Die Szientometrie (auch Scientometrie) ist die Lehre vom Messen (Metrik) der wissenschaftlichen Aktivitäten (Forschung und Lehre) im Wissenschaftsbetrieb. Sie trifft keine inhaltlichen Aussagen zur Qualität wissenschaftlicher Forschung und deren Produkte, sondern misst mithilfe mathematischer und statistischer Methoden Quantitäten, wie etwa die Anzahl von Universitätsabsolventen oder die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen eines Wissenschaftlers in einem Jahr.
Sie kann als Teildisziplin der Informetrie angesehen werden, die nicht nur wissenschaftliche Informationen, sondern Informationen allgemein vermisst. Als Teildisziplin der Szientometrie gelten beispielsweise die Bibliometrie, die ausschließlich wissenschaftliche Publikationen vermisst und die Patentometrie, die Publikationen zu Patenten vermisst. Häufig wird die Szientometrie nicht nur der Infometrie zugerechnet, sondern auch den Wissenschaftswissenschaften.
Eines der Ziele ist, die wissenschaftliche Arbeit einer ganzen Gruppe von Forschern (in einem Fachgebiet und/oder bestimmten Regionen und Zeiträumen) sowohl zu beschreiben als auch deren innere Struktur und Dynamik zu verstehen. Es soll unter anderem die Frage beantwortet werden, wie und warum sich ein bestimmter Wissenschaftsbereich entwickelt. Die Szientometrie wurde im Wesentlichen von Derek de Solla Price und Eugene Garfield begründet. Letzterer gründete das Institute for Scientific Information (Philadelphia, PA, USA), das seit den 1960ern die wichtigsten Datenbanken für szientometrische bzw. bibliometrische Analysen bereitstellte.
Der Begriff Szientometrie (russisch Naukometrija) stammt von Wassili Nalimow (1910–1997), der 1969 zusammen mit S.M. Multschenko ein gleichnamiges Buch veröffentlichte.
Werkzeuge und Methoden Bearbeiten
Methoden der Szientometrie sind unter anderem die Bibliometrie (Beobachtung der Publikationen und Zitierhäufigkeit), Informetrie (Verfolgen bestimmter Begriffe in ihrer Wanderung durch z. B. Zeitschriften und andere Medien) und die Webometrie (Untersuchung von Internet-Strukturen). Mittels Evaluationen wird versucht, Aussagen über die Informationsqualität zu treffen.
Im Science Citation Index werden, ähnlich zur Suchmaschine Google, die Quellen gezählt, die die untersuchte Veröffentlichung zitieren. Die Anzahl der Referenzen bestimmen das Wichtigkeitsmaß (Impact Factor) einer Publikation gegenüber anderen. Je öfter eine Publikation zitiert wird, desto höher ist der Impact Factor. Dabei ist der Artikel-Impact vom Zeitschriften-Impact zu unterscheiden: Der Zeitschriften-Impact in einem bestimmten Jahr wird berechnet aus den Zitationen im betreffenden Jahr von zitierbaren Teilen (Artikeln, Editorials, Letter, …) der Ausgaben der beiden vorangegangenen Jahre. Bei der Beurteilung eines Artikels und seiner Autoren ist die Anzahl seiner Zitationen höher zu bewerten als der Impact der Zeitschrift, in der er erschienen ist.
Fragestellungen Bearbeiten
Typische Fragen der Szientometrie sind in der Regel bezogen auf bestimmte Fachgebiete und/oder geographisch/politische Einheiten (Regionen/Staaten/Institutionen) und lauten:
- Wie gut ist die Qualität der Wissenschaft in der betreffenden Region?
- Wie kann man wissenschaftliche Arbeit überhaupt messen und vergleichen?
- Welche Faktoren beeinflussen die wissenschaftliche Quantität und Qualität?
- Wie ist die Kooperation in der wissenschaftlichen Gemeinschaft strukturiert und wie verändert sie sich?
