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Die Mephisto Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24 Februar 1971 1 gilt in der deutschen Rechtswissenschaft als Grundsatzentscheidung zur Kunstfreiheit und zum allgemeinen Personlichkeitsrecht APR Das Bundesverfassungsgericht definierte erstmals den Begriff Kunst aus verfassungsrechtlicher Sicht und stellte klar dass auch die nach dem Grundgesetz vorbehaltlos gewahrleistete Freiheit der Kunst Art 5 Abs 3 GG verfassungsimmanenten Schranken unterliegt namlich solchen die sich durch andere Grundrechte ergeben sogenanntes kollidierendes Verfassungsrecht Bei der Kollision der Kunstfreiheit mit anderen Grundrechten ist eine Abwagung der Rechtsguter vorzunehmen vgl Praktische Konkordanz Inhaltsverzeichnis 1 Sachverhalt 2 Zusammenfassung des Urteils 2 1 Kunstfreiheit im Lichte der Verfassung 2 2 Unverletzlichkeit der Menschenwurde als Schranke der Kunstfreiheit 3 Bedeutung und Folgen des Urteils 4 Literatur 5 Siehe auch 6 Einzelnachweise 7 WeblinksSachverhalt BearbeitenHintergrund der Verfassungsbeschwerde war das von Peter Gorski dem Adoptivsohn und Alleinerben des verstorbenen Schauspielers und Intendanten Gustaf Grundgens 1899 1963 gegen die Nymphenburger Verlagshandlung gerichtlich erwirkte Verbot das Buch Mephisto Roman einer Karriere von Klaus Mann erstmals erschienen 1936 im Exilverlag Querido Amsterdam zu vervielfaltigen zu vertreiben und zu veroffentlichen Der Roman schildert den Aufstieg des bekannten Schauspielers Hendrik Hofgen der seine politische Uberzeugung verleugnet und alle menschlichen und ethischen Bindungen abstreift um im Pakt mit den nationalsozialistischen Machthabern eine kunstlerische Karriere zu machen Der Romanfigur Hendrik Hofgen diente der Schauspieler Gustaf Grundgens als Vorbild Zahlreiche Einzelheiten seine aussere Erscheinung die Theaterstucke an denen er mitwirkte und ihre zeitliche Reihenfolge der Aufstieg zum Preussischen Staatsrat und zum Generalintendanten der Preussischen Staatstheater entsprechen dem ausseren Erscheinungsbild und dem Lebenslauf von Grundgens Auch an Personen aus der damaligen Umgebung von Grundgens lehnt sich der Roman an Das Hanseatische Oberlandesgericht hatte sich mit Urteil aus dem Jahr 1966 der Auffassung angeschlossen dass die Darstellung der Person Hendrik Hofgen sich eindeutig auf Grundgens beziehe und eine Herabwurdigung seiner Person bewirke Explizit nannte der Senat das Buch eine Schmahschrift in Romanform Daher sei ein Verbot seiner Vervielfaltigung Veroffentlichung und seines Vertriebs auszusprechen Der Bundesgerichtshof bestatigte diese Entscheidung im Jahr 1968 Gegen diese Entscheidungen richtete die Nymphenburger Verlagshandlung vertreten durch ihren Geschaftsfuhrer Berthold Spangenberg ihre Verfassungsbeschwerde mit der Begrundung diese wurden unter anderem das Recht auf Kunstfreiheit des Art 5 Abs 3 GG verletzen Diese Verfassungsbeschwerde wurde am 24 Februar 1971 zuruckgewiesen 2 Zusammenfassung des Urteils BearbeitenKunstfreiheit im Lichte der Verfassung Bearbeiten Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts ging zunachst auf die Bedeutung der Kunstfreiheit nach dem Grundgesetz ein Das Wesentliche der kunstlerischen Betatigung sei die freie schopferische Gestaltung in der Eindrucke Erfahrungen Erlebnisse des Kunstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden Alle kunstlerische Tatigkeit sei ein Ineinander von bewussten und unbewussten Vorgangen die rational nicht aufzulosen sind Beim kunstlerischen Schaffen wirkten Intuition Fantasie und Kunstverstand zusammen es sei primar nicht Mitteilung sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Personlichkeit des Kunstlers Die Kunstfreiheitsgarantie in Art 5 Abs 3 GG betreffe sowohl die kunstlerische Betatigung Werkbereich wie auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks Wirkbereich Auch stehe der Kunstfreiheit nicht im Wege dass ein Kunstler Vorgange