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Netzstadt bezeichnet ein relativ neues stadtebauliches Theorieparadigma Gepragt wurde der Begriff Ende der 1990er Jahre an der ETH Zurich durch den Architekten und Stadtebauer Franz Oswald sowie den Chemiker Peter Baccini Oswald und Baccini verwenden den Terminus Netzstadt auf dreifache Weise als Modell zum grundsatzlichen Verstandnis von Bedeutungen raumlichen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Personen Quartieren Kommunen Regionen Staaten als Methode zur morphologischen und physiologischen Analyse eines ausgewahlten Territoriums zur Bestimmung von dessen spezifischen Qualitatskriterien d h als umfassendes Analyse und Entwurfswerkzeug als Strategie und Zielhypothese zur Mobilisierung von Kooperationspotential insbesondere im Rahmen von partizipativen Planungsprozessen Inhaltsverzeichnis 1 Ziele 2 Netzstadtmodell 3 Netzstadtmethode 4 Beispiele fur Netzstadtuntersuchungen 5 Literatur 6 Einzelnachweise 7 WeblinksZiele BearbeitenIn bewusster Abgrenzung zu alteren Modellen wie dem System der Zentralen Orte suchten Oswald und Baccini nach zeitgemassen Beschreibungsmodi urbaner Systeme sowie nach Moglichkeiten ihrer Steuerung Eine besondere Rolle spielen dabei die hauptsachlich in der zweiten Halfte des 20 Jahrhunderts entstandenen neuen topologischen Muster die andernorts mitunter als zersiedelte Landschaft oder Urban sprawl bezeichnet werden Die Theorie der Netzstadt ist vom Gedanken der Nachhaltigkeit und von der Vision eines lang andauernden Umbauprozesses 1 gepragt und von der Erkenntnis getragen dass sich Stadtebau in die langfristig orientierten okologischen Rahmenbedingungen einordnen muss 2 Dies ist auch ein Bekenntnis zur gestalterischen Verantwortung und Kompetenz des Menschen in der Entwicklung der Biosphare aber eine Absage an den zu eng verstandenen Naturschutz der mit einer dogmatischen okozentrischen Position gekoppelt ist die dem Menschen grosse gestalterische Eingriffe aus ethischen Grunden verweigert Ebenso ist es eine Absage an den zu eng verstandenen Heimat und Landschaftsschutz der auf die Vergangenheit fixiert doch blind fur die Zukunft ist keinen Glauben an neue Formen der Alltagsbewaltigung aufkommen lasst und Erneuerungen und Umbruche mit Verweis auf die bewahrte Tradition verwehrt 3 Netzstadtmodell BearbeitenIm Rahmen dieses Modells wird der Begriff Netzstadt als metaphorisches Kurzel fur urbane Systeme verwendet Die Metapher Netz soll verdeutlichen dass es sich nicht um eine pyramidal angeordnete Hierarchie der einzelnen Siedlungen mit einem Zentrum an der Spitze handelt sondern um ein Gebilde dessen Struktur und Eigenschaften sich zum Teil mit solchen von Okosystemen vergleichen lassen 4 Urbane Systeme definieren Oswald Baccini wie folgt Das urbane System ist ein aus geogenen erdgeschichtlich entwickelten und anthropogenen kulturell gestalteten Subsystemen zusammengesetztes Gross System auf einer Flache die Hunderte bis Zehntausende von Quadratkilometern umfasst und einer Dichte von Hunderten von Einwohnern pro Quadratkilometer Es ist ein flachendeckendes dreidimensionales Netzwerk von vielfaltigen sozialen und physischen Verknupfungen In den Knoten dieses Netzwerks bestehen relativ hohe Dichten von Menschen Gutern und Informationen Zwischen diesen Knoten unterschiedlicher Dichten finden hohe Flusse von Personen Gutern und Informationen statt Die kolonialisierten Okosysteme der Land und Forstwirtschaft sind integrierte Teile dieses Systems 5 In einem urbanen System verschwindet folglich die klare Trennung zwischen Stadt und Land Es ist daher legitim auch bei raumlichen Gebilden bei denen land und forstwirtschaftliche Flachenanteile dominieren von Netzstadt zu sprechen Das Netzstadtmodell setzt sich im Einzelnen aus den folgenden drei Elementen zusammen Knoten definiert als Orte hoher Dichte von Personen Gutern und Informationen Verbindungen die die Flusse von Personen Gutern und Informationen zwischen den Knoten gewahrleisten Skalen diverse Massstabsebenen innerhalb derer Territorien raumlich abgegrenzt und die Knoten und Verbindungen identifiziert werden konnen Das Wechseln des Betrachtungsmassstabs erlaubt es sowohl verschiedene Knoten und Verbindungen auf der nachsthoheren Skala zu einem ubergeordneten Knoten zu aggregieren als auch einen Knoten