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Norbert Elias beschreibt in seinem Buch Uber die Zeit die Entwicklung des Zeit Bewusstseins im Zusammenhang seiner Zivilisierungstheorie die er in seinem Werk Uber den Prozess der Zivilisation 1939 erstmals vorstellte Inhaltsverzeichnis 1 Einige Bemerkungen uber die Zeit 2 Die Entwicklung der Zeitbestimmer 2 1 Der Kalender 2 2 Die Uhren 3 Die Entwicklung der Zeitbestimmung 4 Siehe auch 5 Primarliteratur 6 SekundarliteraturEinige Bemerkungen uber die Zeit BearbeitenDie historische Entwicklung der Zeitbestimmer Kalender und Uhren sowie die davon unabtrennbare Entwicklung der menschlichen Erfahrung dessen was wir heute Zeit nennen das Zeitbewusstsein ist ein Teil des Zivilisationsprozesses als Mittel der sozialen Diagnose ist das Auftreten des Zeit Zwangs von dem im Text des Buches mehr zu lesen ist und das Verhalten von Gesellschaft und Individuum dem man in diesem Zusammenhang begegnet besonders aufschlussreich Um gleich dem metaphysischen Beigeschmack der oft der Zeit angedichtet wird entgegenzutreten hier eine Definition von Elias Das Wort Zeit ist ein Symbol fur eine Beziehung die eine Menschengruppe also eine Gruppe von Lebewesen mit der biologischen Fahigkeit zur Erinnerung und zur Synthese zwischen zwei oder mehreren Geschehensablaufen herstellt von denen sie einen als Bezugsrahmen oder Massstab fur den oder die anderen standardisiert Die Entwicklung der Zeitbestimmer BearbeitenZeitbestimmer sind Instrumente die sich Menschen fur ganz bestimmte Zwecke geschaffen haben Sie sind ein Teil der von Menschen geschaffenen Symbole Die Entwicklung der Zeitbestimmer wie Uhren und Kalender ist eng verknupft mit der Entwicklung der Gesellschaft Je ausdifferenzierter die Gesellschaft desto ausdifferenzierter die Zeitbestimmer desto mehr stimmen die sozialen Zeitbestimmer mit der naturlichen Zeit uberein desto mehr verinnerlichen die Menschen die soziale Zeit Der Kalender Bearbeiten Bei der Entwicklung der Kalender weist Elias nach dass das soziale Kalenderjahr dem naturlichen Jahr dem Sonnenjahr immer besser angepasst wird Es gibt in der Historie zwei grosse Kalenderreformen in der abendlandischen Gesellschaft Die erste Kalenderreform fuhrt Julius Caesar 46 v Chr durch Da der Julianische Kalender nicht exakt dem Sonnenjahr entspricht das Julianische Jahr ist um 0 0078 Tage zu lang ruckt das Osterfest im Lauf der Jahrhunderte allmahlich vor Gregor XIII beseitigt 1582 das Problem mit seiner Kalenderreform welche von der nicht katholischen Welt z T erst im 20 Jahrhundert ubernommen wurde Elias fasst dies Geschehen wie folgt zusammen Schritt fur Schritt im Laufe einer tausendjahrigen Entwicklung ist das einst beunruhigende Kalenderproblem mehr oder weniger gelost worden Und da Kalender heute kaum mehr Schwierigkeiten bereiten streichen die Menschen die Vergangenheit als sie noch Schwierigkeiten machten aus ihrem Gedachtnis Dass der heutige Kalender trotzdem noch Probleme bereitet unterschiedliche Anzahl der Monatstage Schaltjahre ungleiche Anzahl der Tage in den vier Quartalen beziehungsweise der Halbjahre und so weiter zeigt sich in den Reformversuchen in unserem Jahrhundert der letzte Reformversuch fand 1953 statt Kalender konnen neben der aktuellen Synchronisierung von Ereignissen zwei andere Aufgaben erfullen Zum einen als Ara Zeitskala die es den lebenden Generationen ermoglichte ihren eigenen Platz in der Generationsabfolge prazise zu bestimmen Die Ausarbeitung einer derartigen