des realen Lebens schildert und hierbei teilweise an der Realitat vorbeigehe Die Wirklichkeit eines Geschehens werde im Kunstwerk verdichtet Die Realitat werde aus den Zusammenhangen und Gesetzmassigkeiten gelost und in neue Beziehungen gebracht fur die nicht die Realitatsthematik sondern das kunstlerische Gebot der anschaulichen Gestaltung im Vordergrund steht Die Wahrheit des einzelnen Vorganges konne und musse unter Umstanden der kunstlerischen Einheit geopfert werden Unverletzlichkeit der Menschenwurde als Schranke der Kunstfreiheit Bearbeiten Andererseits sei das Freiheitsrecht nicht schrankenlos gewahrt Zwar seien die Schranken des Art 5 Abs 2 GG unanwendbar da der Verfassungsgeber die Kunstfreiheit nicht als einen Sonderfall der Meinungsausserungsfreiheit gesehen habe Doch wurden die Grenzen der Kunstfreiheitsgarantie von der Verfassung selbst namlich durch andere Grundrechte bestimmt Auch das Personlichkeitsrecht des Art 2 Abs 1 GG kame grundsatzlich hierfur in Frage Allerdings ende dieses mit dem Tod der Person Indessen wirke das Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwurde das allen Grundrechten zugrunde liegt uber den Tod einer Person hinaus Es sei mit Art 1 GG unvereinbar wenn der Mensch dem Wurde kraft seines Personseins zukommt in diesem Achtungsanspruch auch nach seinem Tode herabgewurdigt oder erniedrigt werden durfte Die Entscheidung daruber ob durch die Anlehnung der kunstlerischen Darstellung an Personlichkeitsdaten der realen Wirklichkeit ein der Veroffentlichung des Kunstwerks entgegenstehender schwerer Eingriff in den schutzwurdigen Personlichkeitsbereich des Dargestellten zu befurchten ist konne nur unter Abwagung aller Umstande des Einzelfalles getroffen werden Dabei sei zu beachten ob und inwieweit das Abbild gegenuber dem Urbild durch die kunstlerische Gestaltung des Stoffs und seine Ein und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Kunstwerks so verselbstandigt erscheint dass das Individuelle Personlich Intime zugunsten des Allgemeinen Zeichenhaften der Figur objektiviert ist Wenn eine solche das Kunstspezifische berucksichtigende Betrachtung jedoch ergebe dass der Kunstler ein Portrat des Urbildes gezeichnet hat oder gar zeichnen wollte komme es auf das Ausmass der kunstlerischen Verfremdung oder den Umfang und die Bedeutung der Verfalschung fur den Ruf des Betroffenen oder fur sein Andenken an Das Bundesverfassungsgericht hatte demnach zu entscheiden ob die Instanzen der Zivilgerichte bei der von ihnen vorgenommenen Abwagung zwischen dem durch Art 1 Abs 1 GG geschutzten Personlichkeitsbereich des verstorbenen Gustaf Grundgens und seines Adoptivsohnes und der durch Art 5 Abs 3 Satz 1 GG gewahrleisteten Kunstfreiheit den dargelegten Grundsatzen Rechnung getragen hatten Bei der Entscheidung dieser Frage ergab sich im Senat Stimmengleichheit Infolgedessen konnte gemass 15 Abs 4 Satz 3 BVerfGG nicht festgestellt werden dass die angefochtenen Urteile gegen das Grundgesetz verstossen hatten Dennoch wurde schon durch die abweichenden Voten zweier Richter sichtbar dass mit dem Zeitablauf sich ein anderes Ergebnis bei der Abwagung zwischen Kunstfreiheit und Menschenwurde abzeichnen konnte Diese Ansicht hat sich bestatigt Der Roman Mephisto Roman einer Karriere ist heute frei verkauflich wenngleich das Urteil das seine Veroffentlichung verbietet bis heute Bestand hat Bedeutung und Folgen des Urteils BearbeitenDer Fall Mephisto Roman einer Karriere war der erste in dem das Bundesverfassungsgericht sich mit der Frage auseinandersetzen musste ob die Freiheit der Kunst Schranken unterliegt und wenn ja welchen Denn Art 5 GG war vom Verfassungsgeber im Angesicht der nur wenige Jahre zuruckliegenden Zeit des Nationalsozialismus und der dort herrschenden Vorstellung uber Entartete Kunst bewusst so angelegt worden dass die Kunstfreiheit wie auch die Freiheit von Wissenschaft Forschung und Lehre im Absatz 3 steht und somit die Schranken