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Unter Aleatorik von lateinisch aleatorius zum Spieler gehorig alea Wurfel Risiko Zufall wird in Musik Kunst und Literatur im weitesten Sinne die Verwendung von nicht systematischen Operationen verstanden die zu einem unvorhersehbaren weitgehend zufalligen Ergebnis fuhren Aleatorisch steht fur wurflerisch vom Zufall abhangig 1 In der Musik wo die Aleatorik als weitgehend auf Zufalligkeit beruhende Kompositionstechnik nach 1950 entstand konnen diese Zufallsoperationen sowohl auf der Ebene der Komposition als auch auf der als deren Fortsetzung aufgefassten Ebene der Interpretation angewendet werden und zum Beispiel die Art und Anzahl der Instrumente die Dauer des Stuckes die Reihenfolge einzelner Abschnitte oder das Tempo betreffen Inhaltsverzeichnis 1 Begriffsgeschichte 2 John Cage 3 Notation 4 Sonstiges 5 Literatur 6 Siehe auch 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseBegriffsgeschichte BearbeitenDas Adjektiv aleatorisch wurde in musikalischem Zusammenhang erstmals 1954 von Werner Meyer Eppler gebraucht der den Ausdruck als statistischen Terminus verwendete Ein Signal heisse aleatorisch wenn sein Verlauf im groben festliegt und durch mittelwertbeschreibende statistische Parameter bestimmt ist im einzelnen aber vom Zufall abhangt 2 Meyer Eppler gebraucht den Begriff aleatorisch vor allem im Zusammenhang mit schwingungstechnischen Vorgangen deren elektroakustisch kompositionstechnische Verwendung er beschreibt so spricht er zum Beispiel von der aleatorischen Modulation Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen griffen den Terminus aleatorisch auf und verwendeten ihn bei den Darmstadter Ferienkursen 1957 Boulez ubertrug den Begriff auf den Bereich der musikalischen Form und erlauterte in seinem Darmstadter Vortrag Alea 1957 die Moglichkeiten den Zufall als kompositorisches Mittel in Komposition und Interpretation mitwirken zu lassen Boulez strebte eine musikalische Entwicklung an die in verschiedenen Stadien auf unterschiedlichen Ebenen der Komposition Chancen eintreten lasst Das Ergebnis sei dann eine Aneinanderreihung von aleatorischen Ereignissen innerhalb einer gewissen Dauer welche selbst unbestimmt bliebe 3 Zwar wird dem Zufall oder dem Interpreten somit ein gewisser Spielraum gelassen die Autorschaft des Komponisten steht jedoch ausser Frage da alle zugelassenen Moglichkeiten kompositorisch kontrolliert sind und somit der Zufall absorbiert 3 wird Das Werk muss eine gewisse Anzahl moglicher Fahrbahnen bieten und zwar vermittels sehr praziser Vorkehrungen wobei der Zufall die Rolle einer Weichenstellung spielt die im letzten Augenblick eintritt 4 Das Substantiv Aleatorik fiel erstmals im Zusammenhang mit Stockhausens Klavierstuck XI 1956 dessen Teile in zufalliger Reihenfolge erklingen sollen wobei Tempo Lautstarke und Anschlagsform jeweils am Ende des vorangegangenen Teiles vorgeschrieben sind Hilmar Schatz schrieb 1957 uber das Klavierstuck XI Dieses improvisiert wirkende sich scheinbar zufallig ergebende Interpretationsmoment ist in Wirklichkeit gesteuerter kontrollierter Zufall in der Fachsprache Aleatorik genannt 5 Diese spezielle Art der Formgebung wird auch als Offene Form bezeichnet Stockhausen verstand die Aleatorik nicht als einen auf das Musikalische begrenzten Begriff sondern vielmehr als ein allgemeines Prinzip das in verschiedenen Bereichen eine Rolle spielen kann