- Welche ökonomischen Wirkungen haben die wissenschaftlichen Erkenntnisse? (Umsetzung in Produkte, Patente)
- Wie beeinflussen sich bestimmte Wissensgebiete gegenseitig? (Interdisziplinarität)
- Welche Formen von Forschungsförderung sind wünschenswert? (Forschungsgemeinschaften, Veröffentlichungspolitik, Patentierungsstrategien, Kommerzialisierungsstrategien)
Ergebnisse Bearbeiten
Viele Ergebnisse der Szientometrie sind in so genannten „Gesetzen“ formuliert, die allerdings nicht mit physikalischen Gesetzen zu verwechseln sind, sondern empirische Regelmäßigkeiten beschreiben; ob und wie weit diese Gesetze gelten, ist Gegenstand der wissenschaftlichen Fachdiskussion. Wichtige Ergebnisse der Szientometrie sind:
Forschung und Lehre Bearbeiten
Szientometrie wird an einigen Hochschulen im Rahmen von Studiengängen der Bibliotheks- und Informationswissenschaft gelehrt. Auch gehören Grundlagen der Zitationsanalyse zusammen mit Anleitungen zum wissenschaftlichen Arbeiten teilweise zum Curriculum anderer Fächer.
Die Kernzeitschrift für szientometrische Forschung ist die 1978 in Ungarn gegründete Fachzeitschrift Scientometrics. Wichtigste Fachkonferenz ist die seit 1987 zweijährlich stattfindende International Conference of the International Society for Scientometrics and Informetrics, die von der International Society for Scientometrics and Informetrics (ISSI) organisiert wird. Auf der Konferenz wird auch der Derek John de Solla Price Award verliehen.
Im Jahr 2004 wurde erstmals auch die International Conference on Webometrics, Informetrics and Scientometrics (WIS) von dem globalen interdisziplinären Forschungsnetzwerk COLLNET Collaboration in Science and in Technology organisiert. Diese Konferenzen finden seit 2000 jährlich statt. COLLNET gibt seit 2007 die Zeitschrift COLLNET Journal of Scientometrics and Information Management heraus; die Zeitschrift erscheint zweimal pro Jahr bei TARU Publications; Shabahat Husain und Hildrun Kretschmer sind die Editoren. Ebenfalls seit 2007 erscheint bei Elsevier die Zeitschrift Journal of Informetrics; deren Herausgeber ist der belgische Informetriker Leo Egghe.
Einzelnachweise Bearbeiten
- Ulf-Dietrich Reips, Uwe Matzat: Article Impact means Journal Impact. In: International Journal of Internet Science, 8, 2013, S. 1–9, ijis.net (PDF; 675 kB)
- Fremont Rider: The scholar and the future of the research library, a problem and its solution. Hadham Press, New York 1944, S. 8
- Derek J. de Solla Price: Little Science, Big Science. Suhrkamp, 1974, S. 17, (Memento des vom 24. Juni 2006 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Alfred J. Lotka: The frequency distribution of scientific productivity. In: Journal of the Washington Academy of Sciences. Bd. 16, 1926, S. 317–323
- Samuel Bradford: Sources of Information on specific subjects. In: Engineering. Bd. 137, 1934, S. 85–86
- Jonathan R. Cole, Stephen Cole: The Ortega Hypothesis. In: Science. Band 178, Oktober 1972, S. 368–375
- Endre Száva-Kováts: The false „Ortega Hypothesis“: a literature science case study. In: Journal of Information Science. Band 30, Nr. 6, 2004, S. 496–508
- Endre Száva-Kováts: Unfounded attribution of the „Half-life“ index-number of literature obsolescence to Burton and Kebler: A literature science study. In: JASIST. Band 53, Nr. 13, 2002, S. 1098–1105
- Walther Umstätter, Margarete Rehm & Zsuzsánna Dorogi: Die Halbwertszeit in der naturwissenschaftlichen Literatur. In: Nachrichten für Dokumentation. Bd. 33, Nr. 2, 1982, S. 50–52 (Memento des vom 27. September 2011 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Eugene Garfield: Citation analysis as a tool in journal evaluation. In: Science. Bd. 178, 1972, Nr. 4060, S. 471–479
- Arnd Krüger: Wo steht die deutsche sportwissenschaftliche Forschung? Impact-Faktor, Halbwertzeit, Aktualitäts- und Immediacy Index. In: Leistungssport, 28, 1998, 2, S. 30–34.