des Absatzes 2 namlich die allgemeinen Gesetze die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und das Recht der personlichen Ehre nicht anwendbar sind Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung klargestellt Doch stellte sich mit dem Roman von Klaus Mann die konkrete Frage ob man Kunstlern etwa alles durchgehen lassen darf oder gar muss Gustaf Grundgens Ehre war durch die Darstellung erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden das wurde vorinstanzlich zweimal ausdrucklich festgestellt Allerdings bestand diese Ehrverletzung offenbar gerade darin dass seine Nazi Kollaboration dargestellt und ihre charakterlichen Voraussetzungen untersucht wurden es wurde also de facto die Kritik am tatsachlichen Verhalten Grundgens verboten Uber den Weg andere Grundrechte als Schranken der Kunstfreiheit anzusehen schlichen sich die Schranken des Art 5 Abs 2 GG sozusagen durch die Hintertur in den eigentlich schrankenlos gewahrleisteten Art 5 Abs 3 GG ein Aber Mit dem Gebot einer umfassenden Abwagung der kollidierenden Rechtsguter wird der Bedeutung der Kunstfreiheit in ganz besonderer Weise Rechnung getragen Diese Rechtsprechung hat bis heute Gultigkeit Der Roman Mephisto wurde erstmals 1965 innerhalb der Klaus Mann Werkausgabe bei der Nymphenburger Verlagshandlung veroffentlicht und in einer Nacht und Nebel Aktion an den Buchhandel ausgeliefert wo die erwartete und auch prompt erfolgte einstweilige Verfugung nicht greifen konnte aus dieser Edition resultierten auch die oben erwahnten Gerichtsverfahren 1981 wurde der Roman verfilmt und im selben Jahr dann auch erstmals unbehindert in der Bundesrepublik Deutschland veroffentlicht bis dahin konnte man allerdings ohne grosse Muhe die in der DDR gedruckte Ausgabe erhalten Literatur BearbeitenRafaela Bockslaff Die Behandlung des Mephisto Falles als Beispiel fur die Problematik der Vollstreckung von bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen zugleich Dissertation an der Universitat Kiel Lang Frankfurt am Main Bern New York Paris 1987 ISBN 3 8204 0206 3 Klaus Mann Mephisto Roman einer Karriere Mit einem Nachwort von Michael Toteberg Uberarbeitete Neuausgabe Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbek bei Hamburg 2000 ISBN 3 499 22748 7 rororo 22748 Nadine Heckner Michael Walter Erlauterungen zu Klaus Mann Mephisto Roman einer Karriere Bange Hollfeld 2005 ISBN 3 8044 1823 6 Reihe Konigs Erlauterungen und Materialien 437 Eberhard Spangenberg Karriere eines Romans Mephisto Klaus Mann und Gustaf Grundgens Ein dokumentarischer Bericht aus Deutschland und dem Exil 1925 1981 Ellermann Munchen 1982 ISBN 3 7707 0186 0 Erwin Stein Wiltraut Rupp von Brunneck Mephisto die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und die abweichende Richter Meinung der vollstandige Wortlaut der Entscheidung vom 24 Februar 1971 nebst den ihr beigefugten schriftlichen Begrundungen der abweichende Meinungen des Richters Professor Dr Stein und der Richterin Frau Rupp von Brunneck Nymphenburger Verlagshandlung Munchen 1971 ISBN 3 485 01999 2 Eugenia Bosherz Mephisto Verbot In Torben Fischer Matthias N Lorenz Hrsg Lexikon der Vergangenheitsbewaltigung in Deutschland Debatten und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945 Bielefeld Transcript 2007 ISBN 978 3 89942 773 8 S 104 106Siehe auch BearbeitenAnachronistischer Zug Postmortales PersonlichkeitsrechtEinzelnachweise Bearbeiten Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 24 Februar 1971 Az 1 BvR 435 68 Mephisto 24 Februar 1971 abgerufen am 19 April 2019 BVerfGE 30 173 ff Eberhard Spangenberg Karriere eines Romans Mephisto Klaus Mann und Gustaf Grundgens Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbek 1986 ISBN 3 499 15893 0 S 239 Ausfertigung 1 BvR 435 68 an RA Gerth Arras Stuttgart Weblinks BearbeitenVollstandiger UrteilstextBitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Mephisto Entscheidung amp oldid 234041620