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Die Philosophischen Untersuchungen PU sind Ludwig Wittgensteins spates zweites Hauptwerk Das Buch formuliert die Grundgedanken der Philosophie der normalen Sprache Die Philosophischen Untersuchungen ubten einen ausserordentlichen Einfluss auf die Philosophie der zweiten Halfte des 20 Jahrhunderts aus unter anderem die Sprechakttheorie bei John Langshaw Austin und John Rogers Searle sowie der Erlanger Konstruktivismus Paul Lorenzen Kuno Lorenz bauen auf den hier entwickelten Ideen auf Auch die Transzendentalpragmatik von Karl Otto Apel und die Universalpragmatik von Jurgen Habermas sind massgeblich davon beeinflusst Das Buch richtet sich gegen die Philosophie der idealen Sprache die neben Bertrand Russell und Rudolf Carnap vor allem Wittgenstein selbst noch in seinem ersten Hauptwerk dem Tractatus Logico Philosophicus vertreten hatte Das Buch ist in den Jahren 1936 bis 1946 entstanden Zu einem erheblichen Teil verfasste es Wittgenstein beim Aufenthalt in seinem norwegischen Haus Osterrike Veroffentlicht wurde das Buch aber erst 1953 zwei Jahre nach dem Tod des Autors Im Gegensatz zu dem streng systematischen Aufbau des Tractatus sind die Philosophischen Untersuchungen eine mehr oder minder lose Sammlung von Aphorismen und Notizen Nach Wittgensteins Aussage hat er mehrmals versucht seine Ergebnisse zu einem solchen Ganzen zusammenzuschweissen bis er einsehen musste dass ihm dies nie gelingen wurde Vorwort Nichtsdestoweniger lassen sich doch eine ganze Reihe von Thesen zu unterschiedlichen Themenkomplexen identifizieren die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen Inhaltsverzeichnis 1 Die Gebrauchstheorie der Bedeutung 2 Sprachspiel und Lebensform 3 Einer Regel folgen 4 Die therapeutische Funktion der Philosophie 5 Privatsprache 6 Familienahnlichkeit 7 Zitate 8 Literatur 8 1 Ausgaben der PU 8 2 Sekundarliteratur 8 2 1 Allgemein 8 2 2 Sprache Bedeutung 8 2 3 Regeln und Regelbefolgung 9 WeblinksDie Gebrauchstheorie der Bedeutung BearbeitenWittgenstein richtet sich gegen die so genannte realistische Theorie der Bedeutung nach der gilt Jedes Wort hat eine Bedeutung Sie ist der Gegenstand fur welchen das Wort steht PU 1 Dieser Theorie zufolge ware die Bedeutung des Wortes rot etwa ein abstrakter Gegenstand die Farbe Rot Fur Wittgenstein ist dagegen die Bedeutung eines Wortes in den meisten Fallen durch seinen Gebrauch festgelegt Man kann fur eine grosse Klasse von Fallen der Benutzung des Wortes Bedeutung wenn auch nicht furalleFalle seiner Benutzung dieses Wort so erklaren Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache PU 43 Der Gebrauch eines Wortes wird durch Regeln bestimmt ahnlich wie die korrekte Verwendung einer Schachfigur Die Frage Was ist eigentlich ein Wort ist analog der Was ist eine Schachfigur PU 108 Die Bedeutung des Wortes rot zu kennen bedeutet eine Regel zu haben mit der man rote von nicht roten Dingen unterscheiden kann Ein Kaufmann von dem man rote Apfel verlangt konnte beispielsweise die Apfel neben ein Farbmuster halten um festzustellen ob sie rot sind PU 1 Der enge Zusammenhang den Wittgenstein zwischen der Bedeutung eines Wortes und den Regeln fur seinen Gebrauch sieht kommt auch in folgendem Zitat zum Ausdruck Wie erkenne ich dass diese Farbe Rot ist Eine Antwort ware Ich habe Deutsch gelernt PU 381 Sprachspiel und Lebensform BearbeitenDie Regeln des Gebrauchs eines Wortes sind dadurch bestimmt dass sprachliche Ausserungen im taglichen Miteinander eine bestimmte Funktion ubernehmen Sieh den Satz als Instrument an und seinen Sinn als seine Verwendung PU 421 Diese Funktion kann jedoch in verschiedenen Situationen unterschiedlich sein Fur das Vorkommen von Sprache in konkreten Zusammenhangen verwendet Wittgenstein das Wort Sprachspiel Wittgenstein gibt