John Cage BearbeitenEin Beispiel fur einen Experten aleatorischer Werke war John Cage der seit den 1950er Jahren Zufallsoperationen in seinen Kompositionen einsetzte Ein fruhes Beispiel ist das Concerto for Prepared Piano and Chamber Orchestra 1951 dessen Orchesterstimmen unter anderem auf Losentscheidungen durch das chinesische Orakelbuch I Ching und auf Munzwurfen beruhen Weitere Zufallsmethoden die Cage in anderen Kompositionen verwendete richten sich zum Beispiel auf die Beschaffenheit des gerade verwendeten Papiers astronomische Atlanten mathematische Verfahren und die Arbeit mit dem Computer Ausgangspunkt fur diese Zufallsoperationen ist Cages Vorstellung von Musik die er beeinflusst durch den Zen Buddhismus in den spaten 1930er und den fruhen 1940er Jahren entwickelte Demnach sollte ein Komponist die Tone zu sich selbst kommen lassen anstatt sie fur den Ausdruck von Gefuhlen Ideen oder Ordnungsvorstellungen auszubeuten 6 Das musikalische Material sollte vollig objektiv und durch den Komponisten nicht mit einem asthetischen Sinn versehen sein Die grundlegende Idee ist die dass jedes Ding es selber ist dass sich seine Beziehungen zu anderen Dingen sich ganz naturlich ergeben ohne aufgezwungene Abstraktion von Seiten eines Kunstlers 7 Cage sah Zufallsoperationen als ein universelles Verfahren an das auf alle Bereiche einer Komposition und auf jede Art musikalischen Materials angewendet werden konne und durch das ein Komponist seinem eigenen Werk dessen Verlauf er nicht kenne als Rezipient gegenubertrete Cages durch Zufallsoperationen bestimmte experimentelle Musik wird daher von einigen Autoren aus dem Aleatorikbegriff ausgeschlossen Franco Evangelisti 1926 1980 beispielsweise vertritt die Ansicht dass zwischen dem Zufall als etwas Unvorhersehbarem und dem Aleatorischen als einem bewussten Vorgang mit uberschaubaren Moglichkeiten zu trennen sei 8 Cage selbst unterschied zwischen Chance Zufall und Indeterminacy Unbestimmtheit Diese Unterscheidung wird in der Komposition 4 33 1952 offenkundig Die einzige Spielanweisung fur die drei Satze lautet Tacet Anzahl der Ausfuhrenden und Instrumentierung sind demnach frei wahlbar und ergeben sich zufallig zum Beispiel wie bei der Urauffuhrung durch Wurfeln Die nicht intentionalen akustischen Ereignisse die wahrend der durch Zufall bestimmten Zeitstrecken stattfinden sind hingegen unbestimmt denn sie sind im Gegensatz zu den zufalligen Parametern keine Auswahl aus einer Gruppe mit bekannten Elementen Notation BearbeitenInsgesamt gelten die Formen der aleatorischen Komposition als sehr unterschiedlich Es gibt verschiedene Abstufungen von einer leichten Form der Unbestimmtheit und oder des Zufalls bis hin zu einer fast vollkommen freien Interpretation in der die meisten oder gar alle musikalischen Merkmale nicht durch den Komponisten festgelegt sind Um der variablen musikalischen Gestalt einer aleatorischen Komposition gerecht zu werden erfolgt die Notation oftmals als eine mehrdeutige graphische Darstellung die zum Beispiel den groben Ablauf der Musik festlegt oder den Interpreten zu einer freien Improvisation anregt Weitere Moglichkeiten der Notation sind die rein verbale Beschreibung wie beispielsweise in Stockhausens Aus den sieben Tagen oder eine um Sonderzeichen erweiterte Notenschrift Auch Kombinationen der verschiedenen Methoden sind moglich Sonstiges BearbeitenZwar wurden die Termini aleatorisch bzw Aleatorik erst