nicht wiederkehrenden Zeitskala wirft besondere Probleme auf Sie war erst moglich als soziale Einheiten wie Staaten oder Kirchen den Charakter eines langdauernden Wandlungskontinuums gewannen innerhalb dessen lebende Gruppen gewohnlich herrschende Gruppen es um der Funktionsfahigkeit ihrer Institutionen willen fur notig erachteten die Erinnerung an die Kontinuitat dieser Institutionen in einer prazisen und artikulierten Weise lebendig zu halten Die andere Aufgabe des Kalenders als Alters Zeitskala ermoglicht es heute jedem Menschen genau zu bestimmen wie alt er ist Diese Zuordnung zeitlicher Masszahlen dient jedoch nicht allein als Kommunikation uber unterscheidende Quantitaten sie erhalt ihre volle Bedeutung erst als kommunizierbare symbolische Abkurzung fur bekannte biologische psychologische und soziale Unterschiede und Veranderungen von Menschen Die Uhren Bearbeiten Die Verbreitung der mechanischen Uhren findet erst im letzten Drittel des 14 Jahrhunderts statt Davor sind Sonnenuhren und Auslaufwasseruhren Klepsydren bekannt Gerhard Dohrn van Rossum vermutet im klosterlichen Bereich die Entwicklung des Hemmungsmechanismus der den technischen Durchbruch der mechanischen Uhr herbeifuhrt Im Kloster ist der Bedarf einer genauen Zeitbestimmung gegeben weil der klosterliche Tageslauf einen fur die regelkonforme Sequenz der vorgeschriebenen Offizien kritischen tageslichtunabhangigen Anfangszeitpunkt hatte Die Offizien mussten nach Mitternacht aber vor dem Morgengrauen beginnen Vor der Zeitbestimmung durch Wasseruhren und spater durch Sanduhren wurde dieser Zeitpunkt zum Beispiel durch Sternenverlauf die Abbrandzeit von kalibrierten Kerzen oder den Hahnenschrei ermittelt Innerhalb des stadtischen Lebens im 14 Jahrhundert wird durch akustische Signale vieles geregelt und organisiert Die alltagliche akustische Kulisse einer mittelalterlichen Grossstadt wirkte auf Fremde sicher wie ein buntes und verwirrendes Dauergelaut fur die Einheimischen war sie ein Kommunikationssystem dessen Leistungsfahigkeit nicht unterschatzt werden sollte Dieses Kommunikationssystem lasst den Bedarf erkennen die verschiedenen Tatigkeiten der Menschen zu synchronisieren Zum einen wird der Bedarf zuruckgefuhrt auf die Bevolkerungszunahme in den Stadten Zum anderen wird dies zuruckgefuhrt auf die Ausdifferenzierung des Lebens in den Stadten Durch das Signalsystem wird das Zusammenleben der Menschen besser organisiert Der Stundenschlag der Turmuhren ist zunachst nur ein zusatzliches Signal im stadtischen Leben Zuerst fuhrt Italien Turmuhren mit Beginn des 14 Jahrhunderts ein Der Gebrauch der modernen Stunden folgt der Verbreitung der stundenschlagenden Turmuhren in Europa fast zeitgleich Aber die italienische Zahlung der Stunden setzt sich nicht durch weil der Beginn der Zahlung tageslichtabhangig ist und 24 Glockenschlage benotigt Gerhard Dohrn van Rossum fuhrt einige innovationsforderliche Faktoren zur Beschaffung einer stadtischen Uhr auf Landesherren und Stadtfursten sind es zunachst die fur die Einrichtung offentlicher Uhren in ihren Stadten aber auch Residenzen sorgen Im Fall der Erhebung einer Sondersteuer stosst dies aber in den Stadten auf Widerstand Der nachste Faktor bezieht sich auf die zwischenstadtische Prestigekonkurrenz Nach Dohrn van Rossum ist jedoch nicht auszumachen dass Kaufleute Kirchen oder andere Gruppen einer Stadt Uhren fur ihre Stadt fordern Der Widerstand gegen Uhren erhebt sich innerhalb der Stadt geringer als in den Dorfern Die Bauern