eine Reihe von Beispielen fur Sprachspiele Befehlen und nach Befehlen handeln Beschreiben eines Gegenstandes nach dem Ansehen Herstellen eines Gegenstandes nach einer Beschreibung Berichten eines Herganges Bitten Danken Fluchen Grussen Beten PU 23 Fur die Gesamtheit der Handlungsmuster in einer Kultur verwendet Wittgenstein das Wort Lebensform Die einzelnen Sprachspiele sind letztlich immer in eine Lebensform eingebettet Das Wort Sprachspiel soll hier hervorheben dass das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tatigkeit oder einer Lebensform PU 23 In diesem Sinne kann Wittgenstein sagen Und eine Sprache vorstellen heisst sich eine Lebensform vorstellen PU 19 Einer Regel folgen BearbeitenDie Regeln des Gebrauchs eines Wortes lassen sich nach Wittgenstein durch Vor und Nachmachen vermitteln Ich mach s ihm vor er macht s mir nach und ich beeinflusse ihn durch Ausserungen der Zustimmung der Ablehnung usw Denke du warst Zeuge eines solchen Unterrichts Es wurde darin kein Wort durch sich selbst erklart kein logischer Zirkel gemacht PU 208 Wittgenstein stosst jedoch auf die folgende Schwierigkeit Eine Regel wird immer nur an endlich vielen Beispielen gelernt soll aber letztlich auf unendlich viele Falle anwendbar sein Daraus ergibt sich dass die Regel das zu lernende Handlungsmuster nicht festlegt es gibt immer eine Vielzahl von Mustern die mit ihr kompatibel sind Unser Paradox war dies eine Regel konnte keine Handlungsweise bestimmen da jede Handlungsweise mit der Regel in Ubereinstimmung zu bringen sei PU 201 Wittgensteins Losung fur dieses Problem ist folgende Die Tatsache dass es eine Menge von Moglichkeiten gibt die Regel fortzusetzen heisst nicht dass wir uns bewusst fur eine dieser Moglichkeiten entscheiden Sie drangt sich uns vielmehr unmittelbar auf Wenn ich der Regel folge wahle ich nicht Ich folge der Regel blind PU 219 Ein theoretisch moglicher Zweifel hat praktisch in dieser Situation keinen Platz Es war unter Umstanden ein Zweifel moglich Aber das sagt nicht dass ich gezweifelt habe oder auch nur zweifeln konnte PU 213 Die therapeutische Funktion der Philosophie BearbeitenDiese Stelle exemplifiziert eine Argumentationsfigur die typisch fur die Philosophischen Untersuchungen ist Nach Wittgenstein ergeben sich viele philosophische Probleme dadurch dass Begriffe ihrem angestammten Kontext ihrem Sprachspiel entfremdet werden und ungerechtfertigt auf einen anderen Zusammenhang angewendet werden Die Losung eines philosophischen Problems besteht oft darin eine solche ungerechtfertigte Ubertragung aufzudecken Wir fuhren die Worter von ihrer metaphysischen auf ihre alltagliche Verwendung zuruck PU 116 Beispielsweise ist der Zweifel ein Sprachspiel das seinen eigenen Bedingungen und Regeln folgt und nicht in jeder Situation Platz hat Durch diese Uberlegung wird philosophischer Zweifel der an allem zweifelt als unsinnig entlarvt Aber das sagt nicht dass wir zweifeln weil wir uns einen Zweifel denken konnen PU 84 Mit einem vergleichbaren Argument kritisiert Wittgenstein die Grundfrage des logischen Atomismus nach den Grundbestandteilen der Welt Auf die philosophische Frage Ist das Gesichtsbild dieses Baumes zusammengesetzt und welches sind seine Bestandteile ist die richtige Antwort Das kommt drauf an was Du unter zusammengesetzt verstehst Und das ist naturlich keine Beantwortung sondern eine Zuruckweisung der Frage PU 47 Die Frage nach einer Zusammensetzung ist ein Sprachspiel das sich nicht auf einen derart abstrakten Kontext ubertragen lasst In ahnlicher Weise lost Wittgenstein das Induktionsproblem auf bei dem die Praxis des Lernens aus Erfahrung in Frage gestellt wird Die Gewissheit dass Feuer mich brennen wird grundet sich auf Induktion Ist die Zuversicht gerechtfertigt Was die Menschen als Rechtfertigung gelten lassen zeigt wie sie