ab den 1950er Jahren gepragt doch musikgeschichtlich ist der Einsatz von Zufallsoperationen in der Komposition nicht erst seit der Neuen Musik bekannt Bereits im Mittelalter warfen christliche Monche vier unterschiedlich gebogene Eisenstabe nach dem Zufallsprinzip um eine schone Melodie zu erhalten Auch ein Mozart zugeschriebenes Musikalisches Wurfelspiel bediente sich des Zufalls und liess den Zuhorer Walzertakte mit zwei Wurfeln beliebig zusammenwurfeln Seit 2020 wird das Werk von Ennio Morricone unter Aspekten der Aleatorik betrachtet 9 Aleatorische Studien gibt es auch in den Wirtschaftswissenschaften Literatur BearbeitenPierre Boulez Zu meiner III Sonate In Wolfgang Steinecke Hrsg Darmstadter Beitrage zur Neuen Musik Bd 3 Mainz 1960 Julian Klein Aleatorik Vorschlag einer Begriffsbestimmung 1997 Klaus Ebbeke Art Aleatorik In Ludwig Finscher Hrsg Musik in Geschichte und Gegenwart2 Sachteil 1 Basel u a Hanno Fierdag Die Aleatorik in der Kunst und das Urheberrecht Unter besonderer Berucksichtigung der Computer generated works Zugleich Dresden Techn Univ Diss 2004 Berlin 2005 ISBN 3 8305 0890 5 Schriftenreihe zum Recht des geistigen Eigentums Bd 20 Wolf Frobenius Aleatorisch Aleatorik In Handworterbuch der musikalischen Terminologie Bd 1 hrsg von Hans Heinrich Eggebrecht und Albrecht Riethmuller Schriftleitung Markus Bandur Steiner Stuttgart 1972 online Josef Hausler Ubers Pierre Boulez Werkstatt Texte Berlin u a 1966 Werner Meyer Eppler Zur Systematik der elektrischen Klangtransformationen in Wolfgang Steinecke Hrsg Darmstadter Beitrage zur Neuen Musik Bd 3 Mainz 1960 S 73 86 Arnold Schering Das Symbol in der Musik Leipzig Koehler amp Amelang 1941 DNB 57599746X Holger Schulze Das aleatorische Spiel Erkundung und Anwendung der nichtintentionalen Werkgenese im 20 Jahrhundert Zugleich Erlangen Nurnberg Univ Diss 1998 Munchen 2000 ISBN 3 7705 3472 7Siehe auch BearbeitenOffene Form Musik Weblinks BearbeitenSynthomelodicon ein kleines elektronisches Gerat mit Funktionsbeschreibung und Horproben das zufallig erzeugte Musik abspieltEinzelnachweise Bearbeiten Gerhard Kobler Juristisches Worterbuch Fur Studium und Ausbildung 17 Auflage Verlag Franz Vahlen Munchen 2017 ISBN 978 3 8006 5881 7 aleatorisch Werner Meyer Eppler Zur Systematik der elektrischen Klangtransformationen In Wolfgang Steinecke Hrsg Darmstadter Beitrage zur Neuen Musik Bd 3 Mainz 1960 S 79 a b Pierre Boulez Alea In Josef Hausler Ubers Pierre Boulez Werkstatt Texte Berlin u a 1966 S 104 f Pierre Boulez Zu meiner III Sonate In Wolfgang Steinecke Hrsg Darmstadter Beitrage zur Neuen Musik Bd 3 Mainz 1960 S 30 Hilmar Schatz zitiert nach W Frobenius Art Aleatorisch Aleatorik In Hans Heinrich Eggebrecht Hrsg Handworterbuch der musikalischen Terminologie Stuttgart u a 1976 S 3 John Cage zitiert nach W Frobenius Art Aleatorisch Aleatorik In Hans Heinrich Eggebrecht Hrsg Handworterbuch der musikalischen Terminologie Stuttgart u a 1976 S 7 John Cage zitiert nach K Ebbeke Art Aleatorik In L Finscher Hrsg Musik in Geschichte und Gegenwart2 Sachteil 1 Basel u a Sp 442 Vgl W Frobenius Art Aleatorisch Aleatorik In Hans Heinrich Eggebrecht Hrsg Handworterbuch der musikalischen Terminologie Stuttgart u a 1976 S 7 Eine Lange Nacht uber Ennio Morricone Meister aller Genres auf deutschlandfunkkultur deNormdaten Sachbegriff GND 4141811 6 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Aleatorik amp oldid 238801595