auf den nachsttieferen Skala in Subknoten und die entsprechenden Verbindungen dazwischen aufzulosen Dies erhoht die Flexibilitat des Modells und fuhrt zu neuen Hierarchien die sich deutlich von denen Christallers unterscheiden Oswald Baccini differenzieren 5 Skalen Die individuelle Skala die Wohnung als kleinster Einheit urbanen Lebens Die lokale Skala das Quartier das die Grundversorgung urbanen Lebens und erste Identifikationsmoglichkeiten mit der Nachbarschaft bietet Die kommunale Skala die Gemeinde die erste gemeinschaftlich organisierte und teilweise selbstverwaltete Ebene Die regionale Skala sie umfasst mehrere Kommunen fur die grossere Aufgaben im Bildungs Sozial Ressourcen und Verkehrsbereich zentral gelost werden Bundeslander Departemente Kantone etc aber auch Regionen der Europaischen Union Die nationale Skala als Regionenverbund welcher sich uber eine Verfassung den Status eines souveranen Staates gibt 6 Die Ubergange zwischen diesen Skalenstufen sind teilweise fliessend In der Literatur wird deshalb teilweise fur eine weitere Ausdifferenzierung des Systems etwa durch die Einfuhrung von Subregionalen und supranationalen Skalen vorgeschlagen 7 Netzstadtmethode BearbeitenDie komplexe Netzstadtmethode wird als Teil einer Strategie zur Entwicklung urbaner Systeme verstanden Sie beinhaltet sowohl eine morphologische als auch eine physiologische Analyse ausgewahlter Territorien mittels spezifischer Analyseinstrumente Die Methode erfordert daher eine transdisziplinare Zusammenarbeit zwischen Architektur Natur und Ingenieurwissenschaften Sie ist bewusst offen gehalten fur die Integration weiterer Disziplinen Sozialwissenschaften Okonomie Politikwissenschaft Anthropologie etc Die morphologische Analyse eines Territoriums stutzt sich insbesondere auf topographische Charakteristika die u a auf der Grundlage von Luftbildern herausgearbeitet werden Sie erfolgt mit Fokus auf die folgenden 6 natur und kulturgeschichtlichen Attribute des Territoriums seine Koharenz die den topographischen Zusammenhang des Territoriums widerspiegelt seine erkennbaren und nicht erkennbaren Grenzen als Instrumente und Anzeiger gesellschaftlicher Vereinbarungen und Organisationsformen seinen Massstab und seine Grossenordnung deren Zuordnungen oft normativen und zeitgeistbedingten Veranderungen unterliegen die ihm zugeordneten Aufgaben inklusive der daraus resultierenden Interessenskonflikte und gesellschaftlichen Spannungen seine urbane Kornung ein skulptural plastisches Attribut des Territoriums das wesentlich zur sinnlichen Identifikation von Siedlungsbestandteilen beitragt sein urbaner Widerstand dem Verhaltnis zwischen der Kraft des Bestehenden und der Kraft der Veranderung das sich an geologisch materiellen klimatischen Merkmalen und kulturell politischen Konstellationen manifestiert Die morphologische Analyse der Netzstadtmethode umfasst synchrone und diachrone Untersuchungen von 6 aufgrund ihrer Nutzungsart unterscheidbaren Territorientypen Gewasser Wald Siedlung Landwirtschaft Infrastruktur Brachen Die physiologische Analyse verfolgt das Ziel den relevanten physischen Ressourcenhaushalt urbaner Systeme zu erfassen um in Kombination mit dem morphologischen Befund eine qualitative und quantitative Beschreibung von Knoten und Flussen zu ermoglichen Die Erfassung von Materie und Energieflussen fuhrt zur Darstellung von Stoffhaushaltssystemen und erfolgt anhand der folgenden Schlusselressourcen Wasser Nahrungsmittel Biomasse Baumaterialien EnergieWeiterhin gehen die folgenden ausgewahlten physiologischen Indikatoren in die Analyse ein Einwohnerdichte Arbeitsplatzdichte Dienstleistungsdichte Institutionendichte Arbeitende Flusse Studierende Flusse Grenzen der Netzstadtmethode Die Netzstadtmethode allein liefert noch keine stadtebaulichen oder raumplanerischen Entwurfe sie unterstutzt lediglich die Analyse und strukturiert die Entwurfsarbeit Die Netzstadtmethode ist nicht in der Lage neue Qualitatsziele vorzugeben Dazu sind zusatzliche normative Krafte notwendig die in einer Demokratie durch partizipative Verfahren beeinflusst werden konnen 8 Beispiele fur Netzstadtuntersuchungen BearbeitenStadt an der Wigger Aggregierung der 5 Schweizer Kommunen Aarburg Oftringen Rothrist Strengelbach und Zofingen zu einem Knoten durch Oswald und Baccini Die Stadt an der Wigger mit