denken und leben PU 325 Letztlich grundet die Uberzeugung dass wir aus Erfahrung lernen konnen in unserer Lebenswelt Eine starkere Rechtfertigung kann die Philosophie nicht liefern und auch nicht verlangen In diesem Sinne sagt Wittgenstein Unser Fehler ist dort nach einer Erklarung zu suchen wo wir die Tatsachen als Urphanomene sehen sollten D h wo wir sagen sollten dieses Sprachspiel wird gespielt PU 654 Privatsprache BearbeitenEine Privatsprache ist nach Wittgenstein eine Sprache oder Sprachspiel bei welcher welchem prinzipiell nur der Sprecher selbst um die Bedeutung der Worte dieser Sprache wissen kann Der Fall eines Robinson Crusoe zahlt nicht als Privatsprache weil dieser prinzipiell in der Lage ist die Bedeutung seiner Sprachelemente anderen mitzuteilen Wittgensteins Beispiel ist eine Empfindungssprache Die Worter dieser Sprache sollen sich auf das beziehen wovon nur der Sprechende wissen kann auf seine unmittelbaren privaten Empfindungen PU 243 Im Privatsprachenargument zeigt er dass die Verwendung von Wortern einer Privatsprache sinnlos ist Indem Wittgenstein sich gegen die Moglichkeit einer solchen Sprache wendet PU 258 wendet er sich gleichzeitig gegen die These dass in unserer eigenen Sprache Begriffe fur Psychisches wie z B das Wort Schmerz auf solche privaten Episoden Bezug nehmen Nach Wittgensteins Bedeutungstheorie lernen wir solche Worter in intersubjektiven Sprachspielen Ein rein privates Erlebnis lasst sich aber nicht intersubjektiv vermitteln wohl aber der Umgang mit ihm Diese These kommt in dem beruhmten Kafer Gleichnis zum Ausdruck Angenommen es hatte jeder eine Schachtel darin ware etwas was wir Kafer nennen Niemand kann je in die Schachtel des Anderen schauen und jeder sagt er wisse nur vom Anblick seines Kafers was ein Kafer ist Das Ding in der Schachtel gehort uberhaupt nicht zum Sprachspiel auch nicht einmal als ein Etwas denn die Schachtel konnte auch leer sein PU 293 Sprechen uber psychische Vorgange ist als Sprechen uber ausseres Verhalten zu analysieren Ein innerer Vorgang bedarf ausserer Kriterien PU 580 Familienahnlichkeit BearbeitenKernpunkt von Wittgensteins Kritik an der Philosophie der idealen Sprache ist dass sie mit ihrer Forderung nach Exaktheit die Unscharfe naturlichsprachiger Begriffe als ein Manko darstellt Fur diese Unscharfe pragt Wittgenstein den Begriff Familienahnlichkeiten Er erlautert sie in PU 66 am Beispiel des Wortes Spiel Es gibt nach Wittgenstein keinen gemeinsamen Zug der allen Spielen gemeinsam ware sondern eine Familienahnlichkeit Ein anderes Moment der Unscharfe Sprache liegt darin dass unsere Begriffe nicht in jeder sondern nur in gewohnlichen Situationen verlasslich funktionieren Nur in normalen Fallen ist der Gebrauch der Worte uns klar vorgezeichnet wir wissen haben keinen Zweifel was wir in diesem oder jenem Fall zu sagen haben PU 142 siehe auch PU 80 Diese Ungenauigkeit macht aber unsere Begriffe keineswegs unbrauchbar Aber ist es uberflussig zu sagen Halte Dich ungefahr hier auf PU 71 Im Gegenteil ware gerade eine ubertriebene Prazision unzweckmassig Wenn ich nun jemandem sage Du solltest punktlicher zum Essen kommen ist hier von Genauigkeit eigentlich nicht die Rede weil man sagen kann Denk an die Zeitbestimmung im Laboratorium da siehst Du was Genauigkeit bedeutet PU 88 Genau dies verkennt jedoch die Philosophie der idealen Sprache Je genauer wir die tatsachliche Sprache betrachten desto starker wird der Widerstreit zwischen ihr und unserer Forderung PU 107 Aus diesen Beobachtungen zieht Wittgenstein das Fazit Die Philosophie darf den tatsachlichen Gebrauch der Sprache in keiner Weise antasten sie kann ihn am Ende also nur beschreiben PU 124 Zitate Bearbeiten Unsere Sprache kann man ansehen als eine alte Stadt Ein Gewinkel von Gasschen und Platzen alten und neuen Hausern und