur Schwingungen aus Diese sogenannten Deformationsschwingungen fuhren zu periodischen Anderungen von Bindungslangen und Bindungswinkeln Als Folge dieser Deformationsschwingungen bewegen sich bei der Berry Pseudorotation die beiden Atome in apikaler Position im Beispiel unten Nr 4 und 5 aufeinander zu der Bindungswinkel 4 Zentralatom 5 wird von 180 auf 120 verkleinert und die Bindungslangen verkurzen sich wahrend zwei aquatoriale Atome sich voneinander wegbewegen der Bindungswinkel wird hier von 120 auf 180 aufgeweitet und der Abstand zum Zentralteilchen vergrossert sich im Beispiel unten Nr 1 und 2 Das verbleibende Atom in aquatorialer Position im Beispiel Nr 3 ist dabei der Angelpunkt Fixpunkt die anderen vier Atome bewegen sich relativ zu seiner Position Wahrend des Wechsels der Positionen wird ein Ubergangszustand erreicht bei dem die vier sich bewegenden Atome die Grundflache einer quadratischen Pyramide bilden mit dem Angelpunkt als Pyramidenspitze Am Ende der Pseudorotation folgt wieder der Grundzustand in Form einer trigonalen Bipyramide wobei die ehemals apikalen Atome jetzt in aquatorialer Position zu finden sind und umgekehrt Da jedes Atom in aquatorialer Position als Angelpunkt fur die Pseudorotation dienen kann besetzen nacheinander samtliche Atome sowohl aquatoriale als auch apikale Positionen Der Energiebedarf fur den Ubergang in den quadratisch pyramidalen Zustand liegt bei der Berry Pseudorotation fur PF5 bei ca 15 kJ mol 4 nbsp Berry Pseudorotation in Phosphorpentafluorid PF5 Der Fixpunkt ist in diesem Beispiel Atom 3 Die anfangs apikalen Atome 4 und 5 wandern in eine aquatoriale Position wahrend die Atome 1 und 2 am Ende die apikalen Positionen einer trigonalen Bipyramide besetzen Als Ubergangsform nimmt das Molekul die Gestalt einer quadratischen Pyramide an Die Bewegungsrichtungen der Atome sind mit blauen Pfeilen angedeutet die Grundflachen der Pyramiden sind jeweils rot gestrichelt hervorgehoben Da die Pseudorotation sehr schnell ablauft Pseudorotationsfrequenzen bei Standardbedingungen ca 105 s 1 fur PF5 und ca 102 s 1 fur Phosphorpentachlorid PCl5 kann sie von einem NMR Spektrometer nicht aufgelost werden und lediglich eine zeitlich gemittelte Struktur mit nur einem Signal fur alle funf Atome kann in den Spektren beobachtet werden Dadurch erscheinen die funf Atome so als waren sie gleichartig mit dem Zentralatom verbunden obwohl sie in Wirklichkeit in einer schnell fluktuierenden trigonalen Bipyramide angeordnet sind Die Berry Pseudorotation kann bei einigen Molekulen und Komplexen mit trigonal bipyramidalem Aufbau beobachtet werden Neben PF5 und PCl5 zahlen hierzu auch Fe PF3 5 Fe CO 5 und SbMe5 Inverse Berry Pseudorotation Bearbeiten nbsp Quadratisch pyramidales Molekul Iodpentafluorid IF5In Molekulen die in ihrer Grundform als quadratische Pyramiden aufgebaut sind kann eine Art inverse Berry Pseudorotation beobachtet werden Bei Iodpentafluorid IF5 beispielsweise pendelt ein Fluoratompaar in der Art einer sich offnenden und schliessenden Schere permanent vor und zuruck und versetzt das gesamte Molekul in Schwingung Wegen dieser durch die Pendelbewegung verursachten Schwingung bewegen sich dabei im Gegensatz zur normalen Berry Pseudorotation alle Fluoratome mit und es entsteht aus der quadratischen Pyramide kurzfristig eine trigonale Bipyramide Bei dieser inversen Berry Pseudorotation sind der Grund und Ubergangszustand somit vertauscht Allerdings beinhaltet diese Pseudorotation neben dem Berry Mechanismus auch Bewegungsmuster der unten beschriebenen Lever und Turnstile Mechanismen und kann daher nicht als reine Umkehrung der Berry Pseudorotation angesehen werden Weitere Pseudorotationsmechanismen BearbeitenNeben der Berry Pseudorotation existieren weitere Mechanismen die mogliche Wechsel von Atompositionen in Molekulen erklaren Der Lever Mechanismus engl lever Hebel beschreibt eine mogliche Pseudorotation von Fluoratomen in Schwefeltetrafluorid SF4 und Chlortrifluorid ClF3 Beide Molekule haben unter Berucksichtigung von freien Elektronenpaaren ebenfalls einen trigonal bipyramidalen Aufbau wobei im Fall von SF4 eine aquatoriale Position durch das freie Elektronenpaar des Schwefels besetzt ist in ClF3 nehmen die zwei freien Elektronenpaare des Chlors aquatoriale Positionen ein siehe auch VSEPR Modell Die Pseudorotation wird dabei durch ein Fluoratom verursacht