waren von der Notwendigkeit des Stundensignals nicht uberall uberzeugt und verweigerten ihren Beitrag vor allem dann wenn sie ausserhalb der akustischen Reichweite des Zeitsignals lebten Innerhalb der Stadt entwickelt sich also ein anderes Zeitgefuhl als auf dem Land Wenn die Behauptung von Dohrn van Rossum bezweifelt werden darf dass keine spezielle Gruppe innerhalb der mittelalterlichen Stadt die Anschaffung einer Uhr fordert so steht mit Sicherheit fest dass sie die Uhren alsbald zur Regulierung des Arbeitstages verwandt werden Dohrn van Rossum weist auch darauf hin dass die wachsende Bedeutung tageszeitlicher Prazisierung sich schon vor dem Auftauchen der neueren Zeitmesser verfolgen lasst Auch nach der Einfuhrung von offentlichen Uhren sind diese nicht bestimmend fur Diatenkurzungen oder Geldstrafen bei Unpunktlichkeit in Gremiensitzungen der Stadt Hier werden Strafen erst fallig nach Ablauf eines Viertelstundenglases welches in den Sitzungen Anwendung findet Schulen sind eine wichtige Institution zur Forderung eines neuen Zeitgefuhls innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft Uhrzeitregelungen begrenzten zunachst die Dauer des taglichen Unterrichts und setzten die Arbeitszeit der Lehrer fest Wegen ihrer vielfaltigen Aufgaben in dieser Gesellschaft kann die verfugbare Zeit der Lehrer so besser koordiniert werden Ein weiterer Aspekt von Dohrn van Rossum sagt aus dass die standige Vermehrung der zu lesenden Bucher zunehmenden Zeitdruck erzeugt Dies fuhrt bei den damaligen humanistischen Didaktikern zu der Vorstellung dass dem Zeitdruck nur durch Ordnung Methode und Planung zu begegnen sei Der kurze Uberblick auf die Entwicklungsgeschichte der Kalender und Uhren zeigt wie durch die Ausdifferenzierung des stadtischen Lebens im Mittelalter mit dem Anwachsen der Bevolkerung die Bedurfnisse der Menschen nach Koordinierung und Synchronisierung ihrer Tatigkeiten gesteigert wird Dieser Prozess ist nach Elias ungeplant und ungewollt hat aber eine eigene Struktur Wendorff fasst die Entwicklung der Zeitbestimmer wie folgt zusammen Die Entwicklung eines Bedurfnisses nach deutlicher und zuverlassiger stets zur Verfugung stehender Zeitgliederung und Zeitmessung findet irgendwann Unterstutzung durch neue Erfindungen Dieses zeitliche Zusammentreffen von Bedarf und technischer Verwirklichung ist faszinierend Uhren und Kalender verstarken das Zeitbewusstsein das Ernstnehmen und Nutzen von Tagen und Jahren das Verantwortungsgefuhl fur die praktischen Moglichkeiten von Zukunft Die funktionelle Erganzung von Uhr und Kalender wird uns heute an der weit verbreiteten Taschenuhr mit Kalenderangabe besonders anschaulich demonstriert Die Entwicklung der Zeitbestimmung BearbeitenWie oben schon beschrieben ist das was wir Zeit nennen ein oft recht komplexes Netzwerk von Beziehungen und dass Zeitbestimmen im wesentlichen eine Synthese eine integrierende Tatigkeit darstellt Die heutige Form des Zeitbestimmens ist naturzentriert und ist eine Abzweigung von der alteren menschenzentrierteren Form des Zeitbestimmens In vielen Untersuchungen uber die Zeit findet man die Unterscheidung zwischen sozialer und physikalischer Zeit die wohl ahnliches ausdrucken soll Die Schwierigkeit ist dass die Zeit nicht in das begriffliche Schema dieses Dualismus passt wie andere Gegebenheiten entzieht sie sich einer Klassifizierung als naturlich oder sozial objektiv oder subjektiv sie ist beides in einem Zeitbestimmen soll also als ein Prozess gesehen werden von