Hausern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten und dies umgeben von einer Menge neuer Vororte mit geraden und regelmassigen Strassen und mit einformigen Hausern PU 18 Und in dieser Lage befindet sich z B der der in der Asthetik oder Ethik nach Definitionen sucht die unseren Begriffen entsprechen Frage dich in dieser Schwierigkeit immer Wie haben wir denn die Bedeutung dieses Wortes gut z B gelernt PU 77 Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache PU 109 Es ist eine Hauptquelle unseres Unverstandnisses dass wir den Gebrauch unserer Worter nicht ubersehen PU 122 Die fur uns wichtigsten Aspekte der Dinge sind durch ihre Einfachheit und Alltaglichkeit verborgen PU 129 nbsp Fliegenglas Einer Regel folgen eine Mitteilung machen einen Befehl geben eine Schachpartie spielen sind Gepflogenheiten Gebrauche Institutionen Einen Satz verstehen heisst eine Sprache verstehen Eine Sprache verstehen heisst eine Technik beherrschen PU 199 Der Philosoph behandelt eine Frage wie eine Krankheit PU 255 Was ist dein Ziel in der Philosophie Der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas zeigen PU 309 Literatur BearbeitenAusgaben der PU Bearbeiten Ludwig Wittgenstein Philosophical investigations Hrsg G E M Anscombe Blackwell Oxford 1953 DNB 576937029 deutsch Philosophische Untersuchungen Ubersetzt von G E M Anscombe Ludwig Wittgenstein Philosophische Untersuchungen Kritisch genetische Edition Herausgegeben von Joachim Schulte Wissenschaftliche Buchgesellschaft Frankfurt 2001 ISBN 3 518 58312 3 Ludwig Wittgenstein Philosophische Untersuchungen Suhrkamp Verlag 9 Auflage 2003 ISBN 978 3518223727 Leseausgabe auf der Grundlage der kritisch genetischen Edition von Joachim Schulte Sekundarliteratur Bearbeiten Allgemein Bearbeiten Gordon P Baker Peter M Hacker Analytical Commentary on the Philosophical Investigations Blackwell Oxford 1985 Mehrere Bande der wohl grundlichste und umfassendste Kommentar zu den Philosophischen Untersuchungen allerdings ohne die Behandlung von Teil II Die Autoren sind die Wittgenstein Papste und zerfielen uber ihrem Hauptwerk in die weiter oben therapeutisch metaphysisch gekennzeichneten Lager Wolfgang Kienzler Ludwig Wittgensteins Philosophische Untersuchungen Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2007 ISBN 978 3 534 19823 8 Ernst Michael Lange Ludwig Wittgenstein Philosophische Untersuchungen eine kommentierte Einfuhrung Schoningh Paderborn 1998 ISBN 3 8252 2055 9 behandelt auch Teil II Eike von Savigny Wittgensteins Philosophische Untersuchungen Ein Kommentar fur Leser Klostermann Frankfurt am Main 1988 f ISBN 978 3 465 03547 3 Severin Schroeder Wittgenstein lesen Ein Kommentar zu ausgewahlten Passagen der Philosophischen Untersuchungen Frommann Holzboog Stuttgart Bad Cannstatt 2009 legenda 5 ISBN 978 3 7728 2242 1 Meredith Williams Hrsg Wittgenstein s Philosophical Investigations Critical Essays Lanham 2007 ISBN 978 0 7425 4191 7 Sprache Bedeutung Bearbeiten Wulf Kellerwessel Wittgensteins Sprachphilosophie in den Philosophischen Untersuchungen eine kommentierende Ersteinfuhrung Frankfurt 2009 ISBN 978 3 11 032850 9 Regeln und Regelbefolgung Bearbeiten Edward H Minar Philosophical Investigations 185 202 Wittgenstein s Treatment of Following a Rule New York London 1990 ISBN 0 8240 5090 8 Saul A Kripke Wittgenstein uber Regeln und Privatsprache Eine elementare Darstellung Frankfurt Main 1987 ISBN 3 518 57832 4 Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Privatsprache Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Philosophische Untersuchungen Teil I Volltext des Ersten Teils auf mickindex sakura ne jp Normdaten Werk GND 4117668 6 lobid OGND AKS LCCN n2009021791 VIAF 182650189 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Philosophische Untersuchungen amp oldid 235677790