seinerzeit etwa 35 000 Einwohnern diente als Modellfall fur die Betrachtungen des urbanen Systems Schweizer Mittelland und bildete die empirische Grundlage fur die Entwicklung von Netzstadtmodell und methode 9 Netzstadt Drei Seen Land Aggregierung der 4 Stadte Biel Murten Neuenburg und Yverdon les Bains durch Franz Oswald im Rahmen eines gemeinsamen Projekts der Stadte zur Nachbereitung der Schweizerischen Expo 02 Dabei stand der Begriff Netzstadt in Gestalt einer Zielhypothese im Vordergrund 10 Netzstadt Bodensee Betrachtung der trinationalen Grenzregion um den Bodensee mit den Kategorien des Netzstadtmodells durch die an der HTWG Konstanz angesiedelte Forschungsgruppe Bodenseestadt unter punktueller Weiterentwicklung des Netzstadtmodells 11 Literatur BearbeitenRaimund Blodt Frid Buhler Faruk Murat Jorg Seifert 2006 Die Netzstadt Bodensee als Perspektive Betrachtungen und Interventionen in Dies Beyond Metropolis Eine Auseinandersetzung mit der verstadterten Landschaft Sulgen Zurich Niggli S 58 85 ISBN 3721205839 Mark Michaeli 2005 Zwischenstadt begreifen Netz und Dynamik in Thomas Sieverts et al Hrsg Zwischenstadt Inzwischen Stadt Entdecken Begreifen Verandern Wuppertal Muller Busmann ISBN 3928766724 Mark Michaeli 2004 Zwischenstadt Netzstadt Die Topologie urbaner Systeme in Lars Bolling Thomas Sieverts Hrsg Mitten am Rand Auf dem Weg von der Vorstadt uber die Zwischenstadt zur regionalen Stadtlandschaft Wuppertal Muller Busmann ISBN 3928766597 Franz Oswald 2006 Das Netzstadtmodell und seine Konsequenzen Franz Oswald im Gesprach mit der Forschungsgruppe Bodenseestadt in Raimund Blodt Frid Buhler Faruk Murat Jorg Seifert Beyond Metropolis Eine Auseinandersetzung mit der verstadterten Landschaft Sulgen Zurich Niggli S 38 47 ISBN 3721205839 Franz Oswald 2004 Helveti Cite Das Projekt Netzstadt Drei Seen Land Fallstudie zur urbanen Gestaltung des Territoriums Zurich vdf ISBN 3728129615 Franz Oswald 2003 Die Zukunft der Stadt Anmerkungen zur Netz Metapher der Stadt In Forschungsgruppe Bodenseestadt Hrsg Vision Bodenseestadt Stadtebauforschung zwischen Utopie und Machbarkeitsstudie Weimar VDG S 57 64 ISBN 3897393557 Franz Oswald Peter Baccini 2003 Netzstadt Einfuhrung in das Stadtentwerfen Basel Boston Berlin Birkhauser ISBN 3764369620 Jorg Seifert Zentrale Orte System ZOS und Netzstadtmodell im Vergleich in Forschungsgruppe Bodenseestadt Hrsg Vision Bodenseestadt Stadtebauforschung zwischen Utopie und Machbarkeitsstudie Weimar VDG S 65 71 ISBN 3897393557 Franz Oswald Peter Baccini 1998 Netzstadt Transdisziplinare Methoden zum Umbau urbaner Systeme Zurich vdf ISBN 3728127027 Einzelnachweise Bearbeiten Franz Oswald Peter Baccini 1998 Netzstadt Transdisziplinare Methoden zum Umbau urbaner Systeme Zurich vdf ISBN 3728127027 S 25ff Franz Oswald Peter Baccini 1998 Netzstadt Transdisziplinare Methoden zum Umbau urbaner Systeme Zurich vdf ISBN 3728127027 S 7 Franz Oswald Peter Baccini 1998 Netzstadt Transdisziplinare Methoden zum Umbau urbaner Systeme Zurich vdf ISBN 3728127027 S 26 Franz Oswald Peter Baccini 1998 Netzstadt Transdisziplinare Methoden zum Umbau urbaner Systeme Zurich vdf ISBN 3728127027 S 48 Franz Oswald Peter Baccini 1998 Netzstadt Transdisziplinare Methoden zum Umbau urbaner Systeme Zurich vdf ISBN 3728127027 S 46 Vgl samtliche Angaben zum Systemaufbau im Netzstadtmodell Franz Oswald Peter Baccini 1998 Netzstadt Transdisziplinare Methoden zum Umbau urbaner Systeme Zurich vdf ISBN 3728127027 S 54ff Blodt Buhler Murat Seifert 2006 hier S 64ff Vgl samtliche Angaben zur Netzstadtmethode Franz Oswald Peter Baccini 1998 Netzstadt Transdisziplinare Methoden zum Umbau urbaner Systeme Zurich vdf ISBN 3728127027 S 66ff Franz Oswald Peter Baccini 1998 Netzstadt Transdisziplinare Methoden zum Umbau urbaner Systeme Zurich vdf ISBN 3728127027 S 108ff Oswald 2004 Blodt Buhler Murat Seifert 2006 Weblinks BearbeitenNetzstadt Bodensee Website der Forschungsgruppe Bodenseestadt Anssi Joutsiniemi Mark Michaeli Netzstadt Dynamic Scale and Threshold Paper CUPUM Konferenz London 2005 Memento vom 30 September 2007 im Internet Archive Rezension zu Oswald Baccini 2003 von Ulrich Ante in DISP 156 ETH Zurich 2004 PDF Datei 27 kB Urbane Systeme Website der Universitat Duisburg Essen Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Netzstadt amp oldid 239650457