das eine Bewegung ahnlich einem vor und zuruckgelegten Hebel ausfuhrt und dadurch die restlichen Fluoratome ebenfalls in Schwingung versetzt Die Pseudorotation wird ausschliesslich durch die Fluoratome ausgefuhrt da freie Elektronenpaare aufgrund ihres erhohten Platzbedarfs immer aquatoriale Positionen bevorzugen Im Fall von SF4 kann auch eine Berry Pseudorotation mit dem freien Elektronenpaar als Angelpunkt erfolgen Als gemittelte Struktur ergibt sich fur SF4 ohne Berucksichtigung des freien Elektronenpaars die Gestalt eines Disphenoids ein gestrecktes Tetraeder Der Energiebedarf fur die Ausfuhrung des Lever Mechanismus liegt um ca 42 kJ mol hoher als bei der Berry Pseudorotation 4 Bei ClF3 ist durch die zwei freien Elektronenpaare nur der Lever Mechanismus moglich Das T formige Molekul ohne Berucksichtigung des freien Elektronenpaare nimmt dabei als Ubergangsform eine trigonal planare Gestalt an Fur oktaedrisch aufgebaute Molekule existieren Berechnungen zum Energiebedarf des Wechsels von Chloratomen in Cis trans Isomeren der hypothetischen Verbindung Schwefeldichloridtetrafluorid SCl2F4 Der Wechsel der Chloratome von einer cis in eine transstandige Anordnung wurde ca 272 kJ mol benotigen 4 Die Bewegung wurde von zwei Fluoratomen entgegen dem Uhrzeigersinn bei gleichzeitiger Rotation der anderen beiden im Uhrzeigersinn hervorgerufen werden Diese Art der Pseudorotation wird als Turnstile Mechanismus bezeichnet Der Bartell Mechanismus ist eine Pseudorotation ahnlich dem Berry Mechanismus und wurde erstmals an Iodheptafluorid IF7 mit pentagonal pyramidaler Molekulgestalt beschrieben 5 Hier erfolgt ebenfalls ein paarweiser Austausch von apikalen und aquatorialen Fluoratomen in der pentagonalen Bipyramide Der Mechanismus weist dabei Charakteristiken der Berry Lever und Turnstile Pseudorotation auf Literatur und Quellen BearbeitenM Binnewies M Jackel H Willner G Rayner Canham Allgemeine und Anorganische Chemie 1 Aufl Spektrum Heidelberg 2004 ISBN 978 3 82 740208 0 S 488 M E Cass K K Hii H S Rzepa Mechanisms that Interchange Axial and Equatorial Atoms in Fluxional processes Illustration of the Berry Pseudorotation the Turnstile and the Lever Mechanisms via animation of transition state normal vibrational modes In Journal of Chemical Education Online Bd 83 Nr 2 2006 S 336 A F Holleman E Wiberg N Wiberg Lehrbuch der Anorganischen Chemie 102 Auflage Walter de Gruyter Berlin 2007 ISBN 978 3 11 017770 1 S 782 R R Holmes Structure of Cyclic Pentacoordinated Molecules of Main Group Elements In Phosphorus Sulfur and Silicon and the Related Elements Bd 98 Nr 1 4 1995 S 205 221 J E Huheey E Keiter R L Keiter Anorganische Chemie Prinzipien von Struktur und Reaktivitat 3 Aufl de Gruyter Berlin 2004 ISBN 978 3 11 017903 3 S 275 ff R Luckenbach Dynamic Stereochemistry of Pentacoordinated Phosphorus and Related Elements 1 Aufl Thieme Stuttgart 1973 ISBN 3 13 456801 2 I Ugi D Marquarding H Klusacek P Gillespie Berry Pseudorotation and Turnstile Rotation In Accounts of Chemical Research Bd 4 Nr 8 1971 S 288 296 Einzelnachweise Bearbeiten John E Kilpatrick Kenneth S Pitzer Ralph Spitzer The Thermodynamics and Molecular Structure of Cyclopentane Journal of the American Chemical Society 69 2483 2488 1947 doi 10 1021 ja01202a069 R S Berry Correlation of Rates of Intramolecular Tunneling Processes with Application to Some Group V Compounds In Journal of Chemical Physics Bd 32 Nr 3 1960 32 S 933 938 H S Gutowsky D W McCall C P Slichter Nuclear Magnetic Resonance Multiplets in Liquids In Journal of Chemical Physics Bd 21 Nr 2 1953 S 279 292 a b c M E Cass K K Hii H S Rzepa Mechanisms that Interchange Axial and Equatorial Atoms in Fluxional processes Illustration of the Berry Pseudorotation the Turnstile and the Lever Mechanisms via animation of transition state normal vibrational modes In Journal of Chemical Education Online Bd 83 Nr 2 2006 S 336 W J Adams H Bradford Thompson L S Bartell Structure Pseudorotation and Vibrational Mode Coupling in IF7 An Electron Diffraction Study In Journal of Chemical Physics Bd 53 Nr 10 1970 S 4040 4046 Weblinks BearbeitenOnlineversion von Mechanisms that Interchange Axial and Equatorial Atoms in Fluxional processes mit anschaulichen Animationen verschiedener Pseudorotationsarten englisch Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Pseudorotation amp oldid 213430714