einer menschenzentrierten Form zu einer naturzentrierten Form als ein Prozess in dem der Mensch die Natur immer mehr unterwirft Elias unterscheidet weiter die passive und aktive Zeitbestimmung In fruheren Gesellschaften findet hauptsachlich passive Zeitbestimmung statt und besteht heute zum Teil noch fort Beim passiven Zeitbestimmen wird den Bedurfnissen sofort nachgegeben man isst wenn man Hunger hat und legt sich schlafen wenn man mude ist Aktiver wird die Zeitbestimmung mit Beginn des Ackerbaus Die Pflanzen mussen zur rechten Zeit ausgesat und geerntet werden In modernen Gesellschaften werden Menschen dazu gezwungen ihre physiologische Uhr an einer sozialen Uhr auszurichten und so zu disziplinieren Heide Inhetveen unterscheidet beispielsweise bei Bauerinnen Handlungszeit und Ereigniszeit Die Handlungszeit zeigt wie die passive Zeitbestimmung von der Tatigkeit als Bauerin aktiv uberformt wird Die Ereigniszeit wie das Leben als Zeit erinnert wird die sich aus mehr oder weniger spektakularen Einzelereignissen konstituiert Barbara Muller betont dass die extreme Linearisierung von Zeit in der Arbeitszeit ein Stillstellen von Zeit die Zerstorung von Zeit uberhaupt bewirkt Am Beispiel eines Schichtarbeiters wird deutlich dass die Versuche das Beste aus der Schichtarbeit zu machen ein Kampf mit der Zeit bleibt der immer auch ein Kampf um die Zeit ist Zeit zum Leben An der angegebenen Stelle finden sich noch weitere Beispiele wie nicht nur die passive Zeitbestimmung der Menschen verdrangt wird sondern auch die aktive Zeitbestimmung nicht mehr in der Verfugungsgewalt der einzelnen Menschen liegt Linearisierte und homogenisierte Zeit wird vom Menschen bewusst geplant und verplant und kann damit der unmittelbaren Verfugung anderer entzogen werden Hier wird Zeit selbst zum interessengesteuerten Machtfaktor Zeit wird unmittelbar zum Herrschaftsinstrument Siehe auch BearbeitenZeitsoziologiePrimarliteratur BearbeitenNorbert Elias Uber die Zeit Arbeiten zur Wissenssoziologie II Frankfurt am Main 1984 Norbert Elias Was ist Soziologie 3 Auflage Munchen 1970 1978 Norbert Elias Was ich unter Zivilisation verstehe Antworten auf Hans Peter Duerr In Die Zeit Nr 25 vom 17 Juni 1988 S 37f Norbert Elias Uber den Prozess der Zivilisation Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen 2 Bde 17 Auflage Frankfurt am Main 1939 1992Sekundarliteratur BearbeitenWolfgang Deppert Zeit Die Begrundung des Zeitbegriffs seine notwendige Spaltung und der ganzheitliche Charakter seiner Teile Steiner Stuttgart 1989 ISBN 3 515 05219 4 ISBN 978 3 515 05219 1 Gerhard Dohrn van Rossum Zeit der Kirche Zeit der Handler Zeit der Stadte In Zoll Rainer Hrsg Zerstorung und Wiederaneignung von Zeit Frankfurt am Main 1988 Gerhard Dohrn van Rossum Schlaguhr und Zeitorganisation Zur fruhen Geschichte der offentlichen Uhren und den sozialen Folgen der modernen Stundenrechnung In Wendorff Rudolf Hrsg Im Netz der Zeit Menschliches Zeiterleben interdisziplinar Stuttgart 1989 Gerhard Dohrn van Rossum Die Geschichte der Stunde Uhren und moderne Zeitrechnung Munchen Wien 1992 Heide Inhetveen Schone Zeiten schlimme Zeiten Zeiterfahrungen von Bauerinnen In Rainer Zoll Hrsg Zerstorung und Wiederaneignung von Zeit Frankfurt am Main 1988 Barbara Muller Das Zeitregiment der Bandarbeit oder Das Menschliche ist die Pause In Rainer Zoll Hrsg Zerstorung und Wiederaneignung von Zeit Frankfurt am Main 1988 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Uber die Zeit amp oldid 228823926