- Robert K. Merton: The Matthew Effect in Science. In: Science, Band 159, Nr. 3810, 1968, S. 56–63, upenn.edu (PDF; 2,6 MB)
- Walther Umstätter: Bibliothekswissenschaft als Teil der Wissenschaftswissenschaft. In: Walther Umstätter & Karl-Friedrich Wessel (Hrsg.): Interdisziplinarität - Herausforderung an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Festschrift zum 60. Geburtstag von Heinrich Parthey. Kleine, Bielefeld 1999, ISBN 3-89370-277-6, S. 146–160 ib.hu-berlin.de
- Harvey C. Lehman: Age and Achievement. Princeton 1953. Überprüft und korrigiert von Franz Graf-Stuhlhofer: Lebensalter und naturwissenschaftliche Kreativität. Zum Jung-Entdeckertum in Physik, Chemie und Mathematik. In: Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte. 28, 2011, S. 143–175
- Zeitschrift Scientometrics
- COLLNET
- Collnet Journal of Scientometrics and Information Management
- Journal of Informetrics
Literatur Bearbeiten
Monographien Bearbeiten
- Derek de Solla Price: Little Science, Big Science. Von der Studierstube zur Großforschung (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft. 48). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1974, ISBN 3-518-07648-5 (Englisch erstmals 1963 publiziert).
- Василий В. Налимов, Зинаида М. Мульченко: Наукометрия. Изучение развития науки как информационного процесса. Наука, Москва 1969.
- Eugene Garfield: Citation Indexing. Its Theory and Application in Science, Technology, and Humanities. Wiley, New York NY u. a. 1979, ISBN 0-471-02559-3.
- Сергей Д. Хайтун: Наукометрия. Состояние и перспективы. Наука, Москва 1983.
- Сергей Д. Хайтун: Проблемы количественного анализа науки. Наука, Москва 1989, ISBN 5-02-013368-X.
- Peter Weingart, Matthias Winterhager: Die Vermessung der Forschung. Theorie und Praxis der Wissenschaftsindikatoren. Campus, Frankfurt am Main u. a. 1984, ISBN 3-593-33359-7.
- Leo Egghe, Ronald Rousseau: Introduction to Informetrics. Quantitative Methods in Library, Documentation and Information Science. Elsevier, Amsterdam u. a. 1990, ISBN 0-444-88493-9.
- Loet Leydesdorff: The Challenge of Scientometrics. The Development, Measurement, and Self-Organization of Scientific Communications (= Wetenschapsstudies. 10). DSWO Press, Leiden 1995, ISBN 90-6695-112-5.
- Péter Vinkler: The Evaluation of Research by Scientometric Indicators. Chandos Publishing, Oxford u. a. 2010, ISBN 978-1-84334-572-5.
- Gerhard Fröhlich: Von der Macht des Messens. In: heureka!, 1/99
- Martin Spiewak: Der Zitatenjäger. In: Die Zeit, Nr. 29/2003
Einzeldarstellungen Bearbeiten
- S. D. Haitun: Stationary Scientometric Distributions 1.–3. In: Scientometrics. Bd. 4, Nr. 1, 1982, ISSN 0138-9130, S. 5–25, doi:10.1007/BF02098003; Nr. 2, S. 89–104, doi:10.1007/BF02018448; Nr. 3, S. 181–194, doi:10.1007/BF02021059.
- Otto Nacke: Informetrie: Ein neuer Name für eine neue Disziplin. In: Nachrichten für Dokumentation. Bd. 30, Nr. 6, 1979, ISSN 0027-7436, S. 219–226.
- András Schubert, Wolfgang Glänzel, Tibor Braun: Scientometric Datafiles. A Comprehensive Set of Indicators on 2649 Journals and 96 Countries in all Major Science Fields and Subfields 1981–1985. In: Scientometrics. Bd. 16, No. 1/6, 1989, S. 3–478, doi:10.1007/BF02093234.
- Study on the economic and technical evolution of the scientific publication markets in Europe. (PDF, 828 kB) European Commission, Final Report – January 2006.
- Walther Umstätter: Szientometrische Verfahren. In: Rainer Kuhlen, Thomas Seeger, Dietmar Strauch (Hrsg.): Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation. Band 1: Handbuch zur Einführung in die Informationswissenschaft und -praxis. 5., völlig neu gefasste Ausgabe. Saur, München 2004, ISBN 3-598-11675-6, S. 237–243, hu-berlin.de (PDF).
Weblinks Bearbeiten
- International Society for Scientometrics and Informetrics (ISSI)
- Gerhard Fröhlich: Gegen-Evaluation: Peer Review und Szientometrie im Kreuzfeuer theoretisch-empirischer Wissenschaftsforschung (Memento vom 19. Juni 2010 im Webarchiv archive.today) (Vortrag Juni 1999)
- Derek J. de Solla Price: Little Science, Big Science (Auszug).